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Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss verkündet am 05.01.2006
Aktenzeichen: 2 UF 338/05
Rechtsgebiete: BGB, GewSchG


Vorschriften:

BGB § 1361 Abs. 3
BGB § 1579 Nr. 2
GewSchG § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Dem Beklagten wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, an die Klägerin Prozesskostenvorschuss für ein Berufungsverfahren gegen das Endurteil des Amtsgerichts -Familiengerichts- Bayreuth vom 07. November 2005 in Höhe von 1.689,08 EUR zu zahlen.

Gründe:

I. Der Beschluss findet seine Rechtsgrundlage in §§ 127 a ZPO, 1361 IV, 1360 a IV BGB. Die Leistungsfähigkeit des Beklagten ist nicht bestritten.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterhalt für die Zeitdauer des Getrenntlebens gemäß § 1361 Abs. 1 BGB in Höhe von 590.- EUR monatlich ab 01. September 2005.

1) Wie das Amtsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin in der Form von insgesamt 111 Fällen des Verstoßes gegen die Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz aus den Beschlüssen des Amtsgerichts -Familiengerichts- Bayreuth vom 03.06.2002 und vom 24.03.2004, die zu einer Ahndung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom 28.01.2003 und Urteile des Amtsgerichts Bayreuth vom 14.04.2003 und 12.05.2005 führten, den Tatbestand des § 1579 BGB erfüllen. Der Senat tendiert dazu, wie das Amtsgericht einen Fall der Nummer 2 der genannten Bestimmung anzunehmen. Die Straftaten nach § 4 GewSchG stellen schwere vorsätzliche Vergehen im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB dar. Durch die Vielzahl der tatmehrheitlich begangenen Delikte hat die Klägerin in besonders intensiver, strafwürdiger Manier die Familienbande nicht geachtet und kann aus diesem Grund Solidarität im Familienverband nicht mehr fordern (Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 30 VII 9, Seite 432). Zwar hat die Rechsprechung bei der Fallgruppe der Ehrverletzungen schwere Vergehen dann nicht angenommen, wenn diese nicht mit nachhaltigen Auswirkungen auf die persönliche und berufliche Entfaltung sowie die Stellung des Unterhaltsverpflichteten in der Öffentlichkeit verbunden waren. Im vorliegenden Fall wurde der Beklagte, der in einem öffentlichen Amt als X. der Stadt A. steht, schon dadurch betroffen, dass in öffentlichen Verhandlungen beim Amtsgericht Bayreuth die gegenüber dem Beklagten an den Tag gelegten verbotenen Verhaltensweisen offen gelegt werden mussten. Zudem dürfte sich im vorliegenden Fall die Schwere des Vergehens schon aus der Häufigkeit der Verstöße gegen das GewSchG ergeben.

Es kann aber dahinstehen, ob tatsächlich ein Fall des § 1579 Nr. 2 BGB gegeben ist. Jedenfalls erfüllte das strafbare Verhalten der Klägerin den Tatbestand des § 1579 Nr. 6 BGB in der Form des offensichtlich schwerwiegenden, eindeutig bei der Klägerin liegenden Fehlverhaltens gegenüber dem Beklagten. Dass auch andere Verhaltensweisen als die Aufnahme eines intimen Verhältnisses, z.B. ein Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung, den Tatbestand des § 1579 Nr. 6 BGB erfüllen können, ist in Rspr. (vgl. z.B. OLG Celle, FamRZ 1996, 22) und Literatur (vgl. z.B. MünchKomm-Maurer, 4. Aufl., § 1579 Rdnr. 50) anerkannt. Das muss vorliegend bei der Vielzahl der Fälle (111 tatmehrheitlich begangene Delikte gegenüber dem Beklagten) erst recht gelten. Ein solches Verhalten ist unter dem Gesichtspunkt der fehlenden ehelichen Solidarität, auf der § 1579 Nr. 6 BGB gründet, schwerer zu gewichten als Verleumdungen gegenüber dem Ehegatten, mit denen sich die Berufung auseinandersetzt, oder belästigende Anrufe, die in Literatur (vgl. z.B. MünchKomm-Maurer aaO.) und Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1996, 223) ebenfalls als Anwendungsfälle des § 1579 Nr. 6 BGB anerkannt sind.

Daran ändert auch die Weiterzahlung des Unterhalts nach Begehung der Straftaten nichts. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass er sich bis zur Verurteilung im Jahr 2005 durch das Amtsgericht Bayreuth deshalb für verpflichtet hielt, den Unterhalt zu bezahlen, weil er die Klägerin für eingeschränkt schuldfähig hielt. Erst nach Feststellung des Gegenteils durch das Urteil im Jahr 2005 sei ihm klar geworden, dass die Verstöße gegen die Anordnungen des Familiengerichts Bayreuth und die am 13.09.2001 geschlossene Vereinbarung wegen voller Schuldfähigkeit der Klägerin zum Wegfall des Unterhalts führen mussten. Seit diesem Zeitpunkt hat er den Unterhalt gekürzt und nur noch unter Vorbehalt bezahlt. Unter diesen Umständen kann in der Weiterzahlung weder eine Verzeihung liegen, noch schutzwürdiges Vertrauen aufseiten der Klägerin seit August 2005 (für den Zeitraum bis Juli 2005 wird Unterhalt nicht geltend gemacht) geschaffen worden sein. Auch in der Literatur wird in Fällen solch besonderer Gründe angenommen, dass die Weiterzahlung des Unterhalts keine Auswirkungen im Rahmen der Billigkeitsbetrachtung zeitigt (Johannsen-Henrich-Büttner, Eherecht, 3. Aufl., § 1579 Rdnr. 48). Die vom Klägervertreter im Schriftsatz vom 18.10.2005 zitierten obergerichtlichen Entscheidungen OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1159, und OLG Hamm, FamRZ 1997, 1485 (das Zitat OLG Hamm FamRZ 1984, 705, ist ein Fehlzitat) beschäftigen sich mit Fällen der Weiterzahlung, ohne dass ein Vorbehalt erklärt worden wäre.

2) Der Senat stimmt aber mit dem Vorbringen des Klägervertreters im Entwurf einer Berufungsbegründung insoweit überein, als die im Rahmen des § 1579 BGB durchzuführende Billigkeitsabwägung vorzunehmen ist. Zu berücksichtigen sind neben der Dauer der Ehe (inzwischen 31 Jahre) die schwere Krankheit und der Tod der Tochter in den letzten Jahren, die mit Sicherheit Auswirkungen auf den nervlichen Zustand allerdings beider Parteien hatten, das fortgeschrittene Alter der Klägerin sowie die gute wirtschaftliche Situation, in der sich die Eheleute während ihres Zusammenlebens befunden haben. All diese Gesichtspunkte sind dem schon oben geschilderten und den Tatbestand des § 1579 BGB erfüllenden Verhalten der Klägerin gegenüberzustellen. Dabei führt die Hartnäckigkeit des Verstoßes gegen die gerichtlichen Anordnungen nach dem GewSchG in Verbindung mit dem Umstand, dass sich die Klägerin nicht einmal durch strafrechtliche Ahndung und die Androhung einer Freiheitsstrafe von ihrem Verhalten abhalten ließ, zu der Schlussfolgerung, dass eine Kürzung des Unterhaltsanspruchs nicht als unbillige Härte angesehen werden kann.

3) Ein Ausschluss des Unterhalts als schärfstes Instrument der Sanktion kommt deshalb nicht in Betracht, weil die vorgetragenen Auswirkungen des Verhaltens der Klägerin den Beklagten zwar trafen (vgl. oben 1), im Vergleich mit anderen Fällen des Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz aber bestenfalls im mittleren Bereich liegen. Eine Befristung erscheint deshalb nicht sinnvoll, weil es sich um Unterhalt für die Zeitdauer des Getrenntlebens handelt und zwischen den Parteien bereits das Scheidungsverfahren anhängig ist. Bei der als Alternative verbleibenden Kürzung des Unterhalts muss zunächst festgelegt werden muss, wie hoch an sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 1361 BGB ohne Berücksichtigung des Verwirkungseinwands wäre. Bei einem Nettoeinkommen von 3.200,00 EUR bereinigt, das die Klägerin im Entwurf einer Berufungsbegründung vorträgt, weiterer 230,00 EUR Kirchensteuerzahlung an die C., die die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat und deshalb bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist und des Erwerbstätigenbonus in Höhe von 10 % verblieben 2.673,00 EUR. Begrenztes Realsplitting kann der Beklagte für 2005 nicht mehr in Anspruch nehmen. Für 2006 erhöht sich sein berücksichtigungsfähiges Einkommen zwar durch diesen Steuervorteil etwas, wirkt sich aber wegen der Deckelung durch § 1579 nicht aus. Der Klägerin ist im Rahmen des § 1361 Abs. 2 BGB der Vorwurf zu machen, dass sie nach Ablauf des Trennungsjahres im Frühjahr 1999 seit sieben Jahren ihre Erwerbsobliegenheit verletzt. Sie hat weder vorgetragen, sich beim Arbeitsamt als Arbeit suchend gemeldet zu haben, noch sich auf Arbeitsstellen selbstständig beworben zu haben. Sie hätte bei entsprechenden Bemühungen ein Einkommen in Höhe von mindestens 1000,00 EUR netto erzielen können. Sie ist gelernte Zahnarzthelferin und hat jahrelang als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst gearbeitet. Sie ist weder durch Betreuung von Kindern noch durch Krankheit an der vollschichtigen Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit gehindert. Im Frühjahr 1999 war sie mit 54 Jahren auch nicht zu alt, um ins Berufsleben zurückzukehren. Im Rahmen der Billigkeitsbetrachtung und der Ermessensausübung des § 1579 BGB muss also davon ausgegangen werden, dass sie ihr Existenzminimum als den höchsten der in Frage kommenden Beträge bei rechtzeitiger Bewerbung hätte selbst decken können. Eine Zahnarzthelferin verdiente monatlich am 31.12.2004 z.B. durchschnittlich 1.600,00 EUR brutto (Tarifarchiv der Hans Böckler-Stiftung www. boeckler.de), eine Angestellte im öffentlichen Verwaltungsdienst je nach Eingruppierung einen etwa gleich hohen Betrag. Daraus ergibt sich jedenfalls ein Nettoeinkommen von mehr als 1000,00 EUR, das bei gehöriger Erfüllung der Erwerbs-, hier insbesondere der Bewerbungsobliegenheit, zu erzielen gewesen wäre. Damit hätte sich ein Aufstockungsunterhaltsanspruch von ca. 1/2 x (855 + 3673) - 855 = 1409.- EUR (ohne Realsplitting in 2006) ergeben.

4) Als Begrenzung des errechneten Unterhaltsanspruchs kommt der vom Senat in der Regel bei Kindesbetreuung angenommene Betrag des Existenzminimums nach den Süddeutschen Leitlinien, eine Halbierung des an sich der Klägerin zustehenden Unterhaltsbetrags (OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 833, hier 705.- EUR) oder ein noch geringerer Betrag (250,00 DM laut AG Weilburg, FamRZ 1995, 97) in Betracht. All diese Varianten dienten aber in den zitierten Entscheidungen dazu, dem Argument der Sicherung eines Existenzminimums der Berechtigten in der Abwägung zum Durchbruch zu verhelfen. Da die Klägerin bei ihrem inzwischen fortgeschrittenen Alter zwar nicht mehr in der Lage ist, eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu finden, ihr aber schon in der notariellen Urkunde aus dem Jahr 1998 ein Erwerbseinkommen von ca. 300.- EUR (damals 600.- DM) zugerechnet wurde, das sie mit einem so genannten Mini-Job auch heute noch verdienen kann, erscheint es angemessen, den Betrag des notwendigen Selbstbehalts von 890.- EUR als Existenzminimum um diese 300.- EUR zu vermindern. Damit wird für die Klägerin zudem ein Erwerbsanreiz geschaffen.

II. Die Klägerin kann auch aus der notariellen Urkunde vom 02.07.1998 und der privatschriftlichen Vereinbarung vom 13.09.2001 keinen weitergehenden Unterhaltsanspruch herleiten. Beide Vereinbarungen waren an die Einhaltung eines Kontaktverbotes der Klägerin mit dem Beklagten geknüpft. Dagegen hat die Klägerin in 111 Fällen verstoßen, so dass nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, die heute in § 313 BGB positiviert sind, der Beklagte an diesen Vertrag nicht mehr gebunden ist.

III. Bei einem Streitwert von 12 X 590.- EUR ergeben sich für das Berufungsverfahren nach der Rechenweise der Klägervertreterin im Schriftsatz vom 21.11.2005 EURO 1361,38 und für das Verfahren der einstweiligen Anordnung EURO 327,70. Das ergibt zusammen den tenorierten Betrag.

Ende der Entscheidung

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