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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 15.06.2005
Aktenzeichen: 1 Verg 5/06
Rechtsgebiete: GWB, RVG, VV RVG


Vorschriften:

GWB § 115 Abs. 2 Satz 1
RVG § 14
VV RVG Nr. 2400
1. Durch einen Antrag nach § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB wird keine gesonderte Anwaltsgebühr ausgelöst; dieser Umstand kann im Rahmen der Gebührenbemessung nach § 14 RVG i.V.m. Nr. 2400 VV RVG zu berücksichtigen sein.

2. Zur Unangemessenheit eines Gebührenansatzes von 2,5 Gebühren in einem Vergabenachprüfungsverfahren ohne mündliche Verhandlung (Bestätigung der Festsetzung einer 1,8-fachen Gebühr).


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Verg 5/06 OLG Naumburg

verkündet am: 15.06.2006

In dem Vergabenachprüfungsverfahren (Kostenbeschwerde)

betreffend die Maßnahme Kochtechnik/Speisenausgabe, Vergabeeinheit Nr. 401 im Zuge des 2. Bauabschnitts - Westflügel - bei der Sanierung und dem Umbau des Städtischen Krankenhauses M. in H.

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Zink sowie die Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und Grimm im schriftlichen Verfahren mit Schlusstermin

am 12. Mai 2006

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.847,80 €.

Gründe:

I.

Nach Abschluss des Vergabenachprüfungsverfahrens hat die Antragsgegnerin beantragt, die ihr von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 4.904,71 € festzusetzen. Bei der Berechnung ihrer Gebührenforderung ist die Antragsgegnerin von einem Geschäftswert in Höhe von 832.683,96 € ausgegangen und hat eine 2,5-fache Geschäftsgebühr geltend gemacht. Ferner hat sie im Hinblick auf den Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags die Festsetzung einer weiteren, 1,8-fachen Geschäftsgebühr beantragt.

Die Vergabekammer hat die von der Antragstellerin zu erstattenden Kosten auf 2.056,91 € festgesetzt und den weiter gehenden Antrag zurückgewiesen. Sie hat die Ansicht vertreten, mehr als das 1,8-fache der Wertgebühr sei nicht gerechtfertigt und eine weitere Kostenerstattung für den Antrag nach § 115 Abs. 2 S. 1 GWB komme mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, die ihren ursprünglichen Antrag weiter verfolgt. Sie meint, die Tätigkeit ihrer Bevollmächtigten in dem vorliegenden Verfahren habe sich als sehr umfangreich und schwierig erwiesen. Dabei komme es nicht auf einen Vergleich mit anderen Vergabeverfahren, sondern nur auf einen Vergleich mit der allgemeinen durchschnittlichen Anwaltstätigkeit an. Sie verweist auf den tatsächlichen Zeitaufwand und die Intensität der Tätigkeit sowie die tatsächliche Bedeutung der Sache weit über den eigentlichen Streitwert hinaus.

Bei dem Antrag nach § 115 Abs. 2 GWB handele es sich um ein "Anhängsel" des Verfahrens vor der Vergabekammer, so dass eine analoge Anwendung des § 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 2 GWB sachgerecht erscheine.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde nur entgegen, soweit die Antragsgegnerin eine Gebühr von mehr als 2,0 geltend macht.

Mit Zustimmung aller Beteiligten hat der Senat durch Beschluss vom 02.05.2006 das schriftliche Verfahren angeordnet und den 12.05.2006 als Schlusstermin bestimmt.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist zulässig. Eine Entscheidung der Vergabekammer kann auch lediglich in einem Kostenpunkt gemäß § 116 Abs.1 S.1 GWB angegriffen werden (st. Rspr., vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 09.06.2004, 1 Verg 6/04, m. z. N.).

III.

In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg.

1. Der Senat teilt die Ansicht der Vergabekammer, dass durch den Antrag nach § 115 Abs. 2 S. 1 GWB keine gesonderte Gebühr ausgelöst wird.

a) Anders als bei der Entscheidung des Vergabesenats nach § 115 Abs. 2 S. 2 GWB handelt es sich bei einer unangefochtenen Entscheidung der Vergabekammer nach § 115 Abs. 2 S. 1 GWB nicht um die Entscheidung über einen Rechtsbehelf. Diesen Unterschied zwischen § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB einerseits und Satz 2 andererseits übersieht die Beschwerdeführerin offenbar, wenn sie meint, eine analoge Anwendung des § 128 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 und 2 GWB erscheine sachgerecht (so auch jurisPK-VergR / Summa, 1. Aufl. 2005, § 128 GWB, Rdn. 69).

b) Zuzustimmen ist der Beschwerdeführerin allerdings insoweit, als sie in der einstweiligen Maßnahme nach § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB lediglich ein "Anhängsel" des Verfahrens vor der Vergabekammer sieht. Dementsprechend handelt es sich hierbei um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 16 Nr. 1 RVG, so dass eine zusätzliche Gebühr gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 RVG nicht verlangt werden kann. Die Anordnung der Zustellung des Nachprüfungsantrages nach § 110 Abs. 1 GWB löst kraft Gesetzes das Zuschlagsverbot aus, § 115 Abs. 1 GWB. Das Verfahren nach § 115 Abs. 2 S. 1 GWB dient der Abänderung dieser vorläufigen Sicherungsmaßnahme entsprechend § 16 Nr. 1 Halbs. 2 RVG.

2. Zu Recht ist die Vergabekammer davon ausgegangen, dass der vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin geltend gemachte Ansatz einer 2,5-fachen Gebühr als Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG hier i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig ist. Der Senat hält einen Gebührensatz von 1,3 für angemessen und sieht - wie schon die Vergabekammer - (höchstens) den 1,8-fachen Gebührensatz noch als tolerabel an.

a) Der Antragsgegnerin ist insoweit zuzustimmen, als es nicht allein auf einen Vergleich der Tätigkeit mit anderen Vergabesachen ankommt, sondern um eine Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit im Verhältnis zu der anwaltlichen Tätigkeit im Allgemeinen. Nach § 14 Abs. 1 RVG ist die Bemessung des Gebührenansatzes in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller spezifischen Umstände, insbesondere des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit und der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers vorzunehmen. Durch die Neuregelung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts sind die für die Bemessung einer Rahmengebühr berücksichtigungsfähigen Umstände erweitert worden, so dass beispielsweise auch das Haftungsrisiko oder aber der Zeitdruck bei der Bearbeitung des Mandats herangezogen werden können.

b) Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände übersteigt der Ansatz einer 2,5-fachen Geschäftsgebühr hier die dem Anwalt im Rahmen der Billigkeitskontrolle eingeräumte Toleranzgrenze von etwa 20 Prozent (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/v.Eicken/ Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 14 Rn. 34 ff. m.w.N.).

aa) Der Senat verkennt nicht, dass in Vergabesachen regelmäßig eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit anzuerkennen sein wird, weil das nationale Vergaberecht eine komplexe, vom Gemeinschaftsrecht überlagerte Rechtsmaterie ist, die z. Zt. einer sehr dynamischen Entwicklung unterliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.08.2005, Az. 1 Verg 4/05). Es gibt jedoch keinen Grundsatz, wonach Vergabesachen per se überdurchschnittlich zu vergüten seien. Auch in Vergabesachen kommt es daher auf den tatsächlichen Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im jeweiligen Einzelfall an. Ein überdurchschnittlicher Gebührenansatz ist schon jeder Gebührenansatz über der gesetzlich vorgegebenen Kappungsgrenze in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr.

bb) Weder erweist sich die Tätigkeit der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall als überdurchschnittlich umfangreich, noch wies die Sache besondere rechtliche Schwierigkeiten auf. Vielmehr scheiterte der Nachprüfungsantrag schon an der formellen Vollständigkeit des Angebots der Antragstellerin, so dass die Vergabekammer ihn ohne Prüfung weiterer Angebote zurückgewiesen hat.

cc) Allenfalls könnte eine mündliche Verhandlung den Aufwand in der Sache über den Durchschnitt der Mandate zur außergerichtlichen Vertretung heben, die von Nr. 2400 VV RVG erfasst werden. Die Vergabekammer hat im vorliegenden Fall aber wegen offensichtlicher Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages ohne mündliche Verhandlung entschieden, so dass ein höherer Satz als 1,8 im Rahmen der notwendigen Gesamtschau in jedem Fall unbillig erscheint. Der Antrag nach § 115 Abs. 2 S. 1 GWB rechtfertigt allein eine Erhöhung im vorliegenden Fall nicht.

3. Die Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer nach § 114 Abs. 2 RVG ist entbehrlich.

Im Kostenfestsetzungsverfahren kann eine Rahmengebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG festgesetzt werden, ohne dass zuvor ein Gutachten des Vorstandes der zuständigen Rechtsanwaltskammer eingeholt werden muss. Denn ein Rechtsstreit i.S.v. § 14 Abs. 2 RVG ist lediglich ein Honorarprozess des Rechtsanwalts gegen seinen eigenen Mandanten, nicht aber das Kostenfestsetzungsverfahren, in dem die Frage der Gebührenhöhe nur Vorfrage ist (vgl. Madert, a.a.O., § 14 Rn. 112, 116; Fraunholz in: Riedel/ Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 14 Rn. 14 f.; ebenso zu § 12 Abs. 2 BRAGO: BVerwG JurBüro 1982, 857; BSG, Urt. v. 18. Januar 1990, 4 RA 40/89 m.w.N.; BayLSG RPfl 2002, 281; BFH, Beschluss v. 19. Oktober 2004, VII B 1/04; ebenso LG Berlin MDR 1982, 499 und LG Nürnberg-Fürth JurBüro 1985, 869).

IV.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2000, X ZB 14/00), die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO und orientiert sich am Kosteninteresse des Antragsgegners.

Ende der Entscheidung

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