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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
Beschluss verkündet am 25.10.2006
Aktenzeichen: 2 UF 50/06
Rechtsgebiete: MSA, VVG


Vorschriften:

MSA Art. 4
VVG § 12 Abs. 3
Zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 4 MSA.
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG Beschluss

2 UF 50/06

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge für

hat der 2. Zivilsenat - 6. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ...

am 25. Oktober 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) hin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Bad Iburg vom 4.4.2006 aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Der Beteiligte zu 1) wendet sich gegen den Entzug des Sorgerechts und die Bestellung des Beteiligten zu 2) als Vormund für seine drei Kinder.

I. Die Kinder A... (geboren am 20.7.1993), B... (geboren am 21.6.1996) und C... X... (geboren am 12.1.2004) sind die Kinder des Beteiligten zu 1) aus der Ehe mit F... X.... Laut Schreiben des Beteiligten zu 1) vom 27.12.2005 sind die Kinder deutsche und türkische Staatsangehörige. A... lebt seit dem September 2003 in der Türkei.

Am 5.5.2004 tötete der Beteiligte zu 1) die Kindesmutter, die deutsche Staatsangehörige (Akte StA OS 710 JS 23172/04 = LG OS 6 KS 12/04 Bd. I Bl. 1) F... X.... Nach der Tat reiste er mit B... und C... in die Türkei, wo seine Frau beerdigt wurde. C... blieb in der Türkei. Der Beteiligte zu 1) reiste mit B... und seiner Schwester, Frau D... Y..., Ende Mai zurück nach Deutschland. Er wurde am 27.5.04 inhaftiert (und in der Folgezeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt). Frau Y... reiste daraufhin umgehend mit B... in die Türkei zurück, wo sie seither im Einverständnis mit dem Beteiligten zu1) alle drei Kinder betreut.

Im Juli 2005 wurde die Verurteilung des Beteiligten zu 1) rechtskräftig. Am 23.9.2005 erteilte der Beteiligte zu 1) seiner Schwester eine notariell beurkundete widerrufliche Generalvollmacht, die auch die Sorge für die Kinder umfasst.

Im Oktober 2005 kehrten B... und A... nach Deutschland zurück (Frau Y... war schon zuvor eingereist). Im November 2005 leitete das Amtsgericht von Amts wegen ein Verfahren zur Überprüfung der Frage ein, ob dem Beteiligten zu 1) gem. § 1666 BGB das Sorgerecht zu entziehen sei. Am 10. oder 11.12.2005 reiste Frau Y... mit B... und A... in die Türkei zurück, wo sie sich seither aufhalten.

Mit Schreiben vom 16.1.2006 teilte Frau Y... der Verfahrenspflegerin mit, die türkischen Behörden hätten sie als Sorgeberechtigte aller drei Kinder benannt, und bat, in Angelegenheiten der Verfahrenspflege einbezogen zu werden.

Der Beteiligte zu 1) hat zunächst beantragt, das Sorgerecht seiner Schwester zu übertragen. Diesen Antrag hat er später zurückgenommen und beantragt, das Verfahren ohne richterlichen Bescheid einzustellen. Der Beteiligte zu 2) hat angeregt, die Vermögenssorge einem Anwalt als Pfleger zu übertragen. Mit Beschluss vom 4.4.2006 hat das Amtsgericht dem Beteiligten zu 1) das Sorgerecht entzogen und auf das Jugendamt des Landkreises O... (Beteiligten zu 2) als Vormund übertragen.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit der Beschwerde und beantragt, die Entscheidung des Amtsgerichts aufzuheben. Er trägt vor, "nunmehr" habe Frau Y... auch das Sorgerecht für die Kinder in der Türkei erhalten, hat jedoch trotz Aufforderung keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt.

II. Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die deutschen Gerichte sind nicht international zuständig.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich nicht aus dem KSÜ (Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern, vom 19.10.1996), da die Türkei nicht Vertragsstaat ist und Deutschland das Abkommen noch nicht ratifiziert hat.

Auch nach Art. 1 Abs. 2, i.V.m. Art. 8 ff der Verordnung "Brüssel II 2003" (Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, vom 27.11.2003) ergibt sich keine Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Eine Zuständigkeit nach Art. 8 der Verordnung liegt nicht vor, da alle drei Kinder weder im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Übertragung der elterlichen Sorge durch den Beteiligten zu 1) noch bei Einleitung des Verfahrens von Amts wegen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem anderen Vertragsstaat der EU hatten. Der gewöhnliche Aufenthalt der aller Kinder war und ist vielmehr in der Türkei. Für A... ist dies eindeutig, da sie sich seit 2003 in der Türkei aufhält. Die einmonatige Unterbrechung durch den Deutschlandaufenthalt im Oktober 2005 führte nicht zu einer Veränderung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes. Ebenfalls eindeutig ist der gewöhnliche Aufenthalt C...s, der sich seit Mai 2004 ununterbrochen in der Türkei befindet. Auch bei B... ist schließlich der gewöhnliche Aufenthalt in der Türkei zu bejahen, da sie sich seit Ende Mai/Anfang Juni 2004 in der Türkei befand, so dass spätestens Ende 2004 dort ihr gewöhnlicher Aufenthalt zu sehen ist. Der einmonatige Aufenthalt im Oktober genügt auch bei ihr nicht, um eine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltes anzunehmen. Auch eine Zuständigkeit nach Art. 10 oder 11 der Verordnung scheidet schon deshalb aus, weil die Kinder sämtlich nicht widerrechtlich in die Türkei verbracht wurden, sondern mit dem Einverständnis des bzw. der Sorgeberechtigten.

Die internationale Zuständigkeit ist hier deshalb nach dem MSA (Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, vom 5. Oktober 1961) zu bestimmen, da sowohl die Türkei als auch Deutschland Vertragsstaaten dieses Abkommens sind. Primär zuständig für Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens der Kinder sind damit gem. Art. 1 MSA die Gerichte und Behörden der Türkei als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts aller drei Kinder. Eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte und Behörden könnte sich nur gem. Art. 4 MSA ergeben. Dabei ist zunächst fraglich, ob Deutschland als Heimatstaat im Sinne des Abkommens anzusehen ist, da die Kinder nach dem bislang von keiner Seite angegriffenen Vortrag des Beteiligten zu 1) neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit haben, die effektive Staatsangehörigkeit also zur Zeit die türkische ist.

Diese Frage kann aber offen bleiben, da jedenfalls nicht festgestellt werden kann, dass das Wohl der Kinder das Tätigwerden der deutschen Gerichte erfordert. Bei diesem Tatbestandsmerkmal des Art. 4 handelt es sich um eine Verfahrensvoraussetzung, die auch von der Rechtsmittelinstanz zu prüfen ist (Staudinger-Kropholler, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rn. 364). Dabei sind wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift des Art. 4 MSA ganz erhebliche Gründe erforderlich, die ein Einschreiten des Heimatstaates statt des primär zuständigen Aufenhaltstaates notwendig machen. Solche Gründe liegen hier im Ergebnis nicht vor.

Der Entzug des Sorgerechts des Vaters insgesamt erscheint gegenwärtig nicht notwendig. Zwar liegt nahe, dass er sich durch die Tötung der Mutter der Kinder als ungeeignet zur Erziehung erwiesen hat. Zur Zeit ist er wegen seiner Inhaftierung aber auf unabsehbare Zeit daran gehindert, das tatsächliche Leben der Kinder zu beeinflussen. Er hat die Betreuung der Kinder durch seine Schwester veranlasst und ihr dafür eine umfassende Vollmacht erteilt. Alle Kinder werden seit nunmehr über 2 Jahren von ihrer Tante betreut, A... sogar seit 3 Jahren, C... wird seit seinem 4. Lebensmonat von ihr großgezogen. Der Lebensmittelpunkt aller Kinder hat sich in dieser Zeit in der Türkei befunden (der einmonatige Aufenthalt in Deutschland von A... und B... ändert daran nichts). Sämtliche Familienangehörigen väterlicherseits leben in der Türkei , von den Familienangehörigen mütterlicherseits ist nichts bekannt. Der Entzug des Sorgerechts wäre nur dann gerechtfertigt, wenn eine Änderung dieser Lage notwendig erschiene. Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kinder in der Türkei von der Tante nicht angemessen betreut werden können, ist aber davon auszugehen, dass den Kindern durch eine Trennung von Frau Y... nur weiterer Schaden zugefügt werden würde. Auch der Umstand, dass die Kinder nach Auskunft des Beteiligten zu 1) nicht über seine Tat aufgeklärt worden sind, sondern von einem Unfalltod der Mutter ausgehen, ändert daran nichts. Es ist zwar wünschenswert, dass die Kinder in geeigneter Weise über die Tat aufgeklärt werden, um einen Schock durch spätere Erkenntnis vorzubeugen. Diese Aufklärung durch einen Entzug des Sorgerechts des Vaters zu erzwingen, könnte aber genau den befürchteten Schaden herbeiführen.

Auch der teilweise Entzug der elterlichen Sorge und die Bestellung eines inländischen Vermögenspflegers ist nicht erforderlich. Dies wäre nur dann sinnvoll, wenn den Kindern in Deutschland belegene Vermögensrechte zustünden, zu deren Durchsetzung die Mitwirkung eines Pflegers erforderlich wäre. Dies ist im Ergebnis zu verneinen. Es stehen zwar Ansprüche der Kinder - als den gesetzlichen Erben der Mutter - aus der von ihr abgeschlossenen Lebensversicherung bei der C-Lebensversicherungs-AG im Raum. Diese können jedoch nach Auffassung des Senats voraussichtlich nicht mehr durchgesetzt werden. Rechtsanwalt B hatte sie als Verwalter des (inzwischen mangels Masse eingestellten) Nachlassinsolvenzverfahrens (AG Osnabrück 62 IN 51/04) gegenüber der Versicherung geltend gemacht. Die Versicherung lehnte die Zahlung mit Schreiben vom 24.10.2005 unter Hinweis auf die Frist nach § 12 Abs. 3 VVG ab. Dies dürfte - obwohl die Frage bislang noch nicht gerichtlich entschieden worden ist - auch gegenüber den Erben wirken. Hierfür spricht, dass der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes im damaligen Zeitpunkt als einziger berechtigt war, die Forderung geltend zu machen, und auch ein durch ihn geführter Prozess die Erben gebunden hätte. Da die Frist inzwischen abgelaufen ist, ohne dass Klage erhoben worden ist, ist die Versicherung von der Leistung frei geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 FGG, § 94 Abs. 3 Satz 2 KostO. Der Senat hält es nicht für billig, einem der Beteiligten die Kosten der Beschwerde aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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