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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: 11 U 36/04
Rechtsgebiete: SachenRBerG, ZGB/DDR, VwVfG


Vorschriften:

SachenRBerG § 108 Abs. 1
SachenRBerG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
SachenRBerG § 4 Nr.2
SachenRBerG § 6
SachenRBerG § 3 Abs. 1 Satz 1
SachenRBerG § 61 Abs. 1
SachenRBerG § 65 Abs. 1
SachenRBerG § 9
SachenRBerG § 9 Nr. 3
ZGB/DDR § 459 Abs. 1
VwVfG § 47 Abs. 1
Geht ein Vermögenszuordnungsbescheid nach Ansicht des Zivilrichters zu Unrecht von der Entstehung selbständigen Gebäudeeigentums aus, so ist die Verwaltungsentscheidung dahin umzudeuten, dass sie sich auf die aus der Errichtung des Gebäudes ergebende Rechtsstellung, mithin die Nutzerposition des Gebäudeerrichters, bezieht.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 U 36/04 OLG Naumburg

verkündet am: 11. Januar 2005

In dem Berufungsrechtsstreit

...

wegen Feststellung der Ankaufsberechtigung nach dem SachenRBerG,

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 2004 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht Goerke-Berzau, des Richters am Oberlandesgericht Krause sowie des Richters am Amtsgericht Schleupner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 26. März 2004, Geschäftszeichen: 1 O 4/03, wird zurückgewiesen und der Tenor der angefochtenen Entscheidung klarstellend wie folgt neu gefasst:

Die Klägerin ist berechtigt, von den Beklagten den Ankauf der mit einem Heizhaus und einem ehemaligen Kohlenlager bebauten Grundstücksflächen im Gebiet R. in M. , ehemals Flur 30, Flurstücke 14/63 und 14/67, nach den Bestimmungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes zu verlangen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 1/4 und die Beklagten 3/4. Die Kosten der Berufung werden der Klägerin zu 1/6 und den Beklagten zu 5/6 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 € abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von jeweils 2.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert beider Instanzen wird, teilweise unter Abänderung der Entscheidung des Landgerichts vom 26. März 2004, auf 24.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen. E. B. wurden die Flurstücke 14/63 und 14/67 der Flur 30 aus der Bodenreform zugeteilt. Das Flurstück 14/67 ist in die Flurstücke 14/200 und 14/201 zerlegt worden. Aus dem Flurstück 14/63 ist unter anderem das Flurstück 14/192 hervor gegangen. Die dem zugrunde liegenden Vermessungen wurden im Vorgriff auf die Bereinigung der Grundstücksrechtsverhältnisse veranlasst. Wegen der Lage der Grundstücke bzw. der Gebäude wird auf die Anlage K 1 <Bl. 9 d.A.> Bezug genommen. Die Klägerin hat in erster Instanz eine Rückgabeerklärung der Frau E. B. vom 14. März 1978 vorgelegt <Anlage K7, Bd. I Bl. 65 d.A.>.

Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 26. März 2004 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. Mai 2004 entsprochen und festgestellt, "dass die Klägerin eine Anspruchsberechtigung auf Ankauf der Grundstücke Gemarkung M. , Flur 30, Flurstück 14/192, 14/200 und 14/201 nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz hat". Hiergegen richten sich die Beklagten mit ihrer Berufung.

Sie tragen vor, die Vermessung sei ohne ihre Mitwirkung erfolgt. Durch die Bezugnahme auf die neuen Flurstücke konkretisiere die angefochtene Entscheidung die zum Ankauf stehenden Flächen unzulässig. Die Klärung, welche Flächen die Klägerin beanspruchen könne, sei dem notariellen Vermittlungsverfahren vorbehalten. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz finde außerdem keine Anwendung. Öffentlichen Zwecken dienende Gebäude würden vom Gesetz nicht erfasst. Da man sich nur über die Flächen und den Preis streite, fehle der Klägerin das Rechtsschutzinteresse. Zu keinem Zeitpunkt habe Frau E. B. auf die Bodenreformgrundstücke verzichtet und die vermeintliche Erklärung vom 14. März 1978 unterzeichnet.

Die Beklagten beantragen,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Halle vom 26. März 2004 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit sich diese gegen die Feststellung richtet, dass der Klägerin eine Anspruchsberechtigung nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz auf Ankauf von derzeitig im Eigentum der Beklagten befindlichen Flächen im Gebiet R. in M. , ehemals Flur 30, Flurstücke 14/63 und 14/67, die mit einem Heizhaus und einem ehemaligen Kohlenlager bebaut sind, zusteht.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und erklärt, das Schreiben der Frau B. vom 14. März 1978 sei nicht zum Rat des Kreises gelangt.

Der Senat hat die Grundakten des Amtsgerichts Merseburg von M. Blatt 337 zu Informationszwecken beigezogen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt, nachdem die Klägerin ihre Klage teilweise zurückgenommen hat (§§ 525 Satz 1, 269 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 u. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO), in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend der Anspruchsberechtigungsfeststellungsklage stattgegeben. Die Klägerin kann von den Beklagten den Ankauf der im komplexen Wohnungsbau mit einem Heizhaus sowie einem Kohlenlager bebauten Flächen verlangen (§§ 7 Abs. 2 Nr. 7 Bst. a) bb); 11 Abs. 1; 6 Nr. 2; 8 Nr. 3; 9 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 2; 10; 3 Abs. 1 Satz 1; 4 Nr. 2 u. 3; 61 Abs. 1; 108 Abs. 1; 94 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG).

1. Die von der Berufung vorgebrachten Zulässigkeitsbedenken verfangen, jedenfalls soweit sie über den durch teilweise Klagerücknahme korrigierten Mangel hinausgehen, nicht. Auf Seiten der Klägerin besteht durchaus ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Bestehens der Anspruchsberechtigung i.S.v. § 108 Abs. 1 SachenRBerG. Der Notar hat durch Beschluss vom 12. April 2002 das notarielle Vermittlungsverfahren ausgesetzt, weil die Beklagten die Anspruchsberechtigung der Klägerin bestritten haben (§ 94 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG). Hierauf stellt die Anspruchsberechtigungsfeststellungsklage die angemessene Reaktion dar, wobei sich die Klägerin bereits auf den Ankaufsanspruch festlegen darf (Senat, Urteil vom 16. Dezember 1999, 11 U 149/99 = OLGR 2000, 217-218; OLG Jena, Urteil vom 2. November 1999, 8 U 310/99 = OLGR 2000, 121-123).

2. Zu Recht ist das Landgericht von der Anwendbarkeit des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes und vom Bestehen eines Ankaufsanspruchs ausgegangen.

a) Nicht thematisiert hat der Einzelrichter die Rückgabeerklärung der Frau E. B. , von der die Beklagten ihre Eigentümerstellung aufgrund des Überlassungsvertrages vom 30. Oktober 1997 <Bl. 119-126 der Grundakten> ableiten, vom 14. März 1978. Auf die mit dieser Erklärung möglicherweise verbundenen Konsequenzen sind die Parteien mit der Ladungsverfügung vom 12. Oktober 2004 (2b) hingewiesen worden. Hieraufhin haben die Beklagten klargestellt, dass sie die Abgabe einer solchen Erklärung durch ihre Rechtsvorgängerin bestreiten. Offenbar war die Erklärung bereits Gegenstand vorausgegangener Streitigkeiten der Parteien, sodass die Klägerin dazu übergegangen ist, nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz vorzugehen. Sie macht sich das Bestreiten der Beklagten nunmehr ausdrücklich insoweit zu Eigen, als sie vorträgt, die Rückgabeerklärung habe die zuständige Stelle nicht erreicht. Unter diesen Umständen steht die Erklärung der Anwendung des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes nicht entgegen (kein Fall des § 1 Abs. 3 Satz 1SachenRBerG).

b) Unstreitig wurden das Heizhaus und das Kohlenlager im komplexen Wohnungsbau errichtet. Hierfür ist das Bereinigungsverfahren ausdrücklich vorbehalten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SachenRBerG; BGH, Urteil vom 11. April 2003, V ZR 209/02 = VIZ 2003, 443-444). Der komplexe Wohnungsbau ist ein Unterfall des staatlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus nach §§ 4 Nr.2; 6 SachenRBerG, findet seine konkrete Ausprägung aber in §§ 7 Abs. 2 Nr. 7 Bst. a bb), 4 Nr. 3 SachenRBerG. Eine die Sachenrechtsbereinigung eröffnende bauliche Nutzung liegt danach auch vor, wenn Gebäude, bauliche Anlagen und Verkehrsflächen im komplexen Wohnungsbau errichtet wurden. Unter diesen, hier unstreitig vorliegenden Umständen kann ein Ankauf der bebauten Grundstücke oder Teilflächen geltend gemacht werden (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1, 65 Abs. 1 SachenRBerG), wobei der Wohngebietscharakter auch durch die Nebenanlagen, Versorgungseinrichtungen und die Infrastruktur bestimmt wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SachenRBerG). Danach bezieht sich der Ankaufsanspruch nicht nur auf das Heizhaus, sondern ebenfalls auf das Kohlenlager, wie es sich mit Ablauf des 2. Oktober 1990 darstellte (§ 8 Nr. 3 SachenRBerG). Auf mehr erhebt die Klägerin keinen Anspruch.

3. Die Nutzerrolle der Klägerin ziehen die Beklagten zu Unrecht in Zweifel. Sie ergibt sich, wie vom Landgericht im Ansatz richtig erkannt, aus § 9 SachenRBerG. Allerdings dürfte selbständiges Gebäudeeigentum nicht entstanden sein, sodass die Klägerin nicht Eigentümerin i.S.v. § 9 Nr. 3 SachenRBerG ist. Sie muss vielmehr als Rechtsnachfolgerin desjenigen, der die Gebäude und baulichen Anlagen errichtet hat (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG), angesehen werden. Das Heizhaus mit dem dazu gehörenden Kohlenlager ist in das Vermögen der Klägerin übergegangen (§§ 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 Bst. a); 6 Abs. 1 Stabstrich 2 KVG i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 1 EVertr. und § 1 Abs. 1 Satz 2 u. 3 TreuhG), was der Vermögenszuordnungsbescheid vom 4. August 1992 feststellt (vgl. § 1 Abs. 1 VZOG).

Wem das ehemalige volkseigene Vermögen zugefallen ist, haben die Zivilgerichte als Vorfrage selbständig zu beurteilen. Existiert hierzu ein Vermögenszuordnungsbescheid, entfaltet dieser zu berücksichtigende Tatbestandswirkung (BGH, Urteil vom 19. Juni 1998, V ZR 43/97 = NJW 1998, 3055-3056; Gottwald, in: MünchKomm.-ZPO, 2. Aufl., § 322 Rdn. 73). Weist der Vermögenszuordnungsbescheid der Klägerin selbständiges Gebäudeeigentum zu, das mangels vertraglicher Grundlage i.S.v. § 459 Abs. 1 ZGB/DDR nicht entstanden ist, geht der Bescheid der Treuhandanstalt dennoch nicht ins Leere. Er ist der Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG zugänglich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine Vereinbarung, die fälschlicherweise von selbständigem Gebäudeeigentum ausgeht, dahin umzudeuten, dass sie sich auf die aus der Errichtung der Gebäude ergebende Rechtsstellung bezieht. Nichts anderes kann für die Feststellung der Treuhandanstalt im Vermögenszuordnungsbescheid gelten. Auf die Klägerin ist danach die Nutzerposition des Gebäudeerrichters übergegangen.

Eine solche Umdeutung von Verwaltungsakten durch die Zivilgerichte hat der Bundesgerichtshof grundsätzlich für möglich gehalten (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1991, IX ZR 30/90 = BGHZ 114, 315-330; Urteil vom 11. Februar 1994, V ZR 254/92 = BGHZ 125, 125-135). Ihre Zulässigkeit kann nach Auffassung des Senats jedenfalls dann nicht in Frage stehen, wenn die eigentumsrechtliche Vorfrage unterschiedlich beantwortet wird und der Verwaltungsakt aufgrund dessen keinerlei Rechtsfolgen entfalten würde, sodass sich die Zuordnungsproblematik und mit ihr eine mögliche Umdeutung im Zivilprozess von neuem stellt.

Die Beklagten sind als Verfahrensunbeteiligte zwar nicht an den Vermögenszuordnungsbescheid gebunden (BGH, Urteil vom 14. Juli 1995, V ZR 39/94 = VIZ 1995, 592-595). Dennoch können sie angesichts des durch den Bescheid festgestellten Vermögensübergangs die Aktivlegitimation der Klägerin nicht mehr in Zweifel ziehen. Es steht fest, dass ein Bereinigungsanspruch zugunsten ehemaligen Volkseigentums besteht. Berechtigter ist derjenige, dem der durch den Bereinigungsanspruch bzw. die errichteten Gebäude und baulichen Anlagen gekennzeichnete Vermögenswert zugeordnet wurde. Zwischen diesem und der Klägerin bestand eine Zuordnungslage. Im Verhältnis der Zuordnungsprätendenten zueinander stellt der Zuordnungsbescheid verbindlich fest, wem der Vermögenswert zugeordnet ist (BGH, a.a.O.). Für die Beklagten besteht also keine Gefahr der doppelten Inanspruchnahme, weil es keinen anderen Berechtigten auf Seiten des ehemaligen Volkseigentums mehr gibt. Damit haben sie keinen Anlass, die Vermögensnachfolge zu bestreiten. Es kommt nur die Klägerin in Betracht. Das müssen die Beklagten hinnehmen. Für sie gilt nichts anderes als für den Schuldner, dem die Abtretung angezeigt wurde (§ 409 Abs. 1 BGB analog).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision lässt der Senat nicht zu, weil weder entscheidungserhebliche Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen sind noch die Fortbildung des Rechts oder die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Streitwert bestimmt sich nach den vor dem KostRMoG geltenden Bestimmungen (§ 72 Nr. 1 GKG). Allein relevant ist der auf Feststellung der Anspruchsberechtigung gerichtete Ausspruch der angefochtenen Entscheidung (§§ 14 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.; 3 ZPO). Dieser wird mit dem vollen Grundstückswert ohne Gebäude abzüglich eines 20%igen Abschlages bemessen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2000, V ZR 335/99 = VIZ 2001, 163). Aufgrund des Hinweises des Senats vom 12. Oktober 2004 tragen die Parteien übereinstimmend einen Grundstückswert von 30.000 € vor, so dass sich ein Streitwert von 24.000 € ergibt.

Der Streitwert erster Instanz wurde dem angepasst (§ 25 Abs. 2 Satz 2 GKG a.F.).



Ende der Entscheidung

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