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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 14 U 62/2001
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 823 | |
BGB § 847 | |
ZPO § 97 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 |
2. Beweiserleichterungen wegen unterlassener Befunderhebung setzen voraus, dass der unterbliebene Befund wahrscheinlich ein medizinisch reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte. Daran fehlt es, wenn das Ergebnis der unterlassenen Befunderhebung wahrscheinlich der vom Arzt ohne die Befunderhebung gestellten Diagnose entsprochen hätte und zur gleichen Behandlung hätte führen müssen.
Oberlandesgericht Stuttgart - 14. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 14 U 62/2001
In Sachen
Verkündet am 27. November 2001
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am OLG des Richters am OLG des Richters am OLG
auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2001
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hechingen vom 15. Juni 2001 - 2 O 343/98 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Klägerin: 32.179,00 DM
Tatbestand:
Bei der Klägerin wurde 1957 ein Blutschwamm an der Nase radiologisch behandelt. 1993 suchte sie den beklagten Hautarzt auf, der dort ein Radioderm mit einer aktinischen Keratose diagnostizierte und es bis 1995 mit einer Lasertherapie behandelte. 1996 wurde bei der Klägerin an der Nase ein superfizielles Basaliom festgestellt und operativ entfernt. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten mit der Behauptung, der Beklagte habe das Basaliom bereits 1993 feststellen müssen und die Lasertherapie sei kontraindiziert gewesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Der Klägerin stehen weder wegen Schlechterfüllung des Behandlungsvertrags noch nach §§ 823, 847 BGB Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche gegen den Beklagten zu. Sie hat nicht bewiesen, dass ihr durch die fehlerhafte Behandlung des Beklagten ein Gesundheitsschaden entstand.
1. Der Beklagte hat die Klägerin fehlerhaft behandelt, weil er am 09.08 die aktinische Keratose nicht abklärte. Der Sachverständige Prof. Dr. K. bekundete vor dem Senat wie schon in seinem schriftlichen Gutachten für das Landgericht, dass die hyperkeratotischen Areale der Nase suspekt und deshalb nach dem Stand der Dermatologie 19 abzuklären waren. Dazu war die Keratosestelle abzutragen und das entfernte Gewebe zu untersuchen. Der Beklagte hat dies unterlassen.
2. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass diese Unterlassung zu einem Gesundheitsschaden geführt hat. Eine Lasertherapie im Bereich des Radioderms hätte auch nach dem Abtrag der keratosen Areale nach den Ausführungen des Sachverständigen stattfinden können und dürfen. Dass die Entwicklung des Basalioms verhindert und die Operationen in T. vermieden worden wären, hat die Klägerin nicht bewiesen. Der Sachverständige hat dargelegt, dass sich das später histologisch gesicherte superfizielle bzw. keratotische Basaliom nicht aus einer aktinischen Keratose entwickelte. Dass mit der Entfernung des Gewebes im Bereich der aktinischen Keratose auch das Basaliom entfernt worden wäre, ist schon deshalb nicht bewiesen, weil das diagnostizierte Basaliom nach den Angaben des Sachverständigen nicht sicher bereits vorhanden war. Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute.
a) Die Beweislast hat nicht wegen eines groben Behandlungsfehlers ausnahmsweise der Beklagte. Ein grober Behandlungsfehler liegt in der unterlassenen Abklärung der aktinischen Keratose nicht. Bei einem groben Behandlungsfehler kommt eine Umkehr der Beweislast für das Kausalitätsband zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden in Betracht. Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Diese wertende Entscheidung muss auf ausreichenden tatsächlichen Feststellungen beruhen, die sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen und auf dieser Grundlage die juristische Gewichtung des ärztlichen Vorgehens als grob behandlungsfehlerhaft zu tragen vermögen (BGH, Urteil vom 3. Juli 2001, VI ZR 418/99 NJW 2001, 2795 = VersR 2001, 1116). Nach den Ausführungen des Sachverständigen verstieß die unterlassene Befundung der aktinischen Keratose zwar gegen den medizinischen Standard. Der Fehler war aber nicht so unverständlich, dass er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
b) Der Klägerin kommen auch keine Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt einer unterlassenen Befunderhebung zugute. Der Beklagte hat die nach dem medizinischen Standard gebotene Erhebung eines Befundes unterfassen, weil er die aktinische Keratose nicht durch eine Probebiopsie abklärte. Beweiserleichterungen für die Ursächlichkeit eines Verstoßes gegen die Befunderhebungspflicht für einen Gesundheitsschaden kommen aber nur in Betracht, wenn der unterlassene Befund, wäre er erhoben worden, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Befundergebnis erbracht hätte (BGH, Urteil vom 19. Juni 2001 - VI ZR 286/00, NJW 2001, 2794 = VersR 2001, 1115). Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass eine Probebiopsie 19 ein Basaliom erbracht hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. K. sah es als wahrscheinlich an, dass eine aktinische Keratose befundet worden wäre. Er hat ein Basaliom als möglich, aber pure Spekulation bezeichnet. Bei der Feststellung einer aktinischen Keratose hätte außer der Entfernung der betroffenen Areale, die bereits im Rahmen der Probebiopsie erfolgt wäre, keine weitere Behandlung erfolgen müssen. Ein Plattenepithelkarzinom, als dessen Vorstufe die aktinische Keratose in Betracht kommt, lag und liegt bei der Klägerin nicht vor.
3. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass während der Behandlung durch den Beklagten eine offene, nässende Stelle an der Nase vorlag. Auf dem bei Behandlungsbeginn gefertigten Foto ist sie nicht nachzuweisen. In der Behandlungsdokumentation ist eine offene, nässende Stelle nicht vermerkt. In der Anamnese beim nachbehandelnden Arzt Dr. S. ist nur eine Blutung vor Aufsuchen des Beklagten erwähnt. Beweiserleichterungen wegen einer unzureichenden Dokumentation kommen der Klägerin dabei nicht zugute. Die Dokumentation des Behandlungsverlaufs durch den Beklagten genügte den medizinischen Anforderungen. Eine Fotodokumentation des Behandlungsverlaufs ist nach dem Sachverständigen Prof. Dr. K. nicht medizinischer Standard und aus medizinischen Gründen nicht erforderlich.
4. Behandlungsfehler des Beklagten während der Lasertherapie sind ebenfalls nicht bewiesen. Das Radioderm besserte sich unter der Behandlung. Die aktinische Keratose verschlimmerte sich nach der Behandlungsdokumentation des Beklagten nicht und bot daher, wie der Sachverständige angab, keinen Anlass für weitergehende Maßnahmen. Sichere Anhaltspunkte, dass das Basaliom während der Behandlung durch den Beklagten auftrat oder erkennbar wurde, gibt es nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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