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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 11.11.2009
Aktenzeichen: 3 U 122/09
Rechtsgebiete: StVG, StVO
Vorschriften:
StVG § 17 Abs. 1 | |
StVO Abs. 2 | |
StVO 5 Abs. 4 | |
StVO 7 Abs. 5 |
Oberlandesgericht Stuttgart 3. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 3 U 122/09
Verkündet am 11. November 2009
Im Rechtsstreit
wegen Schadensersatz
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2009 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth Richter am Oberlandesgericht Dr. Brennenstuhl Richter am Landgericht Hinrichs
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 16.06.2009 - Az. 4 O 76/08 - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 6.282,63
Gründe:
I.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 07.08.2008 gegen 22.15 Uhr auf der A ... in Fahrtrichtung S... ereignete.
Die Beklagte Ziffer 1 fuhr zum Unfallzeitpunkt mit ihrem Pkw, versichert bei der Beklagten Ziffer 2, von der Raststätte N... auf die A ... ein. Gleichzeitig näherte sich von hinten der Kläger mit seinem Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h auf der linken Fahrspur. Als die Beklagte Ziffer 1 von der Beschleunigungsspur kommend auf direktem Weg, also ohne größeres Verharren auf der rechten Fahrspur, auf die linke Fahrspur wechselte, kam es zum Auffahren des klägerischen Fahrzeuges auf das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1.
Der Kläger hat seinen gesamten materiellen Schaden in Höhe von EUR 31.413,14 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.307,81 geltend gemacht. Nach Rechtshängigkeit hat die Beklagte Ziffer 2 hierauf während des erstinstanzlichen Verfahrens EUR 20.942,10 sowie auf die außergerichtlichen Anwaltskosten EUR 1.176,91 gezahlt. Insoweit haben beiden Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. In der Hauptsache hat der Kläger daraufhin die verbleibenden EUR 10.471,04 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 130,90 geltend gemacht.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Rottweil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht ist nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. P... zu dem Ergebnis gelangt, dem Kläger stünden 80% seines materiellen Schadens aus dem Verkehrsunfall als Schadensersatz zu und hat dem Kläger vor diesem Hintergrund über die bereits bezahlten Beträge hinaus weitere EUR 4.188,41 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 19,52 zuerkannt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Beklagte Ziffer 1 treffe ein erhebliches Verschulden gemäß § 7 Abs. 5 StVO, nachdem sie mit ihrem Fahrzeug auf die linke Fahrspur gewechselt habe, obwohl das Fahrzeug des Klägers für sie erkennbar gewesen sei. Hinzu komme der Wechsel auf die linke Fahrspur ohne größeres Verharren auf der rechten Spur. Ein solches Verhalten sei zwar nach der StVO grundsätzlich nicht verboten. Die Beklagte Ziffer 1 habe sich aber bewusst sein müssen, dass ein solch riskantes Verhalten durch eine weiter gesteigerte Sorgfalt auszugleichen sei. Dieser Anforderung sei die Beklagte Ziffer 1 in keiner Weise nachgekommen.
Ein Verschulden des Klägers sei hingegen nicht feststellbar. Mangels einer Geschwindigkeitsbeschränkung sei die von ihm gefahrene Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h nicht verboten gewesen. Bei dieser Geschwindigkeit sei der Unfall für den Kläger auch unvermeidbar gewesen.
Auf ein unabwendbares Ereignis gemäß § 17 Abs. 3 StVG könne sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil er nicht den Nachweis geführt habe, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h unvermeidbar gewesen wäre. Der Kläger müsse sich daher die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges zurechnen lassen.
Es sei nicht angezeigt, die Betriebsgefahr auf der Seite des Klägers gänzlich zurücktreten zu lassen, da der Kläger die Richtgeschwindigkeit erheblich überschritten habe. Vielmehr sei eine Haftungsverteilung von 80% zu 20% zugunsten des Klägers angemessen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger, der mit seiner Berufung die übrigen 20% seines materiellen Schadens geltend macht.
Zur Begründung führt der Kläger aus, dass das Landgericht zu Unrecht den Unfall nicht als ein für den Kläger unabwendbares Ereignis angesehen habe. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass unter Zugrundelegung einer gefahrenen Geschwindigkeit von 170 km/h der Unfall für den Kläger selbst bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nicht vermeidbar gewesen sei.
Aber selbst wenn man nicht von einer Unvermeidbarkeit des Unfalles für den Kläger ausgehe, sei die vom Landgericht vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile rechtsfehlerhaft und daher zu beanstanden. Bei Berücksichtigung aller relevanten Aspekte des Unfalles habe die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges im Hinblick auf das alleinige gravierende Verschulden der Beklagten Ziffer 1 vollständig zurücktreten müssen. Dieses ergebe sich u.a. daraus, dass die Beklagte Ziffer 1 sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos verhalten habe und sich somit wegen einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung strafbar gemacht habe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei es nach der StVO auch verboten, nach wenigen Metern auf direktem Weg von der Beschleunigungsspur auf die linke Fahrspur einer Autobahn zu wechseln.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 16.06.2009 - 4 O 76/08 - abzuändern mit der Maßgabe, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger weitere EUR 6.282,63 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2008 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von weiteren EUR 111,38 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2008 zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und führen aus, dass das Landgericht zu Recht eine Unvermeidbarkeit des Unfalles für den Kläger verneint habe.
Im Rahmen der Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge habe die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges auch keinesfalls vollständig zurücktreten können, da der Kläger die Richtgeschwindigkeit erheblich überschritten habe, es zum Unfallzeitpunkt bereits dunkel gewesen sei und der Kläger im Bereich der Autobahnauffahrt, in welchem sich mehrere Fahrzeuge befunden hätten, mit einem unvorhergesehenen Fahrmanöver eines Beteiligten habe rechnen müssen.
Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verkehrsunfallanzeige der Polizeidirektion R..., Tagebuch-Nr. .../.../..-..., wurde beigezogen.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger nur insgesamt 80% seines materiellen Schadens zugesprochen und die Klage hinsichtlich der verbleibenden 20% abgewiesen.
Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Ersatz von 80% des entstandenen Schadens, mithin auf Zahlung von ursprünglich EUR 25.130,51, ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
Sowohl für den Kläger als auch für die Beklagte Ziffer 1 war das Unfallgeschehen nicht unvermeidbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG, sodass eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmen war. Die hierbei vom Landgericht ermittelte Haftungsquote ist sachgerecht.
1.
Auf der Seite der Beklagten Ziffer 1 liegt ein erhebliches Verschulden vor. Der Beklagte Ziffer 1 hat sowohl gegen die Pflicht gemäß § 5 Abs.4 StVO, wonach der zum Überholen Ausscherende sich so verhalten muss, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist, als auch gegen das Gebot des § 7 Abs. 5 StVO, nach welchem ein Fahrstreifenwechsel nur dann erlaubt ist, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, verstoßen. Die Beklagte Ziffer 1 ist mit ihrem Fahrzeug auf die linke Fahrspur gefahren, obwohl sie nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen das dort herannahende Fahrzeug des Klägers hätte erkennen können.
Daneben hat die Beklagte Ziffer 1 gegen die Sorgfaltspflichten beim Einfahren auf eine Autobahn verstoßen. Wer von der Beschleunigungsspur auf eine befahrene Autobahn auffährt, darf nicht "in einem Zug" auf die Überholspur fahren. Er muss sich vielmehr zunächst in den Verkehrsfluss auf der Normalspur einfügen, um sich selbst in die konkrete Verkehrssituation auf der Autobahn einzufühlen und sich zu vergewissern, dass er durch das beabsichtigte Überholen andere Fahrzeuge, die sich von hinten nähern, nicht gefährdet oder behindert (BGH NJW 1986, 1044). Die Beklagte Ziffer 1 hat sich nach den Ausführungen des Sachverständigen mit ihrem Fahrzeug ohne nennenswerte Unterbrechung auf direktem Weg von der Beschleunigungsspur auf die äußerste linke Spur bewegt. Sie hat also ihre Pflicht, zunächst solange auf der rechten Spur zu fahren, dass sie die Gesamtsituation auf der Autobahn überblicken konnte, nicht wahrgenommen und somit eine erhebliche Gefahrensituation für den nachfolgenden Verkehr hervorgerufen.
2.
Ein Verschulden des Klägers kann hingegen nicht festgestellt werden. Zwar hat der Sachverständige festgestellt, dass der Kläger unmittelbar vor der Kollision mindestens mit einer Geschwindigkeit von 170 km/h gefahren ist. Dieses war jedoch mangels einer Geschwindigkeitsbeschränkung nicht verboten. Bei der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit war das Unfallgeschehen für den Kläger auch unvermeidbar, sodass ihm ein Fehlverhalten in der konkreten Unfallsituation nicht vorgeworfen werden kann. Zutreffend hat das Landgericht auch ausgeführt, dass der Kläger nicht bereits wegen des Einfahrens von Fahrzeugen auf die Autobahn seine Geschwindigkeit drastisch hätte reduzieren müssen. Der Kläger durfte auf der Grundlage der § 18 Abs. 3 StVO und § 7 Abs. 5 StVO darauf vertrauen, dass sein Vorrecht auf der linken Fahrspur berücksichtigt werden würde.
3.
Der Nachweis, dass der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war, ist vom Kläger jedoch nicht geführt worden.
Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalles geltend machen will, muss sich wie ein "Idealfahrer" verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein "Idealfahrer" reagiert hat, vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage ergebende Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) "ideal" verhält. Damit verlangt § 17 Abs. 3 StVG, dass der "Idealfahrer" in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Solche Erkenntnisse haben in der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung Ausdruck gefunden, in der die Empfehlung ausgesprochen wird, auf Autobahnen nicht schneller als 130 km/h zu fahren. Die Nichtbeachtung dieser Empfehlung allein begründet zwar keinen Schuldvorwurf. Bei der Auslegung des Begriffs des unabwendbares Ereignisses ist das dieser Verordnung zugrunde liegende Erfahrungswissen, dass sich durch eine höhere Geschwindigkeit als 130 km/h die Unfallgefahren auf der Autobahn merkbar erhöhen, jedoch zu berücksichtigen. Auf die Unabwendbarkeit eines Unfalles kann sich ein Kraftfahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten hat, daher regelmäßig nicht berufen, es sei denn, er weist nach, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden war und es somit auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre (BGH NJW 1992, 1684).
Der Sachverständige P... hat überzeugend dargelegt, dass der Kläger mindestens 170 km/h gefahren ist, aber auch eine Geschwindigkeit von 190 km/h nicht ausgeschlossen werden kann. Weiter hat er ausgeführt, dass zwar bei einer unterstellten tatsächlichen Geschwindigkeit von 170 km/h der Unfall auch bei der Einhaltung der Richtgeschwindigkeit für den Kläger unvermeidbar war, nicht jedoch bei einer unterstellten tatsächlichen Geschwindigkeit von 190 km/h. Die Möglichkeit, dass der Kläger tatsächlich mit 190 km/h gefahren ist und in dieser Konstellation bei einer um 60 km/h reduzierten Geschwindigkeit den Unfall hätte verhindern können, kann somit vom Kläger nicht ausgeschlossen werden, sodass der Unabwendbarkeitsnachweis nicht erbracht ist.
4.
Bei der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge hat das Landgericht zu Recht die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges nicht vollständig hinter das erhebliche Verschulden der Beklagten Ziffer 1 zurücktreten lassen.
In der Rechtsprechung wird bei Konstellationen, in denen ein Fahrzeug auf der Autobahn auf die Überholspur wechselt, auf der von hinten ein anderes Fahrzeug mit einer höheren Geschwindigkeit als der Richtgeschwindigkeit folgt und es dann zum Auffahrunfall kommt, in der Regel eine Mithaftung des Auffahrenden in Höhe der normalen Betriebsgefahr angenommen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 27.06.1974, Az. 5 U 184/73; OLG Hamm MDR 2000, 518; OLG Hamm RuS 2003, 342; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Auflage, 2008, Rn. 147 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dieses gilt insbesondere dann, wenn sich der Unfall bei Dunkelheit ereignet hat (vgl. OLG Düsseldorf, ZfS 1981, 161 und 168).
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und hält vor diesem Hintergrund mit dem Landgericht eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 20% für angemessen. Ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wäre u.U. dann in Betracht gekommen, wenn die Betriebsgefahr durch ein nur geringfügiges Überschreiten der Richtgeschwindigkeit nur unbedeutend erhöht gewesen wäre. Das war aber bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h nicht der Fall. Vielmehr führte die deutliche Geschwindigkeitsdifferenz dazu, dass die Gefahrensituation für den Kläger erheblich schwerer zu beherrschen war. Außerdem ist das erhebliche Überschreiten der Richtgeschwindigkeit gerade bei Dunkelheit stark Gefahr erhöhend, da die Geschwindigkeit und der Abstand eines von hinten herannahenden Fahrzeuges im Dunkeln wesentlich schwieriger eingeschätzt werden können als im Hellen.
Der Umstand, dass das Verhalten der Beklagten Ziffer 1 in einem Strafverfahren als grob verkehrswidrig und rücksichtslos und somit als strafbar gemäß § 315 c StGB angesehen wurde, ändert an der Angemessenheit der Haftungsquote von 80% zu 20% nichts. Gerade auf Grund ihres erheblichen Verschuldens haftet die Beklagtenseite zu 80% und somit ganz überwiegend. Die strafrechtliche Relevanz dieses erheblichen Verschuldens der Beklagten Ziffer 1 kann dem Kläger keinen "Freibrief" geben, zur Nachtzeit mit einer erheblich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen.
Auch die Tatsache, dass die Beklagte nicht "nur" pflichtwidrig die Fahrspur gewechselt hat, sondern ohne nennenswerte Unterbrechung auf direktem Weg von der Beschleunigungsspur auf die linke Spur gefahren ist, ändert an der Mithaftung des Klägers nichts. Die durch die sehr hohe Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges wirkt sich gegenüber einem von der Beschleunigungsspur direkt auf die linke Fahrbahn ziehenden Fahrzeug nicht anders oder zumindest nicht wesentlich anders aus als gegenüber einem Fahrzeug, dass überraschend und unvorhersehbar "nur" von der rechten Fahrspur nach links zieht. Auch die vom Kläger in der Berufungsbegründung genannten Urteile, bei denen es jeweils um ein Auffahren auf Fahrzeuge ging, die in einem Zug von der Beschleunigungsspur auf die Überholspur einer Autobahn fuhren, ändern an dieser Bewertung nichts, da die entsprechende Urteile jeweils keine vergleichbaren Fälle betrafen. Im dem dem Urteil des OLG Koblenz vom 28.06.2004, Az. 12 U 748/01, zugrundeliegenden Fall wäre der Unfall für den von hinten mit hoher Geschwindigkeit herannahenden Fahrzeuglenker anders als im vorliegenden Fall auch bei der Einhaltung der Richtgeschwindigkeit unvermeidbar gewesen (vgl. Juris-Ausgabe dieses Urteils, dort, Rn. 32). Im Fall des OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 06.06.2008, Az. 10 U 72/07, wiederum war die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit durch das auffahrende Fahrzeug zwar möglich, jedoch nicht bewiesen (vgl. Juris-Ausgabe dieses Urteils, Rn. 66 und 67).
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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