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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 21.09.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 329/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 400 Abs. 1
StPO § 464 Abs. 3
StPO § 464 Abs. 3 S. 1 2. Hs.
Der Nebenkläger kann die im Berufungsurteil ergangene Kosten- und Auslagenentscheidung auch dann in zulässiger Weise anfechten, wenn er das Urteil selbst gemäß § 400 Abs. 1 StPO nicht anfechten kann (Aufgabe Senat, Beschluss vom 02.03.1995 - 1 Ws 31/95 -).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws 329/01 OLG Naumburg

In der Strafsache

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 21.9.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze-von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Nebeklägerin wird die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 5. Juli 2001 ergänzt.

Der Angeklagte trägt auch die im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin trägt der Angeklagte.

Gründe:

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Haldensleben vom 27.11.2000 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 50,00 DM und zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden.

Die Nebenklägerin war zur Nebenklage zugelassen worden.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte fristgerecht Berufung ein. Nach Anberaumung der Berufungshauptverhandlung auf den 05.07.2001 beschränkte der Angeklagte mit Schreiben vom 20.06.2001 seine Berufung auf die Rechtsfolgen. Diese Beschränkung wurde der Nebenklägerin nicht mitgeteilt. In der Hauptverhandlung am 05. Juli 2001, an der die Nebenklägerin mit ihrem Vertreter teilnahm, wurde das in erster Instanz gegen den Angeklagten ausgesprochene Fahrverbot aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Eine Kostenentscheidung bezüglich der Nebenklägerin erging nicht.

Gegen die unterlassene Kostenentscheidung richtet sich die Beschwerde der Nebenklägerin vom 12.07.2001, mit der sie erreichen will, dass der Angeklagte auch ihre notwendigen Auslagen in der Berufungsinstanz zu tragen hat.

Das als sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung angesehene Rechtsmittel ist zulässig, der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung (Beschluss vom 02. März 1995 - 1 Ws 31/95) auf.

Die Frage, ob ein Nebenkläger gegen eine ihm ungünstige Kostenentscheidung Beschwerde einlegen kann, wenn er das Urteil selbst nicht anfechten kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Zulässigkeit eines solchen Rechtsmittels wird bejaht vom Bayrischen Obersten Landesgericht (MDR 1988, 603), vom OLG Hamm (JMBl. 1990, 95), vom OLG Düsseldorf (VRS 96, 222), von Krehl (Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Aufl., Rdn. 16 zu § 464), von Hilger (LR, 25. Aufl., Rdn. 55 zu § 464). Die Befürworter der Zulässigkeit einer Kostenbeschwerde stellen darauf ab, dass dem Nebenkläger grundsätzlich gegen ein Berufungsurteil ein Rechtsmittel - Revision - zusteht, das ihm aber gemäß § 400 Abs. 1 StPO dann versagt ist, wenn er mit seinem Rechtsmittel lediglich eine andere Rechtsfolge der Tat erreichen will. In einem solchen Fall wird das statthafte Rechtsmittel mangels konkreter Beschwer unzulässig.

Das OLG Düsseldorf (aaO) weist zur Begründung dieser Ansicht auf die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf der Neufassung des § 464 Abs. 3 StPO (BT-Dr. 10, 1313, S. 40) hin. Dort heißt es:

"Durch die Anknüpfung der Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidung an den Begriff der "Statthaftigkeit" bezieht sich die Regelung nicht auf diejenigen Fälle, in denen gegen die Hauptentscheidung zwar an sich ein Rechtsmittel statthaft ist, deren Anfechtbarkeit also nicht ausdrücklich und nach dem systematischen Gesamtzusammenhang schlechthin ausgeschlossen ist, das Rechtsmittel jedoch mangels Beschwer einem bestimmten Prozessbeteiligten nicht zusteht. In Betracht kommen namentlich die Fälle der §§ 206 a und 206 b sowie die Kostenbeschwerde des Privatbeklagten bei einer Einstellung nach § 383 Abs. 2, in denen der Beschuldigte (Privatbeklagte) durch die Hauptentscheidung nicht beschwert ist.

Hier beruht die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung für einen bestimmten Beschwerdeführer allein darauf, dass ihn diese Entscheidung nicht benachteiligt und ihn folglich für die Anfechtung das Rechtschutzinteresse fehlt. Das muss bei der mit der Hauptentscheidung verbundenen Kostenentscheidung nicht der Fall sein; diese kann für den Betroffenen eine selbständige Beschwer enthalten. Es wäre unbillig, dem Betroffenen für diesen Fall die Anfechtungsmöglichkeit vorzuenthalten."

Für den Nebenkläger ist die Revision grundsätzlich statthaft, das Rechtsmittel ist ihm gesetzlich zur Verfügung gestellt. Unstatthaft ist ein Rechtsmittel dann, wenn es schon nach der Art der Entscheidung schlechthin nicht zulässig ist oder weil die betroffene Person grundsätzlich - unabhängig von der Frage der Beschwer im Einzelfall - nicht zur Einlegung des Rechtsmittels befugt ist.

Gegen eine Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde stellen sich das OLG Stuttgart (NStZ 1989, 548), das OLG Frankfurt (NStZ-RR 1996, 128) und das Kammergericht (Beschluss vom 24.09.1999 4 Ws 217/99 - zitiert bei JURIS) sowie in der Literatur Kleinknecht/Meyer-Goßner (StPO, 45. Aufl., Rdn. 17 zu § 464); Franke (KK StPO, 4. Aufl., Rdn. 8 zu § 464); Meyer (AK, StPO, Rdn. 11 zu § 464) sowie Paulus (KMR StPO, Rdn. 11 zu § 464). Diese Meinungen gehen übereinstimmend davon aus, dass die sofortige Beschwerde unzulässig ist, weil die Hauptentscheidung nicht mehr angefochten werden kann. Die an sich gesetzlich gegebene Anfechtungsmöglichkeit des Urteils habe in diesem Fall keine Bedeutung, weil das Urteil in der konkreten Verfahrenslage nicht mehr angefochten werden könne.

Der Senat hält die sofortige Beschwerde für zulässig, weil angesichts des in § 464 Abs. 3 S. 1 2. Hs. StPO verwendeten Begriffes "statthaft" eine genaue Differenzierung zu erfolgen hat. Das ergibt sich auch für den Senat aus der Gesetzesbegründung (BT-Dr. aaO). Auch eine Gleichbehandlung mit einem anderen Fall spricht für das gefundene Ergebnis. Wird ein Angeklagter beispielsweise wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, so steht ihm mangels Beschwer ein an sich statthaftes Rechtsmittel nicht zu. Eine ihm ungünstige Kostenentscheidung kann er jedoch mit der Kostenbeschwerde angreifen. Den Nebenkläger grundsätzlich anders und damit schlechter zu stellen, ist nicht vertretbar.

Das Rechtsmittel ist auch begründet.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat, wenn ein beschränktes Rechtsmittel Erfolg hatte.

Die Pflicht, die Auslagen des Nebenklägers zu tragen, bejaht das OLG Hamm (NStZ-RR 1998, 221).

Eine solche Pflicht verneinen das OLG Saarbrücken (StV 1990, 366), Franke (KK, 4. Aufl., Rdn. 10 zu § 473 und Krehl (HK, StPO, 3. Aufl., Rdn. 22 zu § 473).

Einer Entscheidung dieses Streites bedarf es im vorliegenden Fall jedoch nicht, weil die Besonderheiten des hier gegebenen Verfahrensganges gebieten, die Auslagen der Nebenklägerin dem Angeklagten zu überbürden.

Der Angeklagte hat seine Berufung in vollem Umfang eingelegt, er hat sie erst nach der Anberaumung des Termins zur Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Hinzu kommt, dass diese Beschränkung im vorliegenden Fall der Nebenklägerin nicht mitgeteilt worden ist, so dass diese bis zum Beginn der Berufungshauptverhandlung davon ausgehen musste, die Berufung des Angeklagten werde in vollem Umfang durchgeführt. Gelegenheit, sich auf die veränderte Rechtslage einzustellen, hatte sie erst in der Hauptverhandlung, erst hier hätte sie gegebenenfalls den Anschluss als Nebenklägerin widerrufen können.

Tatsächlich handelt es sich hier nur um einen Teilerfolg der Berufung des Angeklagten, so dass §§ 473 Abs. 4 StPO, 472 StPO mit darin enthaltenen Billigkeitsregel anzuwenden sind (LR/Hilger, StPO, 25. Aufl., Rdn. 77 zu § 473; HK Krehl aaO).

Der Angeklagte hat die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin hier in vollem Umfang zu tragen, da Gründe für eine abweichende Billigkeitsentscheidung wie beispielsweise ein Mitverschulden der Nebenklägerin nicht ersichtlich sind. Hinzu kommt, dass der Erfolg der beschränkten Berufung des Angeklagten im wesentlichen darauf beruht, dass infolge des Zeitablaufs zwischen Tat und Berufungsverhandlung die Verhängung eines Fahrverbotes nicht mehr als geboten angesehen worden ist.

Dass unter diesen Umständen - Teilrücknahme der Berufung durch nachträgliche Beschränkung und Berufungserfolg infolge Zeitablaufs - der Angeklagte seine notwendigen Auslagen mindestens zum Teil hätte selbst tragen müssen, ist nicht mehr Gegenstand dieser Beschwerdeentscheidung, da die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde gegen die Kostenentscheidung zurückgenommen hat.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Ende der Entscheidung

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