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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 21.08.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 155/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 240 II
Leitsatz:

Ein LKW-Fahrer, der mit seinem Fahrzeug über eine Strecke von 2 km auf der Mittellinie einer in Fahrtrichtung zweispurig ausgebauten Straße fährt, um dadurch einen nachfolgenden Kraftfahrer am vorschriftsgerechten Überholen zu hindern, handelt verwerflich im Sinne des § 240 II StGB.


Geschäftsnummer: 1 Ss 155/00 2040 Js 52190/98 - StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

In der Strafsache

gegen

G. K. K.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt B. -

wegen Nötigung

hier: Revision des Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in der Hauptverhandlung vom 21. August 2000, an der teilgenommen haben:

Richter am Oberlandesgericht Völpel als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht Summa,

Richter am Landgericht Hardt als beisitzende Richter,

Staatsanwalt H als Beamter der Staatsanwaltschaft,

Amtsinspektor B als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Mai 2000 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten der Revision.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen Nötigung (§ 240 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Seine Berufung hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil verworfen und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

"Am 5. Juni 1998 gegen 0.15 Uhr befuhr die Zeugin Sch. mit einem kleinen Suzuki-Geländewagen die vierspurig ausgebaute B 9 von Koblenz kommend in Richtung Andernach. Die Zeugin, die seit neun Jahren im Besitz einer Fahrerlaubnis ist und die als Vermietungsassistentin eines Autoverleihs häufig mit unterschiedlichen Fahrzeugen unterwegs ist, hielt eine Geschwindigkeit von ca. 70 km/h ein. Der Angeklagte fuhr mit dem von ihm gesteuerten Lastzug vom Bubenheimer Kreisel kommend auf die B 9 auf und fuhr kurze Zeit hinter der Zeugin Sch. her, wobei diese den Eindruck hatte, der Angeklagte betätige mehrfach die Lichthupe. Kurz darauf überholte der Angeklagte die Zeugin, scherte kurz vor deren Fahrzeug rechts ein und verringerte seine Geschwindigkeit, so dass die Zeugin ihr Fahrzeug abbremsen musste. In Höhe der Ausfahrt Mülheim-Kärlich beabsichtigte die Zeugin, den vor ihr fahrenden Lastzug des Angeklagten zu überholen, weshalb sie den linken Blinker setzte und ihr Fahrzeug auf die linke Spur der B 9 lenkte. Als der Angeklagte dies in seinem Rückspiegel bemerkte, zog er nicht verkehrsbedingt bei einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 80 km/h - erlaubt sind dort 100 km/h - sein Fahrzeug derart nach links, dass er auf der Mittellinie fuhr und somit beide Fahrspuren blockierte, um ein Überholtwerden durch die Zeugin zu verhindern. Obwohl er bemerkte, dass die Zeugin, die weiterhin den linken Blinker gesetzt hatte, ihre Überholabsicht nicht aufgab, setzte er seine Fahrweise über eine Strecke von ca. 2 km von der Ausfahrt Mülheim-Kärlich bis zur Ausfahrt Kettig, wo die Zeugin die B 9 verließ, um nach Hause zu gelangen, fort. Dem Angeklagten, der diese Strecke seit Jahren täglich befährt, war bekannt, dass seinerzeit auf der B 9 unmittelbar hinter der Ausfahrt Kettig eine Baustelle eingerichtet war, so dass über mehrere Kilometer nur der rechte Fahrstreifen zur Verfügung stand, in dem eine Geschwindigkeitsbeschränkung - von, wie gerichtsbekannt, 60 km/h - galt. Grund für die Fahrweise des Angeklagten war, dass er nicht wissen konnte, dass die Zeugin die B 9 vor der Baustelle verlassen würde, weshalb er befürchtete, die Zeugin werde - nach dem Überholen seines Lastzuges - im Baustellenbereich langsam vor ihm herfahren, ohne dass er die Möglichkeit hätte, an der Zeugin vorbeizukommen."

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Strafkammer die besondere Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB bejaht.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Revision.

II.

Das Rechtsmittel ist unbegründet.

Die Feststellungen der Strafkammer zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen des § 240 Abs. 1 StGB sind frei von Rechtsfehlern.

Der Erörterung bedarf nur die auch von der Generalstaatsanwaltschaft aufgeworfene Frage, ob die Voraussetzungen des § 240 Abs. 2 StGB vorliegen.

Die Verwerflichkeitsklausel besagt, dass sich die Rechtwidrigkeit der Nötigung nicht einseitig nach dem angewandten Mittel oder dem angestrebten Zweck, sondern aus dem Verhältnis zueinander bestimmt (Mittel-Zweck-Relation), wobei unter "Zweck" nicht das Handlungsmotiv des Täters, sondern der von ihm angestrebte Handlungserfolg im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu verstehen ist. In Fällen von Behinderungen im Straßenverkehr muss geprüft werden, ob das Verhalten des Täters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als sozial unerträglich zu qualifizieren ist und deshalb ein über die Erfüllung eines Verkehrsordnungswidrigkeitentatbestandes hinausgehendes Unrecht darstellt (BGHSt 18, 389; OLG Düsseldorf NZV 00, 301).

Dies ist vorliegend zu bejahen.

Der Angeklagte hatte nicht "nur" gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 StVO) verstoßen. Das absichtliche Blokkieren beider Richtungsfahrspuren mit einem Lastzug war ein verkehrsfeindliches Verhalten, durch das eine bestimmte Verkehrsteilnehmerin gezielt und in schikanöser Weise daran gehindert wurde, im Rahmen der Verkehrsregeln so zu fahren, wie sie es für richtig hielt. Ein solches Fehlverhalten geht weit über das nach den §§ 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO zu sanktionierende Unrecht hinaus. Hinzu kommt, dass der Angeklagte ein Fahrzeug steuerte, von dem wegen seiner Größe und Masse eine erhöhte Betriebsgefahr ausgeht.

Es handelt sich auch nicht deshalb um eine geringfügige, aus dem Anwendungsbereich des § 240 Abs. 2 StPO herausfallende Behinderung, weil der fragliche Vorgang etwa eineinhalb Minuten dauerte. Die Rechtsprechung, nach der eine bis zu 15 Minuten andauernde Stilllegung des Straßenverkehrs durch Sitzblokkaden oder ähnliche Demonstrationsformen kurzfristig und deshalb nicht verwerflich ist (siehe dazu Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 240 Rdnr. 46 m.w.N.), kann nicht auf Vorgänge im fließenden Verkehr übertragen werden, weil die Situation, insbesondere für den Genötigten, eine völlig andere ist. Bereits unter normalen Umständen erfordert das Führen eines Kraftfahrzeuges ein hohes Maß an Konzentration. Jede Ablenkung durch ein verkehrswidriges Verhalten eines anderen erhöht die mit der Teilnahme am Straßenverkehr verbundenen Gefahren. Für jemanden, der mit ca. 80 km/h über eine Strecke von etwa 2 km hinter einem Lastzug herfahren muss, dessen Fahrer sich im Übrigen bereits kurz vorher als unberechenbarer Verkehrsrowdy erwiesen hatte, sind eineinhalb Minuten eine lange Zeit.

Ende der Entscheidung

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