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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: 1 U 53/07
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
2. Ist die ärztliche ex-ante-Bewertung zweier alternativer Operationsmethoden als nicht gleichwertig vertretbar (hier: im Februar 2003 die Einschätzung, dass bei einer Stressharninkontinenz eine <offene> Kolposuspension gegenüber einer <minimalinvasiven> TVT-Implantation zwar auch annähernd gleiche Heilungschancen bietet, aber wegen ihrer insgesamt sehr viel höheren Risiken keine echte Alternative darstellt), so stellt der darauf fußende Entschluss, über die andere Operationsmethode nicht im Einzelnen aufzuklären, keine schuldhafte Pflichtverletzung dar.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
1 U 53/07 OLG Naumburg
Verkündet am 28. Februar 2008
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann, Grimm und Prof. Dr. Gruber auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Februar 2008
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. Mai 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal, 21 O 391/03, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer übersteigt 20.000,00 EUR.
und beschlossen:
Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 29.669,90 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen fehlerhafter und mangels ausreichender Aufklärung rechtswidriger Behandlung ihrer Stressharninkontinenz II. bis III. Grades im Februar 2003.
Die damals 63-jährige Klägerin litt im Jahre 2002 an einem hochgradigen belastungsbedingten, d.h. beim Husten, Niesen, Laufen und Heben ausgelösten unwillkürlichen Urinverlust aufgrund mangelhafter Verschlussfunktion der Harnröhre. Konservative Behandlungsmaßnahmen waren ohne Heilungserfolg geblieben, weshalb sich die Klägerin auf Empfehlung ihrer niedergelassenen Gynäkologin und nach Aufsuchen der ambulanten Sprechstunde beim Beklagten zu 3) im Juli 2002 zum operativen Eingriff entschloss. Die Operation sollte in Form einer TVT-Implantation erfolgen. Das ist eine Operation, bei der zwei kleine Hautschnitte über dem Schambeinknochen und ein kleiner Schnitt unter der Harnröhre in der Scheide gemacht werden. Von diesem letztgenannten Schnitt werden zwei Kanäle zu den beiden Hautschnitten jeweils neben der Harnröhre präpariert. Mit einem Spezialgerät wird ein Kunststoffband von der Scheide hinter dem Beckenknochen nach oben zu den beiden oberen Hautschnitten geführt. Das Band bleibt spannungsfrei unter der Harnröhre liegen und wirkt dann wie ein Widerlager. Lediglich dann, wenn die Harnröhre bei Belastungen im Körper absinkt, weil sie vom Bindegewebe nicht mehr ausreichend gehalten wird, wird sie von dem Band am Tiefertreten und damit an der Verursachung von Undichtheiten gehindert.
Die stationäre Aufnahme der Klägerin erfolgte nach diversen Vorbereitungen schließlich am 17. Februar 2003 in der Klinik der Beklagten zu 1), deren Chefarzt der Beklagte zu 3) und deren Oberärztin die Beklagte zu 2) war. Die Beklagte zu 2) führte mit der Klägerin am Aufnahmetag ein Aufklärungsgespräch unter Benutzung eines standardisierten Aufklärungsbogens des perimed Compliance-Verlages, Gyn 27 "TVT-Implantation (Einsetzen eines spannungsfreien Scheidenbandes)" (Stand 6/2001), durch. Der Aufklärungsbogen, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Anlage B 7, GA Bd. I Bl. 113 bis 116), enthält umfangreiche handschriftliche Eintragungen der Beklagten zu 2) und endet mit einer von der Klägerin unterschriebenen Einwilligungserklärung.
Am 18. Februar 2003 wurde in der Zeit von 9:37 Uhr bis 9:55 Uhr (18 min) die geplante Operation unter Spinalanästhesie durch die Beklagten zu 2) als Operateurin und den Beklagten zu 3) als Assistenten durchgeführt. Im Operationsbericht, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird (vgl. Anlage B 6, GA Bd. I Bl. 112), heißt es u.a.
"... Beim Legen der linken Nadel bleibt deren Spitze zunächst retrosymphysär an der Symphyse <das die beiden Schambeine verbindende Gelenk - Anm. d. Senats> hängen. Durch geringe Lagekorrektur kommt die Spitze frei, ist aber danach beim langsamen Vorschieben zwei Zentimeter oberhalb und links von der Stichinzision in der Bauchdecke tastbar. Teilweise Rückzug der Nadel und Ausstechen aus der Inzisionsstelle. Es erfolgt eine Zystoskopie und der Nachweis der Unversehrtheit der Harnblase. Anschließend werden die Nadeln entfernt und das Band platziert. ..."
Am 20. Februar 2003 wurde eine nun offene Revisionsoperation wegen eines sich bestätigenden Verdachts auf eine Entzündung des Bauchfells (Peritonitis) durchgeführt. Als Ursache der Entzündung wurde eine Perforation des Dünndarms mit drei Löchern festgestellt; der perforierte Dünndarmteil wurde entfernt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Befund auf einen einfachen oder einen dreifachen Einstich zurückzuführen sei.
In der Folgezeit waren bei der Klägerin eine Reihe weiterer chirurgischer Eingriffe erforderlich im Zusammenhang mit entzündlichen Prozessen im Bauchbereich. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (UA S. 4) Bezug genommen.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Auswahl der Behandlungsmethode als fehlerhaft gerügt, die Durchführung der Operation vom 18. Februar 2003 hinsichtlich mehrerer Details beanstandet und eine verspätete Reaktion auf die Perforation des Dünndarms geltend gemacht. Sie hat die Eingriffsaufklärung insbesondere über alternative Behandlungsmethoden als unvollständig gerügt.
Das Landgericht hat eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Es hat u.a. das vom Versicherer der Beklagten vorgerichtlich eingeholte Privatgutachten von Prof. Dr. med. U. K. , Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Städtischen Klinikums "G. " L. , Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität L. , vom 8. Oktober 2003 (GA Bd. I Bl. 97 bis 107) verwertet. Die Kammer hat ein gerichtliches Gutachten von Dr. med. G. H. , Chefarzt der Frauenklinik des Kreiskrankenhauses A. , Akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums M. , vom 26. April 2005 (GA Bd. II Bl. 123 bis 130) eingeholt sowie dessen schriftliche Ergänzungen vom 21. Juli 2005 (GA Bd. II Bl. 168 f.), vom 18. Januar 2006 (GA Bd. III Bl. 22 f.), vom 18. April 2006 (GA Bd. III Bl. 70 f.), vom 28. Juni 2006 (GA Bd. III Bl. 92 f.) und vom 28. August 2006 (GA Bd. III Bl. 125 f.). Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2007 hat die Kammer in Anwesenheit des gerichtlichen Sachverständigen zwei Zeuginnen vernommen und danach den gerichtlichen Sachverständigen ein erstes Mal angehört (vgl. Sitzungsprotokoll GA Bd. IV Bl. 1 bis 5). Auf erneute Anträge der Klägerin ist die Kammer in die bereits geschlossene Beweisaufnahme wieder eingetreten und hat eine weitere schriftliche Ergänzung des gerichtlichen Gutachtens vom 2. April 2007 (GA Bd. IV Bl. 116 f.) veranlasst sowie den Sachverständigen nach Anhörung der Beklagten zu 2) und zu 3) persönlich um eine abschließende Erörterung seines Gutachtens ersucht (vgl. Sitzungsprotokoll, GA Bd. IV Bl. 148 bis 151).
Im Ergebnis ihrer Beweisaufnahme hat die Kammer mit ihrem am 16. Mai 2007 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen, weil ein Anspruch dem Grunde nach nicht gegeben sei. Ein Behandlungsfehler oder Aufklärungsversäumnis sei nicht erwiesen. Den Feststellungsantrag der Klägerin hat das Landgericht als unbestimmt verworfen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 23. Mai 2007 zugestellte Urteil mit einem am 6. Juni 2007 beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der ihr bis zum 23. August 2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch begründet.
Sie vertritt die Ansicht, dass der Feststellungsantrag durch ergänzende Auslegung zu vervollständigen gewesen wäre. Jedenfalls wäre eine Wiederholung des hierzu erteilten gerichtlichen Hinweises erforderlich gewesen, nachdem die Klägerin hierauf ersichtlich nicht reagiert hatte.
Die Klägerin rügt die Beweiswürdigung zum Nichtbestehen alternativer Behandlungsmöglichkeiten und bekräftigt vor allem ihre Auffassung, dass eine Aufklärung über die Alternative der offenen Kolpo-suspension geboten gewesen wäre.
Sie wendet sich zudem gegen die Beweiswürdigung in erster Instanz zur Frage der fehlerfreien Durchführung der TVT-Implantation. Insoweit meint sie, dass nach dem Inhalt des Operationsberichts sogar ein erster Anschein eines Behandlungsfehlers bestehe. Die Klägerin sieht eine unterlassene Befunderhebung nach dem Ausschluss einer Verletzung der Harnblase in der Operation vom 18. Februar 2003 als erwiesen an. Insgesamt stützt sie ihre Angriffe auf die Beweiswürdigung des Landgerichts vor allem auf eine mangelnde Fachkunde des gerichtlichen Sachverständigen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihr ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens jedoch in Höhe von 25.000,00 EUR) sowie weitere 2.699,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2003 zu zahlen, sowie
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der durch ihre ärztliche Behandlung durch die Beklagten zu 2) und zu 3) in der Klinik der Beklagten zu 1) während der Zeit vom 17. bis 20. Februar 2003 entstanden ist oder noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen übereinstimmend,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigen im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil und nehmen zu den in der Berufungsbegründung enthaltenen Beanstandungen im Einzelnen Stellung.
Der Senat hat am 14. Februar 2008 mündlich zur Sache verhandelt und die Berufungsangriffe im Einzelnen mit den Prozessparteien erörtert. Er hat die Klägerin persönlich zur Frage eines möglichen Entscheidungskonflikts angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats vom 14. Februar 2008 (vgl. GA Bd. V Bl. 109 f.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin gegen die Beklagten schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Schadenersatz, gleich auf welcher rechtlichen Grundlage, hat. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung sind unbegründet.
1. Allerdings ist die Klage hinsichtlich aller Anträge, auch hinsichtlich des Feststellungsantrages, nunmehr zulässig. Dabei kann offen bleiben, ob die Kammer auf die i.E. unzureichende Bestimmtheit des Feststellungsantrages nochmals hätte hinweisen müssen. Die Klägerin hat der Beanstandung mit der Antragstellung im Berufungsverfahren jedenfalls abgeholfen, so dass bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des letzten Tatgerichts ein zulässiger Feststellungsantrag vorgelegen hat. Der Antrag ist aber aus den gleichen Gründen unbegründet, wie die Leistungsanträge.
2. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die Beklagten bei ihrer Behandlung im Februar 2003 vom gynäkologischen Facharztstandard abgewichen sind.
2.1. In der Berufungsinstanz sind nur noch zwei angebliche Behandlungsfehler Gegenstand des Rechtsstreits. Hinsichtlich aller weiteren ursprünglich behaupteten Behandlungsfehler macht sich der Senat die zutreffenden und mit der Berufung nicht mehr angegriffenen Erwägungen der Kammer im Urteil vom 16. Mai 2007 zu Eigen.
2.2. Entgegen der Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Klägerin sieht der Senat, ebenso wie zuvor die Kammer, eine sorgfaltswidrige Verletzung des Dünndarms der Klägerin während der TVT-Implantation nicht als erwiesen an.
Die Perforation des Dünndarms durch eine der beiden gebogenen Nadeln, die von der Scheide aus zwischen Schambein und Blase ohne direkten Sichtkontakt des Operateurs zu den beiden Hautschnitten geschoben werden, gehört zu den sehr seltenen, aber gleichwohl der Methode immanenten Risiken. Denn wo ein spitzes Gerät ohne Sichtkontakt lediglich nach dem Tastsinn durch Bindegewebsstrukturen geführt wird, besteht selbst bei äußerst vorsichtigem Vorgehen die Gefahr, dass ein "im Wege" befindliches anderes Gewebe ebenfalls durchstochen wird. Dies ist nach den anschaulichen Darstellungen des gerichtlichen Sachverständigen, die durch eine Vielzahl von Literaturstellen bestätigt werden, ohne Weiteres nachvollziehbar. Es ist weiter nachvollziehbar, dass sich das Risiko einer Verletzung des Dünndarms selten verwirklicht, weil der Dünndarm üblicherweise vollständig hinter der Harnblase liegt. Die Schlingen des Dünndarms können aber in den Bereich oberhalb der Harnblase hin zur Bauchdecke hineingeschoben sein, was bei der Klägerin im Februar 2003 offensichtlich der Fall war. Nachträglich ist die damalige Lage des Dünndarms, die ständigen Veränderungen unterliegt, nicht mehr feststellbar, wie der gerichtliche Sachverständige in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 28. Juni 2006 näher ausgeführt hat. Dem dahin gehenden Beweisantritt der Klägerin war daher nicht nachzugehen.
Die Beklagten zu 2) und zu 3) konnten die Lage des Dünndarms nicht kennen, weil sie sie intraoperativ nicht sehen konnten. Der gerichtliche Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass eine vorherige Aufklärung der Lage des Dünndarms auch nicht zum fachärztlichen Standard gehört, weil die Durchführung derartiger diagnostischer Maßnahmen ebenfalls mit erheblichen Verletzungsrisiken verbunden ist, die zum - seltenen - Nutzen dieser Befunderhebungen in einem unvertretbaren Verhältnis stehen.
Der Annahme einer bloßen Verwirklichung eines operationsimmanenten Risikos steht nicht entgegen, dass das später entfernte Stück des Dünndarms drei Beschädigungsstellen aufwies. Hieraus lässt sich keinesfalls ableiten, dass die Verletzungen durch drei nacheinander erfolgte, also durch wiederholte Einstiche verursacht worden sind. Vielmehr ist es möglich und nicht fernliegend, dass auch ein einziger Stich den verschlungen liegenden Dünndarm an mehreren Stellen perforiert hat, und zwar wechselweise als Ein- oder Austrittsbeschädigung.
Soweit der gerichtliche Sachverständige in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18. Januar 2006 ausführt, dass retrospektiv lediglich eine Passage im Operationsbericht, die oben zitierte, als Anhaltspunkt für die Darmverletzung gewertet werden könne, lässt diese den Rückschluss auf eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht zu. Der Operationsbericht schildert ein Hängenbleiben der linken Nadel beim Vorschieben, welches sich die Beklagten zu 2) und zu 3) - ohne es sehen zu können - als ein Hängenbleiben an dem die beiden Schambeine verbindenden Gelenk, der Symphyse, erklären. Weil dem gerichtlichen Sachverständigen die weitere Information vorliegt, dass es intraoperativ zu einer Dünndarmläsion gekommen ist, kann er dieser Schilderung einen Hinweis darauf entnehmen, dass die Nadelspitze wohl eher kurz hinter der Symphyse am - an dieser Stelle üblicherweise nicht befindlichen - Dünndarm hängen geblieben sein könnte. Diese Annahme ist aber nicht zwingend, wie sich aus der vorsichtigen Formulierung des Sachverständigen auch ergibt. Denkbar ist auch, dass die Darmperforation durch das leichte Ablenken des Stichs nach links oben verursacht worden sein könnte. Jedenfalls verfügten die Beklagten über diese zusätzliche Information während der Operation nicht. Insbesondere ist der Senat davon überzeugt, dass eine solche Perforation nicht etwa durch einen höheren Gewebewiderstand zu bemerken gewesen ist. Denn der Widerstand beim Einstich in den Dünndarm ist, wie der gerichtliche Sachverständige plastisch ausgeführt hat, kaum zu spüren, weil die Darmhaut eher weicher als das Bindegewebe ist. Dem gegenüber ist die Annahme der Beklagten, die laut Operationsbericht von einem Hängenbleiben an den Verwachsungen der Symphyse bzw. an der Knochenhaut des Schambeins ausgegangen sind, sehr naheliegend und nicht fehlerhaft, denn ein solches Hängenbleiben tritt bei der TVT-Implantation häufiger ein und bleibt typischerweise folgenlos. Die von den Beklagten geschilderte Reaktion auf das Hängenbleiben ist standardgerecht - es wird eine Lagekorrektur der Nadelspitze durchgeführt. So hat der gerichtliche Sachverständige in seiner Anhörung vom 14. Februar 2007 auf ausdrückliche Nachfrage bekräftigt, dass die Korrektur der Lage und Stoßrichtung der Nadel nichts Auffälliges oder gar Fehlerhaftes darstellt, sondern dem üblichen Vorgehen entspricht. Die von der Klägerin hieraus abgeleitete Vermutung, dass die Beklagte zu 2) den Kontakt zur Schambeinhinterwand verloren haben könnte, bleibt unbewiesen und muss es mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten auch bleiben.
Entgegen der Bewertung der Klägerin hält es der Senat, ebenso wie zuvor die Kammer, für erwiesen, dass es bis heute nicht zum Facharztstandard gehört und jedenfalls im hier maßgeblichen Operationszeitraum im Jahre 2003 nicht Standard war, zwingend eine Aquadissektion vorzunehmen. Erst recht gibt es insoweit keine einheitliche empfohlene Vorgehensweise, d.h. einen Standard dahin, wieviel Flüssigkeit jeweils in welche Bereiche eingespritzt werden sollte, um dadurch bewegliche Gewebsstrukturen und Organe aus dem Operationsgebiet zu verdrängen. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 2. April 2007 sowie in seiner zweiten Anhörung vom 25. April 2007. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Sachverständige zunächst, ebenso wie der vorgerichtliche Privatsachverständige, die Aquadissektion als ein offensichtlich häufiges, jedenfalls auch in seiner Klinik praktiziertes Vorgehen schilderte, dies allerdings eher beiläufig und zu einem Zeitpunkt, als insbesondere die Mengen der Injektionslösungen noch nicht zur Diskussion standen. Nachdem er gezielt nach dem Facharztstandard für diesen Aspekt der TVT-Implantation befragt wurde, führte er erweiternd und insoweit konkretisierend aus, dass vielerorts, so auch von den Ärzten, die die TVT-Implantation 1995 eingeführt haben, gar keine begleitende Aquadissektion durchgeführt worden sei und durchgeführt werde und dass sich insoweit ein Standard noch nicht herausgebildet habe. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Fragesituationen stehen die vom gerichtlichen Sachverständigen gegebenen Antworten zueinander und zu den Ausführungen des vorgerichtlichen Gutachters der Beklagten nicht im Widerspruch, sondern zeigen das Bemühen des gerichtlichen Sachverständigen, auf zunehmend präzisere Nachfragen zunehmend differenziertere Antworten zu geben.
Die Beklagten zu 2) und zu 3) haben hier eine Aquadissektion vorgenommen, und zwar in dem nach ihrer aktuellen klinischen Einschätzung notwendigen Umfang. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung falsch war. Insbesondere folgt nicht allein aus dem Umstand der Darmverletzung, dass die intraoperative Einschätzung zum Umfang der notwendigen Aquadissektion falsch war, weil es selbst bei maximaler Aquadissektion nicht ausgeschlossen ist, dass der Darm verletzt werden kann. Lediglich im Zusammenhang mit der von der Klägerin erhobenen Behauptung, dass eine möglichst umfangreiche Aquadissektion geboten gewesen sei, weil hierdurch eine zufällige Beschädigung von benachbarten Organen sicher (!) vermieden worden wäre, hat der Senat in der mündlichen Verhandlung aufgeführt, dass auch die Aquadissektion eine solche Sicherheit nicht bieten könne. Beispielhaft wurden Verwachsungen, die der gerichtliche Sachverständige in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 28. Juni 2006 im Falle der Klägerin vermutet hat, bzw. besondere Anpress-Situationen durch die Lage der Darmschlingen angeführt. Diese Erörterung durch den Senat sollte, u.U. anders als die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen hierzu, keine Erklärungsversuche für die Situation der Klägerin am 18. Februar 2003 darstellen, sondern abstrakt aufzeigen, dass die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen nachvollziehbar ist, dass eine Aquadissektion mit insgesamt 300 ml nicht Facharztstandard ist. Wäre mit ihr eine Darmperforation und - wogegen die Aquadissektion weit mehr bewirkt - eine Beschädigung der fast anliegenden Harnblase sicher ausschließbar, dann hätte sich die Aquadissektion u.U. bereits als Facharztstandard etabliert. Das ist aber, wie vorausgeführt, nicht der Fall. Den - im Übrigen verspäteten - Beweisantritten zum Nichtvorliegen einer Verwachsung des Dünndarms der Klägerin im Cavum retzii, z. Bsp. mit dem Schambein bzw. mit der Symphyse, war deshalb ungeachtet der Frage, ob dies nachträglich überhaupt noch aufklärbar ist, nicht nachzugehen.
2.3. Die Beklagten haben die Perforation des Dünndarms der Klägerin auch nicht zu spät erkannt. Eine frühere Feststellung wäre allenfalls zufällig möglich gewesen.
Während der Operation hatten die Beklagten zu 2) und zu 3) keinen konkreten Anhaltspunkt für eine Darmverletzung. Wie vorausgeführt, konnten sie insbesondere an den Widerstandsverhältnissen beim Vorschieben der beiden Nadeln nicht erkennen, dass der Darm beschädigt worden sein könnte. Kommt eine Komplikation zwar theoretisch in Betracht, existieren hierfür aber keine konkreten Anhaltspunkte, so fehlt es an einer Indikation für einen weiteren - auch "nur" diagnostischen - Eingriff. Aus diesem Grunde ist den Ärzten der Beklagten zu 1) auch keine unterlassene Befunderhebung vorzuwerfen. Die Beklagte zu 2) hat während der Operation eine Zytoskopie, d.h. eine Spiegelung der Harnblase vorgenommen. Dies ist, wie der gerichtliche Sachverständige belegt hat, fachärztlicher Standard bei einer TVT-Implantation, weil nämlich die Spiegelung der Harnblase mit geringeren Risiken als z. Bsp. eine Koloskopie, eine Spiegelung des Darmtraktes, durchführbar ist und andererseits das Risiko der Verletzung der Harnblase bei einer TVT-Implantation das signifikanteste und am häufigsten auftretende Risiko ist. Mit anderen Worten, es liegt eine deutlich günstigere Risiko-Nutzen-Relation als bei anderen diagnostischen Eingriffen vor, die diesen konkreten Eingriff aus medizinischer Sicht angezeigt erscheinen lässt.
Die Ärzte der Beklagten zu 1) hatten auch am ersten Tag nach der Operation noch keinen konkreten Anhaltspunkt für eine Darmperforation. Zwar lagen schon Befunde für ein schlechteres Allgemeinbefinden vor, sie waren aber in keiner Weise spezifisch für eine gastroenterologische Komplikation, wie der gerichtliche Sachverständige schon in seinem Gutachten vom 26. April 2005 im Einzelnen dargestellt hat. Gegen diese gutachterliche Einschätzung hat sich die Klägerin danach auch nicht mehr im Einzelnen gewandt.
2.4. Der Senat hat schließlich auch keine Zweifel an der fachlichen Eignung des gerichtlichen Sachverständigen für die Mitwirkung im Rechtsstreit. Der gerichtliche Sachverständige verfügt über sehr langjährige und hohe praktische Erfahrungen mit der anatomischen Situation im Operationsgebiet. Unabhängig davon, wieviele TVT-Transplantationen er selbst durchgeführt hat, kann er die vor allem von den Gegebenheiten des Operationsgebietes abhängigen Antworten auf die hier interessierenden Fragen aufgrund seiner über dreißigjährigen Tätigkeit als Facharzt für Gynäkologie, derzeit als Chefarzt eines Akademischen Lehrkrankenhauses, erteilen. Der Sachverständige hat insbesondere im Verlaufe seiner Gutachtenergänzungen und Anhörungen erhebliche fachliche Kompetenz nachgewiesen, indem er auf alle Wendungen und neuen Aufklärungsrichtungen adäquat und jeweils unter Verweis auf aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen reagiert hat, und zwar nach Ansicht des Senats auch widerspruchsfrei. Der Vergleich vor allem mit der von der Klägerin eingereichten Literatur, aber auch ergänzend der von den Beklagten bzw. vom Senat selbst recherchierten Literatur zeigt keinerlei Anhaltspunkte für Unsicherheiten, so dass die Voraussetzungen für eine erneute Begutachtung, wie von der Klägerin begehrt, nicht vorliegen (§ 412 ZPO).
3. Die Klägerin kann einen Anspruch auf Schadenersatz gegen die Beklagten auch nicht erfolgreich auf eine schuldhafte Verletzung der Pflichten zur Eingriffsaufklärung stützen.
3.1. Die Klägerin hat in ihrer persönlichen Anhörung durch die Kammer selbst dargestellt, dass sie von der Beklagten zu 2) vor der Operation über das Risiko einer Verletzung des Darmtraktes informiert worden sei. Dies deckt sich mit dem Inhalt des Aufklärungsbogens und der darin befindlichen handschriftlichen Notiz in der Rubrik "Ärztliche Anmerkungen zum Aufklärungsgespräch", wonach über die "Verletzung von Organen" ausdrücklich gesprochen worden sei.
3.2. Nach Auffassung des Senats wie auch der Kammer war hier eine Aufklärung über die Operationsalternative Kolposuspension nicht obligatorisch.
Allerdings geht die Klägerin im Ansatz zutreffend davon aus, dass eine Aufklärung über Behandlungsalternativen erforderlich ist, wenn im konkreten Fall eine echte Alternative mit gleichwertigen Chancen, aber andersartigen Risiken besteht. Über die Behandlungstechnik und die angewandte Operationsmethode muss hingegen grundsätzlich nicht aufgeklärt werden. Auch besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, einen Patienten von einem allgemeinen Krankenhaus an eine Spezialklinik zu überweisen, wenn der Facharztstandard der übernommenen Behandlung gewährleistet ist. Hintergrund der Verpflichtung zur Aufklärung über Behandlungsalternativen ist insbesondere, dass der Patient überall dort sein Selbstbestimmungsrecht stärker aktiv ausüben soll, wo der Arzt aus rein medizinischer Sicht keine Präferenz festlegen kann. Eine solche Situation war hier nicht gegeben. Die Kolposuspension, also eine offene Bauchoperation, bei der der Operateur eine mehr oder weniger freie Sicht auf das Operationsgebiet hat, war vor Einführung der TVT-Implantation sog. "Goldstandard". Nach Einführung der TVT-Implantation ab 1995 / 1996 fand diese weltweit schnell Verbreitung, ihre Einführung wurde zudem durch eine Vielzahl von Studien und Veröffentlichungen begleitet. Inzwischen ist sie nach entsprechenden Evaluationen "Goldstandard". Wann sich der Wechsel vollzogen hat und ob er insbesondere schon im Februar 2003 vollzogen war, kann hier offen bleiben. Jedenfalls hatten beide Operationsmethoden schon im Februar 2003 annähernd gleiche Heilungserfolge, und zwar auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit des korrigierenden Eingriffs. Hingegen stellte die TVT-Implantation als minimal invasive Operationsmethode nicht nur ein Verfahren mit ganz andersartigen, sondern in der Summe mit sehr viel geringeren Risiken dar. Mit zunehmender Beherrschung der Methode und ihrer Risiken und dem Wegfall ihrer Neuartigkeit, den der Senat jedenfalls bereits vor 2003 ansetzt, ließ sie die Kolposuspension als echte Alternative zunehmend zurücktreten. Jedenfalls unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass in der Klinik der Beklagten zu 1) der Wechsel zur TVT-Implantation bereits vollzogen war und die behandelnden Ärzte mit dieser Methode aktuelle Erfahrungen sowie Fertigkeiten erworben hatten, sieht der Senat die ärztliche Einschätzung einer fehlenden Gleichwertigkeit beider Operationsmethoden nicht als fehlerhaft an; der darauf fußende Entschluss, über andere Operationsmethoden nicht im Einzelnen aufzuklären, stellt keine schuldhafte Pflichtverletzung dar.
Der Aufklärungsbogen, den die Klägerin vor der Operation erhalten hatte, enthielt zudem in allgemeiner Form Hinweise auf eine Vielzahl von anderen Operationsmethoden, gekoppelt mit der Aufforderung, sich bei Interesse hierüber beim Arzt näher zu erkundigen. Die Klägerin hat nach eigenem Bekunden nicht nachgefragt. Zwar kann sich ein Arzt nicht generell von Aufklärungspflichten freizeichnen, indem er den Patienten zur Nachfrage anhält. In einer Konstellation, wie der vorliegenden, in der aus der - medizinisch auch vertretbaren - Sicht des behandelnden Arztes die gewählte Operationsmethode (inzwischen) ohne echte Alternative ist, erscheint eine solche Vorgehensweise jedoch nicht als pflichtwidrig.
3.3. Selbst wenn man jedoch - entgegen der Auffassung des Senats - vom Bestehen einer entsprechenden Aufklärungspflicht ausginge, wie die Klägerin, und dann die Pflichtverletzung unstreitig wäre, so hätte sich diese Pflichtverletzung hier nicht ausgewirkt.
Der Senat ist im Ergebnis seiner vorsorglich durchgeführten Anhörung der Klägerin zur Frage des Entscheidungskonflikts zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin auch bei einer hypothetischen Aufklärung über die Alternative einer Kolposuspension die Einwilligung zur TVT-Implantation gegeben hätte.
Hierfür sprach bereits der Umstand, dass die Klägerin seit Juli 2002 über die empfohlene Operationsmethode Kenntnis hatte, wenn auch ein vollständiges Aufklärungsgespräch erst unmittelbar vor dem Eingriff durchgeführt wurde. Sie hat auch selbst geschildert, dass sie mit der Frauenärztin ihres Vertrauens über die konkrete Operationsempfehlung gesprochen hat. Auf direkte Nachfrage nach ihrer Reaktion auf eine Information über die Behandlungsalternative der Kolposuspension hat sie angegeben, dass sie nach kurzer Rückverständigung mit ihrer Frauenärztin selbstverständlich die Einwilligung in die TVT-Implantation gegeben hätte, weil sie die Vorteile eines minimal invasiven Eingriffs gegenüber einer offenen Operation unter Vollnarkose durchaus überzeugend erschienen. Diese Bekundung hatte zur Überzeugung des Senats entgegen der Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 18. Februar 2008 weniger mit ihren postoperativen Erfahrungen zu tun als vielmehr mit einer vernünftigen Risikobetrachtung.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Soweit die Klägerin eine Zulassung der Revision im Hinblick auf die Verteilung der Beweislast für etwaige Verwachsungen des Dünndarms der Klägerin im Cavum retzii im Februar 2003 beantragt hat, kommt es auf diese Frage nach dem Vorausgeführten nicht an. Das Gleiche gilt nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme des Senats für die Frage des Bestehens einer Aufklärungspflicht über die Alternative einer Kolposuspension zur TVT-Implantation im Februar 2003.
Die Festsetzung des Streitwerts für die Gebührenberechnung im Berufungsverfahren beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1 und 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Dabei hat der Senat den Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes entsprechend der angegebenen Mindesthöhe (25.000,00 EUR), den weiteren Zahlungsantrag entsprechend seiner Bezifferung (2.669,90 EUR) und den Feststellungsantrag entsprechend ständiger Senatsrechtsprechung mit 2.000,00 EUR im Einzelnen bewertet und hieraus die Summe gebildet.
Ende der Entscheidung
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