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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Rostock
Beschluss verkündet am 21.10.2002
Aktenzeichen: I Ws 430/02 Ws
Rechtsgebiete: StPO, StGB, JGG


Vorschriften:

StPO § 300
StPO § 454 Abs. 3 S. 1
StPO § 454 b
StGB § 57
StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
StGB § 57 Abs. 1 Nr. 2
JGG § 85 Abs. 6
JGG § 88
JGG § 88 Abs. 2
JGG § 89 a Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az.: I Ws 430/02 Ws

Beschluss

In der Vollstreckungssache

wegen Körperverletzung u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally, den Richter am Oberlandesgericht Hansen und den Richter am Amtsgericht Burgdorf-Bressem auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der III. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neubrandenburg vom 13.08.2002, durch den die bedingte Entlassung des Verurteilten abgelehnt worden ist, nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten

am 21. Oktober 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 13.08.2002 (8 StVK 196/02) und die dagegen angebrachte sofortige Beschwerde des Verurteilten werden für gegenstandslos erklärt.

Gründe:

Mit Beschluss vom 13.08.2002 (8 StVK 196/02) hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Neubrandenburg die bedingte Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn mit Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 09.10.2001 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten abgelehnt, da der Verurteilte im Anhörungstermin am 13.08.2002 seine Einwilligung zur Strafaussetzung zur Bewährung zurückgenommen hatte.

Gegen den vorbezeichneten, ihm am 21.08.2002 förmlich zugestellten Beschluss, wendet sich der Verurteilte mit seinem nicht datierten "Wiederspruch", der am 26.08.2002 beim Landgericht Neubrandenburg eingegangen ist.

Mit Verfügung vom 30.08.2002 hat die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg die Strafvollstreckung der fünfmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 09.10.2001 mit Ablauf des 18.09.2002 unterbrochen. Mittlerweile wird gegen den Verurteilten Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 19.03.1997 vollstreckt.

II.

Der gemäß dem Rechtsgedanken des § 300 StPO als sofortige Beschwerde auszulegende "Wiederspruch" des Verurteilten war zur Zeit seiner Einlegung gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthaft und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) angebracht, mithin zulässig.

Eine Entscheidung des Strafsenats über die ursprünglich zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten ist jedoch nicht mehr veranlasst, da das Rechtsmittel prozessual überholt und der angefochtene Beschluss gegenstandslos geworden ist.

1. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 17.09.2002 im Hinblick auf das Rechtsmittel des Verurteilten und den Vollstreckungsstand in vorliegender Strafsache folgendes ausgeführt:

"Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe u. a. dann zur Bewährung aus, wenn der Verurteilte einwilligt. Liegt diese Einwilligung nicht vor oder wird sie zurückgenommen - wie hier gegenüber der Strafvollstreckungskammer anlässlich der Anhörung vom 13.08.2002 (Bl. 24 f. VH) -, kann eine Strafrestaussetzung nicht erfolgen. Dies hat die Strafvollstreckungskammer durch förmlichen Beschluss festzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.12.2000 - I Ws 462/00 -), was vorliegend mit der angefochtenen Entscheidung auch erfolgt ist.

Die zunächst verweigerte oder zurückgenommene Einwilligung kann jedoch auch im Beschwerdeverfahren erklärt werden, so dass das Beschwerdegericht ggf. in der Sache zu entscheiden hat (ständige Rechtsprechung des Senats vgl. Beschluss vom 06.12.2000 a. a. O. sowie Beschluss vom 03.07.2001 - I Ws 254/01 -). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Einwilligung auch tatsächlich eindeutig und unmissverständlich erklärt wird.

Dies ist vorliegend der Fall.

Der Beschwerdeführer hatte seine Einwilligung zur bedingten Entlassung zunächst unter dem 15.07.2002 gegenüber der Justizvollzugsanstalt Ueckermünde erklärt (B1. 19 VH). Im Rahmen der daraufhin durchgeführten mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer wurde ihm von der Vorsitzenden die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die zu erwartende Anschlussvollstreckung der einjährigen Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 19.03.1997 - 6 Ls 176/96 - (vgl. B1. 36 VH) erläutert. Der Verurteilte nahm sodann seine Einwilligung zurück.

Mit seinen Ausführungen in der Rechtsmittelschrift stellt der Beschwerdeführer demgegenüber klar, dass er nach wie vor eine vorzeitige Haftentlassung begehrt, diese allerdings erst zum nächstmöglichen gesetzlich zulässigen Zeitpunkt, d. h., nach Ablauf der Mindestverbüßungszeit der noch zu vollstreckenden Jugendstrafe.

Wenngleich diese Erklärung einer Auslegung als erneuter Antrag auf eine vorzeitige Haftentlassung zugänglich ist, und darin gleichzeitig die Erteilung der nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Einwilligung erblickt werden kann, ist vorliegend eine Sachentscheidung hinsichtlich der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht.

Da eine bedingte Entlassung dem Verurteilten grundsätzlich die Freiheit verschaffen muss, weil anderenfalls nicht erprobt werden kann, ob er außerhalb des Vollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, steht der Aussetzung die Anschlussvollstreckung einer Freiheitsstrafe wegen einer anderen Tat solange entgegen, bis über die Aussetzung aller Strafreste entschieden werden kann (LK-Gribbohm StGB 11. Aufl. § 57 Rdnr. 12; Schönke/Schröder-Stree StGB 25. Aufl. § 57 Rdnr. 19). Das prozeseuale Mittel zur Herbeiführung der gleichzeitigen Entscheidung über die Aussetzung sämtlicher Strafreste ist beim Zusammentreffen des Vollzugs mehrerer Freiheitsstrafen § 454 b StPO, der zwingend - in Abs. 2 eine Unterbrechungsregelung und in Abs. 3 die Sachentscheidung erst vorsieht, wenn über die Reste aller Strafen befunden werden kann, d. h., regelmäßig erst vor dem Ende der letzten Anschlussvollstreckung (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 454 b Rdnr. 6).

§ 454 b StPO gilt allerdings nicht, wenn - wie hier - eine Freiheitsstrafe zur anschließenden Vollstreckung einer Jugendstrafe unterbrochen werden soll (KK-Fischer StPO 4. Aufl. § 454 b Rdnr. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 1 m. w. N.). Beim Zusammentreffen von Jugend- und Freiheitsstrafe bestehen vielmehr getrennte Vollstreckungszuständigkeiten, sofern nicht nach den §§ 89 a Abs. 3, 85 Abs. 6 JGG eine Vollstreckungsabgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt und damit die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer auch für die Entscheidung über die Restaussetzung der Jugendstrafe begründet wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 95).

Da jedoch die Anforderungen für die Annahme einer günstigen Sozialprognose in § 57 StGB und in § 88 JGG sachlich im Wesentlichen gleich sind und deshalb die Prognoseentscheidung auch bei im Anschluss vollstreckter Freiheits- und Jugendstrafe grundsätzlich nicht unterschiedlich ausfallen kann, kommt in Fällen wie dem vorliegenden eine Sachentscheidung hinsichtlich der Aussetzung der Freiheitsstrafe ebenfalls erst dann in Betracht, wenn gemeinsam über die Aussetzung beider Strafreste entschieden werden kann, d. h., frühestens nach Ablauf der Mindestverbüßungszeit des § 88 Abs. 2 JGG (OLG Frankfurt a. a. O.).

Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg unter dem 30.08.2002 die Unterbrechung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 09.10.2001 zum 18.09.2001 im Hinblick auf die Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustrelitz vom 19.03.1997 verfügt (B1. 42 VH). Der früheste Entlassungszeitpunkt (Mindestverbüßungszeit nach § 88 Abs. 2 JGG) liegt deshalb noch zu weit in der Zukunft, als dass jetzt schon beurteilt werden könnte, ob dann eine Erprobung des Verurteilten verantwortet werden kann. Es ist deshalb abzuwarten, wie sich die Entlassungsbedingungen unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Verurteilten im Vollzug darstellen, wenn die Aussetzung der Restjugendstrafe in Betracht kommt. Sofern keine Vollstreckungsabgabe nach § 89 Abs. 3 JGG durch den Vollstreckungsleiter erfolgt und es deshalb bei den getrennten Vollstreckungszuständigkeiten von Strafvollstreckungskammer und Vollstreckungsleiter bleibt, sind in diesem Fall die Entscheidungen entweder unabhängig voneinander oder auf Grund formlosen Einvernehmens zu treffen (OLG Frankfurt a. a. O. 96)."

Dem tritt der Senat bei.

Nachdem inzwischen derzeit die Gesamtfreiheitsstrafe, auf die sich der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer bezog, nicht weiter vollstreckt wird, haben sich sowohl der Regelungsgehalt des angefochtenen landgerichtlichen Beschlusses als auch das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Verurteilten erledigt und waren vom Senat der Klarstellung halber für gegenstandslos zu erklären.

2. Nur der Vollständigkeit halber bemerkt der Senat zu den materiellen Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde:

Das Rechtsmittel des Verurteilten bot keinerlei Aussicht auf Erfolg.

Nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB in der seit dem 01.04.1998 geltenden Fassung setzt das Gericht nämlich die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe dann zur Bewährung aus, wenn dies - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie auch das Verhalten des Verurteilten im Vollzug zu berücksichtigen. Es muss daher in jedem Fall wahrscheinlich sein, dass der Verurteilte in Freiheit keine neuen Straftaten mehr begeht, dass hierfür lediglich eine "Chance" besteht, reicht nicht (mehr) aus (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. u. a. Beschluss vom 18.11.1999 - I Ws 414/99 und I Ws 415/99 - m. w. N.; so auch OLG Koblenz, NStZ 1998, 591).

Eine Wahrscheinlichkeit in vorstehendem Sinne ist bei diesem Verurteilten nicht festzustellen. Der jetzt 25 Jahre alte Verurteilte ist seit frühester Jugend immer wieder qualitativ und quantitativ ganz erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten (Straßenverkehrsdelikte, Diebstähle, Raub, gefährliche Körperverletzung, Trunkenheit im Straßenverkehr u. a.). Weder milde Sanktionen im Hinblick auf die ersten begangenen Straftaten noch Verbüßung von Freiheitsstrafen wegen späterer Straftatbegehungen konnten bislang eine Verhaltensänderung bei dem Verurteilten bewirken, so dass deutlich wird, dass die bisherige Sanktionierung keinen nachhaltigen Eindruck auf ihn hinterlassen hat. Der Verurteilte vermittelt vielmehr das Bild eines notorischen Wiederholungstäters, bei dem sich mittlerweile eine höchst bedenkliche kriminelle Lebensführung verfestigt hat. Er wird in Zukunft in ganz erheblichem Maße unter Beweis zu stellen haben, dass ihm eventuell doch an einem rechtschaffenden Leben ohne neuerliche Straftatbegehungen gelegen sein könnte. Mehr als vage Ansätze hierfür sind bislang jedoch nicht vorhanden.

Eine bedingte Entlassung des Verurteilten wäre nach allem ohne die veränderte Vollstreckungssituation ohnehin nicht in Betracht gekommen.

Ende der Entscheidung

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