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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 12.08.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 195/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 119 Abs. 3 | |
StPO § 126 Abs. 2 |
2. Der Gesichtspunkt der wirksamen Verteidigung kann die Benutzung eines EDV-Geräts in der Untersuchungshaftanstalt allenfalls dann rechtfertigen, wenn in Großverfahren eine mit konventionellen Mitteln durchgeführte Datenerfassung und Datenverarbeitung nicht dasselbe Verteidigungsziel erreichen könnte, und wenn der Verteidiger mit der elektronischen Datenverarbeitung überfordert wäre (ebenso jetzt OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. August 2003 - 5 Ws 48/03).
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss
147 Js 79932/01 StA Stuttgart
vom 12. August 2003
in der Strafsache gegen
wegen Umsatzsteuerhinterziehung und Betruges
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten S. gegen die Verfügung der Vorsitzenden der 11. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2003 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
Der wegen mehrfacher Umsatzsteuerhinterziehung und wegen mehrfachen Betruges angeklagte, inzwischen - nicht rechtskräftig - zu 4 Jahren Freiheitsstrafe verurteilte Beschwerdeführer sieht seine Verteidigung dadurch behindert, dass ihm die Benutzung eines Laptops oder PCs in der Untersuchungshaftanstalt mit der angefochtenen Verfügung versagt wurde.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, hat es die Vorsitzende der mit der Sache befassten Wirtschaftsstrafkammer abgelehnt, dem Angeklagten die Benutzung der erwünschten Datenverarbeitungsanlagen in der Untersuchungshaftanstalt zu gestatten.
1. Für private, über die Briefkontrolle (§§ 119 Abs. 3, 126 Abs. 2 StPO) laufende Schreiben ist der Angeklagte mit einer normalen Schreibmaschine - wie dem Senat aus dessen umfänglichen Beschwerdeschriftsätzen bekannt ist - hinreichend ausgerüstet.
2. Es entspricht nahezu einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. KG ZfStrVo 2003, 117; OLG Hamm - 3. Strafsenat - StV 1997, 199; OLG Düsseldorf NStZ 1999, 271) und in der Literatur (Boujong in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 119 Rdn. 64; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 119 Rdn. 29; Lemke in Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Auflage, § 119 Rdn. 42), dass die Benutzung eines Computers oder Laptops in der Untersuchungshaftanstalt die Anstaltsordnung gefährdet, weil ein unerlaubter Diskettenaustausch nicht auszuschließen ist; auch läuft die Benutzung derartiger Datenverarbeitungsanlagen dem Zweck der Untersuchungshaft, die Flucht des Untersuchungsgefangenen zu verhindern (§§ 119 Abs. 3, 126 Abs. 2 StPO) zuwider, weil weder die gespeicherten Daten noch die Speicherungsmedien (Disketten oder CD-Rom) noch deren Verbleib in der Anstalt hinreichend kontrolliert werden können. Die Anstaltsbediensteten sind hierzu - wie die Leitung der Justizvollzugsanstalt S. mitgeteilt hat - mangels entsprechender Spezialkenntnisse nicht in der Lage; der Einsatz von EDV-Fachleuten zur regelmäßigen oder wenigstens stichprobenweisen Kontrolle der EDV-Geräte ist der Anstalt weder möglich noch zumutbar.
Die seltenen von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen betreffen andere Sachverhalte als den vorliegenden. In dem vom OLG Koblenz (StV 1995, 86) entschiedenen Fall, in dem die Benutzung eines Laptops gestattet wurde, waren umfängliche Rechenoperationen erforderlich, die auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht nur mit Hilfe einer EDV-Anlage bewältigen konnte. In dem vom OLG Hamm - 1. Strafsenat - (NStZ 1997, 566) entschiedenen Fall wurde zwar die Computerbenutzung in der Untersuchungshaftanstalt genehmigt, jedoch zur Sicherung des Haftzwecks das Diskettenlaufwerk ausgebaut und der Computer nur mit einer Festplatte betrieben; aus Gründen des Vertrauensschutzes konnte dem Untersuchungsgefangenen seine bereits bisher auf elektronische Datenverarbeitung gestützte Verteidigung nicht rückwirkend entzogen werden.
Ein derartiger Ausnahmefall liegt beim Beschwerdeführer S. nicht vor. Bei ihm ist vielmehr eine erhöhte Missbrauchsgefahr gegeben, weil er bereits früher - bis zur Entdeckung im Februar 2003 - Kassiber, die auch Anweisungen für Fluchtvorbereitungen an seine Ehefrau enthielten, mit Hilfe einer nicht ermittelten Person aus der Untersuchungshaftanstalt herausgeschmuggelt hat. Überdies hat er nach Mitteilung der Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer von 1177 ihm überlassenen Fahrzeugmappen, die die Identität und den wechselnden Verbleib von verfahrensgegenständlichen Fahrzeugen der Marke dokumentierten, 237 Mappen nicht an das Gericht zurückgegeben. Seine persönliche Verlässlichkeit muss daher als gering eingestuft werden; der Missbrauch einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage wäre bei ihm mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
3. Die Zulassung eines Laptops oder PCs war beim Beschwerdeführer, der mangelnde Waffengleichheit mit den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden sowie mit dem Gericht beklagt, zur sachgerechten Verteidigung auch nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer war auch ohne Hilfe eines solchen EDV-Geräts in der Lage, seine Verteidigung - soweit diese nicht ohnehin in der Hand seiner Verteidiger lag - in der 11-monatigen Hauptverhandlung in wirksamer Weise zu betreiben. Mit Hilfe der ihm bereits im Januar 2003 überlassenen Stehordner und Fahrzeugmappen war er ohne weiteres im Stande, aufgrund der 17-stelligen Fahrzeug-Ident-Nummer die Fahrzeuge und ihren wechselnden Verbleib zu ermitteln. Die Fahrzeugausstattung ergibt sich aus den Nummern nicht und ist auch nicht auf verfahrensgegenständlichen elektronischen Datenträgern erfasst; sie ergibt sich lediglich aus den in Papierform als Aktenbestandteil vorliegenden Rechnungen für jedes Fahrzeug. Die für die Fahrzeuge nach der Aussage der Zeugin B. durchschnittlich gewährten Nachlässe in den Jahren 1999 bis 2001 waren in einer Tabelle enthalten, die die Wirtschaftsstrafkammer in Papierform allen Verfahrensbeteiligten überlassen hat.
Damit wird klar, dass ein mit konventionellen Mitteln angestellter Vergleich der Daten, für den der Beschwerdeführer von Januar 2003 bis Juni 2003 reichlich Zeit hatte, einen Vergleich mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage an Zuverlässigkeit und Übersichtlichkeit übertroffen hätte, da die naheliegende Möglichkeit entsprechender Eingabefehler ausgeschlossen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer hat trotz seines umfänglichen Vortrags nicht konkret darzulegen vermocht, welche - erhofften - Fakten er aus den ihm (in Kopie) überlassenen Aktenteilen und urkundlichen Beweismitteln mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage noch hätte heraussuchen, welche etwaigen Schlüsse er im Erfolgsfalle hätte ziehen und welche etwaigen Anträge er sodann hätte stellen wollen. Sein diesbezüglicher Vortrag verliert sich in abstrakten Vermutungen, die nicht von der Sorge um seine effektive Verteidigung, sondern von seinem generellen - unbegründeten - Misstrauen gegen die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte gekennzeichnet sind.
Ende der Entscheidung
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