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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 371/08
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 253 Abs. 1 |
Oberlandesgericht Oldenburg 1. Strafsenat Beschluss
In der Strafsache gegen
wegen Verdachts der versuchten Erpressung u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 17. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 2. Juni 2008 aufgehoben.
Das Landgericht Oldenburg ist örtlich zuständig.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 7. März 2008 wird, soweit dem Angeschuldigten H...X... der Versuch einer Erpressung zur Last gelegt wird, zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor einer anderen großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg eröffnet.
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 7. März 2008 hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Angeschuldigten zur großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg wegen in O..., A... und anderenorts in der Zeit vom 2. Februar 2006 bis zum 27. September 2007 begangener Straftaten angeklagt.
Die Angeschuldigte S... X... ist einer Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit ordnungswidriger Offenbarung personenbezogener Daten (§ 29 NDSG) angeklagt, begangen durch Gewähren von Einsicht in die Akte des gegen Herrn D... Z... bei der Staatsanwaltschaft Aurich geführten Ermittlungsverfahrens und durch Überlassen von Informationen und Aktenbestandteilen daraus an ihren Ehemann, den Angeschuldigten zu 1).
Diesem und dem Angeschuldigten Y... wird in der Anklage zur Last gelegt, mittels der so erlangten Kenntnisse bis zum 27. September 2007 gemeinschaftlich versucht zu haben, Herrn Z... zu erpressen (§ 253 Abs. 1 bis 3. 22. 23 StGB) und tateinheitlich damit in Bereicherungsabsicht nicht allgemein zugängliche personenbezogene Daten unbefugt übermittelt und genutzt zu haben (§ 28 Abs. 1 NDSG), indem sie von Herrn Z... eine Zahlung von 5.000 € und den Abschluss eines Beratervertrages mit einer regelmäßigen monatlichen Zahlung von 500 € zzgl. Mehrwertsteuer unter Hinweis darauf forderten, im Falle der Zahlung eine umgehende Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO zu bewirken, das andernfalls zum Schaden des Unternehmens von Herrn Z... - auch durch Einschaltung der Steuerfahndung und Beschlagnahme betriebswichtiger Unterlagen - fortgeführt werde.
Dem gegen Herrn Z... wegen Betruges und Urkundenfälschung geführten Ermittlungsverfahren lag der Verdacht zugrunde, er habe Kunden der von ihm geführten Z... Stahl und Anlagentechnik GmbH - auch durch Vorlage einer gefälschten Bescheinigung - wahrheitswidrig vorgetäuscht, dass die für die in Auftrag gegebenen Stahlbauarbeiten zwingend erforderliche fachliche Herstellerqualifikation für Schweißarbeiten vorläge. ferner bestand der Verdacht, Herr Z... habe vertragswidrig eine minderwertige Stahlsorte einbauen lassen. Herr Z... ließ die Vorwürfe durch seinen Verteidiger abstreiten. Der Z... GmbH war nach dessen Angabe durch das Ermittlungsverfahren und die - mit Namensnennung - darüber erfolgte Presseberichterstattung ein sehr großer wirtschaftlicher Schaden entstanden. Zwei sichere Aufträge mit einem Volumen von über 1 Million € seien wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht erteilt worden. Ferner habe der wichtigste Auftraggeber aufgrund der laufenden Ermittlungen zurzeit von der Erteilung weiterer Aufträge Abstand genommen. aufgrund des Vertragseinbruchs hätten bereits Angestellte entlassen werden müssen. weitere Entlassungen stünden an.
Neben der versuchten Erpressung legt die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten H...X... und Y... in der Anklage vom 7. März 2008 ferner zur Last, Anfang 2006 gemeinsam einen Betrug (§ 263 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 StGB) zum Schaden von Herrn Jörg Heinrich begangen zu haben, indem sie diesen durch Vortäuschen von Rückzahlungsfähgkeit und -willigkeit und Verheimlichen ihrer schlechten Vermögensverhältnisse zur Gewährung eines - vom Angeschuldigten Y... verbürgten - Darlehns in Höhe von 100.000 € an den Angeschuldigten X... veranlassten, welches vertragsgemäß am 1. Januar 2007 zurückzuzahlen war, tatsächlich aber nie zurückgezahlt wurde.
Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe und des Ermittlungsergebnisses wird auf die Anklageschrift vom 7. März 2008, die dort bezeichneten Beweismittel und den Inhalt der Ermittlungsakte Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2008 hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Oldenburg die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, soweit dem Angeschuldigten H...X... der Versuch einer Erpressung zur Last gelegt wird. Zugleich hat sich das Landgericht für im Übrigen örtlich unzuständig erklärt.
Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, das dem Angeschuldigten H...X... zur Last gelegte Verhalten erfülle nicht den Straftatbestand der versuchten Erpressung. Denn mit der bloßen Ankündigung, bei Nichtzahlung der geforderten Beträge nicht für eine Verfahrenseinstellung zu sorgen, sei nur in Aussicht gestellt worden, den Dingen dann ihren Lauf zu lassen. Da mithin keine Verschlechterung der gegebenen Umstände angekündigt worden sei, fehle es insoweit an einer Drohung mit einem Übel im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB. Soweit den Angeschuldigten X... und Y... auch zur Last gelegt werde, für den Fall der Nichtzahlung auch mit einer Verschärfung des Ermittlungsverfahrens durch Einschalten der Steuerfahndung etc. gedroht zu haben, fehle es an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten hierfür, namentlich in Bezug auf einen dahingehenden Tätervorsatz des Angeschuldigten X....
Die Verneinung der örtlichen Zuständigkeit für die übrigen angeklagten Taten hat das Landgericht damit begründet, dass hierfür nach dem Entfallen des Verdachts einer versuchten Erpressung durch den Angeschuldigten H...X..., die als einzige der angeklagten Taten - allenfalls - auch im Gerichtsbezirk des Landgerichts Oldenburg begangen worden sei, kein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Oldenburg verbleibe.
Gegen den Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde und gegen die die örtliche Unzuständigkeitserklärung des Landgerichts Beschwerde eingelegt. Beide Rechtsmittel sind zulässig und begründet.
Der Angeschuldigte H...X... ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten versuchten Erpressung in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Maße hinreichend verdächtig, § 203 StPO.
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob - wofür allerdings einiges spricht - die von der Anklage angenommene Drohung mit einer zum Nachteil von Herrn Z... besonders verschärften Art und Weise der Fortführung des Ermittlungsverfahrens (s. o.) wahrscheinlich bewiesen werden kann. Dies kann für die hier zu treffende Entscheidung offen bleiben. Denn entgegen der Ansicht des Landgerichts war auch bereits die - nach dem Ermittlungsergebnis mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in einer Hauptverhandlung beweisbare - beiden Angeschuldigten als Mittäter zuzurechnende Ankündigung, bei Zahlung des Verlangten durch Herrn Z... werde man eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens bewirken, andernfalls nicht, eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des Erpressungstatbestandes.
Bei einem derartigen Drohen mit einem Unterlassen ist nach der von der Literatur weithin geteilten (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 240 Rdn. 20 u. die dortigen Nachweise) Rechtsprechung des BGH darauf abzustellen, ob tatsächlich oder nach den Befürchtungen des Bedrohten die Herbeiführung oder Verhinderung des angedrohten Nachteils in der Macht des Täters steht, ob das in Aussicht gestellte Übel so erheblich ist, dass nicht erwartet werden kann, der Adressat werde der Drohung unter den konkret gegebenen Umständen in besonnener Selbstbehauptung standhalten, und ob die Verquickung von Mittel und Zweck als verwerflich zu bewerten ist, vgl. BGHSt 31, 195 (201).
Diese Voraussetzungen sind hier nach dem Ergebnis der Ermittlungen erfüllt. Die Verwerflichkeit der Verquickung einer eigennützigen Geldforderung mit der Ankündigung, nur im Falle der Zahlung die Einstellung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens zu bewirken, ist offenkundig. Auch die Möglichkeit des Angeschuldigten X..., eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens und damit eine Beendigung des darin liegenden zunehmenden Übels zu bewirken, war jedenfalls aus der Sicht von Herrn Z..., nach dem aus dem Akteninhalt erkennbaren Maß der Beeinflussung der Diensttätigkeit der angeschuldigten Staatsanwältin S... X... durch ihren Ehemann mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auch tatsächlich gegeben. Schließlich konnte von Herrn Z... auch nicht erwartet werden, dem in Aussicht gestellten Übel standzuhalten. Denn schon die Einleitung des Ermittlungsverfahrens hatte schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile für sein Unternehmen gebracht. Diese verschlimmerten sich nach den Presseveröffentlichungen schon durch den bloßen Zeitablauf immer mehr, weil vor Klärung des strafrechtlichen Vorwurfs, der die Qualität der Leistungen des von ihm geführten Unternehmens betraf, von seinen Kunden bedeutende Aufträge zurückgehalten wurden und das Unternehmen zunehmend in Existenznot geriet.
Insbesondere diesen zuletzt genannten Umstand hat das Landgericht nicht ausreichend gewürdigt. Herr Z... war gerade nicht nur vor die Wahl zwischen dem Beibehalten des status quo oder dem Ergreifen einer zusätzlichen Handlungsalternative gestellt worden. Ihm drohte vielmehr durch das - von dem Verhalten der Angeschuldigten abhängige - Fortführen des Ermittlungsverfahrens ein sich kontinuierlich vergrößernder schwerer wirtschaftlicher Schaden, worin ein empfindliches Übel im Sinne des Erpressungstatbestandes liegt, vgl. StGB Leipziger Kommentar, 11. Aufl., § 240 Rdn. 64. Den Angeschuldigten war nach dem Ermittlungsergebnis die sich zuspitzende wirtschaftliche Bedrohung von Herrn Z... bewusst. sie war sozusagen das Fundament ihres Tatplans.
Soweit das Landgericht für seine abweichende Ansicht unter Berufen auf die in BGHSt 44, 68 (75) und BGHSt 44, 251 (255) veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf abstellt, dass es kein strafrechtlich relevantes Androhen eines Übels sei, wenn der Adressat vor die Wahl gestellt werde, sich eine erwünschte, erhoffte oder angestrebte Verbesserung der Umstände zu erkaufen, oder es bei dem bestehenden Zustand zu belassen, erfasst das Landgericht nicht vollständig den Sachverhalt (s. o.), aber auch nicht den Inhalt der angeführten Entscheidungen des BGH. Dieser hat in dem zuerst zitierten Beschluss das vom Landgericht Angeführte lediglich als eine in der Literatur vertretene Ansicht referiert und sich dieser ausdrücklich nicht angeschlossen, und zwar gerade in Hinblick auf Fallgestaltungen, bei denen die Fortdauer eines Übels für den Adressaten ein besonderes, dem Eintritt eines neuen Übels gleichwertiges Gewicht erlangt. Eben dies ist aber hier der Fall in Gestalt des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens und seiner zunehmend schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen (s. o.). Die zweite vom Landgericht angeführte Entscheidung des BGH betrifft eine mit der vorliegenden nicht vergleichbare Sachlage, nämlich das bloße Drohen mit dem Abbruch von Geschäftsbeziehungen bei Nichtzahlen von "Schmiergeldern". Im Übrigen hat der BGH selbst für diese Fallkonstellation einer Einschränkung des Erpressungstatbestandes die Anerkennung versagt, wenn der Adressat der Drohung bei Nichteingehen auf den Täterwunsch in existentielle wirtschaftliche Not gerät, wovon im vorliegenden Fall nach dem Ermittlungsergebnis indessen auszugehen ist.
Da hiernach auch die sonstigen Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen einer versuchten Erpressung im Sinne der Anklage vorliegen, ist der Angeschuldigte H...X... entgegen der Annahme des Landgerichts insoweit in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO rechtfertigenden Maß hinreichend verdächtig.
Der angefochtene Beschluss kann auch insoweit keinen Bestand haben, als sich das Landgericht Oldenburg darin für örtlich unzuständig erklärt hat. Denn bei diesem Gericht ist ein Gerichtsstand nach § 7 Abs. 1 StPO i. V. m. § 9 StGB begründet, weil in O... eine Tathandlung der versuchten Erpressung begangen wurde. Der Angeschuldigte X... telefonierte am 18. und am 20. September 2007 von seinem Diensttelefon im Oberlandesgericht Oldenburg mit dem Mitangeschuldigten Y.... Dabei wurden u. a. die Verteilung des Taterlöses und die weitere Abwicklung der Tat besprochen (Band I Bl. 98 und 106). Darin liegt bei einer mittäterschaftlich begangenen Straftat, wie sie hier in Rede steht, eine Tathandlung. Aus der mithin für die angeklagte versuchte Erpressung gegebenen örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Oldenburg folgte wegen Zusammenhangs gemäß § 13 Abs. 1 StPO auch dessen Zuständigkeit für die übrigen angeklagten Taten.
Nach alledem war auf die Rechtmittel der Staatsanwaltschaft der angefochtene Beschluss aufzuheben, das Landgericht Oldenburg für örtlich zuständig zu erklären, die Anklage im Anklagepunkt I 1. a. zuzulassen und das Hauptverfahren insoweit zu eröffnen. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens in den übrigen Anklagepunkten kann der Senat nicht entscheiden, weil er als Beschwerdegericht nur mit der Ablehnung der Eröffnung in dem einen Anklagepunkt befasst ist. Insoweit wird das Landgericht nunmehr eine Entscheidung zu treffen haben.
Der Senat hat von § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht und das Hauptverfahren vor einer anderen großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg eröffnet. Über den Nichteröffnungsbeschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg ist in den Medien ausführlich berichtet worden. Dies ist auf große Resonanz in der Öffentlichkeit gestoßen, weil das Verfahren den Verdacht einer schwerwiegenden Korruption in der deutschen Justiz betrifft. Auch am Ergebnis des Strafverfahrens besteht deshalb ein besonders intensives öffentliches Interesse. Dass sich die erkennenden Richter deshalb in dieser Sache in einem besonderen Maße der öffentlichen Wahrnehmung stellen müssen, lässt es nicht gänzlich ausgeschlossen erscheinen, dass die bisher mit der Sache befassten Richter unbewusst dazu tendieren könnten, ihre Nichteröffnungsentscheidung im weiteren Verfahrensablauf vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen und die Gründe, die zu Aufhebung ihrer Entscheidung durch den Senat führen, innerlich nicht zu akzeptieren bzw. nicht unbefangen zu berücksichtigen, vgl. BVerfG Beschluss vom 13. Juni 1993, Aktz. 2 BvR 848/93, und BVerfG StV 2000, 537.
Ende der Entscheidung
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