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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 04.06.1999
Aktenzeichen: 6 U 131/98
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, AGBG
Vorschriften:
ZPO § 543 Abs. 1 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 | |
ZPO § 546 Abs. 2 | |
VVG § 16 Abs. 2 | |
VVG § 16 Abs. 1 | |
VVG § 16 Abs. 1 Satz 1 | |
VVG § 16 Abs. 1 Satz 2 | |
VVG § 16 Abs. 1 Satz 3 | |
VVG § 43 Nr. 1 | |
VVG § 21 | |
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 1 |
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
6 U 131/98 OLG Naumburg 21 O 93/98 LG Stendal
verkündet am: 04.06.1999
gez. Walther, JS'in als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Harbou, den Richter am Landgericht Materlik und die Richterin am Amtsgericht Schreiber auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 1999 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 9. Juli 1998 - 21 O 93/98 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer übersteigt für den Kläger 60.000,00 DM nicht.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung, § 543 Abs. 1 ZPO.
Das Versicherungsvertragsverhältnis der Parteien wurde wirksam durch den hilfsweise erklärten Rücktritt der Beklagten vom 02.10.1997 (GA 13) beendet, § 16 Abs. 2 VVG. Nach § 16 Abs. 2 VVG ist der Versicherer zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt, wenn der Versicherungsnehmer der Vorschrift des § 16 Abs. 1 VVG zuwider ihm bekannte, für die Übernahme der versicherten Gefahr erhebliche Umstände dem Versicherer bei Abschluss des Vertrages verschwiegen hatte. Der Versicherungsnehmer hat gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG bei der Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen.
Der Kläger hat der Beklagten unstreitig nicht zur Kenntnis gebracht, dass er vor Vertragsabschluss einen Lumbagoanfall hatte. Er hat verschwiegen, in der Zeit vom 1. November 1996 bis einschließlich 20. Dezember 1996 wegen einer Lumbalgie/Lumboischialgie in ambulanter ärztlicher (Injektions-)Behandlung und arbeitsunfähig gewesen zu sein sowie vom 1. November bis 31. Dezember 1996 Krankentagegeld bezogen zu haben. Ein Lumbagoanfall (in der Umgangssprache: Hexenschuss) ist ein erheblicher Umstand im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG. Nach der Definition in § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG sind nämlich diejenigen Gefahrumstände erheblich, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Ob ein Umstand in diesem Sinne erheblich ist, muss danach bewertet werden, ob der Versicherer den Vertrag überhaupt nicht oder zu für den Versicherungsnehmer ungünstigeren Bedingungen abgeschlossen hätte, wenn er den Umstand gekannt hätte (OLG Saarbrücken, Urteil vom 09.07.1997 -5 U 180/97- VersR 1998, 444).
Die Gefahrerheblichkeit der Lumbagoanfälle ist nach § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG zu bejahen. Eine Lumboischialgie ist nämlich ein Krankheitssyptom, das geeignet ist, auf den Entschluss des Versicherers zum Abschluss des Vertrags einen Einfluss auszuüben. Die Lumbago ist ein symptomatischer Ausdruck für Schmerzen der Lendengegend. Dieses "Lendenweh" kann auf einer primären Erkrankung der Muskeln beruhen (akuter Rheumatismus des Musculus sacrospinalis, siehe Zetkin und Schaldach, Wörterbuch der Medizin, Stichwort Lumbago). Ursache kann aber auch eine Quetschung der an der Wirbelsäule austretenden Nerven sein, die wiederum in der Mehrzahl dieser Fälle durch eine Bandscheibenveränderung (Degeneration der Wirbelsäule) bewirkt wird. Dabei steht das vorgefallene Gewebe mit dem Bandscheibeninneren noch im Zusammenhang und kann wieder zurückschlüpfen, so dass in längeren Zeiträumen Rezidive auftreten und wieder abklingen können (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 185. - 250. Aufl., Stichwort: Lumbago und Nucleus-Pulposus-Prolaps). Dass eine Bandscheibenveränderung (medianer Diskusprolaps) irgendwann zu einem Bandscheibenvorfall (Discushernie) führt, liegt im Bereich der medizinischen Erfahrung (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1975, 633ff; vgl. auch Zetkin und Schaldach, aaO).
Nach § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG gilt darüber hinaus ein Umstand im Zweifel dann als erheblich, wenn der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat (vgl. OLG Frankfurt/Main, a.a.O.). Hier wurde der Kläger im Antragsformular unter Ziff. 1.2 wie folgt befragt: "Bestanden in den letzten drei Jahren oder bestehen gegenwärtig Krankheiten, Unfallfolgen, Beschwerden oder sonstige Gesundheitsstörungen?". Dies hat der Kläger mit "nein" angekreuzt. Aus dem Antragsformular war aber ersichtlich, dass der Kläger alle Fragen ausführlich zu beantworten hatte. Es heißt auf Blatt 2 erster Abschnitt des Antragsformulars u. a. wie folgt: "Geben Sie auch Beschwerden, Krankheiten und Unfallfolgen an, die sie als unwesentlich ansehen". Den Lumbagoanfall und seine akute Erkrankung hat der Kläger aber im Formular nicht erwähnt, obwohl die Beklagte ausdrücklich in ihrem Antragsformular die Frage nach Erkrankungen und Beschwerden gestellt hat. Die durch § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG aufgestellte Vermutung der Gefahrerheblichkeit ist zwar widerlegbar, der Kläger hat jedoch keine Umstände dargelegt, die gegen die Vermutung sprechen.
Das Wissen des Zeugen M Sch, der für die H Versicherung tätig gewesen war, muss sich der Versicherer (die Beklagte) nicht zurechnen lassen, weil der Zeuge Sch. nicht Vermittlungsagent der Beklagten gewesen ist. Nur der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent steht bei der Entgegennahme eines Antrages auf Abschluß eines Versicherungsvertrages dem Antragsteller "als das Auge und Ohr des Versicherers gegenüber" (BGHZ 102, 194, 197). "Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden." (BGHZ, aaO). Der glaubhaften und vom Kläger nicht angezweifelten Aussage des Zeugen W. K. ist indes zu entnehmen, dass Sch. nicht Versicherungsagent der Beklagten gewesen ist, auf den die vom BGH zu § 43 Nr. 1 VVG entwickelten Grundsätze zutreffen. Das ist aus der Bekundung des als Versicherungsfachangestellter der Beklagten tätig gewesenen Zeugen K zu schließen: "Anträge auf Abschluss einer Krankenversicherung, die Herr Sch. bei den Kunden aufgenommen hatte, musste ich selbst nochmals durchchecken, ob alles seine Ordnung hatte" (GA 107).
Im übrigen ist der Kläger im Antragsformular deutlich darüber belehrt worden, dass er allein für den Inhalt verantwortlich ist. Drucktechnisch hervorgehoben steht in einem Kasten unmittelbar über der Unterschrift des Klägers:
Sie können Ihre gesetzliche Anzeigeobliegenheit nur durch schriftliche Mitteilungen erfüllen. Bitte prüfen Sie deshalb Ihre schriftlichen Angaben in diesem Antrag auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Vermittler sind zur Entgegennahme mündlicher Erklärungen und Anzeigen (auch hinsichtlich der Gesundheitsfragen) nicht bevollmächtigt; mündliche Auskünfte genügen deshalb nicht!
Der Versicherer hat damit in zulässiger und klar erkennbarer Weise die Empfangsvollmacht des Versicherungsagenten eingeschränkt. Der Vermittler sollte zu keinen verbindlichen Erklärungen über Bedeutung oder Erheblichkeit der Antragsfragen befugt sein (vgl. OLG Bamberg, VersR 1990, 260). Mündliche Erklärungen des Antragstellers sollten ihm gegenüber versicherungsrechtlich unerheblich sein.
Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass dem Zeugen M Sch, von Beruf Fleischer, der "eingeklemmte Nerv" des Klägers bekannt war (GA 100). Dieses Wissen muss sich die Beklagte aber nicht zurechnen lassen. Zum Einen ist der Zeuge M Sch - wie gesagt - nicht als Versicherungsagent der Beklagten tätig geworden. Zum Anderen hätte der Kläger aufgrund der oben wiedergegebenen schriftlichen Erklärung des Versicherers weder den mündlichen Angaben Sch. noch irgendwelchen nebenbei gemachten Äußerungen eines anderen Versicherungsagenten blindlings vertrauen dürfen. Zumal dem Kläger bekannt war, dass nicht Sch, sondern K der maßgebliche Versicherungsagent der Beklagten war.
Der Hinweis im Antragsformular der Beklagten, dass sämtliche Willenserklärungen und Anzeigen gegenüber dem Versicherer der Schriftform bedürfen und der Vermittler zur Entgegennahme mündlicher Erklärungen und Anzeigen nicht bevollmächtigt sei, dürfte wohl eine wirksame Beschränkung der Empfangsvollmacht des Agenten auf schriftliche Erklärungen enthalten (vgl. LG Düsseldorf Urt. 2.12.1994 in RuS 1995, 271 ff mit Anmerkung Sch Seite 273 f). Es ist anerkannt, dass der Versicherungsnehmer im Fall der arglistigen Kollusion mit dem Vermittler nicht den Schutz der §§ 43 Nr. 1 VVG, 166 BGB verdient (vgl. OLG Köln, Urteil vom 13.11.1996 -5 U 6/96- VersR 1998, 351, 352). Auch dann, wenn der Versicherungsagent zu erkennen gibt, er werde die Informationen über Vorerkrankungen des Antragstellers nicht weiterleiten, und damit evident wird, dass er in einer den Interessen zuwiderlaufenden Weise Gebrauch machen wird, kann das Wissen des Vertreters dem Vertretenen nicht zugerechnet werden (OLG Saarbrücken, aaO, unter Hinweis auf BGH, NJW 1994, 2082, 2083). Man könnte hier an ein derartiges kollusives Verhalten denken. Der Kläger hatte nämlich zweimal Gelegenheit, den Antrag auf Abschluss der Krankenversicherung ordnungsgemäß auszufüllen oder seine Angaben zu vervollständigen (im August 1996 sowie im Dezember 1996). Hinzu kommt, dass der Kläger bei der Unterschrift am 10. Dezember 1996 bereits seit Monaten an dem Lumbagoanfall, der Lumboischialgie, litt. Seit Juni 1996 befand er sich in der Injektionsbehandlung des Arztes Dr. med. P L. Dieser hat den Kläger im November 1996 an den Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. B H zur fachärztlichen Behandlung überwiesen (6. November bis 20. Dezember 1996). Dies ergibt sich aus den Schreiben der genannten Ärzte vom 1. Oktober 1997 (GA 83) und vom 2. Oktober 1997 (GA 84) sowie aus dem Auszug aus den Leistungsunterlagen der C. Krankenversicherungs-AG (GA 82).
Ob die oben wiedergegebene formularmäßige Beschränkung der Empfangsvollmacht des Vermittlers mit § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG als nicht mehr vereinbar erscheint - wie Sch (RuS 1995, 273, 274) für ein ähnliches Formular gemeint hat - braucht der Senat im Fall des Klägers nicht zu entscheiden. Unstreitig hat der Kläger dem Versicherungsagenten der Beklagten, dem Zeugen K, überhaupt nichts von der ambulanten Behandlung der Lumbago erzählt. Der Zeuge K hat glaubhaft bekundet, dass ihm das Rückenleiden des Klägers nicht bekannt gewesen sei.
Auch der mit der Berufung geltend gemachte Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten der ärztlichen Behandlung des Bandscheibenvorfalls (Behandlungsbeginn 25. August 1997) zu erstatten, bleibt ohne Erfolg. Es besteht aus diesem Krankheitsfall keine Leistungspflicht der Beklagten. Der Versicherer bleibt zwar zur Leistung verpflichtet, wenn er vom Versicherungsvertrag zurücktritt, nachdem der Versicherungsfall eingetreten ist. Aber dies gilt nur dann, wenn der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat, § 21 VVG. Dass die Lumbago keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat, muss der Kläger darlegen und nachweisen (vgl. dazu etwa Prölss, in Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., Anm. 4 zu § 21 m. w. N.). Der Kläger hat aber nicht schlüssig vorgetragen, dass der Bandscheibenvorfall vom 25. August 1997 in keinerlei Zusammenhang mit der Lumbago vom Juni 1996 bis Ende Dezember 1996 gestanden hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, weil weder der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch die Entscheidung auf einer Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtssprechung beruht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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