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Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Urteil verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: 12 UF 125/05
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB
Vorschriften:
BGB § 1566 | |
EGBGB Art. 6 | |
EGBGB Art. 17 |
Der Zwang, an einer sog. "Get-Scheidung" in Israel mitzuwirken ist unvereinbar mit dem deutschen ordre public.
Oberlandesgericht Oldenburg Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 07.03.2006
In der Familiensache
hat der 12. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... , Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Nordhorn vom 12.09.2005 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Die 1956 geborene Antragstellerin und der 1945 geborene Antragsgegner sind deutsche Staatsangehörige. Sie haben 1979 vor dem Rabbiner in N ... (Israel) die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind zwei 1982 bzw. 1987 geborene Söhne hervorgegangen. Die Parteien hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland in der Gemeinde Ne .... Seit 1994 lebt die Antragstellerin mit den Söhnen in Israel, der Antragsgegner lebt weiterhin in Deutschland.
Die Antragstellerin hat am 24.06.1998 beim Amtsgericht - Familiengericht - Nordhorn einen Antrag auf Scheidung der Ehe und Übertragung der elterlichen Sorge für die aus der Ehe hervorgegangen Söhne eingereicht, der dem Antragsgegner am 2.07.1998. zugestellt worden ist. Mit einem der Antragstellerin am 15.07.1998 zugestellten Schriftsatz hat der Antragsgegner seinerseits beantragt, die Ehe zu scheiden.
Nachdem bereits im Termin vom 27. September 2004 die Frage eines vor Rechtshängigkeit dieses Verfahrens in Israel eingeleiteten Scheidungsverfahrens erörtert worden war, hat die Antragstellerin im Termin vom 7.03.2005 vorgetragen, dass ein solches in Israel anhängig sei. Hierzu hat sie später eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, wonach sie im Jahre 1996 einen Scheidungsantrag beim Rabbinatsgericht gestellt habe. Ihr sei angeraten worden, diesen Antrag zurückzustellen bzw. zu verschieben, bis sich ihr Ehemann in Israel aufhalte. Über ihre Verfahrensbevollmächtigte hat sie weiter ausgeführt, dass der Antragsgegner diesem Antrag nicht zugestimmt und das Rabbinatsgericht daraufhin aufgrund ihres Antrags eine Friedensverhandlung zur Versöhnung der Ehe eingeleitet habe. Sie selbst sehe die Ehe als gescheitert an, wolle aber aufgrund ihres ersten Scheidungsantrags durch ein israelisches Gericht geschieden werden.
Der Beklagte hat vorgebracht, dass in Israel kein Scheidungsantrag, sondern im Jahr 1999 ein Antrag auf Aussöhnung gestellt worden sei.
Nach persönlicher Anhörung des Antragsgegners hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nordhorn durch das am 12.09.2005 verkündete Urteil die Ehe vorab geschieden. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine anderweitige Rechtshängigkeit nicht festgestellt werden könne. Im Hinblick auf die mehr als 3jährige Trennungszeit sei die Ehe zu scheiden. Eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich erfolge zur Zeit nicht, weil die Antragstellerin nicht an der Aufklärung der bestehenden Rentenanwartschaften mitgewirkt habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Antragstellerin.
Sie macht geltend, dass das Scheidungsverfahren unzulässig sei, weil seit 1996 ein Scheidungsantrag beim regionalen rabbinischen Gerichtshof in T ... rechtshängig sei. Hierzu legt sie einen mit einer Apostille versehenen "Entscheid" dieses Gerichtshofs vom 02. Oktober 2005 vor, in dem es u.a. heißt:
"Der Gerichtshof erklärt hiermit, dass ein Brand im Archiv des Gerichtshofes stattgefunden hat und die Akten vom Jahre 5756 (1996) vor etwa einem halben Jahr verbrannt sind.
Deshalb besteht keine Möglichkeit die Sache nach den Akten des Gerichtshofs zu beweisen, jedoch wurden dem Gerichtshof Aussagen vorgelegt, welche der Akte zugeführt wurden. Diesen Aussagen nach wurde dem Gerichtshof am 7. Tamuz 5756 (24/6/1996) ein Scheidungsantrag durch Frau E ... M ... gegenüber ihrem Ehemann M ... A ... vorgelegt.
Wir besitzen keine Eintragung über die Vollendung des Verfahrens, deshalb muss davon ausgegangen werden dass das Scheidungsverfahren zwischen dem Ehepaar sich vor dem Gerichtshof befindet, Ende der Einreichung der Klage 24.06.1996."
Zu dem auf diesen Scheidungsantrag anberaumten Termin sei der Antragsgegner nicht erschienen und das Verfahren aufgrund seiner fehlenden Zustimmung zu der Scheidung in ein Sühneverfahren übergeleitet worden. Der Antragsgegner sei 1999 vorübergehend in Israel gewesen, habe das Land aber trotz eines gegen ihn gerichtlich verhängten Ausreiseverbots wieder verlassen. Sie selbst wolle nach israelischem Recht geschieden werden, weil eine Scheidung nach deutschem Recht bei einer religiös geschlossenen Ehe in Israel nicht anerkannt werde.
Die Antragstellerin beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 12.09.2005 zu ändern und den Scheidungsantrag abzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Weitere tatsächliche Feststellungen hat der Senat nicht getroffen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Auf den zulässigen Scheidungsantrag des Antragsgegners ist die Ehe zu scheiden, weil sie gescheitert ist.
Der Scheidungsantrag ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Nordhorn folgt aus § 606 a Nr. 1 ZPO, da beide Ehegatten Deutsche sind. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich gemäß § 606 Abs. 2 S. 1 ZPO nach dem letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eheleute in der Gemeinde Ne ... . Dort hatte der Antragsgegner auch noch bei Zustellung des Antrags gelebt.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, dass dieses Scheidungsverfahren aufgrund eines bereits zuvor in Israel anhängig gemachten Verfahrens unzulässig sei. Denn selbst dann, wenn - was nach dem von der Antragstellerin im Berufungsverfahren vorgelegten Gerichtsentscheid nicht auszuschließen ist - ein Scheidungsantrag beim Rabbinatsgericht in Israel rechtshängig sein sollte, hindert dieser Antrag eine Durchführung des Scheidungsverfahrens in Deutschland nicht.
Zwar steht die Rechtshängigkeit eines ausländischen Verfahrens der Rechtshängigkeit bei einem inländischen Gericht gleich, wenn das ausländische Urteil hier anzuerkennen wäre. Unter dieser Voraussetzung macht die früher eingetretene Rechtshängigkeit vor einem ausländischen Gericht einen späteren Scheidungsantrag in gleicher Weise unzulässig wie eine anderweitige Rechtshängigkeit im Inland (§ 261 Abs. 3 ZPO, BGH FamRZ 1994, 434). Anders sind die Verhältnisse jedoch dann zu beurteilen, wenn feststeht, dass vor dem ausländischen Gericht kein nach § 328 ZPO anerkennungsfähiger Scheidungsausspruch zu erreichen ist. Daran besteht vorliegend kein Zweifel.
Die Scheidung in Israel gilt nach allgemeiner Ansicht als sog. "Privatscheidung" (vgl. BGH FamRZ 1994, 434; BayObLG FamRZ 1985, 1258; Palandt/Heldrich 65. Aufl. Art. 17, Rz. 35). Die Scheidung einer von Juden geschlossenen Ehe wird nach jüdischem Recht unter Einschaltung des Rabbinatsgerichts vollzogen, welches die Scheidungsvoraussetzungen feststellt. Unabhängig davon, ob es sich um eine streitige oder einvernehmliche Ehescheidung handelt, hat der Gerichtsschreiber daraufhin einen Scheidungsbrief - den sog. "Get" - zu verfassen, der von dem Ehemann der Ehefrau zu übergeben ist. Die Ehefrau überreicht ihrerseits diesen Brief dem Rabbinatsgericht, das den entwerteten Brief in das Archiv gibt (vgl. Scheftelowitz FamRZ 1995, 593; Henrich, IPRax 1995, 86). Das Rabbinatsgericht hat demnach die Funktion, die Scheidungsvoraussetzungen zu prüfen und festzustellen sowie die Übergabe des Scheidungsbriefes zu beurkunden. Die Scheidung selbst wird aber nicht durch eine staatlichen Akt vollzogen, sondern bleibt mit der Übergabe des "Get" ein rein privater Vorgang. Dieser kann zwar ggf. nach jüdischem Recht erzwungen, aber nicht durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden.
Für eine in Israel durchgeführte Scheidung hat der BGH mit Urteil vom 2. Februar 1994 (FamRZ 1994, 434) dazu ausgeführt, dass die vor dem Rabbinatsgericht vollzogene Scheidung als sogenannte "Privatscheidung" nicht nach § 328 ZPO anerkennungsfähig sei. Ihre Anerkennung richte sich vielmehr nach dem maßgeblichen Scheidungsstatut, so dass bei Geltung deutschen Rechts einer in Israel vollzogenen Privatscheidung die Anerkennung zu versagen sei. Demgegenüber misst Scheftelowitz (FamRZ 1995, 593) einer vor dem Rabbinatsgericht vollzogenen Scheidung eine weitergehende Bedeutung zu, da der als Scheidung angesehenen Übergabe des "Get" eine förmliche Gerichtsprozedur vorausgehe und nicht allein auf den formalen Akt der Übergabe des Scheidungsbriefes abzustellen sei. Auch andere Autoren plädieren für eine weitergehende Anerkennung dieser Form der Scheidung (vgl. Henrich IPRax 1995, 86). Ob vor diesem Hintergrund die Scheidung einer dem deutschen Scheidungsrecht unterliegenden Ehe von Juden auch dann nicht in Deutschland anerkannt werden kann, wenn sie mit allen dafür erforderlichen Akten in Israel vorgenommen wurde, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Dieser Weg ist aufgrund der Weigerung des Antragsgegners, an einer Ehescheidung in Israel mitzuwirken, nicht eröffnet.
Die fehlende Bereitschaft des Antragsgegners, sich einer Privatscheidung nach jüdischem Recht zu unterwerfen, kann ihrerseits nicht dazu führen, dass eine dem deutschen Eherecht unterworfene und offensichtlich zerrüttete Ehe auf Dauer nicht geschieden werden kann. Als Scheidungsstatut gilt zweifelsfrei deutsches Recht (Art. 17 EGBGB). Beide Eheleute sind Deutsche. Dass sie seinerzeit die Ehe in Israel nach mosaischem Recht geschlossen haben, hat auf das für die Ehescheidung im Inland anzuwendende Recht keinen Einfluss. Denn dieses Recht ist wandelbar und richtet sich vorrangig nach dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören (Art 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB). Nach diesem Recht ist eine Scheidung durch privaten Akt ausgeschlossen.
Eine anerkennungsfähige Entscheidung nach jüdischem Recht wäre ungeachtet aller sonstigen Bedenken daher allenfalls dann zu erreichen, wenn sich der Antragsgegner nach Israel begibt und dem dort geltenden Scheidungsverfahren unterwirft. Hierzu ist er freiwillig nicht bereit. Erzwingen lässt sich diese Handlung nicht. Zwar besteht nach jüdischem Recht die Möglichkeit, auf einem Mann, der sich weigert, den "Get" ausstellen zu lassen, durch Zwangsmittel einzuwirken, um diesen zu seiner erforderlichen Mitwirkung anzuhalten. Hierzu kann u.a. auf Erzwingungshaft oder die Festsetzung hoher Unterhaltszahlungen zurückgegriffen werden. Selbst wenn man aber unterstellt, dass das von der Antragstellerin angerufene Rabbinatsgericht solche Mittel ergreifen würde, wären diese in Deutschland wegen des Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht vollstreckbar. Mit diesen Zwangsmitteln soll eine auf die Auflösung der Ehe gerichtete private Handlung erzwungen werden. Ein solcher Zwang wäre mit wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung unvereinbar. Dies betrifft in erster Linie die durch Art. 4 GG geschützte Religionsfreiheit. Das jüdische Recht beruht auf der grundsätzlichen Einheit von Recht und Religion. Dementsprechend ist auch die Ehescheidung und die Übergabe der Get nach jüdischem Selbstverständnis Teil der Religionsausübung (Herfarth, IPRax 2002, 17, 20f). Der Vollzug eines von einem Rabbinatsgerichts festgesetzten Zwangsmittels würde also dazu dienen, den Antragsgegner durch die Übergabe des Get mittelbar zur Mitwirkung an einer der Religionsausübung zuzurechnenden Handlung zu verpflichten. Da Art. 4 GG nicht nur die Bekenntnisfreiheit, sondern gleichermaßen auch die negative Religionsfreiheit - das Recht nicht an religiösen Handlungen teilnehmen zu müssen - schützt (v. Mangold/Klein/Starck 5. Aufl. Art 4 GG Rz. 25), wäre selbst ein mittelbarer Zwang zur Übergabe des Scheidungsbriefes unvereinbar mit Art. 4 GG, Art. 9 EMRK, Art 6 EGBGB. Hinzu kommt, dass eine wirksame Übergabe des Scheidungsbriefes in Deutschland nicht genügen würde. Eine wirksame Scheidung nach jüdischem Recht wäre nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Briefübergabe in Israel erfolgen und dort das Scheidungsverfahrens abgeschlossen würde. Der Antragsgegner wäre folglich gezwungen, gegen seine erklärten Willen nach Israel zu reisen. Hält er sich dort auf, drohen ihm möglicherweise weitere Zwangsmittel, um die Mitwirkung an einer von ihm abgelehnten persönlichen Handlung zu erzwingen. Dies wäre ein nach deutschem Rechtsverständnis nicht gerechtfertigter Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit und würde mittelbar einer mit Art. 16 Abs. 2 GG unvereinbaren vorübergehenden Ausweisung an das Ausland gleichkommen. Eine Rechtsgrundlage besteht dafür nicht. Jedes auf Übergabe des "Get" gerichtete Zwangsmittel steht daher in einem unauflösbaren Widerspruch zu elementaren Grundsätzen des deutschen Rechts.
Da gegen den unüberwindbaren Willen des Antragsgegners eine anerkennungsfähige Ehescheidung nach jüdischem Recht unter keinem Gesichtspunkt zu erreichen ist, ist die Ehe im Inland durch Urteil zu scheiden (§ 1564), ohne dass es auf die Frage einer anderweitigen Rechtshängigkeit in Israel ankäme.
Die sachlichen Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe liegen vor. Die Parteien leben unstreitig seit mehr als drei Jahren getrennt. Damit gilt die Ehe unwiderlegbar als zerrüttet (§ 1566 Abs. 3 BGB). Für diese Feststellung bedurfte es keiner persönlichen Anhörung der Antragstellerin, da diese selbst unverändert an ihrem Scheidungsbegehren festhält und sich mit ihrem Rechtsmittel lediglich den Weg für eine Ehescheidung in Israel eröffnen wollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Ende der Entscheidung
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