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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 10 W 21/00
Rechtsgebiete: GVG, ZPO
Vorschriften:
GVG § 112 | |
ZPO §§ 41 ff | |
ZPO § 42 Abs. 2 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 3 |
1. Allerdings kann grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit begründet sein, wenn ein Richter mittelbar - auch durch seine kommunalpolitische Tätigkeit - am Rechtsstreit beteiligt ist und aufgrund enger Beziehungen zu einer Prozesspartei die Gefahr besteht, dass er in eine Konfliktsituation zwischen seiner richterlichen Aufgabe und seinen kommunalpolitischen Interessen gerät. Maßgeblich ist insoweit die Intensität der kommunalpolitischen Mitwirkung und des Kontakts zu der betreffenden Prozesspartei.
2. Zur Besorgnis der Befangenheit gegen einen ehrenamtlichen Richter (hier: zugleich sachkundiger Bürger im Kreistag).
3. Eine beratende Mitwirkung ist für sich allein nicht geeignet, eine enge Beziehung zum Landkreis zu begründen.
OLG Naumburg, Bes vom 22.12.2000, 10 W 21/00; vorgehend LG Halle, Bes vom 15.05.2000, 12 O 76/99
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG Beschluss
10 W 21/00 OLG Naumburg 12 O 76/99 LG Halle
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch die unterzeichnenden Richter am 22. Dezember 2000
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Halle - 3. Kammer für Handelssachen - vom 15. Mai 2000, Az.: 12 O 76/99, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20.000,00 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, deren 100%-ige Gesellschafterin der B. kreis ist, die Unterlassung von vermeintlich unlauteren Wettbewerbshandlungen; sie selbst hat den Streitwert ihrer Klage auf 20.000,00 DM geschätzt.
Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2000 verhandelte die Kammer für Handelssachen in einer Besetzung unter Mitwirkung des Handelsrichters Dr. P. S. (im Folgenden: abgelehnter Richter). Der - später - abgelehnte Richter ist als sachkundiger Einwohner in den Wirtschaftsausschuss des Kreistages des B. kreises berufen. Die Klägerin hat im Hinblick auf diese ehrenamtliche Tätigkeit noch im o.a. Termin die Besorgnis der Befangenheit gerügt. Die Kammer hat nach Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters und erneuter Anhörung der Parteien das Ablehnungsgesuch der Klägerin mit Beschluss vom 15.05.2000 zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 19.05.2000 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit einem am 02.06.2000 vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Sache wurde dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Klägerin vorgelegt. Im Beschwerdeverfahren wurde den Parteien Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme eingeräumt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist nach §§ 46 Abs. 2 2. HS, 577 Abs. 1 und 2, 567 Abs. 3 S. 2 ZPO zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt. Die sofortige Beschwerde der Klägerin hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin zu Recht als unbegründet angesehen. Das Beschwerdevorbringen der Klägerin führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung des Geschehens.
Im Einzelnen:
Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der abgelehnte Richter mangels Stimmrechts im Wirtschaftsausschuss keinen Einfluss auf die vom Landkreis zu treffenden Entscheidungen, insbesondere auf die Zustimmung zum Wirtschaftsplan der Beklagten, auszuüben vermag. Auch bestehe kein Kontakt zu Organen der Beklagten.
Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
Für die Ausschließung bzw. Ablehnung eines Handelsrichters finden nach § 112 GVG die Vorschriften der §§ 41 ff ZPO unmittelbare Anwendung (vgl. BayObLG MDR 1978, 232, 233; Bork in: Stein-Jonas, Komm. z. ZPO, 21. Aufl. 1993, vor § 41 Rn. 5).
Nach diesen Vorschriften findet die Ablehnung einer Richterin bzw. eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn nach den Umständen des konkreten Falles ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Richterin bzw. des Richters zu rechtfertigen, § 42 Abs. 2 ZPO. Maßgebend ist nicht, ob der abgelehnte Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus genügende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der betreffende Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BVerfGE 82, 30, 38; BGHZ 77, 70, 72; KG OLGZ 1994, 86, 87; Vollkommer in: Zöller, Komm. z. ZPO, 21. Aufl. 1999, § 42 Rn. 9; Smid in: Musielak, Komm. z. ZPO, 1999, § 42 Rn. 4; Bork aaO. § 42 Rn. 2; Hartmann in: Baumbach/ Lauterbach/ Albers/ Hartmann, Komm. z. ZPO; 58. Aufl. 2000, § 42 Rn. 10; Feiber in: MüKo. ZPO, § 42 Rn. 4; jeweils m.w.N.). Durch die Ablehnung wegen Befangenheit soll der Gefahr unsachlicher Beweggründe bei der Bildung oder Beibehaltung einer bestimmten Meinung in der Rechtsprechung begegnet werden, wobei gleichzeitig zu berücksichtigen ist, dass eine zu weitgehende Bejahung der Besorgnis der Befangenheit das Verfassungsprinzip des gesetzlich festgelegten Richters tangiert und, soweit es sich um eine Reaktion auf das Verhalten des Richters handelt, u.U. auch dessen Unabhängigkeit beeinträchtigen kann (vgl. Bork, a.a.O.).
Gründe, die geeignet sind, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln, liegen vom Standpunkt der Klägerin bei vernünftiger Betrachtung der Sache nicht vor. Solche Gründe ergeben sich insbesondere nicht aus der ehrenamtlichen Tätigkeit des abgelehnten Richters.
Allerdings kann grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit begründet sein, wenn ein Richter mittelbar - auch durch seine kommunalpolitische Tätigkeit - am Rechtsstreit beteiligt ist und aufgrund enger Beziehungen zu einer Prozesspartei die Gefahr besteht, dass er in eine Konfliktsituation zwischen seiner richterlichen Aufgabe und seinen kommunalpolitischen Interessen gerät. Maßgeblich ist insoweit die Intensität der kommunalpolitischen Mitwirkung und des Kontakts zu der betreffenden Prozesspartei (vgl. Smid aaO., § 42 Rn. 15; Feiber aaO. § 42 Rn. 9 - zurückhaltend !; vgl. OLG Celle Nds. Rechtspflege 1976, 91: bejaht für einen Richter, der Kreistagsabgeordneter war, weil es sich im Schadenersatzprozess gegen den Landkreis um eine "von der Materie und vom Streitwert her ... kommunalpolitisch bedeutsame Angelegenheit handelt"). Der Grad der Beziehungen des hier abgelehnten Richters zur Beklagten erreicht eine solche - die Besorgnis der Befangheit begründende - Intensität hingegen nicht.
Im vorliegenden Rechtsstreit ist schon der B. kreis nicht selbst Prozesspartei, sondern nur mittelbar Beteiligter als Alleingesellschafterin der Beklagten. Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht das Hauptfeld der gewerblichen Tätigkeit der Beklagten, sondern auch aus Sicht der Klägerin ein wirtschaftlich eher untergeordnetes Tätigkeitsfeld. Die Haftung der Beklagten ist durch ihre Rechtsform beschränkt; eine unmittelbare Auswirkung der gerichtlichen Entscheidung auf den Haushalt des Landkreises etwa ist selbst bei einem für die Beklagte ungünstigen Ausgang nicht zu erwarten.
Der abgelehnte Richter ist auch nicht Organ der Alleingesellschafterin, er ist nicht Abgeordneter des Kreistages. Als sachkundiger Bürger hat er nach § 37 Abs. 2 S. 1 der Landkreisordnung des Landes Sachsen-Anhalt (im Folgenden: LKO LSA) lediglich beratende Stimme in einem nicht beschließenden, sondern ebenfalls nur beratenden Ausschuss. Der Ausschuss, dem der abgelehnte Richter angehört, dient lediglich der gründlichen Vorerörterung der vom Kreistag zu treffenden Entscheidungen; seine Beratungen enden allenfalls mit einer Empfehlung, wobei sachkundige Einwohner selbst hierfür - wie oben angeführt - kein Stimmrecht besitzen (vgl. Klang/ Gundlach, Komm. z. GO u. LKO LSA, 2. Aufl. 1999, § 37 LKO mit Verweis auf § 48 Rn. 1, 2 mwN.; § 45 Rn. 1). Eine solche beratende Mitwirkung ist für sich allein nicht geeignet, eine enge Beziehung zum Landkreis zu begründen (vgl. BVerwG NJW 1990, 1865 trotz des ausdrücklichen Ablehnungsgrundes in § 54 Abs. 3 VwGO). Weitere Umstände, insbesondere einen unmittelbareren Kontakt des abgelehnten Richters zur Beklagten, behauptet aber selbst die Klägerin nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens findet ihre Grundlage in §§ 12 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1, 22 Abs. 1, 25 Abs. 2 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Der Wert des Beschwerdeverfahrens bei Ablehnung einer Richterin bzw. eines oder mehrerer Richter bemisst sich nach dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH NJW 1968, 796).
Ende der Entscheidung
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