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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.08.2000
Aktenzeichen: 18 UF 265/2000
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 652 |
Mit der sofortigen Beschwerde nach § 652 ZPO können auch erstmals im Beschwerdeverfahren Einwendungen gem. § 648 Abs. 2 ZPO geltend gemacht werden.
Oberlandesgericht Stuttgart - 18. Zivilsenat - - Familiensenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 18 UF 265/2000 1 R FH 19/2000 AG Reutlingen
vom 3. August 2000
In der Familiensache
wegen Unterhalt;
hier: Beschwerde gegen die Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren
hat der 18. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Häberle,
des Richters am Oberlandesgericht Dr. Kiefer
und des Richters am Amtsgericht Kahl
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rechtspfleger - Reutlingen - vom 04.05.2000 (1 R FH 19/2000) aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
Beschwerdewert: 6882,--DM
Gründe:
I.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren nach §§ 645 ff. ZPO. Zusammen mit dem amtlichen Erklärungsvordruck für Einwendungen gegen den Antrag ist die Antragsschrift vom 15.3.2000 dem Antragsgegner am 28.03.2000 durch Niederlegung zugestellt worden. Mit Beschluss vom 04.05.2000 hat das Amtsgericht dem Antrag entsprochen.
Der Beschluss wurde am 16.05.2000 durch Niederlegung dem Antragsgegner zugestellt. Am 05.05.2000 ging der Erklärungsvordruck für Einwendungen, ausgefüllt und unterschrieben durch den Antragsgegner, beim Amtsgericht ein. Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 26.05.2000, eingegangen beim Amtsgericht Reutlingen am 31.05.2000, legte der Antragsgegner gegen den Festsetzungsbeschluss vom 04.05.2000 Erinnerung ein. Das Amtsgericht hat die Erinnerung als sofortige Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss angesehen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Das Familiengericht hat das vom Antragsgegner mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 26.05.2000 eingelegte Rechtsmittel zutreffend als sofortige Beschwerde i. S. von §§ 652 Abs. 1, 567 ff., 577 ZPO behandelt. Als zulässiger Rechtsbehelf gegen den Festsetzungsbeschluss des Familiengerichts vom 04.05.2000 kommt - neben der hier nicht einschlägigen Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG - lediglich die sofortige Beschwerde in Betracht.
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wurde form- und fristgerecht eingelegt und hat in der Sache Erfolg.
Mit der sofortigen Beschwerde können nur formelle Fehler des Rechtspflegers gerügt, bzw. Einwendungen nach § 648 Abs. 2 ZPO erhoben werden. Eine materielle Überprüfung des Unterhalts findet über § 652 ZPO nicht statt (Thalmann in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 8 Rz. 343).
Erstmals im Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner geltend gemacht, dass er zur Zahlung von Unterhalt nicht leistungsfähig sei, er seit März 2000 ohne Einkünfte sei, weil die Gaststätte "Rock-Cafe", die er von Oktober 1999 bis Ende Februar 2000 betrieben habe, abgebrannt sei: Er macht weiter geltend, dass er kein Arbeitslosengeld erhalte, ab Juli 2000 eine dreimonatige Therapie absolviere und er z. Zt. seinen Lebensunterhalt durch Anlagenverkäufe bzw. Versicherungsleistungen im Hinblick auf den entstandenen Schaden an den Einrichtungsgegenständen bestreite. Der Antragsgegner hat den Jahresabschluss zum 31.12.1999 vorgelegt, aus dem sich ein Gewinn von 4.196,59 DM ergab. Die Einwendung des Antragsgegners fällt unter § 648 Abs. 2 ZPO. Er hat damit die gem. § 648 Abs. 2 ZPO zulässige Einwendung erhoben, dass er zur Zahlung von Unterhalt nicht leistungsfähig ist und unter Einreichung des amtlichen Vordrucks Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht und den Jahresabschluss 1999 beigefügt. Gem. § 650 ZPO kann danach kein Unterhalt festgesetzt werden, weil eine zulässige Einwendung gem. § 648 Abs. 2 ZPO erhoben wurden, weshalb der Festsetzungsbeschluss aufzuheben war.
Der Senat ist der Auffassung, dass Einwendungen gem. § 648 Abs. 2 ZPO im Beschwerdeverfahren erstmals erhoben werden können, auch wenn diese Einwendungen im Anhörungsverfahren noch nicht erhoben wurden (ebenso Philippi in Zöller, ZPO, 21. Aufl., § 652, Rz. 3; Coester-Waltjen in Münch. Komm., ZPO, 2. Aufl., § 652, Rz. 6; wohl auch Thalmann a.a.O.; anderer Auffassung OLG Köln, FamRZ 2000, S. 680; Bäumel in Familienrechtsreformkomm. 1998, Rz. 3 zu § 652; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 652, Rz. 4). Entgegen dem Wortlaut des § 652 ZPO und der amtlichen Begründung zu § 652 ZPO, dass mit der Beschwerde nur gerügt werden kann, dass das erstinstanzliche Gericht eine Einwendung zu Unrecht als unzulässig angesehen habe, muss im Wege der teleologischen Reduktion des § 652 Abs. 2 ZPO der Weg eröffnet werden, auch Einwendungen gem. § 648 ZPO im Beschwerdeverfahren erstmals zuzulassen, auch wenn diese im Anhörungsverfahren noch nicht erhoben wurden. Der Zweck des vereinfachten Verfahrens für den Unterhalt Minderjähriger besteht darin, dem Minderjährigen auf schnelle und einfache Weise einen Unterhaltstitel zu verschaffen (Coester-Waltjen a.a.O., Vorbem. zum vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger, Rz. 3). Diesem Zweck dient auch die Vorschrift des § 652 ZPO, der Einwendungen des Unterhaltsverpflichteten verfahrensmäßig begrenzt. Dieser Zweck gebietet es jedoch nicht, den Zustand aufrecht zu erhalten, dass der Unterhaltsgläubiger einen mutmaßlich falschen Unterhaltstitel in den Händen hält und die Parteien dadurch in das Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO gedrängt werden. Auch die Interessen des minderjährigen unterhaltsbedürftigen Kindes rechtfertigen es nicht, sehenden Auges diesem einen mutmaßlich materiell unrichtigen Unterhaltstitel auf Kosten des Unterhaltsverpflichteten zu erhalten. Bei einer Nichtberücksichtigung der erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwendungen wird der Unterhaltsberechtigte höchstwahrscheinlich in das Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO gedrängt. Bei einer Berücksichtigung dagegen kann der Unterhaltsberechtigte die Einwendungen des Unterhaltsverpflichteten prüfen und entscheiden, ob er das Verfahren ruhen lässt oder gem. § 651 ZPO die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt.
Dieser wesentliche Unterschied zwischen Normzweck und Interessenlage der Parteien rechtfertigt es, auch im Beschwerdeverfahren Einwendungen nach § 648 Abs. 2 ZPO erstmals zuzulassen, auch wenn sie im Anhörungsverfahren noch nicht vorgebracht wurden.
Der Festsetzungsbeschluss war daher aufzuheben. Das Verfahren ist wieder an das Amtsgericht - Familiengericht - abzugeben für den Fall, dass das streitige Verfahren beantragt wird. Dieses muss gem. § 659 Abs. 2 ZPO mit dem dafür vorgesehenen amtlichen Vordruck beantragt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 2 ZPO. Über die erstinstanzlichen Kosten ist im streitigen Verfahren zu entscheiden, andernfalls auf Antrag einer Partei gem. §§ 92, 91 a., 98 ZPO, je nach Beendigungssituation des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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