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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 22.12.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 129/06
Rechtsgebiete: AO
Vorschriften:
AO § 371 Abs. 1 | |
AO § 371 Abs. 3 |
2. Leistungsgebote im steuerlichen Erhebungsverfahren sind für die Frage einer Strafbefreiung nach § 371 Abs. 1 und 3 AO ohne Bedeutung.
3. Eine unterbliebene Fristsetzung nach § 371 Abs. 3 AO kann im Berufungsverfahren von der mit der Sache befassten Strafkammer nachgeholt werden.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
wegen Steuerhinterziehung
Beschluss vom 22. Dezember 2006
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts M. vom 14. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht M. verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 19.04.2005 wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 20,- €. Die gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten, welche in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, hat das Landgericht M. als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge vorläufigen Erfolg.
II.
Nach den vom Landgericht für bindend erachteten Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils erstattete der Angeklagte mit einem beim Finanzamt M.-Stadt am 14.06.2004 eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten Selbstanzeige und reichte u. a. Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1997 und 1998 ein, in denen Einkünfte und Umsätze aus seiner Tätigkeit als Handelsvertreter erklärt wurden. Obwohl den Steuererklärungen eine Darstellung der Gewinnermittlung nicht beigefügt war, veranlagte das Finanzamt den Angeklagten und seine Ehefrau mit Steuerbescheiden vom 23.06.2004 entsprechend den eingereichten Einkommensteuererklärungen unter vollständiger ungeprüfter Zugrundelegung der in den Steuererklärungen insbesondere zu den Betriebsausgaben gemachten Angaben zur Einkommensteuer: Für das Jahr 1997 wurden unter Berechnung des zu versteuernden Einkommens auf 57.669,- DM und Anwendung der Splitting-Tabelle die Einkommensteuer auf 9.156,- DM nebst Zinsen und Kirchensteuer und unter Hinweis auf die strafbefreiende Wirkung einer fristgerechten Zahlung eine Zahlungsfrist bis zum 28.07.2004 festgesetzt. Für das Jahr 1998 wurde ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von 47.268,- DM unter Zugrundelegung der Splitting-Tabelle die Einkommensteuer auf 6.078,- DM nebst Zinsen und Kirchensteuer festgesetzt und wiederum unter Hinweis auf die strafbefreiende Wirkung der fristgerechten Zahlung eine Zahlungsfrist bis 28.07.2004 bestimmt. Ungeachtet der ihm zeitnah zugegangenen Steuerbescheiden und der darin jeweils enthaltenen Fristsetzungen hat der Angeklagte keine Zahlungen auf die Steuerschulden geleistet.
III.
Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer - wie der Senat von Amts wegen zu prüfen hat - zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils ausgegangen ist und damit den Umfang ihrer Kognitionspflicht verkannt hat.
1. Eine Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO ist insoweit möglich, als der angefochtene Entscheidungsteil rechtlich und tatsächlich selbstständig bewertet werden kann, ohne eine Prüfung der übrigen Entscheidungsteile notwendig zu machen. Da Schuld- und Straffrage in aller Regel einer getrennten Beurteilung zugänglich sind, ist eine isolierte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs grundsätzlich möglich (vgl. nur Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 318 Rdnr. 16 m. w. N.). Anderes gilt indes, wenn im Einzelfall der nicht angefochtene Schuldspruch keine hinreichende Grundlage für eine Rechtsfolgenentscheidung bildet (vgl. Senat B. v. 02.05.2006 - 3 Ss 245/05 -; B. v. 19.02.2003 - 3 Ss 118/02 -). An der erforderlichen Grundlage für eine Rechtsfolgenentscheidung des Rechtsmittelgerichts fehlt es, wenn nach den Urteilsfeststellungen zu dem nicht angefochtenen Schuldspruch überhaupt keine Strafe verhängt werden könnte, weil die Feststellungen das Vorliegen einer Straftat nicht belegen. In diesem Fall ist eine beschränkte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs daher nicht möglich (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 f; NStZ 1996, 352, 353; OLG Celle StraFo 2004, 61; OLG Stuttgart NStZ-RR 2002, 47; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 307; BayObLG wistra 1992, 279, 280; Gössel in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 318 Rdnr. 52).
2. Die vom Angeklagten erklärte Beschränkung seiner Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch des Urteils des Amtsgerichts M. erweist sich danach als unwirksam, weil auf der Grundlage der Sachverhaltsschilderung des amtsgerichtlichen Urteils nicht sicher beurteilt werden kann, ob dem Angeklagten noch der persönliche Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 und 3 AO zugute kommen kann. Denn die Feststellungen des Amtsgerichts lassen offen, ob dem Angeklagten eine Nachtzahlungsfrist i. S. des § 371 Abs. 3 AO gesetzt worden ist.
a) In Fällen, in denen durch die Hinterziehungstat - wie hier - bereits eine Steuerverkürzung eingetreten ist, setzt die Strafbefreiung nach § 371 Abs. 1 und 3 AO neben einer den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO entsprechenden Berichtigungserklärung voraus, dass der Verkürzungstäter die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nachentrichtet. Die Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO führt hinsichtlich der Strafbarkeit des Täters zu einem Schwebezustand, der, solange er dauert, einer verfahrensabschließenden Sachentscheidung des Strafrichters entgegensteht. Der staatliche Strafanspruch hat noch Bestand, ist aber auflösend bedingt durch die Nachzahlung der zu Gunsten des Täters hinterzogenen Steuern innerhalb der zu setzenden Frist (vgl. BGHSt 7, 336, 341; BayObLGSt 1989, 145, 148, 154; OLG Karlsruhe NJW 1974, 1577; Kohlmann SteuerstrafR § 371 Rdnr. 86). Die Frist nach § 371 Abs. 3 AO soll den Täter zur alsbaldigen Nachzahlung anhalten und dient darüber hinaus dem Zweck, den Schwebezustand zwischen der Anwartschaft auf Straffreiheit und dem Eintritt oder Nichteintritt der Strafbefreiung zu beenden (vgl. BayObLG aaO, 154; Kohlmann aaO § 371 Rdnr. 97). Um im Interesse einer ordnungsgemäßen Durchführung des Steuerstrafverfahrens alsbald Gewissheit über den endgültigen Fortbestand oder Wegfall des staatlichen Strafanspruchs zu erlangen, ist die Fristsetzung unabhängig von den Umständen des Einzelfalles, etwa einer offensichtlichen Zahlungsunfähigkeit des Täters, stets zwingend erforderlich (vgl. BayObLG aaO 154; Dumke in Schwarz Abgabenordnung § 371 Rdnr. 155).
b) Da der Frist des § 371 Abs. 3 AO eine ausschließlich strafrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. BFH NJW 1982, 1720; Kohlmann aaO § 371 Rdnr. 98; a. A. Rüping in Hübschmann/Hepp/Spitaler Abgabenordnung § 371 Rdnr. 112), handelt es sich bei der Fristsetzung um eine Maßnahme, welche dem Steuerstrafverfahren zuzuordnen ist (vgl. Zanzinger in Schöll/Leopold/Madle/Rader Abgabenordnung § 371 Rdnr. 107). Dass die Nachentrichtung verkürzter Steuern nach § 371 Abs. 3 AO letztlich fiskalischen Zwecken dient, steht einem steuerstrafprozessualen Verständnis der Fristsetzung nicht entgegen. Als Maßnahme des Steuerstrafverfahrens ist die Fristsetzung nach § 371 Abs. 3 AO mit Blick auf das in § 393 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren (vgl. Kohlmann aaO § 393 Rdnr. 6) von Leistungsgeboten im steuerlichen Erhebungsverfahren zu unterscheiden. Diese sind für die Frage der Strafbefreiung nach § 371 Abs. 1 und 3 AO ohne Bedeutung (vgl. Dumke aaO Rdnr. 153).
Für die Setzung der Nachentrichtungsfrist nach § 371 Abs. 3 AO ausschließlich sachlich zuständig ist im steuerstrafrechtlichen Vorverfahren diejenige Finanzbehörde, welcher die Durchführung des Ermittlungs-verfahrens obliegt. In den Fällen des § 386 Abs. 2 AO, in denen die Finanzbehörden im Sinne des § 386 Abs. 1 AO die Ermittlungen selbstständig führen, ist dies die Strafsachen- und Bußgeldstelle der nach § 387 AO zuständigen Finanzbehörde (vgl. BFH aaO; OLG Celle DStR 1955, 228; LG Hamburg wistra 1988, 317; AG Berlin-Tiergarten DB 1986, 2210; AG Saarbrücken wistra 1983, 268; Kohlmann aaO § 371 Rdnr. 103; Joecks in Franzen/Gast/Joecks SteuerstrafR 5. Aufl. § 371 Rdnr. 115; Senge in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze § 371 AO Rdnr. 20; Dumke aaO Rdnr. 150 f; Himsel in Koch/Scholtz Abgabenordnung 4. Aufl. § 371 Rdnr. 38; Vogelberg in Wannemacher SteuerstrafR 5. Aufl. Rdnr. 2412; Hoyer in der Beermann/Gosch Abgabenordnung § 371 Rdnr. 58; Zanzinger aaO Rdnr. 109; Rolletschke Die Steuerhinterziehung Rdnr. 406; a. A. Rüping aaO Rdnr. 125; Gast-de Haan in Klein Abgabenordnung 9. Aufl. § 371 Rdnr. 55). Die Zuständigkeit der Strafsachen- und Bußgeldstelle erscheint sachgerecht, weil nicht nur die Festsetzung der Frist (vgl. BFH aaO), sondern auch die Höhe des gemäß § 371 Abs. 3 AO nach zu entrichtenden Betrages sich nach strafrechtlichen Gesichtspunkten bemisst (vgl. Kohlmann aaO § 371 AO Rdnr. 93). Des weiteren trägt die Fristsetzung gerade durch die Strafsachen- und Bußgeldstelle mit dazu bei, gegenüber dem Verkürzungstäter die Bedeutung der Frist für die Frage der Strafbefreiung mit der rechtsstaatlich gebotenen Deutlichkeit klarzustellen.
c) Die von der Strafkammer für bindend erachteten Sachverhaltsfeststellungen des amtsgerichtlichen Urteils belegen nicht, dass der durch die Nachholung der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1997 und 1998 nach § 371 Abs. 1 AO eingetretene Schwebezustand hinsichtlich der Strafbarkeit des Angeklagten beendet ist. Die in den Steuerbescheiden vom 23.06.2004 enthaltenen Fristsetzungen erfolgten durch das mit der Steuerveranlagung befasste Finanzamt M.-Stadt im Besteuerungsverfahren und sind für den Eintritt oder Nichteintritt der Strafbefreiung nach § 371 Abs. 1 und 3 AO ohne Relevanz. Ob durch die Strafsachen- und Bußgeldstelle des nach § 387 Abs. 2 AO i. V. m. § 1 der Verordnung des Finanzministeriums über die Zuständigkeit der Finanzämter im Strafverfahren und im Bußgeldverfahren vom 09.09.2003 (GBl S. 662) bzw. vom 29.11.2004 (GBl S. 864), geändert durch Verordnung vom 08.12.2005 (GBl S. 844), zuständigen Finanzamts M.-N. eine Nachentrichtungsfrist nach § 371 Abs. 3 AO festgesetzt wurde, lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts nicht entnehmen. Eine abschließende Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten ist auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen daher nicht möglich.
Infolge der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung hätte die Strafkammer nicht lediglich auf die Sachverhaltsschilderung des erstinstanzlichen Urteils verweisen dürfen, sondern in eigener Verantwortung prüfen müssen, ob sich der Angeklagte im Rahmen des ihrer Kognition unterbreiteten Lebenssachverhalts strafbar gemacht hat, und hierzu tatsächliche Feststellungen treffen müssen. Das angefochtene Urteil kann aus diesem Grund keinen Bestand haben. Die Sache bedarf vielmehr neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Aufgrund der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter tatsächliche Feststellungen zum Tatgeschehen zu treffen haben, welche eine Anwendung des Steuerrechts zur Berechnung der Höhe der jeweils verkürzten Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2004, 576 m. w. N.). Hinsichtlich einer möglichen Strafbefreiung nach § 371 Abs. 1 und 3 AO wird zu prüfen sein, ob dem Angeklagten gem. § 371 Abs. 3 AO eine angemessene Frist zur Nachentrichtung der hinterzogenen Einkommensteuer gesetzt wurde. Sollte sich ergeben, dass bislang eine Fristsetzung unterblieben ist, kann das Landgericht als das in der Berufungsinstanz mit der Sache befasste Gericht dies nachholen und die Frist selbst bestimmen (vgl. BFH aaO; Senge aaO Rdnr. 20; Kohlmann aaO § 371 Rdnr. 103; Rolletschke aaO Rdnr. 406).
2. Die fristgerechte Nachzahlung der zu Gunsten des Täters hinterzogenen Steuern ist objektive Bedingung der Straffreiheit (vgl. BayObLG aaO 155; Joecks aaO Rdnr. 120; Kohlmann aaO § 371 Rdnr. 113 Himsel aaO Rdnr. 39). Das Unvermögen zur Zahlung - gleich aus welchem Grund - geht zu Lasten des Täters. Aus diesem Grund kommt es auf die Erwägungen der Revision zu dem vom Angeklagten beabsichtigten Insolvenzverfahren nicht an.
V.
Die Entscheidung ergeht einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO.
Ende der Entscheidung
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