Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 16.09.2002
Aktenzeichen: 16 W 85/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485
ZPO § 486
ZPO § 404 a
1. Ist der Hauptsacheprozess vom Einzelrichter zu entscheiden, befindet dieser auch über Einleitung und Durchführung eines während des Rechtsstreits beantragten selbständigen Beweisverfahrens. Dies gilt auch dann, wenn zweifelhaft erscheint, ob Hauptsacheprozess und Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens denselben Streitgegenstand betreffen.

2. Ein Beweissicherungsantrag ist unzulässig, wenn im Hauptsacheprozess sofort ein Beweisbeschluss mit identischen Inhalt ergehen kann.

3. Zur Anleitungspflicht des Gerichts nach § 404 a ZPO.


16 W 85/02

Beschluß

In dem selbständigen Beweisverfahren

wegen Antragserweiterung im selbständigen Beweisverfahren

hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 11. Juni 2002 gegen den Beschluß der 4. des Landgerichts Kiel vom 10. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Chlosta, den Richter am Oberlandesgericht Meinert und den Richter am Oberlandesgericht Haack am 16. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird an den zuständigen Einzelrichter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel in dem Rechtsstreit 4 O 250/00 der Verfahrensbeteiligten zurückverwiesen, der über den Antrag der Antragstellerin vom 4. März 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden hat.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 485, 487 ZPO statthaft, weil der Antrag vom 4. März 2002, das selbständige Beweisverfahren auf bisher nicht bezeichnete Gegenstände zu erstrecken, durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen worden ist. Die sofortige Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Senat hat es für zweckdienlich erachtet, die erforderlichen Anordnungen dem allein zuständigen Einzelrichter des Rechtsstreits 4 O 250/00 der Verfahrensbeteiligten im Hauptsacheprozess zu übertragen, weil die Beschwerde begründet ist, es jedoch der Entscheidung des Einzelrichters bedarf, ob überhaupt noch ein selbständiges Beweisverfahren fortzuführen ist oder ein Beweisbeschluss in der Hauptsache zu ergehen hat und im übrigen auch weitere richterliche Entscheidungen hinsichtlich der Durchführung der Beweisaufnahme zu treffen sind, § 572 Abs. 3 ZPO.

1. Das mit Antrag vom 30. Oktober 2001 zum Zwecke der Beweissicherung eingeleitete selbständige Beweisverfahren hätte von Anfang an durch das Prozessgericht des Rechtsstreits 4 O 250/00 Landgericht Kiel betrieben werden müssen, § 486 Abs. 1 ZPO. Prozessgericht war nämlich der Einzelrichter, nachdem ihm der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 30. Oktober 2000 zur Entscheidung übertragen worden war.

2. Der Einzelrichter ist auch für die Entscheidung über den Erweiterungsantrag vom 4. März 2002 zuständig.

Zwar erstreckt die Antragstellerin ihren Antrag nunmehr auf Gegenstände, die im Hauptsacherechtsstreit noch nicht bezeichnet worden sind. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist ihr Antrag gleichwohl nicht nach § 485 Abs. 2 ZPO zu beurteilen. Das Gesetz unterscheidet nur danach, ob bereits ein Rechtsstreit anhängig ist oder nicht. Zur Abgrenzung kann es danach nur darauf ankommen, ob derselbe Lebenssachverhalt, aufgrund dessen sich ein Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren zur Begründung seines rechtlichen Interesses eines Anspruchs berühmt, bereits Gegenstand eines Rechtsstreits der selben Beteiligten mit demselben Rechtsschutzziel ist. Ist dies der Fall, ist ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO unzulässig, sofern es im Hauptsacheprozess um die selben Streitfragen geht. Das ist hier der Fall. Die Antragsteller verfolgt im Hauptsacheprozess einen Schadensersatzanspruch mit der Begründung, durch einen durch Montagefehler des Antragsgegners verursachten Heißdampfaustritt sei eine Vielzahl von Gerätschaften zerstört worden. Zur Stützung ihrer Teilklage der Höhe nach hat sie nicht nur angeblich beschädigte Gegenstände aufgeführt, die ihrem Wert nach in der Summe den geltend gemachten Teilklageanspruch erreichen, sondern sich hilfsweise auf eine Vielzahl weiterer angeblich beschädigter Gegenstände in der Reihenfolge ihrer Angabe in der Klageschrift berufen. Wenn sie nunmehr weitere angeblich durch dasselbe Schadensereignis beschädigte Teile nachschiebt, wird dadurch die Identität des Schadensersatzanspruchs wie des von Anfang an behaupteten Lebenssachverhalts nicht berührt. Darauf, ob in dem Nachschieben im Hauptsacheprozess eine Klageänderung läge, was angesichts von § 264 Nr. 1 ZPO eher fern liegt, kommt es für die Frage, ob bereits ein Rechtsstreit im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO anhängig ist, nicht an. Entscheidend ist nur, dass auch die jetzt präsentierten, angeblich durch das selbe Schadenereignis beschädigten Gegenstände, ersichtlich der Stützung der schon betriebenen Teilklage dienen sollen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Antragstellerin ausdrücklich eine gegenteilige Erklärung abgegeben hätte, was nicht der Fall ist und angesichts der Beweislage hinsichtlich der zunächst mit der Klage genannten Gegenstände auch nicht zu erwarten ist.

Soweit der Senat in seinem Hinweis vom 16. Juli 2002 eine andere Beurteilung erwogen hat, wird hieran nicht mehr festgehalten.

3. Der angefochtene Beschluss ist sachlich nicht zutreffend. Die Voraussetzungen für die Durchführung einer Beweissicherung gemäß § 485 Abs. 1 ZPO liegen bei isolierter Betrachtung des selbständigen Beweisverfahrens aus den zutreffenden und fortgeltenden Gründen des Beweissicherungsbeschlusses der Kammer vom 20. November 2001 nach wie vor vor. Das Bedürfnis nach alsbaldiger Beseitigung der schadhaften Sachen ist eher gewachsen. Anders läge es nur, wenn der zuständige Einzelrichter des Hauptsacheprozesses die Dringlichkeit einer Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren wegen sofortiger Beweiserhebung schon im Rechtsstreit verneint. Dies zu entscheiden ist nicht Sache des Senats, sondern des zuständigen Einzelrichters.

Bedenken gegen eine ausreichende Individualisierung der angeblich durch das Ereignis vom 18. Januar 2000 zerstörten Teile müssen zurücktreten, da die Antragstellerin glaubhaft dargelegt hat, zu einer weiteren Konkretisierung nicht in der Lage zu sein. Sie hat sich bereit erklärt, dem Sachverständigen alle Gegenstände nach den vorgelegten Listen zuzureichen. Mehr zu verlangen liefe darauf hinaus, die Antragstellerin ohne Klärung des wahren Sachverhalts von vornherein rechtlos zu stellen.

Eine andere Frage ist, ob die Antragstellerin in der Lage sein wird, den Kausalzusammenhang zwischen dem jetzigen Zustand der vorgelegten Gegenstände und dem schädigenden Ereignis vom 18. Januar 2000 zu beweisen. Das kann nicht ohne Einschaltung eines Sachverständigen entschieden werden, mögen sich auch insoweit auf erste Sicht starke Zweifel aufdrängen.

4. Der zuständige Einzelrichter der Kammer wird zu entscheiden haben, ob es jetzt noch einer vorgezogenen Beweissicherung bedarf. Auch im Hauptsacheprozess dürfte nämlich eine Beweisaufnahme zur Schadenshöhe anstehen. Eine Beweiserhebung im Hauptsacheprozess, die unmittelbar ansteht, schließt eine Beweiserhebung im gesonderten Beweissicherungsverfahren aus (Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 485 Rn. 1). Der Hauptsacheprozess ist insoweit stets vorrangig. Keinesfalls kann ein Hauptsacheprozess ausgesetzt werden oder bleiben, wenn der selbe Zweck des auf Beweissicherung gerichteten selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 1 ZPO auch im Rahmen des Hauptsacheprozesses sofort erreicht werden kann. Im letzeren Falle ist ein Abtrag nach § 485 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

5. Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles ist auf § 404 a Abs. 1 ZPO hinzuweisen, und zwar unabhängig davon, ob die zu treffende Beweis-ordnung im Hauptsacheprozess oder im Rahmen des anhängigen Beweissicherungsverfahrens ergeht, §§ 492, 404 a ZPO.

Der Sachverständige ist offenbar der Ansicht, er müsse gleichzeitig sofort alle zur Begutachtung vorgelegten Gegenstände beurteilen. Das dürfte unzweckmäßig sein. Es dürfte genügen, die Übereinstimmung der präsentierten Gegenstände mit den vorgelegten Listen zu überprüfen, einige Gegenstände stichprobenartig zur labortechnischen Überprüfung zu entnehmen und den Rest zunächst ununtersucht zu lassen. Stellt sich heraus, dass die Verrostungen und angeblichen Verätzungen in keinem Zusammenhang mit dem geltend gemachten Heißdampfaustritt stehen oder läßt sich ein solcher Zusammenhang nicht erweisen, wird die Antragstellerin beweisfällig bleiben. Läßt sich der behauptete Zusammenhang erweisen, wird der Einzelrichter zu entscheiden haben, ob weitere Stichproben zu entnehmen sind oder der gesamte Bestand zu untersuchen ist.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, das ein Beweissicherungsverfahren nicht daran scheitern darf, dass das Gericht eine Einbeziehung der jetzt noch neu vorgelegten weiteren, angeblich auch durch den Heißdampfaustritt beschädigten Gegenstände in den Hauptsacheprozess aus prozessualen Gründen ablehnt. Gerade dann entfaltet das Beweissicherungsverfahren seine Bedeutung, weil der Antragstellerin nicht verwehrt ist, eine weitere Schadensesatzklage zu erheben. Das versteht sich angesichts des Umstandes, dass bislang nur Teilklage erhoben worden ist, von allein.

Die vom Landgericht im angefochtenen Beschluss erörterten Sachdienlichkeitsgesichtspunkte sind deshalb für die Frage, ob die beantragte Beweiserhebung durchgeführt wird, unerheblich. Sie können allenfalls im Rahmen der Entscheidung, ob die Beweisaufnahme im Hauptsacheprozess oder im Beweissicherungsverfahren zu erfolgen hat, von Bedeutung sein. Allerdings ist auf § 264 Nr. 1 ZPO bereits oben hingewiesen worden.

6. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich keine Kostenentscheidungen ergehen und einer der anerkannten Ausnahmefälle nicht vorliegt (dazu Zöller/Herget, aaO., § 490 Rn. 5).

Ende der Entscheidung

Zurück