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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 20.06.2002
Aktenzeichen: 3 Ss 120/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 153 | |
StPO § 55 |
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil
wegen vers. Strafvereitelung u.a.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe - 3. Strafsenat- hat in der Sitzung vom 20. Juni 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender
Richter am Oberlandesgericht
Richter am Oberlandesgericht als beisitzende Richter
Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft
Rechtsanwalt als Verteidiger
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts K. vom 09. Juli 2001 aufgehoben, soweit die Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Ü. sprach die Angeklagte vom Vorwurf der versuchten Strafvereitelung und der falschen uneidlichen Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung frei. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht K. das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Angeklagte wegen versuchter Strafvereitelung zu der Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je DM 60.-- verurteilt. Im übrigen hat es die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Hiergegen richtet sich die ausweislich der Revisionsbegründung wirksam auf den Teilfreispruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachbeschwerde begründet ist und eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen falscher uneidlicher Aussage nach § 153 StGB erstrebt.
Das von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.
II.
Der dem Verfahren zugrundeliegende Strafbefehl des Amtsgerichts Ü. vom 29.11.2000 legt der Angeklagten zur Last, sie habe im Strafverfahren gegen R. E. am 08.06.2000 als Zeugin in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Ü. wahrheitswidrig ausgesagt, E. habe nach der Fahrt mit dem Pkw eine Flasche Rotwein allein und ein Glas Schnaps zusammen mit ihr getrunken.
Das Landgericht hat die Angeklagte, ohne tatsächliche Feststellungen zum Aussageinhalt zu treffen, vom Vorwurf der uneidlichen Falschaussage freigesprochen, weil die Angeklagte vor der damaligen Vernehmung nicht prozessordnungsgemäß über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO belehrt wurde. Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die der zu einer unrichtigen Aussage führenden Vernehmung anhaften, lassen die Strafbarkeit einer nach § 153 StGB tatbestandsmäßigen Falschaussage unberührt, selbst wenn sie die Verwertbarkeit der Aussage in den betreffenden Verfahren in Frage stellen. Fehler im Verfahren sind vielmehr, soweit ihnen schuldmindernde Bedeutung zukommt, bei der Ahndung der Tat als Strafmilderungsgründe zu berücksichtigen (BGHSt 8, 186, 190; 10, 142; 17, 128, 136; BGH StV 1995, 249; BGH wistra 1999, 261; OLG Köln NJW 1988, 2485; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Vorbem. zu §§ 153 ff Rdnr. 23 m.w.N.). Dies gilt uneingeschränkt auch für den Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 55 Abs. 2 StPO (vgl. nur BGH StV 1995, 249; BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 4). Hier kommt hinzu, dass die unterbliebene Belehrung eines Zeugen über ein ihm zustehendes Auskunftsverweigerungsrecht der Verwertung der Aussage gegen einen anderen in dem Verfahren, in dem die Zeugenaussage gemacht wurde, nicht entgegensteht (BGHSt 11, 213; 38, 302, 304; Alsberg/Nüse/Meyer Der Beweisantrag im Strafprozess 5. Aufl. S. 489 f), die Verwertung der Aussage mithin verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die nach unterbliebener Belehrung gem. § 55 Abs. 2 StPO erfolgte unrichtige Aussage führt daher unmittelbar zu einer Gefährdung des durch die Aussagedelikte geschützten Rechtsguts unabhängig davon, ob man die Rechtspflege als tatsächliche, naturgemäß nicht mangelfreie Erscheinung (Lenckner a.a.O.; Ruß in LK StGB 11. Aufl. vor § 153 Rdnr. 29) oder einer Mindermeinung folgend lediglich die prozessordnungsgemäß verfahrende Rechtspflege (Rudolphi in SK-StGB 6. Aufl., vor § 153 Rdnr. 34 ff; Vormbaum in NK-StGB 2. Aufl. § 153 Rdnr. 32) als geschützt ansieht.
Dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 55 Abs. 2 StPO die Unverwertbarkeit der Aussage in einem späteren gegen den Zeugen als nunmehr Beschuldigten geführten Verfahren zur Folge haben kann (BayObLGSt 1984, 1 und 2001, 64; Senge in KK-StPO 4.Aufl. § 55 Rdnr. 19), rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Das folgt aus einer an Sinn und Zweck der Vorschrift des § 55 StPO orientierten Bestimmung der Reichweite eines möglicherweise aus der Verletzung der Belehrungspflicht resultierenden Verwertungsverbotes.
Das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO ist ein Ausfluss des allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden kann, gegen sich selbst auszusagen. Dem Zeugen, der eine strafbare Handlung begangen hat, soll die seelische Zwangslage erspart bleiben, die sich für ihn ergeben würde, wenn er unter dem Druck der staatsbürgerlichen Aussagepflicht seine Verfehlung offenbaren und sich damit selbst der Gefahr einer nachträglichen Verfolgung durch den Strafrichter aussetzen müsste (BVerfG NStZ 1985, 277). Die Gefahr der Verfolgung, die § 55 Abs. 1 StPO voraussetzt, muss sich also auf eine vor der Vernehmung begangene Tat beziehen (BVerfGE a.a.O.; Senge a.a.O. Rdnr. 9). Bei einem an die Verletzung der Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO anknüpfenden Verwertungsverbot kann es dementsprechend nur darum gehen, für eine Selbstbelastung, die ursächlich auf den Belehrungsmangel und die dadurch bedingte Unkenntnis über das Auskunftsverweigerungsrecht beruht, einen verfahrensrechtlichen Ausgleich zu schaffen. Dies wird erreicht, wenn die selbstbelastenden Angaben für den Nachweis gerade der Taten nicht herangezogen werden dürfen, derentwegen bei der Zeugenvernehmung ein Auskunftsverweigerungsrecht bestand. Das an die Verletzung der Belehrungspflicht anknüpfende Verwertungsverbot reicht nicht weiter als das Auskunftsverweigerungsrecht selbst. Ebenso wie das Recht zur Auskunftsverweigerung nach § 55 Abs. 1 StPO eine Verfolgungsgefahr voraussetzt, die sich aus früher begangenen Taten und nicht erst aus dem möglichen Inhalt der bevorstehenden Zeugenaussage ergibt, bezieht sich die Begrenzung des Beweisstoffes, die durch das dem Belehrungsmangel korrespondierende Verwertungsverbot bewirkt wird, nur auf solche Taten, die der Vernehmung und damit der unterlassenen Belehrung vorausgehen. Eine mögliche Unverwertbarkeit der Aussage beschränkt sich somit auf den Nachweis vor der Vernehmung begangener Taten. Für den Schuldspruch wegen erst anlässlich der Vernehmung verwirklichter Aussagedelikte kommt dem solchermaßen begründeten Verwertungsverbot demgegenüber keinerlei Bedeutung zu.
Der Vorwurf der falschen uneidlichen Aussage bedarf somit neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt daher zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Angeklagte freigesprochen worden ist. Eine Aufhebung des von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffenen Strafausspruchs ist nicht veranlasst. Sollte die neuerliche Hauptverhandlung zu einer Verurteilung der Angeklagten auch wegen tatmehrheitlich begangener falscher uneidlicher Aussage führen, wird der Tatrichter unter Einbeziehung der für die versuchte Strafvereitelung verhängten Geldstrafe nach § 55 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden haben (BGH NJW 1983, 1130, 1131 f).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
Ein Schuldspruch auch wegen durch die Zeugenaussage vor Gericht tateinheitlich begangener versuchter Strafvereitelung kommt nur in Betracht, wenn der persönliche Strafausschließungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB zugunsten der Angeklagten nicht eingreift. Im Falle einer Verurteilung wegen falscher uneidlicher Aussage wird der Tatrichter im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung mit Blick auf die durch die früheren Angaben bei der polizeilichen Vernehmung verwirklichte versuchte Strafvereitelung die Anwendung des § 157 Abs. 1 StGB zu prüfen haben (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 157 Rdnr. 8 m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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