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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 22.11.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 271/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 172 Abs. 3 Satz 1
Im Klageerzwingungsverfahren muss der Vortrag des Anzeigeerstatters zur Beweis-würdigung die bestimmte Behauptung enthalten, es bestehe im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte wegen des Vorwurfs verurteilt werde. Äußert der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers selbst Zweifel an der Beweisbarkeit des Vorwurfs, so ist der Antrag unzulässig.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 271/04

vom 22. November 2004

in der Anzeigesache

wegen Diebstahls. Tenor:

Der Antrag der Anzeigeerstatterin auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom 07. September 2004 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Die zum Tatzeitpunkt 78-jährige Anzeigeerstatterin wirft dem Beschuldigten, einem Stuttgarter Antiquar, vor, er habe anlässlich des Ankaufs von Wertgegenständen in ihrer Wohnung in Stuttgart am 22. (oder 25.) März 2004 ein Münzalbum im Wert von mehreren hundert Euro aus dem Wohnzimmerschrank gestohlen.

II.

Der Antrag der Anzeigeerstatterin auf gerichtliche Entscheidung ist nicht zulässig, weil der Vortrag den inhaltlichen Erfordernissen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht genügt. Danach muss nicht nur eine in sich geschlossene, aus sich selbst heraus verständliche Darstellung des Sachverhalts gegeben werden, sondern es muss auch in Auseinandersetzung mit den Einstellungsbescheiden der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft die Beweislage in der Weise gewürdigt werden, dass ein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage (§ 174 Abs. 1 StPO) bestehe (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 172 Rdnr. 27; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 172 Rdnr. 38, jeweils m.w.N.). Ein genügender Anlass setzt nach allgemeiner Auffassung hinreichenden Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO und damit die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung des Beschuldigten voraus (vgl. OLG Rostock NStZ-RR 1996, 272; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 174 Rdnr. 2; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 170 Rdnr. 1). Hierfür stellt das Oberlandesgericht ohne Bindung an die Entscheidungen der staatsanwaltschaftlichen Instanzen eigene tatsächliche und rechtliche Erwägungen an und trifft eine vorläufige Beweisbarkeitsprognose (vgl. BVerfG NJW 2002, 2859; OLG Rostock a.a.O.; Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 174 Rdnr. 2). Grundlage dieser Prognose ist bei der zunächst vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung der Vortrag des Anzeigeerstatters zur Beweiswürdigung. Dieser muss die bestimmte Behauptung enthalten, es bestehe im Fall der Erhebung der öffentlichen Klage die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Beschuldigten.

Daran fehlt es hier. Im Antrag wird ausgeführt:

"Das Münzalbum kann daher, soweit den Angaben der Antragstellerin gefolgt wird, nur durch eine Straftat in den Besitz des Beschuldigten gelangt sein. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang den Angaben der Antragstellerin zu folgen ist, kann nur in einer mündlichen Verhandlung beurteilt werden. Es wird sich dann zeigen, ob das Gericht zu der Überzeugung gelangen kann, dass sich der Beschuldigte einer Straftat schuldig gemacht hat oder aber von seiner Version der Dinge auszugehen ist."

Damit ist eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht mit Bestimmtheit behauptet. Der Verfahrensbevollmächtigte der Anzeigeerstatterin als unabhängiges Organ der Rechtspflege lässt vielmehr Zweifel daran erkennen, ob die Beweislage für eine Verurteilung nach Durchführung einer Hauptverhandlung ausreicht. Diese Zweifel wiegen um so schwerer, als die Verurteilungswahrscheinlichkeit im Wesentlichen von der Glaubwürdigkeit der Anzeigeerstatterin abhängt, die durch altersbedingte Einschränkungen der Wahrnehmungs- und Merkfähigkeit beeinträchtigt sein kann. Bloße Vermutungen reichen jedoch - im Gegensatz zur Strafanzeige nach § 158 StPO - hier nicht aus. Es wäre rechtsstaatswidrig, den Beschuldigten einem Strafverfahren auszusetzen, dessen Grundlage solche Beweismittel bilden, deren Stichhaltigkeit in der Hauptverhandlung voraussehbar erschüttert oder widerlegt zu werden droht (vgl. BVerfG NJW 2002, 2859).

Die im Antragsvorbringen zum Ausdruck gekommenen Zweifel an der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Beschuldigten machen den Antrag unzulässig.

III.

Der Antrag wäre im Übrigen auch unbegründet, da kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht (§ 174 Abs. 1 StPO).

Der dem Beschuldigten angelastete Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) wäre im Falle einer Hauptverhandlung jedenfalls nicht beweisbar, sodass der Beschuldigte freigesprochen werden müsste.

Die Einlassung des Beschuldigten, in den von ihm für 1.700 € bei der Anzeigeerstatterin angekauften Wertsachen sei auch das Münzalbum enthalten gewesen, wird sich voraussichtlich nicht widerlegen lassen. Zeugen für den Besitzübergang an dem Münzalbum gibt es nicht; die Anzeigeerstatterin hat dessen Fehlen erst etwa eine Woche später entdeckt. Ein Irrtum der betagten Zeugin oder ein anderweitiges Abhandenkommen des Albums erscheint daher möglich.

Auffällig ist allerdings, dass in der vom Beschuldigten unterzeichneten Bescheinigung vom "22.3.03" (richtig: 04) tatsächlich von "Münzen" die Rede ist, die auch in der mit der Bescheinigung zusammenhängenden Kalkulation über 1.300 € erwähnt und mit 150 € in Ansatz gebracht worden sind. In der am selben Tag (22. März 2004) von der Anzeigeerstatterin unterzeichneten Quittung ist demgegenüber von "Medaillen" die Rede. Der Unterschied zwischen Münzen und Medaillen muss zumindest dem Beschuldigten als Antiquar bekannt gewesen sein. Die Ungereimtheit lässt sich jedoch möglicherweise dadurch erklären, dass die Anzeigeerstatterin dem Beschuldigten gleichzeitig auch 7 bis 10 lose Medaillen verkauft hat.

Gegen den Beschuldigten spricht nicht, dass er nach Aussage des Zeugen Dr. Peter Fabritius diesem noch am 22. März 2004 verschiedene Münzen geschenkt hat, die nur noch Sammlerwert, jedoch keinen Verkehrswert mehr hatten; denn der Beschuldigte hat dem Zeugen zugleich erklärt, er habe die Münzen einer Frau abgekauft, die gerade ihren Haushalt aufgelöst habe. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass der Beschuldigte damit in vollem Umfang die Wahrheit gesagt hat. Hinzu kommt, dass bei einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten am 08. April 2004 nichts Verdächtiges aufgefunden werden konnte.

Bei dieser Beweislage wäre im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage dem Beschuldigten ein Diebstahl des Münzalbums der Anzeigeerstatterin nicht nachzuweisen. Der Klageerzwingungsantrag hätte sonach, wenn er zulässig gewesen wäre, als unbegründet verworfen werden müssen.

Ende der Entscheidung

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