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Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 09.03.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 28/05 I 26/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB, BtMG
Vorschriften:
StPO § 56 | |
StPO § 345 Abs. 1 | |
StPO § 349 Abs. 4 | |
StPO § 358 Abs. 2 | |
StGB § 20 | |
StGB § 21 | |
StGB § 64 | |
StGB § 74 Abs. 1 | |
StGB § 74 Abs. 2 Nr. 1 | |
BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 |
Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - Beschluss
Geschäftszeichen 1 Ss 28/05 I 26/05
In der Strafsache
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D. sowie die Richter am Oberlandesgericht H. und Z. auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 13. Oktober 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers am 9. März 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere als Berufungskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Rostock zurück verwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Rostock hat den Angeklagten mit Urteil vom 3. Juni 2003 wegen "Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, den erweiterten Verfall von 440,00 Euro angeordnet und die Einziehung eines Pkw Mer-cedes ausgesprochen. Auf die Berufung des Angeklagten, die er - aufgrund Teilrücknahme in der Berufungshauptverhandlung - nach Auffassung der Strafkammer nachträglich wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt habe, hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert: Es hat den Angeklagten "wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Verfallsanordnung entfallen lassen und die weitergehende Berufung als unbegründet verworfen.
Dagegen richtet sich die zulässige Revision des Angeklagten, die mit ihrer Einlegung (zunächst) auf die Anordnung der Einziehung des Pkws Mercedes beschränkt wurde; mit der Revisionsbegründung hat er die Sachbeschwerde "hinsichtlich der Begründung der Strafzumessung" erhoben, verbunden mit dem Antrag, "das angefochtene Urteil mit den Feststellungen zur Einziehung des PKW Mercedes ... aufzuheben ...".
Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen umfassenden Erfolg.
I.
Eine wirksame Beschränkung der Revision auf die Einziehungsanordnung bzw. auf den Rechtsfolgenausspruch liegt nicht vor.
1. Die - innerhalb des Rechtsfolgenausspruches - vorgenommene Beschränkung des Rechtsmittels auf die Einziehungsentscheidung ist nicht wirksam. Die Einziehung des Pkws nach § 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB, von der das Landgericht ersichtlich ausgegangen ist, ist Teil der Strafzumessung; eine Gesamtbetrachtung ist erforderlich (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 6, 12, 16; BGH NStZ 1993, 400). Je nach den Umständen des Falles ist deshalb - so auch hier - eine Entscheidung über die Einziehung nicht möglich, ohne zugleich die Höhe der Strafe zu erörtern (vgl. BGHSt 19, 46, 48; BGH NStZ 1993, 400). Es kommt folglich nicht darauf an, ob eine - hier durch die Revisionsbegründungsschrift nicht fernliegende - zulässige Erweiterung der beschränkt eingelegten Revision lediglich in der Frist des § 341 Abs. 1 StPO (so etwa BGHSt 38, 366 ff. m. w. N.; Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 344 Rdn. 4; § 302 Rdn. 31) oder auch noch in der Frist des § 345 Abs. 1 StPO (so: Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 7 m. Nachw.) möglich ist.
2. Eine - aufgrund der vorgenannten Ausführungen - wirksame Beschränkung der Revision lediglich auf den Rechtsfolgenausspruch ist gleichfalls nicht gegeben. Die hier getroffenen Feststellungen tragen nämlich - wie unter II. näher ausgeführt wird - die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht. In einem solchen Fall ist eine Revisionsbeschränkung auf das Strafmaß bereits aus materiellen Gerechtigkeitsgesichtspunkten (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2000, 49; OLG Rostock, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 1 Ss 297/04 I 114/04) unwirksam. Damit wird dem Grundsatz entsprochen, dass das Revisionsgericht nicht gezwungen werden soll, seiner Entscheidung einen als (bislang) nicht tragfähig erkannten Schuldspruch zu Grunde zu legen (vgl. auch OLG Stuttgart aaO; Meyer-Goßner aaO § 344 Rdn. 7, § 318 Rdn. 16 m. w. N.).
II.
Die Verurteilung des Beschwerdeführers hat aus sachlich-rechtlichen Gründen keinen Bestand, weil das Landgericht zu Unrecht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen ist.
Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge und unabhängig von einer sachlichen Beschwer des die Sachrüge erhebenden Angeklagten ist zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat (vgl. auch BGHSt 27, 70, 72; Meyer-Goßner aaO § 352 Rdn. 4). Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, falls das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 Satz 1 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (vgl. nur BGH NStZ 1984, 566; BayObLG NStZ-RR 1998, 55; Ruß in KK 5. Aufl. § 318 Rdn. 1 mit Nachweisen).
1. Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch allein anfechtbar. Das setzt jedoch immer voraus, dass die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung bilden (zu Einzelheiten vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23 f. m. Nachw.). Hieran fehlt es regelmäßig dann, wenn der Tatrichter bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nur Feststellungen zur Anzahl und der Gewichtsmenge, nicht aber zur Qualität des Rauschgifts getroffen hat. Angesichts der unterschiedlichen Wirkstoffkombinationen und -konzentrationen der als Ecstasy vertriebenen Mittel ist eine sichere Feststellung einer Mindestkonzentration pro Stück, die in der Praxis erfahrungsgemäß nicht unterschritten wird, nicht ohne weiteres möglich (vgl. hierzu BGHSt 42, 255, 267; Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 2. Aufl. Rdn. 442 mit Fn. 1170). Damit stehen tatbestandliche Voraussetzungen - wie hier die "nicht geringe Menge" i. S. von § 29 a I Nr. 2 BtMG - in Frage, was Auswirkungen auf den Schuldspruch hat (vgl. auch BayObLG NStZ-RR 1998, 55, 56; OLG Frankfurt aaO, jeweils m. w. N.). Damit ist auch nicht nachvollziehbar, welcher objektive Unrechtsgehalt der Strafbemessung zugrundeliegt. Ebensowenig erschließt sich bei fehlenden Qualitätsangaben das Maß der persönlichen Schuld des Täters. Der Strafzumessung fehlen damit die wesentlichen Grundlagen (vgl. hierzu nur BGHSt 3, 179; BGH, NJW 1987, 2685, 2686).
Soweit das amtsgerichtliche Urteil ausführt, dass die "Feststellungen ... zu den Wirkstoffmengen in den beschlagnahmten Betäubungsmitteln ... auf dem nach § 56 StPO [gemeint ist ersichtlich § 256 StPO] verlesenen Behördengutachten (beruhen)", genügt das den dargelegten Anforderungen nicht; insoweit fehlen sämtliche nähere Angaben zu den Ergebnissen des Gutachtens. Auch die - allerdings im Rahmen der rechtlichen Würdigung vorgenommenen - Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils, der Wirkstoff "MDNA-Base" [gemeint ist ersichtlich MDMA-Base] sei um das "Siebenfache" überschritten, ist weder belegt noch für sich ausreichend; insoweit wird nämlich schon nicht die gebotene Differenzierung zwischen den zum Eigenverbrauch im Besitz des Angeklagten aufgefundenen und den für den Handel bestimmten Betäubungsmitteln (dazu noch unter III. 2.) vorgenommen, auch wenn angesichts der Menge der sichergestellten Ecstasy-Tabletten das Merkmal der "nicht geringen Menge" im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG naheliegend erscheint (zur geringen Menge im Sinne von § 29 a Abs. 1 Nr. 2 bei dem in sogenannten Ecstasy-Tabletten enthaltenen Wirkstoff vgl. BGHSt 42, 255 ff.; BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Menge 8; BGH, Beschluss vom 17. November 2004 - 3 StR 417/04 -).
2. Auf der Grundlage der vom Landgericht übernommenen amtsgerichtlichen Feststellungen ist zudem die Annahme, der Angeklagte sei als (Mit-?)Täter an dem Betäubungsmittelhandel beteiligt gewesen, nicht rechtsbedenkenfrei belegt. Dass er gleichsam als Kurier selbständig Rauschgift transportiert hat, genügt für die Annahme (mit-)täterschaftlichen Handelns nicht ohne weiteres (vgl. nur BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36, 39, 56, 58). Zwar ist der Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (zurzeit noch) weit auszulegen (vgl. aber die Bedenken im Anfragebeschluss des BGH NStZ 2004, 105 ff.); erfasst werden grundsätzlich alle Tätigkeiten - auch einmalige und bloß unterstützende Handlungen, insbesondere auch die Förderung fremder Geschäfte -, soweit sie auf den späteren Umsatz des Rauschgifts gerichtet sind. Auch können schon einzelne dieser Handlungen die (objektiven) Voraussetzungen der (Mit-)Täterschaft erfüllen, weil dafür nur ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag erforderlich ist (st. Rspr.; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 9, 36). Demnach kann grundsätzlich auch die Tätigkeit des Kuriers, der gegen Entlohnung selbständig Betäubungsmittel transportiert, ohne selbst Käufer oder Verkäufer zu sein, Handeltreiben darstellen (vgl. auch Franke/ Wien-roeder BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 79; Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 806 ff., 817 ff., jew. m. w. N.). Es bedarf aber der Abgrenzung der Mittäterschaft zur Beihilfe nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts (BGHR aaO). Eine solche Abgrenzung haben weder das Amtsgericht noch die Strafkammer vorgenommen, obwohl die Feststellungen dazu Anlass gaben:
Für eine Beteiligung des Angeklagten lediglich als Gehilfe spricht in objektiver Hinsicht, dass er (was die Strafkammer nur im Rahmen der Strafzumessung erörtert hat) keinen (ersichtlichen) Einfluss auf die Bestimmung von Art und Menge des zu transportierenden Rauschgifts hatte. Es ist auch nicht festgestellt, dass der Angeklagte die Gestaltung der Übernahme des Rauschgifts und des Transportes mitbestimmen konnte. Angesichts dieser Feststellungen kommt dem Umstand, dass der Angeklagte sich für die Durchführung der Transporte einen finanziellen Vorteil versprach, nicht ohne weiteres ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 24; BGH NStZ 1984, 413 f.). Es kommt hinzu, dass die - gemessen an den zu erzielenden Gewinnen - geringe Höhe des Kurierlohns eher für eine untergeordnete Rolle als für diejenige eines gleichberechtigten und deshalb als (Mit-)Täter zu qualifizierenden Partners spricht (vgl. BGH NStZ 1991, 91).
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Der neue Tatrichter wird sich eingehend mit den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB auseinander zu setzen haben. Zwar erscheint die Annahme von Schuldunfähigkeit angesichts der bisherigen Feststellungen eher fernliegend; nach den Ausführungen zum persönlichen Werdegang des Angeklagten, der seit April 2002 - mit kurzen Unterbrechungen - heroinabhängig ist und zuletzt bis zum Tattag drei Gramm Heroin täglich benötigt hat, drängt sich freilich vor allem die Prüfung des § 21 StGB auf, zumal (bislang) festgestellt worden ist, dass für die Tatbegehung die Heroinabhängigkeit des einschlägig vorbestraften Angeklagten ursächlich war.
2. Hat der Täter Rauschmittel teils zum Weiterverkauf und teils zum Eigenverbrauch im Besitz, wird der Tatrichter wegen der Konkurrenzverhältnisse insbesondere die in BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 5 (vgl. auch Franke/Wienroeder aaO § 29a Rdn. 26) aufgestellten Grundsätze zu bedenken haben: Übersteigt beispielsweise die Gesamtmenge den Grenzwert zur nicht geringen Menge, so kommt es auf die jeweiligen Teilmengen an: Bei einer nicht geringen Handelsmenge liegt unerlaubtes Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vor. Ist auch die restliche Eigenverbrauchsmenge nicht gering, so ist Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer nicht geringen Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gegeben. Eine etwaige Verschärfung des Schuldspruchs stünde § 358 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. Kuckein in KK aaO § 358 Rdn. 18 m. w. N.).
3. Im Falle einer erneuten Verurteilung wird es nicht - wie hier geschehen - genügen, wegen der Vorstrafen auf die - für sich genommen ebenfalls unzureichenden - Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils zu verweisen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass sich der Tatrichter mit den Vorstrafen befasst und ihre Auswirkungen auf den Lebensweg des Angeklagten erkannt hat (vgl. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 27. Aufl. Rdn. 268; zum Umfang der Darstellung vgl. auch Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 782 f.).
4. Angesichts der bisherigen Feststellungen wird das Landgericht - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) - auch die sich hier aufdrängende Frage, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt geboten ist, prüfen müssen (vgl. BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 1996, 228; BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - 4 StR 530/04 - und vom 12. Januar 2005 - 2 StR 449/04 -). Das Gericht hat die Unterbringung zwingend anzuordnen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen. Die neu entscheidende Strafkammer wird unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung des § 64 StGB (vgl. BVerfGE 91, 1 ff. = NJW 1995, 1077 ff.) zu prüfen haben, ob die Unterbringung des Angeklagten zu erfolgen hat. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Anordnung der Maßregel auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung verneinen würde (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 64 Rdn. 11 m. w. N.).
Dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde einer Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht vom Rechtsmittelangriff nicht ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 ff.).
Ende der Entscheidung
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