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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 15.12.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 918/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 112 I 1 | |
StPO § 203 |
2. Der dringende Tatverdacht ist dem Grad nach intensiver als der hinreichende Tatverdacht, von dem § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens abhängig macht. Beide Stärkegrade des Verdachts sind im Regelfall auf verschiedene Zeitpunkte bezogen. Im Zeitpunkt der Anklageerhebung sind jedoch an den dringenden Tatverdacht stets höhere Anforderungen zu stellen als an den hinreichenden.
Geschäftsnummer: 2 Ws 918/03 8003 Js 15795/02 - 3 Ls - StA Trier
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
In der Strafsache
wegen schwerer Brandstiftung hier: weitere Haftbeschwerde der Angeschuldigten
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Pott und Mertens sowie den Richter am Landgericht Metzger
am 17. Dezember 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die weitere Beschwerde der Angeschuldigten wird der Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 13. Oktober 2003 aufgehoben.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Wittlich vom 10. Juni 2003 in der Fassung des Außervollzugsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Wittlich vom 8. August 2003 und des Beschlusses des Amtsgerichts Wittlich vom 26. September 2003 wird aufgehoben.
Die Kosten beider Beschwerdeverfahren sowie die der Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Trier vom 28. Mai 2003 legt der Angeschuldigten zur Last, am 23. März 2002 das im Eigentum ihres Ehemannes P. K. stehende Wochenendhaus Im W. 4 in H. in Brand gesetzt zu haben. Mit Einreichung der Anklageschrift beantragte die Staatsanwaltschaft Trier den Erlass eines Haftbefehls gegen die Angeschuldigte, den das Amtsgericht Wittlich antragsgemäß am 10. Juni 2003 erlassen hat. Dem Haftbefehl liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) zugrunde. Mit Beschluss vom 8. August 2003 hat das Amtsgericht Wittlich den Haftbefehl gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 € außer Vollzug gesetzt und der Angeklagten die Weisung erteilt, eine ladungsfähige Anschrift in Deutschland zu benennen und jeder Ladung des Gerichts Folge zu leisten. Den Kautionsbetrag von 50.000 € hinterlegte die Angeschuldigte am 25. August 2003 bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Düsseldorf.
Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 15. September 2003 hat die Angeschuldigte gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt und dessen Aufhebung begehrt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26. September 2003 die rechtliche Würdigung der der Angeschuldigten zur Last gelegten Tat dahin abgeändert, dass die Angeschuldigte einer Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB dringend verdächtig sei und die Sache im Übrigen dem Landgericht Trier zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht Trier hat durch Beschluss vom 13. Oktober 2003 die Haftbeschwerde der Angeschuldigten auf ihre Kosten als unbegründet verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 4. November 2003, eingegangen am 10. November 2003, erhobene weitere Beschwerde der Angeschuldigten, mit der die Aufhebung des Haftbefehls mangels dringenden Tatver-dachts sowie wegen Fehlens eines Haftgrundes begehrt wird. Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen.
Der gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthafte (vgl. OLG Koblenz in StV 1986, 442 und in NStZ 1990, 102) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere formgerecht eingelegte (§ 306 Abs. 1 StPO) Rechtsbehelf der Angeschuldigten hat in der Sache Erfolg.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Wittlich vom 10. Juni 2003 besteht auch in der Form des Außervollzugsetzungsbeschlusses vom 8. August 2003 und des Beschlusses vom 26. September 2003 zu Unrecht.
Gegen die Angeschuldigte besteht zwar hinreichender, nicht jedoch dringender Tatverdacht i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO hinsichtlich des Vorwurfs der Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Inwieweit darüber hinaus die Voraussetzungen des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB gegeben sind, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Die Frage, ob das Gebäude im Zeitpunkt des Brandes der Wohnung von Menschen diente, kann der Klärung in einer künftigen Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.
Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ein Beschuldigter, Angeschuldigter oder Angeklagter als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat. Bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts ist im Zeitpunkt der Entscheidung aufgrund des dann vorliegenden Tatsachenmaterials ein auf die Verurteilungschancen bezogenes Wahrscheinlichkeitsurteil abzugeben (vgl. Beschluss des Senats vom 19. November 1993 - 2 Ws 654/93 - in StV 1994, 316; Boujong in Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 112 Rdn. 3 m.w.N.). Der dringende Tatverdacht ist dem Grad nach intensiver als der hinreichende Tatverdacht, von dem § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens abhängig macht. Während hinreichender Verdacht in diesem Sinne schon zu bejahen ist, wenn nach den vorliegenden Erkenntnissen eine Verurteilung in der Hauptverhandlung wahrscheinlich ist, verlangt § 112 Abs. 1 S. 1 StPO für den Erlass eines Haftbefehls einen höheren Verdachts grad, nämlich eine große Wahrscheinlichkeit. Danach bedeutet zum einen "dringend" eine Steigerung gegenüber "hinreichend". Zum anderen ist allerdings zu berücksichtigen, dass beide Stärkegrade des Verdachts im Regelfall auf verschiedene Zeitpunkte bezogen sind. Die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts geht vom Endergebnis der abgeschlossenen Ermittlungen aus und kann sich daher auf eine breite Beurteilungsbasis stützen. Dem gegenüber entscheidet sich die Frage des dringenden Tatverdachts nach dem jeweiligen Stand der - häufig noch unvollständigen - Ermittlungen im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung. Daher kann sich auch ein zu Beginn eines Verfahrens vorliegender dringender Verdacht im Laufe weiterer Ermittlungen abschwächen und ganz entfallen. Im Zeitpunkt der Anklageerhebung sind jedoch an den dringenden Tatverdacht stets höhere Anforderungen zu stellen als an den hinreichenden (Senat a.a.O; Boujong, a.a.O., § 112 Rdn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 112 Rdn. 6; a.A. Hilger und Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 112 Rdn. 20 und § 203 Rdn. 12).
Von der danach erforderlichen gesteigerten Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung der Angeschuldigten kann vorliegend im Ergebnis nicht ausgegangen werden:
Die Angeschuldigte wird maßgeblich dadurch belastet, dass nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere nach der Aussage des Zeugen W., das Anwesen nach dem Brand vollständig und ordnungsgemäß verschlossen war und dass die Angeschuldigte in dem relevanten Zeitraum als einzige im Besitz aller erforderlichen Schlüssel war. Die Existenz weiterer Schlüssel (abgesehen von den bei ihrem Ehemann in Spanien befindlichen Schlüsseln) haben die Ermittlungen nicht bestätigt. Dieser Umstand belastet die Angeschuldigte insbesondere deshalb, weil ein auf andere Weise eindringender Täter keine nachvollziehbare Veranlassung gehabt hätte, das Anwesen nach einer Brandlegung wieder ordnungsgemäß zu verschließen. In dieser Weise ist es jedoch, wie der Zeuge Thomas XX bestätigte, vorgefunden worden. Der Zeuge hat insbesondere die Einlassung der Angeschuldigten nicht bestätigt, wonach die Vorhängeschlösser offen gewesen sein sollen. Dem hieraus gegen die Angeschuldigte abzuleitenden starken Tatverdacht stehen jedoch offene Fragen gegenüber, deren Klärung dem weiteren Verfahren vorbehalten blei-ben muss und die nach Auffassung des Senats zwar die Annahme eines hinreichenden, nicht jedoch eines dringenden Tatverdachts gegen die Angeschuldigte rechtfertigen. So ist die für die Eingrenzung des möglichen Tatzeitraumes bedeutsame Frage der Branddauer bislang nicht hinreichend aufgeklärt. Dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten sind Angaben dazu, wie lange der von dem Gutachter festgestellte Glimmbrand bei dem vorgefundenen Schadensbild voraussichtlich gedauert hat, nicht zu entnehmen. Auch die Motivlage der Angeschuldigten ist bislang nur unzureichend beleuchtet. Nähere Feststellungen hinsichtlich der nicht erfolgreichen Verkaufsbemühungen sind nicht getroffen. Der von der Verteidigung vorgebrachte Aspekt, wonach eine Brandlegung dem eigentlichen Ziel der Angeschuldigten und ihres Ehemannes, nämlich die Grundstücke in der Ortschaft insgesamt zu veräußern, nicht dienlich sei, bedarf nach Aktenlage ebenfalls näherer Aufklärung.
Zusammenfassend erscheint danach die Annahme eines gegen die Angeschuldigte bestehenden gesteigerten Verdachtsgrades im Sinne des dringenden Tatverdachtes nicht gerechtfertigt.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Wittlich vom 10. Juni 2003 in der Fassung des Außervollzugsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Wittlich vom 8. August 2003 sowie des Beschlusses des Amtsgerichts Wittlich vom 26. September 2003 war somit aufzuheben. Damit wird auch die hinterlegte Sicherheitsleistung freizugeben sein.
Auf die im Beschwerdeverfahren darüber hinaus vorgebrachten Einwendungen gegen die Annahme der Fluchtgefahr kommt es danach nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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