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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss verkündet am 24.04.2007
Aktenzeichen: 1 W 35/07
Rechtsgebiete: ZPO, GG


Vorschriften:

ZPO § 42
ZPO § 45 Abs. 1
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 19. März 2007 - Az.: 5 SA 2/07 - wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Beschwerdewert wird auf 1.000,-- Euro festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit macht der Kläger nach § 5 OEG i.V.m. § 81 a BVG kraft Gesetzes übergegangene Schadensersatz- und Feststellungsansprüche gegen den Beklagten geltend. Dieser wurde unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zum Nachteil seiner drei Töchter S., geb. am 00.00.1980, P., geb. 00.00.1985 und K., geb. 00.00.1986 im Zeitraum 1992 bis 1996 durch Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 05.05.1997 (Az. KLs 102 Js 12584/96 JSchS) rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. An jenem Verfahren hatte Richter am Landgericht X. als beisitzender Richter der 2. Großen Jugendkammer des Landgerichts Aschaffenburg mitgewirkt.

Auf ihren Antrag hin wurden den Töchtern des Beklagten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zuerkannt.

Der Kläger begehrt vom Beklagten nunmehr die Erstattung der erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 3.890,33 Euro sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der durch die Erbringung weiterer Leistungen entsteht.

Zur erstgerichtlichen Verhandlung und Entscheidung berufen ist der nunmehr als Zivilrichter und Mitglied der 1. Zivilkammer am Landgericht Aschaffenburg tätige Richter am Landgericht X. als Einzelrichter.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und in seinem Klageerwiderungsschriftsatz zugleich Richter am Landgericht X. wegen der mit der früheren Befassung als Strafrichter begründeten Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

In seiner dienstlichen Stellungnahme hat Richter am Landgericht X. geäußert, sich nicht befangen zu fühlen.

Mit Beschluss vom 19.03.2005 hat die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige 5. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg das Ablehnungsgesuch des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Die frühere Befassung als Strafrichter stelle grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund gegen den nunmehr als Zivilrichter tätigen Richter dar. Besondere zusätzliche Umstände, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

Gegen diese, seinem Prozessbevollmächtigten am 23.03.2007 zugestellte Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 02.04.2007, beim Landgericht Aschaffenburg eingegangen am 04.04.2007.

Er vertritt die Auffassung, dass nicht die 5., sondern die 1. Zivilkammer, welcher der abgelehnte Richter angehöre, über sein Ablehnungsgesuch hätte befinden müssen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts entspreche es Im Übrigen der mittlerweile herrschenden Auffassung, in der früheren Tätigkeit als Strafrichter einen Ablehnungsgrund des nunmehr als Zivilrichter tätigen Richters zu sehen. Schließlich lägen auch besondere Umstände vor, die eine Befangenheit des zuständigen Richters erkennen ließen. So hätte die Klage bereits vor Zustellung als unzulässig abgewiesen werden müssen.

Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg hat der sofortigen Beschwerde des Beklagten mit weiterem Beschluss vom 11.04.2007 nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht Bamberg zur Entscheidung vorgelegt.

Zu den näheren Einzelheiten wird auf die Beschlüsse des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2007 (Bl. 19 - 22 d.A.) und 11.04.2007 (Bl. 32 d.A.) sowie auf die Schriftsätze des Beklagtenvertreters Bezug genommen.

II. Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Aschaffenburg vom 19.03.2007 hat in der Sache keinen Erfolg.

1.) Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg war entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers zur Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch berufen.

Gemäß § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über ein Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung.

Grundsätzlich handelt es sich bei dem "Gericht" im Sinne der genannten Vorschrift um den durch seinen geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzten Spruchkörper des Abgelehnten (BGH NJW 2006, 2492). Dies gilt jedoch nur mangels einer anderweitigen Regelung.

Vorliegend bestimmt die richterliche Geschäftsverteilung des Landgerichts Aschaffenburg für das Geschäftsjahr 2007 (dort Buchst. B. Ziff. I. e) die Zuständigkeit der 5. Zivilkammer für die "nach §§ 36, 45, 48 ZPO" zu treffenden Entscheidungen. Diese durch Geschäftsverteilung erfolgte Zuständigkeitsbestimmung des Spruchkörpers für die nach § 45 ZPO zu treffenden Ablehnungsentscheidungen ist zulässig und rechtlich nicht zu beanstanden. Das Verfassungsgebot des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG begründet nicht nur ein subjektives Recht einer Partei auf den ihr gesetzlich zustehenden Richter, vielmehr ergibt sich aus dem Sinn dieser Vorschrift auch, dass von Verfassungs wegen allgemeine Regelungen darüber bestehen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Dabei muss der Gesetzgeber die fundamentalen Zuständigkeitsregeln selbst aufstellen, also durch die Prozessgesetze bestimmen, welche Gerichte mit welchen Spruchkörpern für welche Verfahren sachlich, örtlich und instanziell zuständig sind. Ergänzend hierzu müssen Geschäftsverteilungspläne der Gerichte die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper festlegen und diesen die erforderlichen Richter zuweisen (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007, Az. XI ZB 43/05).

Da der in § 45 Abs. 1 ZPO verwandte Begriff des "Gerichts" weitergehender ist als jener des "Spruchkörpers", ist mit Gericht somit nur grundsätzlich und mangels einer ausdrücklichen Regelung im Geschäftsverteilungsplan der Spruchkörper gemeint, dem der Abgelehnte angehört und bei dem das Verfahren anhängig ist. Die Zuweisung an einen anderen Spruchkörper im Geschäftsverteilungsplan stellt folglich nicht nur eine zulässige anderweitige Regelung zur Ergänzung der gesetzlichen Bestimmung des § 45 Abs 1 ZPO dar, sondern steht auch in Einklang mit dem Verfassungsgebot des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. März 2007, Az. 14 W 9/07; Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Auflage, § 45 Rdnr. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Auflage, § 45 Rdnr. 4).

2.) Auch in der Sache hält die als unbegründet erfolgte Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs des Beklagten, selbst unter Berücksichtigung seines weitergehenden Beschwerdevorbringens, rechtlicher Überprüfung Stand. Der Senat teilt sowohl in den Gründen als auch im Ergebnis die Auffassung des Erstgerichts und nimmt insbesondere zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug.

Auch nach Überzeugung des Senats vermag der bloße Umstand der früheren Befassung des nunmehr zur Verhandlung und Entscheidung berufenen Zivilrichters mit dem Strafprozess gegen den Beklagten dessen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO nicht zu begründen.

Der Senat teilt ausdrücklich nicht die in einer früheren Entscheidung des OLG Koblenz (NJW 1967, 2213) vertretene Rechtsauffassung, wonach die frühere Befassung des Zivilrichters als Strafrichter generell einen Ablehnungsgrund im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO darstelle. Dies entspricht zum einen nicht der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung (LG Würzburg Beschluss vom 07.06.1978, Az. SA III 22/78; OLG Bremen in NStZ 1991, 95: Befangenheit verneinend nach Aufhebung und Zurückverweisung im Strafprozess; OLG Zweibrücken in Rpfleger 2000, 236: Befangenheit verneinend bei Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses durch den zugleich als Ermittlungsrichter tätigen Zivilrichter; BGH NJW 1979, 2160: Befangenheit verneinend für den in einem früheren Strafverfahren als Staatsanwalt tätigen Strafrichter bei Gesamtstrafenbildung) und Literatur (Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Auflage, § 42 Rdnr. 15; Thomas/Putzo, ZPO 26. Auflage, § 42 Rdnr. 13), zum anderen steht die zum Teil vertretene gegenteilige Auffassung (so wohl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Auflage, § 42 Rdnr. 24 und Zöller/Vollkommer, ZPO 26. Auflage, § 42 Rdnr. 11) in Widerspruch zur Gesetzessystematik von Ausschluss- und Ablehnungsgründen in den §§ 41 ff. ZPO.

Danach werden für den Zivilprozess in § 41 Nr. 6 ZPO, für den Strafprozess in § 22 Nr. 4 StPO enumerativ die Fälle eines Ausschlusses von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes bezeichnet. Allein in diesen gesetzlich normierten Fällen genügt somit bereits die bloße Mitwirkung in einem früheren Verfahren, ohne dass es des Hinzutretens weiterer Umstände, insbesondere einer eventuellen Voreingenommenheit, bedürfte.

Aus dieser enumerativen Aufzählung der Ausschlusstatbestände folgt daher zugleich zwingend, dass die bloße Mitwirkung des Richters an früheren Verfahren in anderer als der in § 41 Nr. 6 ZPO, § 22 Nr. 4 StPO bezeichneten Weise keinesfalls ausreichend ist, eine Befangenheit zu begründen. Vielmehr müssen noch - anders als bei einem Ausschluss kraft Gesetzes - weitere, die Besorgnis der Befangenheit begründende Umstände hinzutreten.

Als solche, eine Ablehnung nach § 42 ZPO begründenden Umstände kommen jedoch grundsätzlich nicht Kriterien wie etwa "für den Verfahrensbeteiligten günstige Entscheidung" oder "für den Verfahrensbeteiligten ungünstige Entscheidung" in Betracht. Unabhängig von der nicht nur fehlenden Objektivierbarkeit, sondern auch Subjektivierbarkeit der Begriffe "günstig" oder "ungünstig" (so kann die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Verurteilten einerseits "ungünstig", andererseits aber auch - im Sinne von "nur" - "günstig" sein), wird das richterliche Handeln grundsätzlich nicht von diesen Maßstäben bestimmt, sondern ist allein dem Gesetz unterworfen, Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 DRiG. Dies hat auch das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 05.11.1969 (NJW 1970, 568) nicht ausreichend berücksichtigt. Nach Überzeugung des Senats stellen sowohl die frühere Mitwirkung in einem Strafprozess als auch die jetzige Zuständigkeit als Einzelrichter in einem Zivilprozess prozessrechtlich typische Handlungen eines Richters dar, die eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit bereits vom Grundsatz her nicht rechtfertigen können (so auch BGH JurBüro 2003, 499). Vielmehr erfordert die begründete Ablehnung eines Zivilrichters nach § 42 Abs. 2 ZPO neben der früheren Mitwirkung in einem Strafprozess, die nicht bereits einen der Ausschlusstatbestände der §§ 41 Nr. 6 ZPO, 22 Nr. 4 StPO erfüllt, das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Zu Recht ist daher auch die vereinzelt gebliebene Auffassung des Landgerichts Würzburg in seiner Entscheidung vom 12.03.1985 (MDR 1985, 850) abgelehnt worden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.07.1991, Az. 8 W 2384/91).

3.) In Übereinstimmung mit der Auffassung des Landgerichts Aschaffenburg ist der Senat der Überzeugung, dass solche Umstände vorliegend nicht gegeben sind.

Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Sinne von § 42 ZPO ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind jedoch nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; rein subjektive unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht der den Richter ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an dessen Unvoreingenommenheit und objektiver Einstellung zu zweifeln (ständige Rechtsprechung, BGH NJW 2004, 164; BGHZ 77, 70 (72); BGH NJW 1995, 1677 (1679); zu § 19 BVerfGG: BVerfGE 20, 1 (5); BVerfGE 102, 122 (125); Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl., § 42 Rdnr. 2).

Die diesbezüglichen Ausführungen des Beklagten im Beschwerdeverfahren, wonach die Klage sofort als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen, ist zum einen rechtlich unzutreffend, zumal sie die materiellen Prozessleitungspflichten des Gerichts nach § 139 ZPO verkennt, zum anderen kann auch eine angenommen unrichtige Sachbehandlung die Befangenheit eines Richters nicht begründen, vielmehr wäre ein solches Handeln einer evtl. Korrektur im Rechtsmittelverfahren vorbehalten.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten konnte somit insgesamt keinen Erfolg haben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO analog, der Beschwerdewert war gemäß § 48 Abs. 2 GKG auf 1.000,-- Euro festzusetzen.

IV. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 574 ZPO. Die zur Entscheidung anstehenden Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, der Senat weicht hiervon nicht ab.

Ende der Entscheidung

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