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Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: 13 UF 99/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 539 |
SchlHOLG, 4. FamS, Urteil vom 21. Dezember 2000, - 13 UF 99/00 -
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
13 UF 99/00 72 F 634/99 AG Itzehoe Verkündet am: 21. Dezember 2000
Justizsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In der Familiensache
Klägerin, Berufungsbeklagten und Berufungsklägerin,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Heyen und Wulf in Schleswig -
gegen
Beklagten, Berufungskläger und Berufungsbeklagten,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dres. Tischler, Carstensen, Schulz und Punke in Schleswig -
hat der 4. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Friedrichsen, die Richterin am Oberlandesgericht Jantzen und den Richter am Oberlandesgericht Hohmann für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufungen der Klägerin und des Beklagten wird das am 13. April 2000 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Itzehoe aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsrechtszugs - an das Amtsgericht - Familiengericht - Itzehoe zurückverwiesen. Ausgenommen sind die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und die durch Erlass des erstinstanzlichen Urteils ausgelösten Kosten, die wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht zu erheben sind.
Tatbestand:
Die Parteien sind miteinander verheiratet, leben jedoch voneinander getrennt. Aus ihrer Ehe sind vier gemeinsame minderjährige Kinder hervorgegangen, die bei der Mutter leben. Diese macht als Klägerin für sich selbst Trennungsunterhalt und für die vier Kinder Kindesunterhalt ab Mai 1999 geltend, davon für die Zeit von Mai bis August 1999 als Rückstand, im übrigen als laufenden Unterhalt in Höhe von 799,- DM monatlich für sie selbst, sowie 384,- DM monatlich für S, 325,- DM monatlich für L, 325,- DM für W und 230,- DM monatlich für L. Der Beklagte ist angestellter Zahntechniker. Er hat ohne Leistungsbestimmung fortlaufend monatlich 1.000,- DM Unterhalt an die Klägerin und die Kinder gezahlt und in erster Instanz anerkannt, laufend 374,76 DM monatlich für die Klägerin, 151,20 DM für S, 129,92 DM für L, 125,87 DM für W und 98,60 DM monatlich für L zu schulden.
Das Amtsgericht hat über die Frage, ob der Beklagte im entscheidungserheblichen Zeitraum neben dem Festgehalt eine Umsatzbeteiligung erhielt, Beweis erhoben durch Vernehmung seines Arbeitgebers und hat der Klage nach Feststellung der Einkommensverhältnisse des Beklagten teilweise stattgegeben. Wegen der Höhe der ausgeurteilten Unterhaltsbeträge wird Bezug genommen auf den Tenor der angefochtenen Entscheidung. Dabei hat das Amtsgericht im wesentlichen ausgeführt, die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien seien vom Erwerbseinkommen des Beklagten geprägt gewesen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass er eine zusätzliche Umsatzbeteiligung nicht (mehr) erhalte. Zu berücksichtigen seien einkommensmindernd Fahrtkosten, ein (negativer) Wohnwert sowie die laufende Tilgung eines Darlehens. Einkommenserhöhend sei eine Einkommenssteuererstattung zu berücksichtigen. Auf Seiten der Klägerin seien geringfügige nicht prägende Erwerbseinkünfte sowie ein trennungsbedingter Mehrbedarf in Form von Mietkosten zu berücksichtigen. Wegen der Höhe der zu berücksichtigenden Positionen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils. Im übrigen bestehen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils aus einem 11 Seiten langen Ausdruck eines Computerprogramms, das mit Ausnahme einzelner Stichwörter ausschließlich Zahlenkolonnen enthält, ohne dass diese durch zusammenhängenden Text erläutert würden.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, wobei der Beklagte im wesentlichen vorträgt, die Klägerin habe ihre Arbeit ausgeweitet und verdiene entsprechend mehr. Überdies wohne sie mit einem neuen Partner zusammen und habe hierdurch Vorteile. Die Klägerin stützt ihre Berufung im wesentlichen auf die Behauptung, der Beklagte habe ein höheres monatliches Nettoeinkommen und erziele eine höhere Steuererstattung als vom Amtsgericht angenommen. Sie selbst habe aufgrund der Trennung weiteren Mehrbedarf, weil sie einen Kredit habe aufnehmen müssen. Ihr Lebensgefährte sei im übrigen nicht in der Lage sie zu unterstützen. Zusätzlich müsse sie für das jüngste Kind für dessen Unterbringung im Kindergarten nunmehr monatliche Beiträge aufbringen. Schließlich habe der Beklagte inzwischen das in seinem Alleineigentum stehende Haus verkauft und sei verpflichtet, den verbleibenden Übererlös zinsgünstig anzulegen.
Unter Widerruf des erstinstanzlich abgegebenen Anerkenntnisses beantragt der Beklagte
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den in erster Instanz gestellten Klaganträgen zu erkennen und für die Zeit ab 01. November 2000 an die Klägerin für die Kinder insgesamt unter Einbeziehung des bisher monatlich verlangten Betrages folgende monatliche Unterhaltsbeträge zu zahlen:
S 411,- DM, L 327,- DM, W 312,- DM, L 205,- DM
sowie
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Berufungen der Parteien führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung, denn das Verfahren des ersten Rechtszugs leidet an einem wesentlichen Mangel, § 539 ZPO. Dabei ist zwar keine fehlerhafte Prozessführung des Amtsgerichts festzustellen, aber der wesentliche Mangel liegt in der angefochtenen Entscheidung selbst. Auch schwerwiegende Mängel eines Urteils berechtigen zur Aufhebung nach § 539 ZPO (Zöller-Gummer, ZPO, 21. Aufl., Rn. 21 zu § 539). Der wesentliche Mangel liegt im vorliegenden Fall darin, dass das Urteil nur formal Entscheidungsgründe hat, tatsächlich aber inhaltlich keine eigenständige nachvollziehbare und begründete Entscheidung des Gerichts darstellt. Es beschränkt sich vielmehr im wesentlichen auf den Ausdruck eines Computerprogramms.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass es grundsätzlich zulässig und im Interesse einer erleichterten Bearbeitung nicht zu beanstanden ist, sich bei der Erledigung von Rechtsstreitigkeiten moderner technischer Hilfsmittel zu bedienen und deshalb auch Computerprogramme zur Unterhaltsberechnung einzusetzen. Der Einsatz solcher Programme darf jedoch die eigenständige Begründung des Gerichts für die Entscheidung des konkreten Einzelfalls nicht ersetzen und das Verständnis für den Fall und die getroffene Entscheidung nicht erschweren. Beides ist jedoch im vorliegenden Fall geschehen. Das Amtsgericht hat sich in der angefochtenen Entscheidung darauf beschränkt, einige einleitende Ausführungen über die Ansatzpunkte zu machen, so etwa über das Erwerbseinkommen des Beklagten als Ausgangspunkt für die durchzuführende Unterhaltsberechnung, über abzuziehende Belastungen, über einen Wohnvorteil und über ein von einem bestimmten Zeitraum zu berücksichtigendes eigenes Einkommen der Klägerin sowie über ihren trennungsbedingten Mehrbedarf. Im übrigen enthält das Urteil keine eigenständige Begründung mehr für die gefundene Entscheidung - schon die grundsätzliche Frage, ob der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach der Differenz- oder nach der Anrechnungsmethode zu ermitteln ist, wird nicht mehr beantwortet. Dies erschließt sich erst durch längeres Studium des elfseitigem Tabellenwerkes. Auch die Anerkennung trennungsbedingten Mehrbedarfs trotz grundsätzlicher Ermittlung des Unterhaltsanspruchs nach der Differenzmethode wird nicht gesondert begründet.
Entscheidend für die Feststellung eines wesentlichen Mangels und für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist jedoch, dass diese aus sich heraus nicht verständlich ist, weil sie sich zum weit überwiegenden Teil darauf beschränkt, ein tabellarisches Rechenwerk wiederzugeben. Diese vom Computer vorgegebene Darstellung ist ohne erläuternden Text nicht zu verwenden. Das angestrebte Ziel der Vereinfachung und übersichtlichen Darstellung wird verfehlt. Vielmehr wird das Verständnis der Entscheidung des Rechtsstreits erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Denn das zur Begründung des Urteils angeführte Rechenwerk ist aus sich heraus nicht verständlich. Zwar werden alle mitgeteilten Zahlen untereinander gesetzt, jedoch ergibt sich keineswegs die jeweilige Zahl aus der vorangegangenen. Das Rechenwerk enthält auch keine in sich abgeschlossenen nachvollziehbaren und voneinander deutlich zu unterscheidenden Rechenvorgänge. Zwischenergebnisse werden als solche nicht deutlich gemacht und sind nicht nachvollziehbar. So wird beispielsweise auf Seite 5 der angefochtenen Entscheidung das zunächst mitgeteilte Einkommen des Beklagten von 3.955,23 DM um verschiedene Positionen bereinigt und schließlich ein anrechenbares Nettoeinkommen von 2.858,23 DM mitgeteilt. Abzüglich Kindesunterhalt wird hieraus ein verbleibendes Einkommen von 1.038,- DM gebildet. Dies wäre nach der Rechtsprechung des Senats zum Ausgangspunkt für die Berechnung des Ehegattenunterhalts durch Bildung der 3/7 Quote zu machen. Das Computerprogramm springt jedoch offenbar zurück auf ein Einkommen des Beklagten von 3.647,- DM, das sich weder als das Ausgangseinkommen des Beklagten noch als das bereinigte Nettoeinkommen darstellt, sondern vielmehr eine Rechenposition ist, bei der das Einkommen des Beklagten um berufungsbedingte Aufwendungen aber um keine sonstigen Positionen bereinigt ist.
Das Rechenwerk enthält vielfach Zahlen, die offenbar das Ergebnis einer Zwischenberechnung darstellen, aber nicht erläutert werden. So heißt es auf Seite 10 des angefochtenen Urteils beispielsweise: Bedarf des Gatten: 1.190.11 DM. Wie sich diese Zahl ergibt, ist den vorangegangenen Berechnungen nicht zu entnehmen. Erst durch eine eigenständige, losgelöst vom Rechenwerk des Urteils durchzuführende Überlegung ergibt sich, dass sich der Bedarf der Ehefrau offenbar aus ihrem trennungsbedingten Mehrbedarf in Form der Mietkosten der Wohnung, aus der Deckungsquote ihres Unterhaltsanspruchs sowie abzüglich eigenen Erwerbseinkommens ergibt. Denn eine entsprechende Berechnung (896,11 DM + 414,- DM - 120,- DM) ergibt den kommentarlos mitgeteilten Betrag von 1.190,11 DM. Eine solche Überlegung mag für familienrechtlich geschulte Juristen mit Schwierigkeiten noch möglich sein. Die rechtssuchende aber rechtsunkundige Partei ist hierzu mit Sicherheit nicht in der Lage. Überdies bleibt auch für den Juristen letztlich zweifelhaft, ob das Amtsgericht - bzw. das Computerprogramm - tatsächlich so hat rechnen wollen, weil die entsprechende Begründung fehlt.
Das Computerprogramm enthält darüber hinaus "Rückstandsberechnungen" wobei es sich im technischen Sinne offenbar nicht um reine Rückstände aus der Zeit vor Rechtshängigkeit der Klage handelt, sondern auch um laufenden Unterhalt auf den der Beklagte während des Rechtsstreits teilweise Zahlungen geleistet hat. Auf Seite 7 des Urteils wird beispielsweise für Mai 1999 als Ergebnis der Verteilung der vom Beklagten ohne Leistungsbestimmung gezahlten 1.000,- DM mitgeteilt, er habe der Klägerin 530,- DM geschuldet, jedoch nur 363,76 DM gezahlt, so dass ein restlicher Anspruch von 166,24 DM verbleibe. Auch dies ergibt sich im übrigen nicht aus einem erläuternden Text, sondern nur aus dem juristisch geschulten Verständnis der ausgedruckten Zahlenkolonnen. Für Juni 1999 werden dann zunächst die gleichen Beträge ("gezahlt: 1.000,- DM Frau: 363,76 DM) mitgeteilt, jedoch heißt es sodann in der folgenden Zahlenspalte, die den geschuldeten Restunterhalt für Juni 1999 ausdrücken soll, nicht 166,24 DM, sondern 332,48 DM. Entsprechend verändert sind die jeweiligen Beträge für die vier Kinder. Dies setzt sich auf Seite 9 des Urteils fort. Erst aus ergänzenden Überlegungen nicht aber aus dem Urteil selbst wird deutlich, dass das verwendete Computerprogramm offenbar eine automatische Additionsfunktion enthält und die "Rückstände" der vergangenen Zeiträume aufaddiert. Dabei wird dieses Verfahren aber auch offenbar nicht konsequent durchgehalten, da bei einer weiteren Berechnung auf Seite 15 für die Monate Januar bis März 2000 jeweils gleiche Beträge (ohne Addition) mitgeteilt werden.
Insgesamt erweist sich das mitgeteilte Rechenwerk nicht als geeignet, um allein als tragende Begründung für die gefundene amtsgerichtliche Entscheidung zu dienen. Eine Partei, der die Zusammenhänge unterhaltsrechtlicher Berechnungen ohnehin nur schwer zugänglich sind, ist nicht in der Lage zu verstehen, mit welcher Begründung ihr hinsichtlich welcher Position Recht gegeben wurde bzw. welche Teile ihres Vortrages das Gericht als nicht begründet angesehen hat. Selbst das bloße mathematische Nachvollziehen des Rechenganges ist ihr nicht möglich. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang eine Partei gegen ein solches Urteil Rechtsmittel einlegen soll, welche Begründung ein solches Rechtsmittel haben müsste und wie die Erfolgsaussichten hierfür zu beurteilen wären, wird über Gebühr erschwert. Bezeichnend ist, dass die wechselseitig eingelegten Berufungen der Parteien sich mit kaum einem Wort mit der angefochtenen Entscheidung befassen, sondern sich darauf beschränken, im Laufe des Berufungsrechtszuges eingetretene tatsächliche Veränderungen in den Lebensumständen der Parteien mitzuteilen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Prozessbevollmächtigten der Parteien dann auch erklärt, sie hätten sich auf diesen Vortrag beschränkt, weil sie das angefochtene Urteil nicht hätten nachvollziehen können.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Amtsgericht zu beachten haben, dass die Berücksichtigung trennungsbedingten Mehrbedarfs einer Partei bei Berechnung eines Unterhaltsanspruches nach der Differenzmethode nach der Rechtssprechung des Senats regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu Wendl-Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., Rn. 431 in § 4). Anders mag dies dann sein, wenn auf Seiten desjenigen, der den Mehrbedarf geltend macht, nichtprägende Einkünfte vorhanden sind, die von der Differenzrechnung nicht erfasst werden (Wendl-Staudigl, a. a. O., Rn. 429). Davon will das Amtsgericht offenbar für die Zeit ab Mitte November 1999 auf Seiten der Klägerin ausgehen. Auch wenn grundsätzlich ein solcher Mehrbedarf dann berücksichtigt werden kann, entspricht es weder allgemeiner Übung noch der Rechtsprechung des Senats, diese Position in eine Mangelfallberechnung zur Ermittlung der Deckungsquote des Unterhalts hineinzunehmen, wie es das Rechenwerk des angefochtenen Urteils augenscheinlich tut, soweit sich die entsprechenden Passagen überhaupt erschließen. Die bisher nicht weiter begründete Berechnung der Unterhaltsansprüche der Kinder wird sich hinsichtlich der Frage eines evtl. Kindergeldausgleichs an § 1612 b Abs. 5 BGB zu orientieren haben.
Der Senat hält es nicht für sachdienlich selbst in der Sache zu entscheiden (§ 540 ZPO). Denn es ist nicht Aufgabe eines Berufungsgerichts, erstmals einen Rechtsstreit in der Sache nachvollziehbar zu entscheiden.
Ein aufhebendes und zurückverweisendes Urteil enthält grundsätzlich keinen Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit und keine Kostenentscheidung (Zöller-Gummer, ZPO, 21. Aufl., Rn. 27 und 28 zu § 539). Jedoch hat der Senat im vorliegenden Fall eine Teilkostenentscheidung getroffen, soweit wegen unrichtiger Sachbehandlung Gerichtskosten nicht zu erheben sind (Zöller-Gummer, a. a. O., Rn. 27). Insoweit beruht das Urteil auf § 8 GKG.
Ende der Entscheidung
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