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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 13.11.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 649/00
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 300 | |
StPO § 322 II | |
StPO § 310 | |
StPO § 46 III | |
StPO § 309 | |
StPO § 319 |
Hat statt der zuständigen Berufungskammer des Landgerichts das erstinstanzliche Amtsgericht einen Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist als unbegründet sowie dessen Berufung als unzulässig verworfen und auf sofortige Beschwerde des Angeklagten die Beschwerdekammer des Landgerichts darüber entschieden, so ist gegen den das Rechtsmittel als unbegründet verwerfenden Beschluss der Kammer sofortige Beschwerde gem. §§ 46 III, 322 II StPO statthaft; § 310 II StPO steht dem nicht entgegen.
Der Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte beim Landgericht wirkt sich in der Beschwerdeinstanz beim Oberlandesgericht nicht aus, wenn der Senat auch dann, wenn die eigentlich zuständige Berufungskammer den angefochtenen Beschluss erlassen hätte, in gleicher Weise zur rechtlich vollständigen Überprüfung der Entscheidung berufen gewesen wäre.
Geschäftsnummer: 1 Ws 649/00 1 Qs 219/00 LG Mainz 307 Js 19688/95 - 53 Cs AG Mainz
In der Strafsache
gegen
A. K.,
wegen Verwerfung der Berufung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa
am 13. November 2000 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 1. Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Mainz vom 25. August 2000 wird als unbegründet auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Mainz verurteilte den Angeklagten am 7. Februar 1996 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 45 DM. Außerdem wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von sechs Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit einem am 22. Februar 2000 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben. Darin legte er Berufung ein und erklärte, zu einer früheren Einlegung des Rechtsmittels nicht in der Lage gewesen zu sein, da er weder lesen noch schreiben könne und nicht belehrt worden sei.
Das Amtsgericht sah darin neben dem Rechtsmittel der Berufung einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist. Mit Beschluss vom 30. Mai 2000 verwarf es den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet und die Berufung wegen Verspätung als unzulässig. Die Verwerfung der Wiedereinsetzung hat es damit begründet, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung über die möglichen Rechtsmittel belehrt und für ihn ein Dolmetscher hinzugezogen worden sei.
Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des Angeklagten hat die Beschwerdekammer des Landgerichts als sofortige Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung gewertet und diese mit Beschluss vom 25. August 2000 als unbegründet verworfen.
Gegen diesen ihm formlos übersandten Beschluss hat der Angeklagte am 21. September 2000 abermals Beschwerde eingelegt. Zur Begründung seines Begehrens bringt er nunmehr weiter vor, den in der Hauptverhandlung eingesetzten Dolmetscher nicht verstanden zu haben.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde zum einen gegen die Verwerfung seiner Berufung ohne Hauptverhandlung gemäß § 322 Abs. 2 StPO, zum anderen gegen die Verwerfung seines Wiedereinsetzungsantrags gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist gemäß § 46 Abs. 3 StPO auszulegen. § 310 StPO, der eine weitere Beschwerde gegen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts grundsätzlich ausschließt, steht dem nicht entgegen.
Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dessen Zulässigkeit und Begründetheit im Einzelnen wie folgt Stellung genommen:
"1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Es ist insbesondere nicht nach § 310 Abs. 2 StPO unstatthaft, obwohl der angefochtene Beschluss weder Verhaftung noch einstweilige Unterbringung betrifft. Denn er ist nicht im Sinne der genannten Vorschrift auf eine Beschwerde hin ergangen (OLG Frankfurt, NJW 80, 1808; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a..a0., § 310 Rdnr. 2).
Zur Entscheidung über die am 22.02.2000 eingegangene Eingabe des Verurteilten, die von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht gemäß § 300 StPO als eine mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung angesehen wurde, war das Berufungsgericht, also eine kleine Strafkammer des Landgerichts berufen, § 46 Abs. 1 StPO (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 346 Rdnr. 16). Zwar ist nach § 319 Abs. 1 StPO bereits das Gericht des 1. Rechtszuges gehalten, ein verspätet eingelegtes Rechtsmittel zu verwerfen. Vorliegend war die Berufung des Verurteilten jedoch mit einem Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Einlegungsfrist verbunden. Deshalb war nicht mehr das Amtsgericht, sondern eine kleine Kammer des Landgerichts Mainz sowohl für die Entscheidung über die Wiedereinesetzung als auch über die Berufung zuständig. Das Amtsgericht hätte die Akte deshalb unter Vermittlung der Staatsanwaltschaft einer kleinen Strafkammer des Landgerichts Mainz vorlegen müssen. Diese hätte im Falle der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 322 Abs. 1 StPO durch einen der sofortigen Beschwerde unterliegenden (§ 322 Abs. 2 StPO) Beschluss über die - somit unzulässige - Berufung befinden müssen. Dass der Verurteilte nach Ansicht der Kammer "schon das falsche Rechtsmittel gewählt" hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie war vielmehr gehalten, gemäß § 300 StPO die Erklärung des Verurteilten in das zulässige Rechtsmittel umzudeuten und das Verfahren - gegebenenfalls nach Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts - an den zuständigen Spruchkörper abzugeben, zumal dem Verurteilten keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war.
Da demnach weder das Amtsgericht noch das Landgericht - Beschwerdekammer - zuständig waren, ist § 310 StPO vorliegend nicht einschlägig.
Das Rechtsmittel erweist sich auch nicht deshalb als unstatthaft, weil grundsätzlich eine weitere Anfechtung einer gemäß § 319 Abs. 2 Satz 1 StPO ergangenen Entscheidung nicht stattfindet (OLG Koblenz, Beschluss vom 10.01.1993 - 1 Ws 11/83 - VRS 64, 283). Weil das Amtsgericht - wie ausgeführt - zur Verwerfung der Berufung nicht befugt war, stellt sich der angefochtene Beschluss der Kammer der Sache nach als eine Entscheidung nach § 322 Abs. 1 StPO dar (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.0., § 319 Rdnr. 5).
Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig. Der angefochtene Beschluss ist dem Verurteilten formlos mitgeteilt worden. In Ermangelung der erforderlichen Zustellung sind etwa einzuhaltende Fristen (§§ 311 Abs. 2 i.V.m. 322 Abs. 2, 46 Abs. 3 StPO) nicht in Gang gesetzt worden. Dies nötigt aber nicht zu einer Nachholung der Zustellung, weil ein Rechtsmittel auch ohne oder vor der Zustellung wirksam eingelegt werden kann und eine Begründungsfrist nicht in Lauf gesetzt wird.
2. In der Sache kann das Rechtsmittel indes keinen Erfolg haben. Das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 07.02.1996 wurde in Anwesenheit des Angeklagten verkündet (Bl. 85 ff. d.A.). Die Frist zur Einlegung der Berufung war deshalb am 14.12.1996 abgelaufen. Sein undatiertes Schreiben ging aber erst am 22.02.2000 bei Gericht ein (Bl. 221 d.A.).
Wegen der Fristversäumung kann dem Verurteilten auch keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Ob diese Möglichkeit berreits im Hinblick auf die die Wiedereinsetzung ablehnenden Beschlüsse versagt ist (z.B. OLG Koblenz, Beschluss vom 26.01.82 - 1 Ss 15/82 -, VRS 62 S. 49 f.), kann offenbleiben, denn er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihn hieran kein Verschulden trifft.
Seine Behauptung, weder lesen noch schreiben zu können, ist insoweit unbeachtlich, weil das Urteil in seiner Anwesenheit mündlich verkündet und von einem Dolmetscher übersetzt worden ist. Seine spätere Behauptung, den Dolmetscher nicht verstanden zu haben, ist - wie das Landgericht zutreffend darlegt - widerlegt.
Entgegen seinem Vorbringen wurde ihm auch eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Allerdings ergibt sich aus dem Protokoll, dass eine schriftliche Belehrung nicht ausgehändigt worden ist (Bl. 102 R d.A.). Dies war jedoch geboten (OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 1995 - 2 Ss 378/94 - m.w.N.). Der Mangel wirkt sich aber vorliegend nicht aus, weil die Vermutung einer unverschuldeten Säumnis (§ 44 Satz 2 StPO) nur bei ursächlichem Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung greift (OLG Koblenz, Beschluss vom 25. Februar 1994 - 1 Ss 78/94 -). Daher ist zwar regelmäßig in den Fällen, in denen entgegen Nr. 142 RiStBV ein Merkblatt über die formellen Voraussetzungen des Rechtsmittels nicht ausgehändigt wird, Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung des Rechtsmittels zu bewilligen (OLG Koblenz, 2. Strafsenat a.a.0.). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn nach ordnungsgemäßer mündlicher Belehrung - wie hier - bereits die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels versäumt worden ist. Hinzu kommt, dass der Verurteilte nach seinen Angaben weder des Lesens noch des Schreibens kundig ist. Das Fehlen einer schriftlichen Rechtsmittelbelehrung konnte auch deshalb nicht ursächlich für die Fristversäumnis werden."
Diese Ausführungen sind zutreffend. Der Senat schließt sich ihnen an.
Dass die eigentlich erstinstanzlich zu treffende Entscheidung des Landgerichts gemäß §§ 322 Abs. 2, 46 Abs. 3 StPO nicht durch die funktionell zuständige Berufungskammer, sondern durch die Beschwerdekammer ergangen ist, ist kein Grund, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den zuständigen Spruchkörper des Landgerichts zurückzuverweisen. Der Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte gemäß §§ 73 Abs. 1, 74 Abs. 3 GVG (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, vor § 1 Rdnr. 9 m.w.N.) wirkt sich in der gegebenen Beschwerdeinstanz nicht aus. Der Senat wäre auch dann, wenn die zuständige Berufungskammer den angefochtenen Beschluss erlassen hätte, in gleicher Weise wie jetzt gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 3 GVG zur rechtlich vollständigen Überprüfung der Entscheidung berufen gewesen (vgl. BGHSt 38, 312; KK-Engelhardt, StPO, § 309 Rdnr. 7).
Ende der Entscheidung
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