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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 04.07.2005
Aktenzeichen: 4 U 126/03
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 847 a.F.
StGB § 13
StGB § 229
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Bamberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 126/03

Verkündet am 4. Juli 2005

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes und Schmerzensgeldes

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und der Richter am Oberlandesgericht ... und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 27. Mai 2003 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000,-- Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit 18. Januar 2001 zu zahlen.

II. Die Kosten der Beweisaufnahme hat der Beklagte zu tragen. Von den übrigen erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 4/5 und der Beklagte 1/5 zu tragen. Von den übrigen Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 3/5, der Beklagte 2/5 zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A)

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld wegen fehlerhafter ärztlicher Heilbehandlung.

Der Kläger litt seit vielen Jahren an einer koronaren Herzerkrankung. Wegen dieser war er seit 1991 Patient in der Gemeinschaftspraxis, die der Beklagte als Facharzt für Allgemeinmedizin mit Dr. ... führte.

Auch Anraten des Beklagten ließ sich der Kläger Anfang Oktober 1998 von dem Kardiologen Dr. ... untersuchen. Dieser stellte bei ihm keine Veränderungen, sondern eine volle Belastbarkeit fest. Dies teilte Dr. ... mit Schreiben vom 6.10.1998 den Beklagten mit. Am Freitag, dem 16.10.1998, begab sich der Kläger in die Praxis des Beklagten. Er schilderte ihm einen "enormen Druck in der Brust" und gab an, dass er kaum eine Treppe hochsteigen könne. Des weiteren teilte er dem Beklagten mit, dass dieselben Symptome schon einmal im Jahre 1991 aufgetreten seien und dass er damals von Dr. ... in die Uniklinik Frankfurt eingewiesen worden sei, damit ein Herzkatheter gesetzt und so die aufgetretene Aterienverengung beseitigt werde. Der Beklagte ließ ein EKG fertigen und verordnete blutdrucksenkende Medikamente sowie ein Nitrospray zur Erweiterung der Gefäße. Er riet dem Kläger, eine Herzkatheteruntersuchung durchführen zu lassen. Am Dienstag, dem 20.10.1998, begab sich der Kläger erneut zum Beklagten in ärztliche Behandlung und schilderte die gleichen Symptome wie am 16.10.1998. Der Beklagte wiederholte die bisherige Therapie. Die Tagesliste des Beklagten enthält zudem folgende Eintragung:

"Im Klinikum Ffm. angerufen wg. Termin - nicht mögl. vor dem 9.11., nur notfallmäßig. Rückruf Pat. mit Angabe der Tel. Nr. in Ffm.; soll bei Verschlechterung sofort anrufen, ansonsten Termin in AB einhalten."

Am Donnerstag, den 22.10.1998 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt und wurde per Notaufnahme ins Klinikum Aschaffenburg gebracht.

Der Kläger trägt vor, aus dem vom Beklagten am 16.10.1998 angefertigten EKG und seinen Beschwerden hätten sich eindeutige Warnsignale ergeben, die auf einen drohenden Herzinfarkt hingedeutet hätten. Die vom Beklagten angesichts dessen vorgenommenen Therapiemaßnahmen seien nicht ausreichend gewesen. Insbesondere hätte der Beklagte ihn durch eine Notfallmaßnahme sofort in ein Krankenhaus einweisen müssen. Dadurch hätte sein Herzinfarkt vermieden werden können.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten zu materiellem Schadensersatz in Höhe von 5.937,50 DM sowie zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 60.000,-- DM zu verurteilen und seine Einstandspflicht für die künftigen materiellen und immateriellen Schäden festzustellen.

Der Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt.

Er behauptet, der Kläger habe am 16.10.1998 die gleichen Beschwerden geschildert wie früher. Das EKG vom 16.10.1998 habe gewisse Veränderungen aufgewiesen, die jedoch bereits seit 1994 bekannt gewesen seien und insoweit nichts Neues gezeigt hätten. Er habe früher den Kläger wiederholt und ernsthaft darauf hingewiesen, dass eine weitere Herzkatheteruntersuchung erforderlich sei, die der Kläger jedoch abgelehnt habe. Er habe im Rahmen der Behandlung des Klägers am 20.10.1998 drei verschiedene Termine für eine Herzkatheteruntersuchung festgelegt, nämlich einen ambulanten Termin in drei Wochen in Frankfurt am Main, einen Termin am 28.10.1998 bei dem Kardiologen Dr. ... sowie einen Notfalltermin in Frankfurt am Main, der bei einer akuten Verschlechterung des Zustandes des Klägers sofort bereitgehalten worden wäre.

Das Landgericht Aschaffenburg hat ein Gutachten und ein Ergänzungsgutachten des sachverständigen Arztes Dr. ... erholt und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, zwar habe der Sachverständige festgestellt, dass weitere Maßnahmen zur Abklärung des Befundes erforderlich gewesen wären. Es sei aber zu bedenken, dass diese Maßnahmen darauf zielten, über die Indikationsstellung zur Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung zu entscheiden. Der Rat des Beklagten an den Kläger, eine Herzkatheteruntersuchung durchführen zu lassen, sei richtig gewesen. Zwar habe der Sachverständige des weiteren ausgeführt, der Beklagte hätte eine Noteinweisung des Patienten in eine Klinik vornehmen müssen. Da der Kläger aber eine Einweisung abgelehnt habe, sei das Verhalten des Beklagten nicht zu beanstanden.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 12.6.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am Montag, den 14.7.2003 einging. Nachdem die Frist zur Begründung der Berufung mit Verfügung des Vorsitzenden vom 12.8.2003 bis zum 2.9.2003 verlängert worden war, ging die Berufungsbegründung am 1.9.2003 beim Oberlandesgericht Bamberg ein. Nachdem der Kläger in dieser angekündigt hatte, an seinen erstinstanzlich gestellten Anträgen festzuhalten, stellte er in der mündlichen Verhandlung vom 2.2.2004 lediglich den Antrag, das am 6.5.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Aschaffenburg hinsichtlich des Schmerzensgeldantrags aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen, mindestens jedoch 7.000,-- Euro. Im übrigen nahm er die Berufung zurück. Zur deren Begründung rügte er insbesondere eine fehlerhafte bzw. fehlende Beweiswürdigung durch das Landgericht. Das Urteil beruhe auf der Verkennung der Tatsache, dass der Beklagte keinen Beweis dafür angetreten habe, dass er den Kläger auf die Dringlichkeit einer sofortigen Herzkatheteruntersuchung hingewiesen habe.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Dr. sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. ...

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie hinsichtlich der vom Landgericht festgestellten Tatsachen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

B)

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 27.5.2003 ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511 ff. ZPO); sie ist deshalb zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.000,-- Euro gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB, § 847 BGB a.F..

Der Beklagte hat nämlich das Ausmaß der für den Kläger am 16. und 20.10.1998 bestehenden Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Herzinfarktes verkannt und ihm infolgedessen nicht dringend zu einer sofortigen notfallmäßigen Einweisung in die nächste Klinik für eine Herzkatheteruntersuchung geraten, obwohl dies erforderlich gewesen wäre.

1. Der Beklagte hat am 16. und 20.10.1990 die Schwere der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Herzinfarktes verkannt.

Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 18.10.2000 diesbezüglich vorgetragen, am 16.10.1998 hätten sich "EKG-Veränderungen" gezeigt, "welche jedoch seit mindestens 1994 bestehen". Er habe ihm deshalb Nitrospray verabreicht, wobei diese Medikation dem Kläger bereits seit Jahren bekannt gewesen sei. Er habe den Kläger darauf hingewiesen, dass er Belastungen wie einen regelmäßigen Fußweg gerade in kalter Morgenluft unterlassen solle. Weiterhin sei vereinbart worden, dass sich der Kläger bei erneuten Beschwerden sofort beim Beklagten melden solle. Es sei zwar zutreffend, dass sich aus dem EKG vom 16.10.1998 Warnsignale ergäben. Diese hätten jedoch ebenso wie die vom Kläger geschilderten Symptome bereits seit mindestens 1994 bestanden.

Demgegenüber führte der Sachverständige Prof. Dr. ... aus, in dem am 16.10.1998 erstellten EKG hätten sich im Vergleich zu einem früheren EKG deutliche Veränderungen gezeigt. Diese hätten im Zusammenhang mit der geschilderten Beschwerde-Symptomatik als akutes Koronarsyndrom gewertet werden müssen. Ob es sich bei dem akuten Koronarsyndrom schon um einen noch nicht transmuralen Myokardinfarkt oder nur um eine instabile Angina pectoris ohne Infarkt handelte, hätte sich nur durch eine akute laborchemische Untersuchung klären lassen. Jedenfalls habe es sich bei den mit dem EKG vom 16.10.1998 festgestellten Veränderungen nicht nur um Ausprägungen eines früheren Befunds, sondern um richtungsweisende Veränderungen gehandelt. Diese seien nicht auf einen erhöhten Blutdruck zurückzuführen. Sie hätten im Zusammenhang mit der Beschwerdesymptomatik vielmehr eindeutig Anlass zur notfallmäßigen Behandlung sein müssen. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil das Ergebnis der kardiologischen Untersuchung vom 6.10.1998 unauffällig gewesen sei.

Der Senat schließt sich insoweit und auch im folgenden den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... an. Dieser ist Chefarzt der medizinischen Klinik des Leopoldinakrankenhauses in Schweinfurt. Seine Ausführungen waren klar, nachvollziehbar, von großer Erfahrung geprägt und in jeder Hinsicht überzeugend. Sie waren deshalb den - ohnehin im wesentlichen nur in Bewertungsfragen abweichenden - Ausführungen des Arztes Dr. ... vorzuziehen.

2. Da bei dem Kläger eine koronare Herzkrankheit seit Jahren bekannt war, hätte die geschilderte Beschwerdesymptomatik im Zusammenhang mit den neu aufgetretenen EKG-Veränderungen als akutes Koronarsyndrom interpretiert werden müssen. Der Beklagte hätte den Kläger deshalb auf die dringende Erforderlichkeit einer sofortigen Herzkatheteruntersuchung hinweisen und seine notfallmäßige Einweisung in die nächstgelegene Klinik veranlassen müssen.

Wie der Sachverständige Prof. Dr. ... ausführte, muss sofort gehandelt werden, wenn ein derartiges EKG festgestellt werde. Er würde den Patienten davon überzeugen, dass ein Aufschieben der Untersuchung nicht mehr in Betracht komme. Als niedergelassener Arzt würde er den Patienten nicht einmal mehr aus der Praxis fortgehen lassen, sondern ihn mit dem Notarztwagen in das nächste Krankenhaus einliefern lassen.

Der Beklagte hat den Kläger nicht über die dringende Erforderlichkeit einer sofortigen Herzkatheteruntersuchung aufgeklärt und seine notfallmäßige Einweisung nicht veranlasst.

Insbesondere ist die notfallmäßige Einweisung in die Klinik zum Zwecke einer Herzkatheteruntersuchung nicht daran gescheitert, dass der Kläger sie trotz einer entsprechenden dringlichen Aufklärung durch den Beklagten abgelehnt hätte.

Zwar behauptet der Beklagte in der Berufungserwiderung, er habe den Kläger auf die Dringlichkeit der Herzkatheteruntersuchung und auf die Erforderlichkeit einer Notfalleinweisung hingewiesen.

a) Dies steht jedoch zum einen im Widerspruch zum früheren und übrigen Vorbringen des Beklagten. Dieser hatte nämlich in seinem Schriftsatz vom 18.10.2000 vorgetragen, zum Untersuchungszeitpunkt habe es keine Hinweise auf eine Herzinfarktsymptomatik mit zwingender sofortiger stationärer Behandlung gegeben. Deshalb habe er am 16.10.1998 mit dem Kläger vereinbart, dass er sich bei erneuten Beschwerden wieder beim Beklagten melden sollte. Als er am 20.10.1998 dem Kläger erklärt habe, dass ein Herzkatheter gelegt werden müsse, und ihn deshalb in das Klinikum Aschaffenburg habe einweisen wollen, hätte der Kläger dies abgelehnt, da er unbedingt in Frankfurt habe behandelt werden wollen. Diesem Wunsch entsprechend habe der Beklagte mit dem Klinikum in Frankfurt einen ambulanten Herzkathetertermin mit einer Frist von drei Wochen vereinbart. Aufgrund der aufgetretenen Beschwerden habe er zusätzlich einen Termin mit dem Aschaffenburger Kardiologen Dr. ... mit einer Frist von einer Woche vereinbart für den Fall, dass sich die Beschwerden verschlimmern sollten und ein Abwarten bis zum Termin in Frankfurt nicht verantwortet werden konnte. Zusätzlich zu diesen beiden Terminen habe der Beklagte - noch einen Notfalltermin in Frankfurt vereinbart.

Dies zeigt, dass der Beklagte selbst nicht vom akuten Erfordernis einer Notfalleinweisung ausging. Andernfalls hätte er keinen ambulanten Herzkathetertermin mit einer Frist von drei Wochen vereinbart.

Auch in der Berufungserwiderung trägt der Beklagte vor, dass er am 16.10.1998 den Kläger zur weiteren Anästhesievorbereitung, insbesondere zur Bestimmung der Blutwerte für die nächste Woche einbestellt habe. Auch dies spricht nicht gerade dafür, dass der Beklagte seinen Patienten mit hinreichender Deutlichkeit über die Erforderlichkeit einer sofortigen Herzkatheteruntersuchung aufklärte.

b) Gegen die Behauptung des Beklagten, er habe den Kläger auf die Erforderlichkeit einer Notfalleinweisung hingewiesen, spricht auch der Computerausdruck vom 21.10.1998 mit der Tagesliste, auf die sich der Kläger beruft. Die dortige, unter A) zitierte Eintragung: "im Klinikum Frankfurt angerufen wegen Termin - nicht möglich vor dem 9.11., nur notfallmäßig." zeigt vielmehr, dass der Beklagte am 20.10.1998 gerade nicht von einem Notfall ausging. Vielmehr sollte der Kläger, wie es in der Tagesliste heißt, lediglich bei einer weiteren Verschlechterung sofort in Frankfurt anrufen, ansonsten aber seinen Termin in Aschaffenburg einhalten.

c) Im übrigen kommt bzw. käme dem Kläger eine Beweiserleichterung wegen lückenhafter ärztlicher Dokumentation zugute. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kann der Tatrichter aus der Tatsache der Nichtdokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch die Behandlungsseite darauf schließen, dass die Maßnahme unterblieben ist (BGH, NJW 1995, 1611; NJW 1989, 2330). Die Beweiserleichterung begründet insoweit eine Vermutung, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden ist (BGH, NJW 1988, 2949).

Wenn der Kläger vorliegend trotz einer Aufklärung über die Erforderlichkeit einer notfallmäßigen Einweisung in die Klinik zum Zwecke einer Herzkatheteruntersuchung diese abgelehnt haben sollte, hätte der Beklagte dies dokumentieren müssen. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente der Behandlung, insbesondere die Aufklärung.

Wie der Sachverständige Prof. Dr. ... ausführte, war die Dokumentation einer Weigerung einer erforderlichen Heilbehandlung bereits 1998 Standard. Insofern bestehe kein Unterschied zwischen einem niedergelassenen und einem in einer Klinik tätigen Arzt. Üblicherweise sei in den Aufklärungsbögen für eine Weigerung standardmäßig eine Spalte vorgesehen. In den ihm bekannten Kliniken sei es im Falle einer Weigerung sogar Usus, dass eine zweite Person als Zeuge hinzugezogen werde und neben dem aufklärenden Arzt auch der Patient die entsprechende Erklärung unterzeichne. Dies bestätigte für seine Klinik auch Dr. .... Auch dieser erklärte, wenn die übrigen Anordnungen detailliert festgehalten würden, sollte auch die Belehrung über eine notfallmäßige Einweisung dokumentiert werden. Herr Dr. sagte zwar, er glaube nicht, dass es dem 1998 üblichen Standard entsprochen habe, eine Belehrung über die Dringlichkeit zu dokumentieren; dieser "Glaube" des damals 28-jährigen Arztes Dr. ... wird jedoch durch die Aussage des erfahrenen Chefarztes Prof. Dr. ... berichtigt.

Dieser Bewertung schließt sich der Senat aus rechtlicher Sicht an. So ist eine Dokumentationspflicht anerkannt für den Fall, dass ein Patient die Klinik gegen ärztlichen Rat verlässt (BGH NJW 1987, 2300, 1987, 1482). Wie der BGH im Urteil vom 24.6.1997 ausführte, ist die Weigerung des Patienten, eine Untersuchung vornehmen zu lassen, die zur Abklärung einer Verdachtsdiagnose erforderlich ist, rechtlich nur dann beachtlich, wenn der Arzt den Patienten auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen hat. Für den Fall, dass dies streitig bleiben sollte, wies der Senat darauf hin, dass dem Patienten eine mangelnde Dokumentation des Arztes - soweit sie aus medizinischer Sicht erforderlich war - zur Hilfe kommen könne (BGH NJW 1997, 3090, 3091 m.w.N.). Vorliegend ist zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger - folgt man dem Vorbringen des Beklagten - nicht irgendeine Untersuchung abgelehnt hat, sondern eine, dessen therapeutische Konsequenzen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen andernfalls drohenden Herzinfarkt verhindert hätte. Verweigert der Patient eine dringend indizierte Untersuchung, die geeignet ist, einen drohenden Herzinfarkt zu verhindern, ist dies dokumentationspflichtig.

3. Die Kausalität der unterlassenen Notfalleinweisung des Klägers am 16. oder spätestens 20.10.1998 für den Herzinfarkt, den er am 22.10.1998 erlitt, ist gegeben.

Wie der Sachverständige Prof. Dr. ... ausführte, wäre nach einer notfallmäßigen Einweisung sofort eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt worden. Durch diese wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der spätere Herzinfarkt vermieden worden. Bei dem Kläger habe eine milde Einengung vorgelegen. Durch Plaqueruptur sei es zur Freisetzung von Fetten gekommen. Diese seien thrombogen und führten dazu, dass die Blutplättchen zusammenkleben. Beim Kathetereingriff könne man die Plaqueruptur erkennen und durch medikamentöse Behandlung sowie eine Stenteinlage beseitigen. Deshalb könne er mit Sicherheit sagen, dass ein drohender Herzinfarkt hätte vermieden werden können.

4. Im übrigen kommt dem Kläger auch hinsichtlich der Kausalität eine Beweiserleichterung zugute, da das Vorgehen des Beklagten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstieß, so dass es aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt "schlechterdings" nicht unterlaufen darf.

Der Sachverständige erklärte, es sei für ihn nicht mehr verständlich, wenn in der gegebenen Situation ein Hinweis auf die Dringlichkeit im Sinne einer notfallmäßigen Behandlung unterblieben sein sollte. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass 50 % der Patienten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen versterben, dürfe das Unterlassen einer Belehrung über die notfallmäßige Einweisung schlechterdings nicht passieren. Je kürzer der Zeitraum zwischen Diagnose und ärztlicher Behandlung ist, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass der Infarkt vermieden oder zumindest die langfristigen Folgen gering gehalten werden könnten.

Dieser Wertung ist zuzustimmen (vgl. 0LG München, NJW-RR 2003, 1179, OLG Naumburg, NJW-RR 2002, 312). Dabei ist nach Ansicht des Senats- auch zu berücksichtigen, dass medizinische Aufklärungsprogramme durch Schlagworte wie "jede Minute zählt" selbst Laien darüber aufzuklären versuchen, wie wichtig im Falle eines drohenden Herzinfarktes eine unverzügliche Behandlung ist.

Der Beklagte wäre aufgrund des Behandlungsvertrages zu einer notfallmäßigen Einweisung verpflichtet gewesen. Diese unterließ er schuldhaft, was zum Herzinfarkt des Klägers führte.

Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB sowie des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB sind somit erfüllt.

Gemäß § 847 BGB a.F. kann der Kläger deshalb wegen seines immateriellen Schadens eine billige Entschädigung in Geld verlangen.

Dabei ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,-- Euro angemessen. Der Kläger erlitt am 22.10.1998 einen Vorderwandinfarkt. Er befand sich von diesem Tag an bis zum 3.12.1998 in stationärer Behandlung im Klinikum Aschaffenburg. Am 3.12.1998 wurde er in eine Klinik in Bad Nauheim verlegt. Während der Behandlung im Klinikum Aschaffenburg traten diverse Komplikationen auf. Der Kläger lebt seit dem 22.10.1998 in der Angst, erneut einen Herzinfarkt zu erleiden. Seine Lebensqualität ist durch den Infarkt und seine Folgen erheblich vermindert. Aufgrund dieser Umstände ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,-- Euro angemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 96, 516 III, 92 Abs. 1 ZPO. Da der Beklagte den Anspruch dem Grunde nach bestritt und infolge dessen eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich war, waren ihm die Kosten der Beweisaufnahme aufzuerlegen. Bei der Kostenquote für die Berufungsinstanz war zu berücksichtigen, dass der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 1.9.2003 gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg in vollem Umfang Berufung einlegte und eine Verurteilung des Beklagten mit einem Streitwert von 36.268,23 Euro erstrebte. Erst im Termin vom 2.2.2004 beschränkte er seine Berufung auf den Schmerzensgeldantrag mit der Maßgabe, dass das Schmerzensgeld mindestens 7.000,-- Euro betragen solle, und nahm seine Berufung im übrigen zurück.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Der Fall wird ersichtlich geprägt durch die ihm eigenen Besonderheiten im tatsächlichen Bereich. Soweit Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen, folgt der Senat der obergerichtlichen Rechtsprechung.

Ende der Entscheidung

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