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Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 02.06.2009
Aktenzeichen: 8 WF 122/09
Rechtsgebiete: BRAGO, VV RVG, BGB
Vorschriften:
BRAGO § 118 Abs. 2 S. 1 | |
VV RVG Nr. 2300 | |
VV RVG Nr. 3100 | |
BGB § 164 Abs. 1 |
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
In der Familiensache
hat der 8. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Bisping als Einzelrichter am 02. Juni 2009 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Haldensleben vom 12. Februar 2009 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 30. April 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert beträgt EUR 406,86.
Gründe:
I.
Die Parteien haben am 14. Mai 1999 geheiratet. Am 30. April 2008 hat der Antragsteller einen Ehescheidungsantrag anhängig gemacht.
Der Antragsteller hatte über seinen Prozessbevollmächtigten schon vorgerichtlich mit der Rechtsanwältin - und Prozessbevollmächtigten - der Antragsgegnerin korrespondiert. Aus diesem Grunde konnte der Antragsteller mit der Antragsschrift auch die Ablichtung einer Urkunde vom 07. Januar 2008 zu den Akten reichen, nach der die Antragsgegnerin - zu ihrer Vertretung nach außen hin - ihrer Rechtsanwältin vorgerichtlich eine Vollmacht "wegen Scheidung und Folgesachen" sowie zur "Antragstellung" in einem entsprechenden gerichtlichen Verfahren erteilt hat (§ 164 Abs. 1 BGB). Welchen Inhalt der - für das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant maßgebende - Auftrag (§§ 662 ff. BGB) der Rechtsanwältin der Antragsgegnerin vorgerichtlich hatte, ist streitig.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. August 2008 wies das Familiengericht den Scheidungsantrag auf Kosten des Antragstellers ab und setzte den Streitwert auf EUR 10.407 fest (Ehesache: EUR 9.407; Versorgungsausgleich: EUR 1.000; §§ 46 ff. GKG). Außer der Folgesache Versorgungsausgleich wurden keine Folgesachen im gerichtlichen Verfahren anhängig.
Im Anschluss an das Urteil hat die Rechtsanwältin der obsiegenden Antragsgegnerin am 02. September 2008 einen Kostenfestsetzungsantrag eingereicht, mit dem sie namens und in Vollmacht ihrer Mandantin unter anderem die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr (d. s. EUR 683,80; Nr. 3100 VV RVG) zzgl. anteiliger Umsatzsteuer gegen den Antragsteller begehrt hat.
Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat das Familiengericht die Verfahrensgebühr um 0,65 (d. s. EUR 341,90 zzgl. anteiliger Umsatzsteuer) gekürzt, und zwar mit der Begründung, dass auf die im gerichtlichen Verfahren verdiente Verfahrensgebühr der Rechtsanwältin der Antragsgegnerin deren vorgerichtlich verdiente Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) zur Hälfte anzurechnen sei. Gegen diese Kürzung ihres Kostenerstattungsanspruchs wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss (§ 104 Abs. 4 i.V.m. §§ 567 ff. ZPO) ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet:
1. Nach neuem Recht kommt nicht mehr eine Anrechnung der im gerichtlichen Verfahren entstandenen Gebühren auf eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr (§ 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO), sondern - umgekehrt - nur noch eine (hälftige) Anrechnung der vorgerichtlich verdienten Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) in Betracht. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der Bestimmung zu Nr. 3 Abs. 4 der Vorbemerkung vor Nr. 3100 VV RVG. Demnach wird nicht mehr die Geschäftsgebühr, sondern nur noch die - im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Prozessgegner festsetzungsfähige - Verfahrensgebühr gekürzt (BGH, NJW 2008, 1323 ff. m.w.N.). Dabei wird die vorgerichtlich verdiente Geschäftsgebühr "zur Hälfte" auf die im gerichtlichen Verfahren verdiente Verfahrensgebühr angerechnet. Voraussetzung ist allerdings, dass der "Gegenstand" der Geschäftsgebühr und der Verfahrensgebühr "derselbe" gewesen ist (Nr. 3 Abs. 4 der Vorbemerkung vor Nr. 3100 VV RVG). Beruft sich die mit den Kosten des Rechtsstreits belastete unterlegene Prozesspartei darauf, trägt sie insoweit - im Kostenfestsetzungsverfahren - die Darlegungs- und Beweislast (BGH a.a.O.).
2. Der Antragsteller hat zwar mit seinem Ehescheidungsantrag vom 30. April 2008 die Vollmachtsurkunde vorgelegt, welche die Antragsgegnerin ihrer Rechtsanwältin ausgestellt hat. Demnach hat die Antragsgegnerin ihre Rechtsanwältin vorgerichtlich - nach außen hin - in der Scheidungssache und in der Folgesache Versorgungsausgleich bevollmächtigt (§ 164 Abs. 1 BGB). Die Scheidungssache und die Folgesache Versorgungsausgleich waren auch Gegenstand des anschließenden gerichtlichen Verfahrens. Insoweit besteht mithin eine Identität des Gebührengegenstands. Dies bestreitet die Antragsgegnerin auch nicht. Sie bestreitet aber, ihrer Rechtsanwältin schon vorgerichtlich den Auftrag (§§ 662 ff. BGB) erteilt zu haben, auch in der Scheidungssache und in der Folgesache Versorgungsausgleich tätig zu werden; ihre Rechtsanwältin habe vorgerichtlich lediglich den Auftrag zur außergerichtlichen Regelung sonstiger materieller Scheidungsfolgen gehabt, die nicht "Gegenstand" des anschließenden gerichtlichen Verfahrens geworden seien.
Dieses Bestreiten ist erheblich. Denn was "Gegenstand" einer vorgerichtlich verdienten Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) ist, richtet sich - abweichend von der Ansicht des Antragstellers - nicht nach der erteilten Vollmacht (§ 164 Abs. 1 BGB), sondern nach dem Inhalt des erteilten Auftrags (§§ 662 ff. BGB). Nicht die für das Außenverhältnis maßgebende Vollmacht, sondern der für das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant maßgebende Auftrag ist für die Entstehung der Geschäftsgebühr entscheidend, zumal die Geschäftsgebühr auch dann entstehen kann, wenn der Rechtsanwalt nicht nach außen tätig wird (so schon Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 15. Auflage, vor § 118 Rn 5 m.w.N. auf die höchstrichterliche Rspr.). Die Geschäftsgebühr entsteht immer nur insoweit, wie der Rechtsanwalt auf Grund eines ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags außergerichtlich eine "Tätigkeit" entfaltet (Nr. 2300 VV RVG).
Scheidungs- und Scheidungsfolgesachen haben nicht "denselben Gegenstand", sondern die Gegenstandswerte werden, wie sich aus den Bestimmungen zu §§ 46 ff. GKG ergibt, getrennt ermittelt und addiert. Der Antragsteller hat mithin - ggf. durch Vorlage der vorgerichtlichen Korrespondenz - darzulegen und zu beweisen, dass die Antragsgegnerin ihrer Rechtsanwältin schon vorgerichtlich den Auftrag erhalten hat, auch in der Scheidungssache und in der Folgesache Versorgungsausgleich tätig zu werden (vgl. BGH a.a.O., S. 2050). Nur soweit die Rechtsanwältin vorgerichtlich einen derartigen, ihr erteilten Auftrag ausgeführt hat, ist nach dem Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 eine Geschäftsgebühr entstanden (Nr. 2300 VV RVG), die nach Nr. 3 Abs. 4 der Vorbemerkung vor Nr. 3100 VV RVG zur Hälfte auf die im gerichtlichen Verfahren verdiente Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Bleibt der Antragsteller darlegungs- und beweisfällig, kommt eine Kürzung der mit dem Kostenfestsetzungsantrag der Antragsgegnerin geltend gemachten Verfahrensgebühr nicht in Betracht.
3. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 30. Mai 2009 vorgetragen, vor der Anhängigkeit des gerichtlichen Verfahrens von der Rechtsanwältin der Antragsgegnerin ein Schreiben vom 16. Januar 2008 erhalten zu haben, in dem die Rechtsanwältin der Antragsgegnerin ausgeführt habe, eine einvernehmliche Ehescheidung liege "auch" im "Interesse ihrer Partei". Dieses vorgerichtliche Schreiben hat der Antragsteller bislang noch nicht zu den Akten gereicht. Dazu wird ihm das Familiengericht Gelegenheit zu geben haben. Denn mit der Vorlage des Schreibens kann der Antragsteller das vorgerichtliche Entstehen einer Geschäftsgebühr nach dem Wert des Scheidungsverfahrens beweisen. Die vorgerichtliche Entstehung einer Geschäftsgebühr für die Folgesache Versorgungsausgleich wäre damit freilich noch nicht nachgewiesen. Insoweit wird das Familiengericht dem Antragsteller Gelegenheit zur Vervollständigung seines Vortrags geben müssen.
Ende der Entscheidung
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