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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 30.10.2002
Aktenzeichen: 9 U 150/01
Rechtsgebiete: AKB, KfzPflVV


Vorschriften:

AKB § 2 b Nr. 1 e
AKB § 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3
KfzPflVV § 5 Abs. 1 Nr. 5
KfzPflVV § 6 Abs. 3
Eine Versicherung kann sowohl wegen unfallbedingter Trunkenheit im Verkehr als auch wegen Unfallflucht beim Versichernungsnehmer Rückgriff nehmen.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

9 U 150/01

Verkündet am: 30. Oktober 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Schleswig - Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2002 durch die Richter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 30. November 2001 geändert.

Der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.746,99 ? (= 15.151,79 DM) nebst 4 % Zinsen hierauf seit dem 7. Juli 2001 zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung wegen eines über 5.112,92 ? (= 10.000 DM) hinausgehenden Betrages durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils insoweit vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des insoweit jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind im Streit, inwieweit die Klägerin als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer wegen Obliegenheitsverletzungen des beklagten Unfallchirurgen vor und nach einem Verkehrsunfall Regress nehmen kann. Der Beklagte führte am 13. August 1999 in Kiel seinen Pkw, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Dabei erfasste er gegen 19 Uhr 40 eine vorfahrtberechtigte ältere Fahrradfahrerin, sodass diese zu Boden stürzte und verletzt wurde. Nach Überreichen seiner Visitenkarte fuhr der Beklagte davon. Davon ließ er sich auch nicht durch einen Unfallzeugen abhalten, der sich vor seinen Pkw gestellt hatte und dann zur Seite springen musste. Die dem Beklagten um 20 Uhr 15 entnommenen Blutprobe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 1,46 Promille. Das Amtsgericht Kiel verurteilte ihn aufgrund seines Verhaltens wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort rechtskräftig zu einer Gesamtgeldstrafe.

Nach Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 DM verlangt die Klägerin unter Anrechnung von Ersatzleistungen der AOK Zahlung von 15.151,79 DM. Sie meint, die Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Unfall ermöglichten einen Regress von insgesamt 20.000 DM. Der Beklagte ist dem bei einem Anerkenntnis in Höhe von 10.000 DM unter Berufung auf das Urteil des OLG Nürnberg vom 27. Juli 2000 (MDR 2000, 1244 = Blutalkohol 38, 470) entgegen getreten. Das Landgericht hat sich diesem Urteil angeschlossen und die weiter gehende Klage abgewiesen. Die Klägerin verfolgt ihren Standpunkt mit der Berufung weiter. Der Beklagte bringt in der Berufungserwiderung zusätzlich vor, ein besonders schwerwiegender Fall im Sinne des § 6 Abs. 3 KfzPflVV sei nicht dargelegt, ein Schmerzensgeld von 20.000 DM nicht angemessen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die Berufungsbegründung vom 20. März 2002, die Berufungserwiderung vom 23. August 2002, den Schriftsatz vom 26. August 2002 und das Protokoll müber die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2002 verwiesen. Die Akte 591 Js 34521/99 der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel ist beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a. F., 426 Abs. 2 BGB, 3 Nr. 9 PflVG, 2 b Nr. 1 e AKB, 5 Abs. 1 Nr. 5 KfzPflVV, 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 AKB, 6 Abs. 3 KfzPflVV ein Anspruch auf Zahlung weiterer 5.151,79 DM zu.

1. Der Beklagte hat die Obliegenheit verletzt, sein Fahrzeug nicht zu führen, wenn er infolge des Genusses alkoholischer Getränke dazu nicht sicher in der Lage ist. Daneben fällt ihm mit dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzung der Aufklärungspflichten zur Last (vgl. dazu das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 29. Februar 2000, BA Bl. 102). Die Fahrradfahrerin war gestürzt, verletzt und der Beklagte ließ es auch noch darauf ankommen, einen Zeugen zu überfahren.

Wegen des Leistungsfreiheitsbetrages für die Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall entfällt der Leistungsfreiheitsbetrag für die Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall nicht (so auch: OLG Hamm, VersR 2000, 843, 844; OLG Bamberg, Schaden-Praxis 2001, 212 und r + s 2002, 2; LG Gießen, Blutalkohol 38, 472 mit zust. Anm. von Littbarski, a.a.O., 473; LG Aachen, r + s 1998, 226; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 2b AKB Rn. 139 und § 5 KfzPflVV Rn. 19; Prölss/Knappmann, VVG, 26. Aufl., § 6 KfzPflVV § 5 Rn. 11; Römer/Landheid, VVG, § 5 KfzPflVV Rn. 11; Stamm, VersR 1995, 261, 266; Knappmann, VersR 1996, 401, 405 f.; and. Ans: OLG Nürnberg, Blutalkohol 38, 470 = MDR 2000, 1244; Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, § 5 KfzPflVV Rn. 13; LG Köln, NZV 1995, 284 bezogen auf die Zeit vor Inkrafttreten der KfzPflVV vom 29. Juli 1994). Dafür sprechen deutlich Systematik und Zweck der Bestimmungen. § 5 Abs. 3 Satz 1 KfzPflVV ist bezogen auf die Verletzung einer nach § 5 Abs. 1 KfzPflVV vereinbarten Obliegenheit, § 6 Abs. 3 KfzPflVV auf Verletzung einer in § 6 Abs. 1 KfzPflVV genannten Obliegenheit. Die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 AKB bezeichnete Obliegenheit hat einen anderen, jedenfalls weiter gehenden Schutzzweck als die in § 2b Nr. 1e AKB genannte Obliegenheit. Sie soll sicher stellen, dass nicht nur Feststellungen zur Trunkenheit möglich sind, sondern auch darüber hinaus gehende Feststellungen, etwa zum Unfallhergang. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb einem Versicherungsnehmer, der bereits eine Obliegenheit vor Eintritt des Versicherungsfalles verletzt hat, nach einer Zäsur durch diesen noch ohne versicherungsvertragliches Risiko eine weitere Obliegenheitsverletzung möglich sein soll, noch dazu eine besonders schwerwiegende vorsätzliche begangene Verletzung der Aufklärungspflicht im Sinne von § 6 Abs. 3 KfzPflVV. Seine "wirtschaftliche Existenz" (vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor, a.a.O.) ist bei einer Verpflichtung zur Zahlung von 20.000 DM nicht schlechthin und wenn überhaupt nur in Ausnahmefällen bedroht. Die abweichende Meinung lässt sich nicht "mit der aus dem Strafrecht bekannten Rechtsfigur der "mitbestraften Nachtat" anschaulich untermauern" (so aber OLG Nürnberg, a.a.O.). Ein Vergehen nach § 142 StGB wird durch Vergehen nach §§ 315 c, 316 StGB vor einem Unfall gerade nicht "konsumiert".

2. Die Parteien sind sich einig, dass der in diesem Prozess geltend gemachte Betrag von 15.151,79 DM auf das an die Geschädigte gezahlte Schmerzensgeld entfällt. Dieser stand ein auf die Klägerin übergegangener Anspruch gegen die Parteien aus § 847 Abs. 1 BGB a. F. mindestens in dieser Höhe zu. Der Beklagte hat ihr einen Bruch des Schienbeinkopfes im rechten Knie zugefügt, dessentwegen sie 12 Tage im Krankenhaus stationär und operativ behandelt werden musste und drei Monate bettlägerig war. Noch im Februar 2000 musste sie bei einem schief stehenden rechten Bein an Krücken gehen und das Bein immer wieder hochlegen. Zwei Schrauben wurden aus dem Knie im November 2000 entfernt. Nach dem Ärztlichen Ergänzungsbericht der L. - Klinik vom 12. März 2001 war die Geschädigte in der Zeit vom 13. August 1999 bis 22. November 1999 zu 100 % arbeitsunfähig, dann bis zum 4. März 2001 zu 30 % und danach auf Dauer zu 20 %. Als dauernde Folge des Unfalls wird eine posttraumatische Arthrose des rechten Kniegelenks zurückbleiben. Der Beklagte war massiv betrunken. Er hat die damals bald 70-jährige Geschädigte nach dem Sturz vom Fahrrad an der Unfallstelle nicht ärztlich zu betreuen versucht, sondern ist nach Übergabe seiner Visitenkarte - noch dazu unter Gefährdung eines Unfallzeugen - davon gefahren. Einsicht des Beklagten in sein Fehlverhalten ist nicht zu erkennen. Noch im Strafverfahren hat er in der Hauptverhandlung erklärt: "Ich gab ihr meine Visitenkarte, weil ich mich ihr erkenntlich zeigen wollte. Ich hätte auch so wegfahren können, ohne mich um sie zu kümmern. Sie hätte zu mir in Behandlung kommen können".

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 288 Abs. 1 BGB a. F., 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 , 709 Satz 2 ZPO. Der Senat lässt die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. ZPO zu, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.

Ende der Entscheidung

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