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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 12.10.1999
Aktenzeichen: 14 U 22/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 611 | |
BGB § 612 | |
BGB § 282 | |
ZPO § 412 Abs. 1 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 |
2. Auch wenn mit einem Klammernahtapparat genäht wurde, kommen dem Patienten keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt des voll beherrschbaren Risikos zugute.
3. Dem Patienten kommen keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Befundsicherung zugute, wenn bei der Reoperation das resezierte Darmstück nicht aufbewahrt wurde.
Die Revision wurde mit Beschluß vom 20.06.2000 - VI ZR 355/99 - nicht angenommen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 14 U 22/99 15 O 206/97 LG Stuttgart
Verkündet am: 12. Oktober 1999
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In Sachen
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
des Richters am OLG
der Richterin am OLG
des Richters am LG
auf die mündliche Verhandlung vom 21.09.1999
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 08.01.1999 - 15 O 206/97 - wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 55.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Beklagten: 80.000,00 DM
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Krankenhauskosten und Schadensersatzansprüche nach ärztlicher Behandlung.
Bei dem am 06.11.1925 geborenen Kläger wurde im März 1996 ein Adenokarzinom des Zoecums festgestellt. Er wurde am 26.03.1996 im Krankenhaus B C der Klägerin stationär aufgenommen und über die Risiken der beabsichtigten Operation zur Tumorentfernung, darunter Nahtdehiszenzen und eventuell erforderliche Nachoperationen aufgeklärt. Am 28.03.1996 wurde der Tumor mit einer rechtsseitigen Hemikolektomie entfernt. Wegen des Lumenunterschieds zwischen Ileum und Quercolon erfolgte keine End-Zu-End-Anastomosierung, sondern ein Blindverschluß des Quercolons mit einem Klammernahtapparat TA 55 und einer Einstülpung der Klammernahtreihe mit seromusculären 4 x 0 Vicryl-Einzelknopfnähten. Am 29.03.1996 war es dem Beklagten immer wieder übel, nach Erbrechen stieg der Puls auf 148 Schläge pro Minute an, fiel dann wieder ab. Die Leukozytenzahl betrug 8.900, die Temperatur 38 °C. Am 30.03.1996 stieg die Leukozytenzahl auf 12.600, die Temperatur blieb um die 38 °C, der Inhalt der Magensonde war dunkelbraun. Am 31.03.1996 sank die Temperatur unter 38 °C, die Darmtätigkeit kam in Gang und der Beklagte hatte Stuhlgang. Nachmittags und abends mußte er erbrechen. Am 01.04.1996 stieg die Leukozytenzahl auf 10.400 an, die Temperatur auf 38 °C. Am 02.04.1996 klagte der Beklagte gegen 23.00 Uhr über Bauchschmerzen, die ihn erst nach der Einnahme eines Schmerzmittels um 0.30 Uhr einschlafen ließen. Am 03.04.1996 wurde bei einer Sonographie viel Flüssigkeit im Darm und Flüssigkeit im rechten Unterbauch festgestellt, die Leukozytenzahl betrug 8.700. Am 04.04.1996 erbrachte eine Sonographie freie Flüssigkeit im rechten Oberbauch und Mittelbauch, eine Röntgenaufnahme ergab einen Dünndarmileus und unregelmäßige Luftansammlungen im Operationsgebiet. Um 17.00 Uhr mußte der Beklagte erbrechen. Um 21.00 Uhr hatte er eine starke Schmerzattacke mit wässrig-blutigem Stuhl, danach stieg das Fieber auf 39,2 °C an, der Puls auf Werte um 120 Schläge pro Minute und die Leukozytenzahl auf 10.400. Bei Fieber von 38,8 °C und einem Puls um 9.00 Uhr von über 140 Schlägen pro Minute entschlossen sich die Ärzte der Klägerin am 05.04.1996 zur Relaparotomie, die um 13.05 Uhr begann. Dabei wurde eine Insuffizienz der Klammernahtreihe im Bereich der Nahtreihe am Quercolon zum Blindverschluß des Colons mit diffuser kotiger Peritonitis festgestellt. Im rechten Oberbauch fanden sich Fibrinauflagerungen, das Netzgewebe, das die Quercoloninsuffizienz abdeckte, war teilweise nekrotisch. Er wurde entfernt, das Quercolon verschlossen und nach Resektion des neoterminalen Ileums mittels einer Hodge-Sonde ein Anus praeter gelegt. Der Beklagte befand sich bis zum 24.04.1996 auf der Intensivstation und wurde am 15.05.1996 aus der stationären Behandlung entlassen. Am 01.08.1996 wurde er erneut stationär aufgenommen, der künstliche Darmausgang reseziert und wieder eine termino-laterale Ileotransversostomie durchgeführt. Am 10.08.1996 wurde der Beklagte aus dieser stationären Behandlung entlassen.
Das Entgelt für die stationäre Behandlung zwischen dem 26.03.1996 und dem 09.08.1996 beläuft sich auf 30.028,60 DM, wovon auf die Zeit bis 04.04.1996 5.018,10 DM und auf die Zeit danach 25.010,50 DM entfallen.
Die 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart verurteilte den Beklagten durch Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren, an die Klägerin DM 30.028,60 nebst 2 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der D B aus DM 24.936,31 ab 08.08.1996 und aus DM 5.092,29 ab 05.09.1996 sowie 15,00 DM vorgerichtliche Mahnkosten und Auslagen zu bezahlen. Gegen dieses Versäumnisurteil legte der Beklagte Einspruch ein.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie könne 30.028,60 DM vom Beklagten verlangen.
Sie hat beantragt,
das Versäumnisurteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.07.1997 aufrechtzuerhalten.
Der Beklagte hat beantragt,
1. das Versäumnisurteil vom 16.07.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
2. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 44.981,90 DM zu bezahlen, 3. die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld in der Größenordnung von DM 100.000,00 zu bezahlen.
Er hat vorgetragen, die Operation am 28.03.1996 sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die Darmnaht hätte so ausgeführt werden müssen und können, daß eine Peritonitis ausgeschlossen sei. Die Relaparotomie sei verspätet durchgeführt worden. Die Ärzte der Klägerin hätten zu spät auf die Hinweise für eine Peritonitis - permanenter Brechreiz mit täglichem mehrfachen Erbrechen, Schmerzen im Abdomen und zunehmende Druckschmerzhaftigkeit der Bauchdecken - reagiert.
Die Behandlungskosten für die Zeit nach dem 04.04.1996 seien nur aufgrund der fehlerhaften Operation entstanden. Bei normalem Verlauf wäre der Beklagte nach dem 04.04.1996 aus der stationären Behandlung entlassen worden. Gegen die verbleibende Forderung der Klägerin in Höhe von 5.018,10 DM könne er mit Schadensersatzansprüchen aufrechnen. Aufgrund der verheerenden Operationsfolgen hätten drei langjährige Mandantinnen des Beklagten, der Steuerberater ist, die Geschäftsverbindung gekündigt. Pro Mandantin habe er im Jahr netto mindestens 5.000,00 DM umgesetzt, so daß ihm ein Umsatzausfall pro Jahr von 15.000,00 DM entstanden sei. Hochgerechnet auf die Dauer der weiteren Berufstätigkeit bis 1999 ergebe dies einen Umsatzausfall von 60.000,00 DM. Eingespart habe er Kosten für Telefon, Porto und Fahrtkosten mit maximal 10.000,00 DM, so daß ihm ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 50.000,00 DM entstanden sei. Nach der Aufrechnung gegen den verbleibenden Anspruch der Klägerin von 5.018,10 DM verblieben als Schadensersatzanspruch 44.981,90 DM.
Außerdem könne er ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 100.000,00 DM verlangen. Er leide noch heute unter den Folgen der Operation. Seine Nieren seien dauerhaft geschädigt, sie seien nur noch zu 70 % intakt. Er habe einen bleibenden Leberschaden mit Fettleber und deutlich verschlechterten Leberwerten davongetragen. Die Entfernung von etwa 2/3 des funktionsfähigen Mastdarms habe eine völlige Umstellung der Eßgewohnheiten nach sich gezogen. Besonders beeinträchtigt sei er durch einen Schließmuskelschaden, der durch die Peritonitis eingetreten sei. Er könne seinen Stuhlgang nicht mehr vollständig kontrollieren. Während er bis unmittelbar vor der Operation ständig Leistungssport betrieben habe, könne er sich aufgrund der Operationsfolgen nicht mehr sportlich betätigen. Körperliche Anstrengungen lösten sofort unberechenbare Stuhlreaktionen aus.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, das Auftreten der Nahtinsuffizienz sei ein schicksalhaftes Ereignis gewesen. Die Operation am 28.03.1996 sei sorgfältig durchgeführt worden.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens von Prof. Dr. H (Bl. 65 d.A.), durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens von Prof. Dr. H (Bl. 94 d.A.) und durch die mündliche Erläuterung des Gutachtens (Bl. 109 d.A.). Mit Urteil vom 08.01.1999 hat es das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die Widerklage abgewiesen. Dagegen legte der Beklagte Berufung ein.
Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt vor, gegen den der Klägerin zustehenden Anspruch von 5.018,10 DM rechne er mit seinen Schmerzensgeldansprüchen auf. Da die Berufung auf einen Gesamtstreitwert von 80.000,00 DM beschränkt bleiben solle, mache er darüber hinaus weitere 49.971,40 DM Schmerzensgeld geltend.
Er beantragt,
das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 08.01.1999 dahin abzuändern, daß das Versäumnisurteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.07.1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen wird und die Klägerin verurteilt wird, an den Beklagten DM 49.971,40 nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertieft ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Das Oberlandesgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. H Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.09.1999 (Bl. 182) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten 30.028,60 DM nebst 2 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der D B bzw. seit 01.01.1999 dem jeweiligen Basiszinssatz aus DM 24.936,31 seit 08.08.1996 und aus DM 5.092,29 seit 05.09.1996 sowie 15,00 DM Mahnauslagen verlangen. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen die Klägerin.
I.
Die Klägerin kann als Entgelt für die stationäre Behandlung des Beklagten 30.028,60 DM nebst Zinsen und Auslagen verlangen.
1.
Der Klägerin stehen nach §§ 611, 612 BGB für die stationäre Aufnahme des Beklagten vom 26.03.1996 bis 15.05.1996 und vom 01.08. bis 09.08.1996 im Krankenhaus B C entsprechend den getroffenen Vereinbarungen insgesamt 30.028,60 DM zu.
2.
Die Klägerin kann auch Behandlungskosten ab 05.04.1996 verlangen. Der Anspruch entfiele, wenn die Behandlung ab dem 05.04.1996 als Folge eines Behandlungsfehlers der Ärzte der Klägerin notwendig geworden wäre. Einen solchen Behandlungsfehler hat der Beklagte nicht bewiesen.
a)
Der Beklagte hat nicht bewiesen, daß die Operation am 28.03.1996 fehlerhaft durchgeführt wurde. Sie war nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. H (Gutachten für das LG S. 7 und 8) absolut indiziert und wurde entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft durchgeführt. Insbesondere ist kein Fehler der Naht des Quercolons bewiesen. Die Verwendung eines Klammernahtgeräts TA 55 ist üblich. Daß es später zu einer Nahtinsuffizienz kam, läßt keinen Rückschluß darauf zu, daß die Naht am 28.03.1996 fehlerhaft gesetzt wurde. Wie der Sachverständige Prof. Dr. H überzeugend dargelegt hat, läßt das Auftreten einer Nahtinsuffizienz nicht den zwingenden Rückschluß auf einen technischen Fehler zu (Ergänzungsgutachten für das Landgericht S. 2, Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht S. 2). Die Nahtinsuffizienz beginnt in der Regel mit einem winzigen Loch. Dieses Loch kann durch einen technischen Fehler verursacht sein, aber auch beispielsweise dadurch, daß ein winziges Stück der Darmwand nicht durchblutet wird, abstirbt und so ein Loch entsteht. Die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. H werden durch das vom Beklagten vorgelegte Schreiben von Prof. Dr. M vom allgemeinen Krankenhaus der Stadt W (Anl. B 3 = Bl. 150) bestätigt. Prof. Dr. M weist ebenfalls darauf hin, daß neben technischen Mängeln und Fehlern in der Nahttechnik auch andere Ursachen wie Durchblutungsstörungen oder sonstige Probleme zu Nahtdehiszenzen führen können. Da damit verschiedene Ursachen, die nicht alle auf einen Behandlungsfehler beruhen, in Betracht kommen, läßt das Auftreten der Nahtdehiszenz allein den Schluß auf einen Behandlungsfehler bei der Naht nicht zu. Auch mit den histologischen Präparaten, die bei der Relaparotomie gewonnen wurden, konnte der Beklagte nicht beweisen, daß bereits am 28.03.1996 ein unvollständiger Verschluß der Klammernaht vorlag. Wie der Sachverständige Prof. Dr. H dargelegt hat (S. 3 des Protokolls v. 21.09.1999), hat der von ihm zugezogene Pathologe keine Hinweise auf eine unmittelbare postoperativ entstandene Frühinsuffizienz der Anastomose gefunden. Dagegen spreche die Reaktionsarmut des Gewebes um den Defektkanal dafür, daß die Insuffizienz jünger sei. Damit ist auch mit den histologischen Präparaten nicht bewiesen, daß die Nahtinsuffizienz bereits bei der Operation am 28.03.1996 entstand. Darüberhinaus ließe es aus den dargelegten Gründen auch keinen Rückschluß auf einen Behandlungsfehler zu, wenn die Nahtinsuffizienz bereits bei der Operation entstanden wäre. Neben einer fehlerhaften Naht oder einem technischen Fehler des Klammernahtgeräts sind dafür, wie ausgeführt, weitere Ursachen denkbar, etwa ganz kleine Löcher oder eine örtliche Ischämie. Weder ein kleines Loch noch eine Ischämie können während der Operation erkannt werden.
b)
Der Beklagte hat für die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen einer fehlerhaften Operation die Beweislast. Beweiserleichterungen kommen ihm nicht zugute.
aa)
Bei der Nahtinsuffizienz spricht kein Anscheinsbeweis für einen Behandlungsfehler. Ein Anscheinsbeweis kommt dann in Betracht, wenn ein typischer Geschehensablauf fest steht, bei dem nach der Lebenserfahrung auf die Verursachung einer bestimmten Folge durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, nach dem eine seltene Komplikation auf einen ärztlichen Fehler zurückgeht, gibt es jedoch nicht (BGH vom 10.03.1992, NJW 1992,1560 = AHRS 6419/91). Es gibt auch keinen konkreten Erfahrungssatz, daß eine Nahtdehiszenz auf einen Fehler bei der Naht zurückgeht. Für Nahtdehiszenzen kommen - wie schon ausgeführt - auch andere Ursachen als ein Fehler bei der Naht in Betracht. Wie der Sachverständige Prof. Dr. H bereits bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht dargelegt hatte, kann nach dem aktuellen internationalen Wissensstand noch nicht einmal gesagt werden, daß in der Mehrzahl der Fälle eine Nahtdehiszenz durch technische Fehler bedingt ist. Er hat überzeugend darauf hingewiesen, daß die Aussage von Prof. Dr. K (in Brand/Kunz/Nissen, Postoperative Zwischenfälle), in der Mehrzahl der Fälle seien technische Fehler beim Eingriff die Ursache von Nahtdehiszenzen, eine persönliche Aussage sei, die nach dem wissenschaftlichen Stand nicht haltbar sei. Selbst wenn jedoch in der Mehrzahl der Fälle technische Fehler bei der Naht Ursache einer Nahtinsuffizienz wären, reichte dies für einen typischen Geschehensablauf, wie er für einen Anscheinsbeweis erforderlich ist, nicht aus (vgl. BGH vom 10.03.1992, NJW 1992, 1560 = AHRS 6419/91; OLG Karlsruhe VersR 1988, 93; OLG Saarbrücken VersR 1988, 95).
bb)
Dem Kläger kommen auch keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt des voll beherrschbaren Risikos zugute. Der Klinikträger muß sich zwar in analoger Anwendung von § 282 BGB entlasten, wenn sich ein Gesundheitsschaden des Patienten in einem Bereich ereignet hat, dessen Gefahren vom Klinikpersonal voll beherrscht werden können und müssen (BGH vom 24.01.1995, NJW 1995,1618; vom 01.02.1993 NJW 1994, 1594). Dazu gehört unter anderem die Funktionssicherheit der verwendeten Geräte (vgl. BGH vom 20.01.1978, NJW 1978, 584; vom 10.01.1984, BGHZ 89, 263 = NJW 1984, 1400). Eine Umkehr der Beweislast nach diesen Grundsätzen setzt jedoch voraus, daß der Primärschaden des Patienten im Gefahrbereich dieses voll beherrschbaren Risikos gesetzt worden ist. Danach haftet die Klägerin grundsätzlich für die Funktionsfähigkeit des Klammernahtapparats. Beweiserleichterungen kommen dem Beklagten aber nicht zugute, weil nicht feststeht, daß die eingetretene Schädigung durch den Klammernahtapparat verursacht wurde. Wie bereits dargelegt, kommen auch andere Ursachen als eine Fehlfunktion des Klammerapparats in Betracht.
cc)
Dem Beklagten kommen schließlich auch keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Befundsicherung zugute. Der Arzt ist verpflichtet, Befunde zu erheben und zu sichern, soweit dies medizinisch geboten ist (BGH vom 21.11.1995, NJW 1996, 779; vom 03.02.1987, BGHZ 99, 391 = NJW 1987, 1482). Die Verpflichtung aus dem Behandlungsvertrag, durch entsprechende Untersuchungsmaßnahmen einen bestimmten Krankheitsstatus zu erheben und festzuhalten, hat keinen unmittelbaren Sicherungszweck im Hinblick auf künftige Haftpflichtprozesse, sondern dient in erster Linie therapeutischen Zwecken (BGH vom 03.02.1987, BGHZ 99, 391 = NJW 1987, 1482). Wenn sie auch beweisrechtliche Konsequenzen hat, muß sie deshalb doch medizinische Gründe haben (vgl. BGH vom 03.02.1987, BGHZ 99, 391 = NJW 1987, 1482; vom 01.20.1994, NJW 1994, 1594). Medizinisch geboten war eine histologische Untersuchung des Resektats der Operation vom 05.04.1996 im Hinblick darauf, ob sich daraus Anhaltspunkte für eine Ursache der Peritonitis ergaben, die für die weitere Behandlung von Bedeutung waren. Eine Feststellung, ob die Naht fehlerhaft durchgeführt worden war, war medizinisch nicht geboten, weil das für die weitere Behandlung keine therapeutischen Konsequenzen hatte. Die medizinisch erforderlichen histologischen Untersuchungen wurden im pathologischen Institut des Katharinenhospitals der Klägerin durchgeführt. Dabei wurden die untersuchten Teile des Resektats zwangsläufig zerstört. Die Aufbewahrung der verbliebenen Reste war aus medizinischen Gründen nicht veranlaßt, die gewonnenen Schnittpräparate wurden aufbewahrt.
Beweiserleichterungen wegen unterlassener Befunderhebung und -sicherung kommen schließlich nur dann in Betracht, wenn der nicht erhobene oder nicht gesicherte Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das vom Patienten vermutete Ergebnis gehabt hätte (vgl. BGH vom 03.02.1987, NJW 1987, 1482; vom 13.02.1996, VersR 1996, 633; vom 13.01.1998, NJW 1998, 1780). Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß bei der Untersuchung der unmittelbaren Schadstelle die Ursache der Nahtinsuffizienz hätte festgestellt werden können. Der Sachverständige Prof. Dr. H hat dazu bereits in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Landgericht ausgeführt, daß die Ursache der Nahtinsuffizienz durch eine mikroskopische Untersuchung in der Regel nicht geklärt werden könne, und dies nachvollziehbar damit erklärt, daß sowohl bei einem nahtbedingten Loch als auch bei einem erst später entstandenen Loch etwa infolge einer Ischämie am Ende ein Loch vorhanden sei, aus dessen Vorhandensein und Beschaffenheit der Pathologe auf eine Ursache nicht schließen könne. Umgekehrt mag es Fälle geben, in denen die bei einem Resektat vorgefunden Verhältnisse eine Beurteilung der Naht erlauben. Es mag deshalb zutreffen, daß nur durch eine äußere Besichtigung des Resektats geprüft werden kann, ob eine Fehlbedienung oder eine Fehlfunktion des Klammernahtapparats vorgelegen hat und diese für die Nahtinsuffizienz ursächlich war. Es kann als wahr unterstellt werden, was der Kläger in seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22.09.1999 ausführt, nämlich daß zur Feststellung, ob eine Naht richtig oder technisch fehlerhaft durchgeführt worden ist, in aller Regel die Untersuchung des gesamten Resektats mit der gesamten Naht erforderlich ist. Das steht nicht in Widerspruch zu den Angaben des Sachverständigen H, daß in der Regel eine positive oder negative Feststellung auch nach einer Untersuchung nicht getroffen werden kann, und den Ausführungen des vom Sachverständigen Prof. Dr. H in Absprache mit dem Senat zu Rate gezogenen Pathologen Prof. Dr. F, der ausführt, daß sich aus der patho-morphologischen Befundung der Schnittpräparate kein Behandlungsfehler ableiten läßt, aber auch keine nahtbedingte Einengung eines Blutgefässes belegen läßt. Daß eine Untersuchung des gesamten Resektats einen Nahtfehler ergeben hätte, ist damit noch nicht wahrscheinlich. Ohne konkrete Beweisfunktion war der Krankenhausträger daher nicht verpflichtet, etwaige Reste des Resektats aufzubewahren.
Ein weiteres Sachverständigengutachten ist nicht einzuholen, weil die Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen. Nach § 412 Abs. 1 ZPO kann eine neue Begutachtung angeordnet werden, wenn ein erstattetes Gutachten ungenügend ist. Das ist dann der Fall, wenn das erste Gutachten unvollständig, widersprüchlich oder nicht überzeugend ist, der Sachverständige von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder er erkennbar nicht die notwendige Sachkunde hat. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H ist insoweit weder unvollständig noch widersprüchlich. Es hat den Senat überzeugt. Der Beklagte hat nicht aufgezeigt und es ist für den Senat auch nicht erkennbar, daß sein Gutachten von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht. Er besitzt als Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universität Bonn für eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der aus einer Untersuchung eines chirurgisch gewonnenen Resektats auf einen Fehler bei der Naht geschlossen werden kann, auch die notwendige Sachkunde. Daß ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt, hat der Beklagte selbst nicht behauptet und ist nicht ersichtlich.
dd)
Schließlich kommt auch keine Beweislastumkehr wegen fahrlässiger Beweisvereitelung durch die unterlassene Aufbewahrung des Resektats in Betracht. Voraussetzung einer solchen Beweislastumkehr ist, daß für denjenigen, der einen Gegenstand vernichtet oder vernichten läßt, der später als Beweismittel in Betracht kommt, bereits vor der Vernichtung erkennbar ist, daß dieser einmal eine Beweisfunktion haben kann (BGH vom 01.02.1994, NJW 1994, 1594). Bei der Relaparotomie am 05.04.1996 und der sich anschließenden histologischen Untersuchung des Resektats war noch nicht erkennbar, daß ihm einmal eine Beweisfunktion zukommen könnte. Eine Komplikation in der Behandlung eines Patienten führt noch nicht dazu, daß der Arzt damit rechnen muß, daß bei einer Operation entnommenen Körperteilen Beweisfunktion zuwachsen wird.
c)
Der Beklagte hat auch nicht bewiesen, daß die Relaparotomie verspätet erfolgt ist. Eine Indikation für eine Relaparotomie wegen des Verdachts auf eine Peritonitis bestand nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H erst, als in der Nacht zum 05.04.1996 hohes Fieber, eine Pulsfrequenzsteigerung, die Arrhythmie im Puls" zunehmende Bauchschmerzen und blutig-wässriger Stuhl klinische Anzeichen für eine Peritonitis gaben. Damit stimmt überein, daß bei der Relaparotomie am 05.04.1996 eine lokal begrenzte Infektion beschrieben ist, die auf den rechten Oberbauch einzugrenzen ist. Anlaß für eine frühere Relaparotomie bestand nicht. Eine erhöhte Temperatur, erhöhte Leukozytenwerten, Übelkeit und Schmerzen sind in den ersten Tagen nach einer rechtsseitigen Hemilektomie nach Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. H keine besorgniserregenden Anzeichen, die den Schluß auf eine Peritonitis zulassen und damit eine Relaparotomie rechtfertigen. Die Leukozytenwerte sanken mit 10.400 am 01.04.1996 und 8.700 am 03.04.1996 auf normale Werte, die Temperatur blieb mit bis zu 38 °C am 01.04.1996 erhöht, ohne dass Fieber vorlag. Erbrechen kann nach einer derartigen Operation ebenso wie Übelkeit vorhanden sein, ohne daß daraus zwingend auf eine Peritonitis zu schließen ist. Gegen eine frühe Peritonitis spricht nach dem Sachverständigen Prof. Dr. H auch, daß bereits am 31.03.1996 die Darmtätigkeit wieder in Gang kam. Flüssigkeit im rechten Unterbauch, wie sie am 03.04.1996 bei einer Sonographie festgestellt wurde, läßt nach seinen überzeugenden Angaben keinen Bezug zu einer Peritonitis erkennen. Erste Hinweise auf einen entzündlichen Prozeß gab die Sonographie am Nachmittag des 04.04.1996, bei der freie Flüssigkeit im rechten Oberbauch und Mittelbauch festgestellt wurde. Wie der Sachverständige Prof. Dr. H dargelegt hat, lagen eindeutige klinische Anzeichen für einen solchen entzündlichen Prozeß dagegen erst mit der Fiebererhöhung am Abend des 04.04.1996 auf über 39 °C, der Pulsfrequenzsteigerung, der Arrythmie im Puls, den zunehmenden Bauchschmerzen und dem wässrig-blutigen Stuhl vor. Im Hinblick auf die Vieldeutigkeit der Symptomlage, bei der zunächst auch andere Ursachen wie beispielsweise eine Harnwegsinfektion in Betracht kamen, liegt in der Dauer zwischen dem ersten deutlichen Auftreten klinischer Symptome etwa gegen 21.00 Uhr am 04.04.1996 und dem Entschluß zur Laparotomie am Vormittag des folgenden Tages kein Behandlungsfehler begründet. Wie der Sachverständige bereits vor dem Landgericht dargelegt hat, wurde der postoperative Verlauf durch die Mitarbeiter der Klägerin engmaschig kontrolliert, es wurden alle erforderlichen medizinischen Befunde rechtzeitig erhoben.
3.
Dem Beklagten steht somit kein Schmerzensgeldanspruch zu, mit dem er gegen die Behandlungskosten für die Zeit bis zum 04.04.1996 (5.018,10 DM) aufrechnen kann. Der Beklagte hat nicht bewiesen, daß er im Krankenhaus B C fehlerhaft behandelt wurde.
II.
Die Widerklage ist nicht begründet, weil dem Beklagten aus den unter I. 3) dargelegten Gründen kein Schmerzensgeldanspruch gegen die Klägerin zusteht.
III.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 22.09.1999 bietet keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Sie ist dann geboten, wenn die bisherige Verhandlung lückenhaft war oder eine vollständige und sachgerechte Erklärung der Parteien aus vom Gericht zu vertretenden Gründen unterblieb. Das ist nicht der Fall. Der Antrag des Beklagten auf Einholung eines pathologischen Sachverständigengutachtens ist bereits oben unter I. 2. a) cc) berücksichtigt. Die vom Beklagten selbst im Schriftsatz vom 20.09.1999 beantragte Nachuntersuchung der Schnittpräparate aus der Relaparotomie kommt zu keinen überraschenden Schlußfolgerungen. Ihr Ergebnis ist, daß der Nachweis eines Fehlers bei der Naht damit nicht geführt werden kann. Der Beklagte hat selbst erkannt, daß er mit den vorhandenen Schnittpräparaten keinen Fehler der Naht beweisen kann, und befindet sich damit in Übereinstimmung mit den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. H und des von diesem in Absprache mit dem Senat zu Rate gezogenen Pathologen Prof. Dr. F (S. 5 der Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. September 1999). Die übrigen im Schriftsatz vom 22.09.1999 angesprochenen Punkte wurden bereits vor dem Landgericht und erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, so daß weder die Verhandlung dazu lückenhaft war noch vollständige Erklärungen der Parteien ausblieben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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