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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 14.10.1999
Aktenzeichen: 1 U 121/98
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 823 Abs. 1 | |
BGB § 847 | |
BGB § 831 |
OLG Oldenburg
Urteil
14.10.1999
1 U 121/98 8 O 1054/98 LG Oldenburg
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 07. Oktober 1999 durch die Richter Dr. Kodde und Dr. Herde sowie die Richterin Hartlage-Stewes für Recht erkannt: ...
Gründe:
Die Klägerin, die an Morbus Alzheimer erkrankt ist, nimmt den Beklagten wegen unzureichender Pflege in dessen Pflegeheim in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin unterzeichnete ... für die Klägerin einen Pflegeheimvertrag mit dem Beklagten. ... Aufgrund der bei der Klägerin bestehenden senilen Demenz mit einem depressiven Erscheinungsbild war und ist die Klägerin verbal wie auch schriftlich nicht zu verständlichen Äußerungen in der Lage.
Am 21. 01. 1998 überwies der die Klägerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin Dr. S. die Klägerin zur stationären Behandlung in das St.-Hospital. ... Bei der Aufnahme der Klägerin im St-Hospital wurde am Steiß ein Dekubitus des 4. Grades mit Nekrosen zur Größe von 10 cm mal 5 cm festgestellt. ... Aus dem Operationsbericht vom 29. 01. 1998 ergibt sich, daß die bei der Klägerin vorhandenen Nekrosen aus der Tiefe mit einem scharfen Löffel sowie einer Schere entfernt worden sind, wobei sich ein Teil des Steißbeins, welches sich auch bereits in Destruktion befand, mit entfernt werden mußte. Außerdem wurde bei der Klägerin ein Anus praeter angelegt, um zu verhindern, daß die Analausscheidungen die Wunde des Dekubitus verschmutzten und sie sich entzündete. Die Klägerin blieb bis zum 06. 03. 1998 in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Die Wunde ist bis heute nicht endgültig verheilt. Im Steißbeinbereich der Klägerin befindet sich seitdem eine deutliche Eindellung.
Im vorliegenden Verfahren verlangt die Klägerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes
Der Beklagte hat behauptet, bis zu ihrer Einweisung ins Krankenhaus am 21. 01. 1998 sei bei ihr kein Dekubitus festgestellt worden. Die Einweisung sei auch nicht wegen eines Dekubitus erfolgt, sondern um eine Magensonde zur künstlichen Ernährung der Klägerin zu legen.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000,00 DM verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin wie auch der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen das nach ihrer Ansicht zu niedrige Schmerzensgeld. Infolge des Dekubitus sei eine Rückverlegung des Anus praeter auf Dauer angeschlossen; im Pflegeheim ... müßten jetzt ihre Hände fixiert werden, um sie daran zu hindern, den Kunststoffbeutel am künstlichen Darmausgang abzureißen.
Im Berufungsverfahren macht der Beklagte nicht mehr geltend, bei der Klägerin sei während ihrer Anwesenheit in seinem Heim kein Dekubitus festgestellt worden. Er behauptet jetzt, es habe sich um einen unter der Haut liegenden Dekubitus gehandelt, der sich erst im letzten Stadium und dann innerhalb von wenigen Tagen derart entwickle, daß er sichtbar werde. ... Im übrigen trägt er erstmals vor, bei der Klägerin hätten seine Pflegekräfte im Zeitpunkt ihrer Rückkehr aus dem Landeskrankenhaus W. am 19. 11. 1997 einen 3 bis 4 cm langen, oberflächlichen Hautriß zwischen den Gesäßbacken festgestellt. Dieser Riß sei etwa ein Millimeter tief gewesen, das Umfeld nicht gerötet. In der Folgezeit sei die Wunde mit Panthenol-Salben-Läppchen von den Pflegekräften behandelt worden. Anfang Dezember 1997 habe man die Klägerin wegen dieses nicht abheilenden Risses dem Arzt Dr. S. vorgestellt. Dr. S. habe in Bezug auf den Riß die Behandlung mit Mirfulan-Salben-Läppchen empfohlen. Diese Medikamentation sei in der Folgezeit durchgeführt worden. Etwa ab dem 10. 01. 1998 habe sich die Haut um den Riß herum in der Größe eines Fünf-Mark-Stückes leicht gerötet und der Riß zu einer Breite von knapp 2 Millimetern gespreizt. Sie hätten die Behandlung des Risses fortgesetzt und eine erforderliche Dekubitus-Prophylaxe betrieben. Bis etwa Mitte Januar 1998 habe ein ernstzunehmender Befund eines Dekubitus nicht vorgelegen. Am 17. 01. 1998 habe der Riß begonnen sich zu vertiefen und zu verspreizen. Ab dem 20. 01. 1998 sei zudem eine Blaufärbung der ursprünglich rötlich gefärbten Umgebung des Risses hinzugekommen. Da die Klägerin ab dem 21. 01. 1998 eine erhöhte Temperatur gehabt habe, habe Dr. S. angeordnet "Infusion, Katheter, Intensive Dekubitusbehandlung, eventuell Nekrosenabtragung durch Dr. R.". Weil das Anlegen des Katheters mißlungen sei, habe sich Dr. S. dann für die Einweisung der Klägerin in die stationäre Behandlung entschieden, wobei vorgesehen worden sei, den Dekubitus zugleich mitzubehandeln.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 35.000 DM gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB i. V. m. 831 BGB.
Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme bestand bei der Klägerin zumindest seit dem Zeitpunkt ihrer Rückverlegung vom Landeskrankenhaus W. in das Pflegeheim des Beklagten am 19. 11. 1997 ein Dekubitus 2. Grades. Dieser Dekubitus hat sich auf Grund grober Pflegefehler im Heim des Beklagten zu einem Dekubitalgeschwür 4. Grades mit Nekrosen zur Größe von 10 mal 5 cm entwickelt, weshalb die operative Entfernung der Nekrosen sowie die Anlegung eines Anus Praeter am 29. 1. 1998 erforderlich geworden ist. Dies ergibt sich aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen M. ...
Der Sachverständige hat ausgeführt, eine fachgerechte Behandlung hätte hier den schweren Verlauf vermeiden können. ...
Dieser Einschätzung hat sich, der Senat angeschlossen. Die Behandlung der Klägerin im Heim des Beklagten verstößt auch nach der Ansicht des Senats eindeutig gegen bewährte Pflegebehandlungsregeln und ist deshalb ein Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Pfleger schlechterdings nicht unterlaufen darf. Das Pflegepersonal hat zu spät den Dekubitus erkannt, die Klägerin nicht einem Arzt vorgestellt und geeignete Maßnahmen (Dekubitusprophylaxe) nicht durchgeführt. Deshalb greifen für die Frage der Kausalität zwischen dem Pflegefehler und der Entwicklung des Dekubitus 2. zu einem 4. Grades zudem die Regeln über Beweiserleichterungen ein, die generell im Fall von grob behandlungsfehlerhaften Verhaltens anzuwenden sind (BGH NJW 1998, 1780, 1781). ...
Der Senat hielt unter Berücksichtigung aller Umstände die Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 35.000 DM für angemessen. Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Schmerzengeldes war zu berücksichtigen, daß die Klägerin dem Beklagten besonderes Vertrauen entgegengebracht hat; sie war ihm und seinen Mitarbeiterinnen zur Pflege anvertraut und auf die Sorgfalt des Personals angewiesen. Die Klägerin konnte sich wegen ihres Zustandes weder wehren noch Hilfe verlangen. Dadurch ist das entgegengebrachte Vertrauen mißbraucht und enttäuscht worden Das Fehlverhalten wiegt vor diesem Hintergrund besonders schwer und bedarf einer deutlichen Genugtuung.
Im Rahmen der Ausgleichsfunktion fiel schmerzensgelderhöhend ins Gewicht, daß die Klägerin immerhin 2 Monate an dem Dekubitus gelitten hat, ein stationärer Krankenhausaufenthalt von rund 6 Wochen sowie ein operatives Entfernen der Nekrosen wie auch das Anlegen des künstlichen Darmausgangs und eine Nachoperation erforderlich geworden ist. Eine Rückverlegung des Praeter Anus ist auf Dauer als medizinisch nicht angeraten auszuschließen, weshalb die heute 65-jährige Klägerin für den Rest ihres Lebens den künstlichen Darmausgang haben wird. In der Folge muß die Klägerin überdies wegen ihres M. Alzheimer insbesondere nachts durch ein Fixieren ihrer Hände, das der Senat nach den Umständen ohne weiteres für glaubhaft hält, daran gehindert werden, den Beutel an ihrem künstlichen Darmausgang abzureißen, was bei der grundsätzlich bestehenden Unruhe von Alzheimer Patienten für die Klägerin besonders belastend ist. Nicht zuletzt hat sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes auch das Verhalten des Beklagten, der im Prozeß bewußt falsch vorgetragen hat, ausgewirkt.
Schmerzensgeldmindernd hat der Senat berücksichtigt, daß die Lebensqualität der an Morbus Alzheimer leidenden Klägerin bereits zuvor durch diese Krankheit stark eingeschränkt war, wenn auch hingegen wegen dieser Krankheit die Fähigkeit der Klägerin die ihr infolge der Pflegefehler zugefügten Schmerzen und Bewegungsbehinderungen wahrzunehmen nicht eingeschränkt war, allerdings sie diese infolge des M. Alzheimer "sofort vergessen" hat.
Ende der Entscheidung
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