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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 2 W 52/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, WEG


Vorschriften:

ZPO § 767
BGB § 1004 I 2
WEG § 10 Abs. 1 Satz 2
WEG § 15 I 1
WEG § 15 I 3
1. § 767 ZPO ist auf im Wohnungseigentumsverfahren erlassene Unterlassungstitel entsprechend anwendbar.

2. Zu den Einwendungen, die den durch "das Urteil" festgestellten Anspruch im Sinne des § 767 ZPO selbst betreffen, gehört auch die Geltendmachung nachträglich geänderter tatsächlicher Verhältnisse, grundsätzlich nicht jedoch die Wandlung der Verkehrs- und Rechtsauffassung.

3. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass der Betrieb einer "Warmen Theke" (Imbisses) schlechthin der Zweckbestimmung "Laden" in einer Teilungserklärung widerspricht. Die Frage beurteilt sich vielmehr danach, ob der Betrieb unter den konkreten Umständen des Einzelfalls die übrigen Wohnungseigentümer insbesondere im Hinblick auf Öffnungszeiten sowie Lärm- und Geruchsbeeinträchtigung nicht mehr stört und beeinträchtigt als die zweckbestimmte Nutzung


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluß

2 W 52/03

In dem Wohnungseigentumsverfahren

betreffend die Anlage

hat der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2. vom 3.03.2003 gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 12.02.2003 durch die Richter ... beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieser Instanz - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1. - Teileigentümer der Anlage - betreibt in Räumen des Erdgeschosses im Vorderhaus , die in der Teilungserklärung als Laden Nr. 6 ausgewiesen sind, ein Fleischereifachgeschäft. In einem von den Beteiligten zu 2. genehmigten Anbau bereitet er Fleisch- und Wurstwaren zu und stellt Fertiggerichte her. Im Nachbarhaus, das dem Beteiligten zu 1. gehört, unterhält er einee Gaststätte,.deren Speisen ebenfalls im Anbau hergerichtet werden. Die Gaststätte hat auf der ihr vorgelagerten Straßenfläche Tische und Sitzgelegenheiten. Im Jahre 1987 errichtete der Beteiligte zu 1. im vorderen Bereich des Fleischereigeschäfts eine "warme Theke" (Imbiß), an der er seitdem Mahlzeiten verkauft, welche die Kunden an Stehtischen im Straßenraum vor dem Geschäft - von der Stadt S. genehmigt - einnehmen können.

Auf Betreiben der Beteiligten zu 2. untersagte das Amtsgericht dem Beteiligen zu 1. durch Beschluß vom 9.01.1989 (14 II 56/88), im Ladengeschäft eine über die Teileigentumsnutzung "Laden" hinausgehende gewerbliche Tätigkeit "Imbiß" auszuüben. Darin ist ausgeführt:

"Die Nutzung als Imbiß überschreitet diesen Rahmen (erg.: Zweckbestimmung Laden)...Die Störungen der Wohnungseigentümer und benachbarten Teileigentümer treten durch die Aufhebung der Ladenschlußzeiten und die Einnahme von Mahlzeiten und Getränken vor dem Geschäft ein. Dies wird gefördert durch den Verkauf von Fertiggerichten zur unmittelbaren Einnahme an den Tischen vor dem Geschäft. Der Antragsgegner bewirkt dadurch Störungen, die über den Betrieb eines reinen Ladengeschäftes - auch in der Form eines Fleischereifachgeschäftes - erheblich hinausgehen...."

Da sich der Beteiligte zu 1. nicht an dieses Verbot hielt, verhängte das Amtsgericht auf Antrag der Wohnungseigentümer durch Beschlüsse vom 21.03.2000 - 9 II 109/99 und 7.11.2000 - 9 II 100/00 - gegen ihn Ordnungsgelder von 10.000 DM bzw. 20.000 DM.

Der Beteiligte zu 1. betreibt den Imbiß nach wie vor. Mit dem im vorliegenden Verfahren am 22.08.2001 gestellten Antrag haben die Beteiligten zu 2. erneut die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen ihn beantragt. Der Beteiligte zu 1. ist dem entgegengetreten und hat überdies beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts vom 9.01.1989 aufzuheben. Er hat dazu geltend gemacht, inzwischen habe sich ein Begriffswandel dahingehend vollzogen, daß unter "Laden" auch zu verstehen sei, außerhalb des Geschäftes Verkäufe zu tätigen, wie insbesondere in der X. Straße in S. üblich. Sämtliche Fleischereien in der Bundesrepublik seien aus wirtschaftlichen Gründen gehalten, Imbisse zu betreiben. Im übrigen seien Lärm- und Geruchsbelästigungen nicht vorhanden. Der Unterlassungsanspruch sei jedenfalls verwirkt, weil die Beteiligten zu 2. über 11 Jahre hinweg den Betrieb der "warmen Theke" geduldet hätten.

Das Amtsgericht hat durch Beschluß vom 28.09.2002 unter Zurückweisung des Bestrafungsantrags auf den Gegenantrag die weitere Vollstreckung aus dem Beschluß vom 9.01.1989 für unzulässig erklärt. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2. hat das Landgericht unter Änderung des amtsgerichtlichen Beschlusses den Antrag des Beteiligten zu 2. zurückgewiesen und gegen ihn wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 9.01.1989 ein weiteres Ordnungsgeld von 10.225,84 Euro (= 20.000 DM) festgesetzt. Gegen diesen Beschluß, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 159 bis 162 R d. A.), richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1., der die Beteiligten zu 2. entgegengetreten sind.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 45 WEG; 27, 29 FGG) und begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 27 FGG; 546 ZPO). Das Landgericht hat die ihm - auch im Wohnungseigentumsverfahren grundsätzlich (Weitnauer/Hauger, WEG, 8. Aufl., Anh. § 43 Rn. 21) - obliegende Aufklärungspflicht nach § 12 FGG verletzt.

1. Zutreffend ist im Ausgangspunkt, daß § 767 ZPO auf den im Wohnungseigentumsverfahren erlassenen Unterlassungstitel vom 9.11.1989 entsprechend anwendbar ist (BayObLG ZMR 2000, 43; 1999, 183). Zu den Einwendungen, die den durch das " Urteil" festgestellten Anspruch selbst betreffen, gehört auch die Geltendmachung nachträglich geänderter Verhältnisse (OLG Köln NJW-RR 1987, 1471; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 323 Rn. 29 m.w.Nw.).

2. Weiter hat das Landgericht mit Recht angenommen, daß es sich bei der Bezeichnung des Teileigentums des Beteiligten zu 1. in der Teilungserklärung als "Laden" um eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter im Sinne der §§ 10 Abs. 1 Satz 2; 15 Abs. 1 WEG handelt (Senat, Beschluß vom 29.03.2000, WuM 2000, 318). Ein solches Teileigentum darf grundsätzlich nur im Rahmen der Zweckbestimmung genutzt werden. Eine andere Nutzung ist nur dann zulässig, wenn sie im konkreten Fall nicht mehr stört und beeinträchtigt als die zweckbestimmte Nutzung (Senat a.a.O., BayObLG ZMR 2000, 53; OLG Karlsruhe NJW-RR 1994, 146). Wird ein Teileigentum nach dieser Maßgabe von dem Eigentümer zweckbestimmungswidrig genutzt, kann ein anderer Wohnungs- oder Teileigentümer Unterlassung dieser Nutzung nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB; 15 Abs. 3 WEG verlangen. Ob auch gegenwärtig noch nach allgemeinem Sprachgebrauch wie auch im allgemeinen Geschäftsverkehr unter einem Laden in aller Regel ein Raum zum Verkauf von Waren, nicht aber zum Verzehr von verkauften Waren an Ort und Stelle zu verstehen ist, kann hier offen bleiben, weil die Wandlung der Verkehrs- oder Rechtsauffassung grundsätzlich nicht zu den zulässigen Einwendungen im Sinne des § 767 ZPO gehört (Zöller/Herget, § 767 Rn. 13 m.w.Nw.). Das Amtsgericht hat in seinem Beschluß vom 28.09.2002 eine Reihe von - nach Erlaß des Beschlusses vom 9.01.1989 - eingetretenen Tatsachen aufgeführt, die belegen, daß die Nutzung des Ladens unter den besonderen konkreten Umständen des Falles auch als sog. warme Theke (Imbiß) durch den Beteiligten zu 1. die Miteigentümer nicht mehr stört und beeinträchtigt als eine Nutzung lediglich zum Verkauf. Dabei sind - wie auch im Beschluß vom 9.01.1989 hervorgehoben - von Bedeutung in erster Linie die Nichteinhaltung der gesetzlichen Ladenschlußzeiten (vgl. OLG Hamburg ZMR 2002, 455; KG FGPrax 1999, 93; OLG Karlsruhe NJW-RR 1994, 146, 147; WuM 1993, 290; BayObLG ZMR 1993, 427, 428), ferner die Geräusch- und die Geruchsbelästigungen der übrigen Teil- und Wohnungseigentümer (vgl. BayObL ZMR 2000, 53, 54). Das Amtsgericht hat dazu ausgeführt:

a) Die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten hätten sich durch das geänderte LadenschlußG (nunmehr i.d.F. vom 2.06.03) beträchtlich ausgedehnt (nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 nunmehr montags bis samstags ab 6 Uhr und bis 20 Uhr), wobei diese Zeiten in S. in Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 für Kur- und Erholungsorte noch großzügiger gehandhabt würden. Vorliegend sei nicht ersichtlich, daß der Beteiligte zu 1. sein Geschäft einschließlich der sog. warmen Theke über die nun geltenden Öffnungszeiten hinaus geöffnet habe.

b) Der Charakter der X-straße habe sich - aus eigener Anschauung - seit 1989 nachhaltig gewandelt. Immer weitergehend hätten die Inhaber von Ladengeschäften - so auch die andern Teileigentümer der Anlage - den öffentlichen Straßenraum in ihren Geschäftsbetrieb einbezogen und insbesondere Verkaufsstände aufgestellt. Wegen des infolgedessen regen Publikumandrangs bestehe in der X-Straße nunmehr ohnehin eine erhebliche Geräuschkulisse, in welcher die mit dem Betrieb der "warmen Theke" des Beteiligten zu 1. verbundenen Geräusche aufgingen.

c) Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, durch den Betrieb der "warmen Theke" bestünden unzumutbare Geruchsbelästigungen für die übrigen Miteigentümer. Diese hätten im Verfahren 14 II 56/88 Geruchsbelästigungen durch die Zubereitung von Giros bei geöffneten Fenstern des Ladengeschäftes gerügt. Es sei anzunehmen, daß dies inzwischen abgestellt sei, weil dem Beteiligten zu 1. bereits im Sommer 1988 vom Ordnungsamt aufgegeben worden sei, für ein ordnungsgemäßes Absaugen von Dünsten der Essenszubereitung zu sorgen bzw. die Fensterflächen geschlossen zu halten. Die Beteiligten zu 2. hätten auch nicht wieder konkrete Geruchsbelästigungen gerügt.

Hinzuzufügen ist, daß auch durch die zulässigerweise in und vor dem unmittelbar benachbarten Haus betriebene Gaststätte des Beteiligten zu 1. eventuelle Geräusch- und Geruchsentwicklungen der "warmen Theke" weiter relativiert werden.

3. Den detaillierten Feststellungen des Amtsgerichts, die es den Beteiligten bereits in seinem Beschluß vom 13.09.2002 im Verfahren 9 II 69/02 angekündigt hatte, sind die Beteiligten zu 2. nicht - auch nicht im Beschwerdeverfahren - mit konkretem Tatsachenvortrag zu den Öffnungszeiten, zur Geräuschentwicklung und zur Geruchsbelästigung entgegengetreten. Ungeachtet des erwähnten grundsätzlich im Wohnungseigentumsverfahren geltenden Ermittlungsgrundsatzes darf das Gericht angesichts des Streitcharakters des Verfahrens davon ausgehen, daß jeder Beteiligte die ihm günstigen Tatsachen vorträgt und die hierfür geeigneten Beweismittel benennt, daher kann oft ein Nichtbestreiten von weiteren Ermittlungen entbinden (Weitnauer/Hauger, Anh. § 43 Rn. 21.; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl., § 43 Rn. 16 - jeweils m.w.Nw.). Jedenfalls kann das Landgericht diese Feststellungen des Amtsgerichts nicht ohne weitere Ermittlungen - etwa durch die Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten - mit dem allgemeinen Hinweis entkräften, der vom Beteiligten eingerichtete Imbiß mit Verzehrmöglichkeiten auf der Straßenfläche lade ausdrücklich und absichtlich zum Verweilen im Laden bzw. vor dem Laden ein, dies sei erfahrungsgemäß mit einer größeren Geräuschentwicklung und auch mit einer zusätzlichen Verunreinigung (die im Beschluß vom 9.01.1989 gar nicht festgestellt war) verbunden als bei einer Nutzung nur als Ladengeschäft. Da insoweit weitere Ermittlungen erforderlich sind, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

4. Ein eventuell weiter bestehender Unterlassungsanspruch der Beteiligten zu 2. - wäre - wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat - nicht verwirkt.



Ende der Entscheidung

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