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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 26.04.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 241/00
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 57 II |
Zur Gesamtabwägung bei Aussetzung der Vollstreckung von Restfreiheitsstrafe zur Bewährung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe
Geschäftsnummer: 1 Ws 241/00 7 StVK 75/00 LG Koblenz VRs 435/96 StA Landau
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen
R. J. M. S.,
wegen schweren Raubes u.a. hier: Aussetzung der Vollstreckung von Restfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfe der Strafe
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und den Richter am Amtsgericht Schmickler
am 26. April 2000 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 20. März 2000 aufgehoben.
Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung des Restes der durch Urteil des Landgerichts Landau vom 6. März 1996 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Rechtsmittels fallen dem Verurteilten zur Last (§ 465 StPO entsprechend).
Gründe:
Mit Beschluss vom 20. März 2000 hat die Strafvollstreckungskammer die weitere Vollstreckung der durch die bezeichnete Entscheidung des Landgerichts Landau gegen den Verurteilten wegen schwerer räuberischer Erpressung und schweren Raubes verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Die dagegen gerichtete, in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 454 Abs. 3 StPO) hat Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung ist bereits deswegen aufzuheben, weil sie verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Erwägt das Gericht, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art auszusetzen, hat es das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten einzuholen, wenn nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung entgegenstehen (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO). Diese Vorschrift, die vorliegend einschlägig ist, hat die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Aussetzungsentscheidung nicht beachtet (vgl. bereits OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Mai 1999 - 2 Ws 253/99 -). Einer Korrektur dieses Verfahrensfehlers bedarf es jedoch nicht, weil die Sachentscheidung davon nicht abhängt. Gleichgültig, zu welchem Ergebnis die vorgeschriebene Begutachtung führte, eine Reststrafaussetzung zur Bewährung kann derzeit nicht erfolgen.
Eine Aussetzung der Vollstreckung schon zum Halbstrafenzeitpunkt ist bei Verhängung einer zwei Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich, wenn die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. Anders als bei einer Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB, die sich auf den Zwei-Drittel-Zeitpunkt der Strafverbüßung bezieht und eine Aussetzung der Vollstreckung zwingend vorschreibt, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, steht die Reststrafaussetzung nach § 57 Abs. 2 StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. In die Gesamtwürdigung sind daher über die genannten Beurteilungselemente hinaus auch Sinn und Zweck der Strafe, namentlich der Gedanke des gerechten Schuldausgleichs und der Sühne sowie die Verteidigung der Rechtsordnung mit einzubeziehen (Gribbohm LK, StGB, § 57 Rdnr. 52, 54; Tröndle/Fischer, StGB, § 57 Rdnr. 9 g).
Auch wenn dem Verurteilten im gegebenen Erkenntnisstand - vorbehaltlich eines positiven Ergebnisses der noch ausstehenden Begutachtung - eine günstige Sozial- und Kriminalitätsprognose im Sinne von § 57 Abs. 1 StGB gestellt werden kann, ergibt die Gesamtwürdigung aller zu berücksichtigender Kriterien, dass der Verurteilte einen Straftäter verkörpert, der eine vorzeitige Entlassung schon nach hälftiger Strafverbüßung nicht verdient. Dabei wird nicht verkannt, dass für den Verurteilten gewichtige, positiv zu bewertende Gesichtspunkte sprechen, wie sie die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung zusammenfassend dargestellt hat. Demgegenüber darf jedoch nicht das Täterbild außer Acht bleiben, das der Verurteilte bei Ausführung der Straftaten geboten hat. Es ist bei allen anerkannten Milderungsgründen das eines allgemeingefährlichen Straftäters. Darauf weist schon die mehrfache Begehung gleichartiger Taten hin. Der erste, als schwere räuberische Erpressung zu wertende Banküberfall vom 27. April 1995 hat ihn nicht zur Besinnung kommen lassen. Er hat ihn nicht davon abgehalten, sich ca. neun Monate später an anderer Stelle durch einen weiteren, als schweren Raub zu qualifizierenden Banküberfall erneut Geld zu verschaffen, nachdem er zwischenzeitlich wieder durch verschwenderisches Verhalten in einen finanziellen Engpass geraten war. Darüber hinaus ist besonders die Art und Weise seines Vorgehens die eines gefährlichen Täters gewesen. Er handelte überlegt und zielstrebig, war maskiert und bedrohte seine Opfer jeweils mit einer scharf geladenen Schusswaffe. Als bei Ausführung des zweiten Überfalls der Vorhalt der Waffe und der Hinweis auf ihren geladenen Zustand nicht ausreichte, das Opfer zum Öffnen des Bankgebäudes und des Safes zu nötigen, wusste er seine Drohung noch zu steigern, indem er das Opfer zusätzlich in Angst um Leben und Gesundheit seiner Familienangehörigen versetzte.
Ein solches Täterverhalten erfordert in der Gesamtabwägung eine Hervorhebung des Sühnegedankens. Der Täter soll als Ausgleich für das begangene Unrecht das verhängte Strafübel auf sich nehmen und verarbeiten. Dieser Strafzweck wäre in Frage gestellt, würde der als allgemeingefährlich in Erscheinung getretene Täter erfahren, dass Wohlverhalten nach Tatentdekkung und während des Strafvollzugs, verbunden mit einem zwar anerkennenswerten, jedoch nicht uneigennützigen Bestreben, in ein geregeltes Leben zurückzufinden, ohne weiteres ausreicht, die Verbüßungsdauer für die vom Gericht nach sorgsamer Abwägung aller in Betracht kommender Gesichtspunkte als angemessen festgesetzte Strafe um die Hälfte zu verkürzen. Es bestünde die Gefahr einer nachträglichen Verharmlosung der von den Straftaten ausgegangenen Gefährlichkeit und einer dementsprechend unzureichenden Entwicklung des beim Täter angestrebten Sühneempfindens.
Damit verbunden sind generalpräventive Gesichtspunkte, die auch zu den anerkannten Strafzwecken gehören und denen daher ebenfalls durch die Strafe Rechnung zu tragen ist. Nicht nur der Täter selbst, sondern auch andere, die in Gefahr sind, ähnliche Taten zu begehen, sollen von weiteren Taten abgeschreckt werden (spezielle Generalprävention). Eine selbstverschuldete schlechte finanzielle Lage, die für den Verurteilten das Tatmotiv gewesen ist, ist eine typische Situation, aus der heraus Raub- und Erpressungstaten begangen werden. Würde bekannt, dass selbst nach Begehung für die Allgemeinheit besonders gefährlicher Taten die Verbüßung der als angemessen festgesetzten Strafe durch bloßes positives Verhalten nach Entdeckung der Tat und Resozialisierungsbestreben schon um die Hälfte verkürzt werden kann, wäre eine hinreichend abschreckende Wirkung der Strafe nicht mehr gewährleistet. Eine Vielzahl potentieller Straftäter, die sich in einer der tatursächlichen Situation des Verurteilten vergleichbaren Lage befinden, könnten sich dadurch ermutigt sehen, in gleicher Weise vorzugehen.
Trotz aller für den Verurteilten positiven Gesichtspunkte vermag daher die Gesamtabwägung aller Kriterien zu keinen besonderen Umständen zu führen, die eine Aussetzung des Strafrestes schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt rechtfertigen.
Sollte der Verurteilte die bisher gezeigte positive Entwicklung im Strafvollzug fortsetzen und auch die noch ausstehende Begutachtung zu einem günstigen Ergebnis führen, kann er jedoch mit seiner vorzeitigen Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe rechnen.
Ende der Entscheidung
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