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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 09.04.2001
Aktenzeichen: 4 U 202/00
Rechtsgebiete: StPO, BGB, ZPO


Vorschriften:

StPO § 170 Abs. 2
BGB § 419
ZPO § 412
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 4
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 2 S. 1
ZPO §§ 3 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Bamberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 202/00

Verkündet am 9. April 2001

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes,

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht und der Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Kläger gegen das Endurteil des Landgerichts Arschaffenburg vom 6. September 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger zu 1) bis 3) tragen von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz 2/5 als Gesamtschuldner, die restlichen 3/5 trägt die Klägerin zu 3) alleine.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger zu 1) und 2) können die Vollstreckung seitens der Beklagten - durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- DM und die Klägerin zu 3) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 46.000,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Das Urteil beschwert die Kläger zu 1) und 2) mit 200.000,-- DM, die Klägerin zu 3) mit 500.000,-- DM.

Tatbestand:

Die Kläger zu 1), 2) und 3) begehren als Erben der am 9.1.1994 verstorbenen Zahlung von Schmerzensgeld; die Klägerin zu 3) begehrt die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für Zukunftsschäden.

Der Kläger zu 1) ist der Ehemann, die am 29.12.1985 geborene Klägerin zu 2) und die am 24.12.1991 geborene Klägerin zu 3) sind die ehelichen Kinder der am 9.1.1994 aufgrund einer HIV-Infektion verstorbenen.

Anläßlich der Geburt ihrer ersten Tochter, der Klägerin zu 2), befand sich Frau vom 20.12.1985 bis 8.1.1986 im Kreiskrankenhaus, das seinerzeit vom Beklagten zu 1) betrieben und seit 1994 von der Beklagten zu 2) fortgeführt wird. Dort wurde am 29.12.1985 gegen 9.11 Uhr von der Klägerin zu 2) entbunden. Die ärztliche Behandlung anläßlich des stationären Aufenthalts erfolgte u.a. durch die Beklagten zu 3), 4) und 5).

Aufgrund einer aufgetretenen atonischen Uterus-Nachblutung wurden am 29./30.12.1985 folgende Blutprodukte verabreicht:

5 Frischblutkonserven,

1 Ampulle Kybernin 500 mg Antithrombin III-Konzentrat,

1 PPSB 400 I.E. und

1 Ampulle Lyoplasma.

Am 24.12.1991 gebar im gleichen Krankenhaus ihr zweites Kind, die Klägerin zu 3). Ende April 1993 wurde bei eine HIV-Infektion in fortgeschrittenem Stadium festgestellt. Die Untersuchung der übrigen Familienangehörigen ergab, daß auch die Klägerin zu 3) HIV-positiv ist.

Ein von der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung der Patientin und fahrlässiger Körperverletzung der Klägerin zu 3) gegen in Betracht kommende Verantwortliche wurde mit Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Aschaffenburg vom 17.5.1994 und - nach Durchführung von Nachermittlungen - mit Bescheid vom 14.2.1996 mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Straftat gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Die Kläger haben in erster Instanz behauptet, die HIV-Infektion der Patientin habe auf der Gabe der drei Blutpräparate, wahrscheinlich des Präparates PPSB 400 I.E. beruht. Die Frischblutkonserven seien als Infektionsquelle auszuschließen, weil sämtliche Spender ermittelt und als HIV-frei nachuntersucht worden seien. Im Laufe des Jahres 1985 ist das Präparat "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" - nunmehr unstreitig - vom Hersteller, der B-Werke AG, zurückgenommen und vor Ablauf der Verfallzeit gegen das neue Mittel "Beriplex HS 400" ausgetauscht worden, weil das erstere sich als nicht HIV-sicher erwies.

Aus der Eintragung in den Krankenblättern der Patientin über die Verabreichung von "PPSB 400 I.E." ergebe sich jedoch, daß das erstere Präparat verwendet worden sei, so daß mindestens 1 Ampulle aus dem Altbestand von dem Austausch nicht umfaßt gewesen sei. Andere Möglichkeiten für eine HIV-Infektion der die eine glückliche Ehe geführt habe, seien ausgeschlossen. Da es sich um einen groben Behandlungsfehler handele, zumindest die Dokumentationspflicht verletzt sei, obliege der Beweis, daß die HIV-Infektion nicht auf die Behandlung der Beklagten zurückzuführen sei, den Beklagten. Die Dokumenationspflicht sei gröblich verletzt worden, weil in Kenntnis der HIV-Infektionsgefahr bei dem Produkt PPSB versäumt "worden sei zu vermerken, ob das verabreichte Präparat inaktiv sei; bei Gabe des Neupräparates sei nicht "PPSB" in den Krankenblättern vermerkt worden. Ferner stelle es einen groben Behandlungsfehler dar, daß die Beklagten die Geburt der Klägerin zu 2) nicht rechtzeitig eingeleitet hätten. sei am 20.12.1985 in die stationäre Aufnahme gelangt, weil der Geburtstermin für den 21.12.1985 errechnet gewesen sei. Tatsächlich habe die Geburt erst am 29.12.1985 stattgefunden. Wegen der Überfälligkeit wäre die Einleitung der Geburt zwingend angezeigt gewesen, zumal Frau bereits bei ihrer Einlieferung über erhebliche Schmerzen und Beschwerden geklagt habe. Bei rechtzeitig eingeleiteter Geburt bzw. einer Entbindung durch Kaiserschnitt wäre es nicht zu einer atonischen Nachblutung gekommen, die Verabreichung der Blutpräparate wäre deshalb nicht nötig geworden. Es stelle einen schweren Behandlungsfehler dar, daß die Fruchtblase, deren lederartige Konsistenz die Geburt verzögert habe, nicht untersucht worden sei.

Obwohl den Beklagten zu 3) - 5) das HIV-Infektionsrisiko des Präparates bekannt gewesen sei, hätten sie es versäumt, die später Verstorbene postpartal auf eine HIV-Infektion zu überprüfen. Dann wären die Behandlungsmöglichkeiten ungleich besser gewesen, die Eheleute hätten bei Kenntnis der HIV-Infektion keinen zweiten Kinderwunsch mehr gehabt, zumindest wäre durch einen dann angezeigten Kaiserschnitt das Infektionsrisiko der Klägerin zu 3) ermindert worden. Insoweit seien auch bei der Geburt der Klägerin zu 3) durch die Beklagten grobe Behandlungsfehler begangen worden. In Anbetracht der Kenntnis der Blutgaben bei der ersten Geburt hätten die Beklagten anläßlich der zweiten Geburt einen HIV-Test und einen Kaiserschnitt machen müssen.

Die Beklagte zu 2) sei in Bezug auf die Klinik Rechtsnachfolgerin des Beklagten zu 1) und damit passivlegitimiert. Zumindest hafte die Beklagte zu 2) wegen Übernahme des gesamten Krankenhausbetriebes gemäß § 419 BGB.

Die Kläger haben in erster Instanz beantragt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 200.000,-- DM zu zahlen.

2. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 3) einen weiteren Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 200.000,-- DM zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, derzeit nicht berechenbare Schäden und noch nicht absehbare Kosten aus der im Jahre 1985 am 29.12. und 30.12. erfolgten Verabreichung von Gerinnungspräparaten bei der verstorbenen Mutter der Klägerin zu 3), die zur Infektion der Klägerin zu 3), die am 24.12.1991 geboren wurde, führte, auszugleichen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben ihre Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden bestritten. Sie haben vorgetragen, die Beklagte zu 2) sei nicht passivlegitimiert, da sie 1985 noch nicht existiert habe und auch nicht Rechtsnachfolgerin des Beklagten zu i) als Krankenhausträger geworden sei. Eine Vermögensübernahme i.S. des § 419 BGB liege nicht vor.

Die Beklagten zu 3) und 4) hätten lediglich nach Auftreten der atonischen Nachblutung durch Nachcurettage, Uterustamponade und Minprostin-Infusion behandelt und die Patientin auf die Intensivstation verlegt. Die Behandlung mit den, Blutprodukten sei alleinverantwortlich durch die Beklagte zu S) auf der Intensivstation erfolgt.

Eine mangelhafte Eintragung in den Krankenblättern liege nicht vor, da die Bezeichnung "PPSB 400" auch nach Ersetzung des ursprünglichen Präparates durch "Beriplex HS 400" der ärztlichen Praxis entsprochen habe. Mangels groben Behandlungsfehlers obliege der Beweis der Ursächlichkeit der HIV-Infektion der Patientin durch im Krankenhaus verabreichte Präparate den Klägern. Die Kläger könnten nicht beweisen, daß der Patientin das Altpräparat "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" verabreicht worden sei. Das Kreiskrankenhaus habe ab Mitte Mai 1985 das HIV-sichere Präparat "Beriplex HS 400" bezogen. Einen Rückruf des Altpräparates oder ein Verbot des Bundesgesundheitsamtes habe es nicht gegeben. Es sei auch eine Kontamination durch das Präparat "Lyoplasma" denkbar, welches seinerzeit als sicher gegolten habe. Letztlich könne die Frage eines Dokumentationsfehlers dahinstehen, weil die Gabe von PPSB vital indiziert gewesen sei.

Es stelle keinen Behandlungsfehler dar, daß die Geburt der Klägerin zu 2) nicht eingeleitet worden sei. Da der Geburtstermin wegen ungenauer Angaben der Petra Koch unklar gewesen sei, sei sie ab 20.12.1985 stationär überwacht worden. Dabei hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Übertragung ergeben. Die atonische Nachblutung nach der Geburt am 29.12.1985 sei Schicksalshaft gewesen und könne auch bei einer eingeleiteten Geburt nicht ausgeschlossen werden. Eine Indikation für die Durchführung eines Kaiserschnittes habe nie bestanden.

Ferner habe keine Veranlassung bestanden, vor der Geburt der Klägerin zu 3) eine HIV-Untersuchung der Mutter vorzunehmen oder zu veranlassen, da kein Hinweis auf eine HIV-Infektion vorgelegen habe. Die Mutter sei nur 70 Minuten vor der Spontangeburt der Klägerin zu 3) ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es habe auch keine Indikation für einen Kaiserschnitt vorgelegen, bei welchem im übrigen ebenfalls ein HIV-Infektionsrisiko bestehe.

Das Landgericht Aschaffenburg hat nach Beweisaufnahme in Form von Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten (insoweit wird auf Seite 8 des Tatbestandes des Ersturteils Bezug genommen) die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt: Nach Ausführungen der Sachverständigen Dr. und Dr. sei im Dezember 1985 weder eine vorzeitige künstliche Einleitung der Entbindung noch eine Entbindung durch Kaiserschnitt indiziert gewesen, eine schuldhafte Überschreitung des Geburtstermins habe nicht vorgelegen. Deshalb beruhten die nach dem am 29.12.1985 erfolgten natürlichen Geburtsverlauf eingetretenen atonischen Nachblutungen nicht auf einem ärztlichen Fehlverhalten.

Die Verabreichung von Blut und Blutgerinnungspräparaten am 29./30.12.1985 sei aufgrund der starken atonischen Nachblutungen vital indiziert gewesen. Aus der Eintragung "PPSB 400 I.E." im Krankenblatt könne nicht auf die Gabe des Altpräparates "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" statt des neuen "Beriplex HS 400" geschlossen werden. Damals wie heute gebe es keine gültige Vorschrift über die Verwendung von Medikamentennamen oder Inhaltswirkstoffen beim Eintrag im Krankenblatt. Es sei jedoch absolut üblich und korrekt, bei häufig verwendeten Arzneimitteln, deren Bezeichnung den Inhalts- bzw. Wirkstoffen entspreche, die allgemein genutzten Wirkstoffnamen statt des Medikamentennamens, der oft von Hersteller zu Hersteller verschieden sei, einzutragen. Dies habe im übrigen auch der Vorgehensweise in der Klinik der Beklagten entsprochen. Der Eintrag "PPSB 400 I.E." lasse damit nicht den Schluß auf die Gabe des Altpräparats "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" zu, denn PPSB stehe für die vier Gerinnungsfaktoren Prothrombin, Prokonvertin, Stuart-Prower-Faktor und Hämophilie B-Faktor.

Zwar sei die unvollständige Wirkstoffangabe PPSB statt des vollständigen Medikamentennamens angesichts der zunehmenden HIV-Problematik schon 1985 ein Dokumentationsfehler gewesen, wobei offen bleiben könne, ob dieser auch zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Kläger führe. Die Beklagten hätten jedoch den Nachweis dafür, daß im Dezember 1985 im Klinikum das Altpräparat "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" nicht mehr verabreicht worden sei, positiv erbracht. Dies ergebe sich aus den glaubhaften Bekundungen der Zeugin aus der Klinikapotheke, die den lückenlosen Austausch der Präparate gegen das sichere, weil hitzesterilisierte "Beriplex HS 400" bestätigt habe. Diese Aussage werde durch die sonstigen Beweiserhebungen (Zeugen) gestützt.

Die HIV-Infektion der Verstorbenen sei auch durch das Präparat "Lyoplasma" als Infektionsquelle möglich gewesen. Die Gabe von "Lyoplasma" stelle jedoch keinen schuldhaften Behandlungsfehler dar, weil dieses Präparat im Dezember 1985 noch als sicher gegolten habe.

Die Durchführung eines HIV-Tests nach der Entbindung der Klägerin zu 2) oder vor der Geburt der Klägerin zu 3) sei nicht geboten gewesen, da es keine positiven Anhaltspunkte für eine HIV-Infektion der Mutter gegeben habe. Nicht jede Bluttransfusion habe zu einem HIV-Test genötigt.

Gegen dieses ihnen am 8.9.2000 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Kläger im Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 6.10.2000, am 9.10.2000, einem Montag, beim Oberlandesgericht Bamberg eingegangen. Die Berufungsbegründung vom 11.12.2000 ist am gleichen Tag per Fax eingegangen, nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch Vorsitzendenverfügung vom 8.11.2000 bis 11.12.2000 verlängert worden war.

Zur Begründung ihres Rechtsmittels tragen die Kläger vor:

Sie halten an der Behauptung fest, der Mutter der Klägerin zu 2) und 3), sei am 29./30.12.1985 das nicht hitzesterilisierte und damit nicht virusinaktivierte Produkt "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" der Firma verabreicht worden; dieses habe die 1994 zum Tode führende HIV-Infektion ausgelöst. Dies ergebe sich aus den Krankenhausunterlagen, insbesondere der Eintragung "PPSB 400 I.E." im Anästhesieblatt. Eine andere Infektionsquelle scheide angesichts der Tatsache, daß die Verstorbene einen untadeligen Lebenswandel und eine glückliche Ehe geführt habe, aus. Auch seien der Verstorbenen von keinem Arzt sonst irgendwelche Blutpräparate zugeführt worden. Die Zeugin die lediglich allgemeine Angaben über ihre Zuverlässigkeit getätigt habe, sei ein untaugliches Beweismittel für eine ordnungsgemäße Rückrufaktion. Vielmehr sprächen gegen eine solche die Tatsache, daß in zwei Chargen am 26.8. und 9.10.1985, also im zeitlichen Abstand von 9 Wochen, jeweils zwei Ampullen "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" zurückgegeben worden seien.

Zudem habe die Zeugin widersprüchliche, wenn nicht falsche Angaben über ihren Ansprechpartner in der Arzneimittelfirma gemacht.

Inhaltlich falsch sei auch die gutachterliche Aussage über die Eintragung von "PPSB 400" im Krankenblatt; der Schluß von dieser Kurzbezeichnung auf die Wirkstoffkombination statt auf den - gleichlautenden - Medikamentennamen sei falsch, zumal der Sachverständige Prof. Dr. diese Aussage unter dem Gesichtspunkt des "in dubio pro reo" im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren getätigt habe. Eine neue Begutachtung sei angezeigt, wobei auch darauf zu achten sei, Sachverständige auszuwählen, die 1985 bereits als Ärzte praktiziert hätten.

Es liege daher ein aufgrund der Krankenhausunterlagen dokumentierter Behandlungsfehler durch die Gabe des nicht hitzesterilisierten Altpräparates vor und kein bloßer Dokumentationsfehler, wie das Landgericht irrtümlich angenommen habe. Im übrigen habe der Sachverständige Dr. die Gabe von "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" im Dezember 1985 als Behandlungsfehler und den Eintrag von "PPSB 400 I.E." als Dokumentationsfehler bezeichnet.

Zudem hafte die Beklagtenseite aus Organisationsverschulden aufgrund der völlig ungeordneten Rückholaktion in der Klinik die darüber hinaus nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden sei.

Weiter hätte die Klinik der Beklagten der Verstorbenen nach der Bluttransfusion eine Nachtestung auf HIV anempfehlen müssen und vor der Geburt der Klägerin zu 3) eine solche selbst durchführen müssen. Schließlich sei das Gefahrenpotential von "PPSB 400" im Dezember 1985 und danach hinlänglich bekannt gewesen.

Die Kläger beantragen in zweiter Instanz:

1. Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 6.9.2000 wird abgeändert.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 200.000,-- DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

3. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 3) einen weiteren Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 200.000,-- DM zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, derzeit nicht berechenbare Schäden und noch nicht absehbare Kosten aus der im Jahre 1985 am 29.12. und 30.12. erfolgten Verabreichung von Gerinnungspräparaten bei der verstorbenen Mutter der Klägerin zu 3), die zur Infektion der Klägerin zu 3), die am 24.12.1991 geboren wurde, führte, auszugleichen.

Die Beklagten beantragen,

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und führen ergänzend aus:

Die Gabe von "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" (alt) sei nicht bewiesen, wenn nicht durch die glaubwürdige Aussage der Zeugin sogar widerlegt. Einen Anscheinsbeweis zugunsten der Kläger gebe es nicht. Schließlich lägen die zweite Geburt und die Feststellung der HIV-Infektion über sechs Jahre nach der Bluttransfusion. Andere Infektionsmöglichkeiten könnten die Kläger nicht ausschließen, insbesondere nicht das Präparat "Lyoplasma", das ebenfalls im Dezember 1985 gegeben worden sei, damals jedoch noch als völlig sicher gegolten habe.

Auch die Tatsache, daß der Kläger zu 1) sich von Dezember 1985 bis April 1993 nicht infiziert habe, spreche gegen eine Infektion der Ehefrau schon im Jahr 1985.

Die Behandlung der Verstorbenen im Dezember 1985 in der Klinik der Beklagten sei jedenfalls lege artis erfolgt. Die Gabe von Blutpräparaten sei vital indiziert gewesen. Die Gabe des nicht hitzesterilisierten "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" sei durch den Eintrag im Krankenblatt nicht nachgewiesen. Vielmehr sei davon auszugehen, daß ab Mai 1985 im Klinikum nur noch "Beriplex HS 400" zum Einsatz gekommen sei, da das Vorgängerpräparat, letztmals im März 1985 von bezogen, im Dezember 1985 längst verfallen gewesen sei. Die Verfalldaten der Medikamente würden jedoch mehrfach und somit lückenlos von den Ärzten und dem Pflegepersonal überprüft. Zudem seien alle PPSB-Präparate (alt) im Zuge einer Austauschaktion im Jahr 1985 von den Werken zurückgenommen worden. Allerdings sei diese Rückholaktion seinerzeit nicht mit "HIV-Sicherheit" begründet worden.

Auch stelle der Eintrag "PPSB 400" in den Krankenakten keinen zur Umkehr der Beweislast führenden Dokumentationsmangel dar.

Die Rückholaktion des Altpräparats PPSB sei ordnungsgemäß abgelaufen, eine lückenlose Buchführung in der Apotheke der Klinik belege dies.

Eine Verpflichtung zur Nachtestung habe nicht vorgelegen, da es keinerlei Hinweise auf eine HIV-Infektion bei der Patientin gegeben habe. Eine Empfehlung zum Nachtest allein aufgrund der Tatsache einer Bluttransfusion gebe es bis heute nicht.

Die Beklagten zu 2) und 3) seien nicht passivlegitimiert; die erst 1994 gegründete Beklagte zu 2) sei nicht Rechtsnachfolgerin des Beklagten zu 1) als Klinikträger. Der Beklagte zu 3), Leiter der Gynäkologischen und Geburtshilflichen Abteilung des Klinikums habe die Patientin nicht mit Blutprodukten behandelt, dies sei erst auf der Intensivstation der Fall gewesen.

Im übrigen wird auf den Tatbestand des Ersturteils, den Sachvortrag der Parteien "in deren Schriftsätzen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Der Senat hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Kläger ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im übrigen in zulässiger Form eingelegt und begründet worden (§§ 511 a ff., 222 Abs. 2 ZPO); in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Den Klägern steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt (weder aus Vertrag i.V.m. § 278 BGB noch aus unerlaubter Handlung, §§ 823, 831, 847 BGB) ein materieller oder immaterieller Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu.

Dabei kann der Senat die, von ihm in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken hinsichtlich der Passivlegitimation der Beklagten zu 2) - 4) dahinstehenlassen, weil die Klagen aus anderen Gründen nicht begründet sind.

1. Den Vorwurf des schuldhaften Behandlungsfehlers durch unterlassene Einleitung der Geburt vor dem 29.12.1985 oder unterlassene Kaiserschnittentbindung (Stichwort: Übertragung) haben die Kläger in ihrer Berufungsbegründung nicht wiederholt, insoweit also die Klageabweisung akzeptiert. Der Senat hält in diesem Punkt das Ersturteil für überzeugend und nimmt hierzu auf die Urteilsgründe zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen vollinhaltlich Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO). Bedenken gegen die zu diesem Komplex eingeholten Gutachten der Sachverständigen Privatdozent Dr. und Dr. sind nicht ersichtlich.

2. Ebensowenig läßt sich aus der Tatsache, daß die Beklagten der Patientin keine Nachtestung auf HIV-Infektion nach der Bluttransfusion im Dezember 1985 anempfohlen bzw. eine solche nicht vor der Geburt der Klägerin zu 3) durchgeführt haben, ein schuldhafter Behandlungsfehler ableiten. Ein HIV-Test vor der Geburt bei der Einlieferung der Mutter am 24.12.1991 war nach Aussage der Sachverständigen Dr. schon deshalb nicht veranlaßt, weil es sich um eine Spontangeburt handelte, die schon 70 Minuten nach dem Eintreffen der Schwangeren in der Klinik begann. In dieser Zeit bestand keinerlei Möglichkeit, einen HIV-Test erfolgreich durchzuführen.

Zudem bestand weder 1985 noch danach noch 1991 begründeter Anlaß für einen HIV-Test. Der Sachverständige Privatdozent Dr. sowie die Sachverständige Dr. haben in ihren ergänzenden schriftlichen Gutachten vom 14.2.1999 ausgeführt, daß es weder 1985 noch danach und bis heute nicht medizinischer Standard gewesen ist, nach der Gabe von Blutprodukten in der Folgezeit Untersuchungen auf eine mögliche HIV-Infektion zu veranlassen. Zwar sei die grundsätzlich mögliche Gefahr der Übertragung einer Viruserkrankung durch Blutprodukte bekannt, und es würden alle medizinisch und technisch verfügbaren Methoden angewendet, um Blutkonserven und Blutpräparate so sicher wie möglich herzustellen, und alle Maßnahmen zur Dokumentation ergriffen, um eine Rückverfolgung über den Hersteller bis zum Spender zu gewährleisten. Gleichwohl verpflichte bis heute eine positive Bluttransfusionsanamnese nicht zu einer medizinischen Reaktion in Richtung eines HIV-Tests. Dies hält der Senat angesichts der Häufigkeit von Bluttransfusionen und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion für nachvollziehbar und richtig. Die Kläger, die lediglich den Vorwurf unterlassener Nachtestung in zweiter Instanz wiederholen, haben die Äußerung der beiden Sachverständigen auch in der Sache nicht angegriffen oder widerlegt; weitere Nachforschungen des Senats in dieser Richtung sind daher nicht veranlaßt.

3. Einen Behandlungsfehler der Beklagten durch die Gabe von "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" (alt) können die Kläger nicht nachweisen.

Entgegen der Meinung der Kläger können sie diesen Nachweis nicht durch die Krankenblattunterlagen der Patientin vom Dezember 1985 anläßlich der Geburt ihrer ersten Tochter führen. Alle mit der Frage in diesem Fall befaßten Sachverständigen (Prof. Dr., Dr., Dr.) haben übereinstimmend angegeben, daß die Eintragung "PPSB 400 I.E." keinen Beweis für die Gabe des Altpräparates "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" der Firma liefert. Dazu hätte es schon der Vollbezeichnung des Medikamentennamens "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" bedurft. Vielmehr handelt es sich bei "PPSB 400", wie alle Sachverständigen übereinstimmend bekunden, um die Kürzelangabe der Wirkstoffkonzentration

Prothrombin

Prokonvertin

Stuart-Prower-Faktor

Hämophilie B-Faktor,

mithin die vier enthaltenen Gerinnungsfaktoren. Auch in diesem Punkt stimmt der Senat mit dem Erstgericht im Ergebnis und in der Begründung überein und nimmt daher auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts (Seiten 12 - 14 des Endurteils) Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Die Berufungsangriffe nötigen den Senat auch nicht zur erneuten oder ergänzenden Begutachtung. Selbst wenn die beiden in den mündlichen Verhandlungen die schriftlichen Gutachten erläuternden Sachverständigen Dr. und Dr. 1985 altersbedingt noch nicht praktiziert haben, so können sie gleichwohl über die Praxis bei der Handhabung der Wirkstoffeintragungen in den Krankenunterlagen der Kliniken aussagekräftige Angaben machen. Entscheidend aber ist, daß der Hauptgutachter des schriftlichen Gutachtens aus dem Ermittlungsverfahren, Prof. Dr. damals schon praktiziert hat und über genügend klinische Erfahrung verfügt. Diese Handhabung ist bis heute so üblich und medizinisch nicht zu beanstanden, da der Zweck der Dokumentation in der Krankenakte die therapeutische Zielvorstellung, die Information der (nach-)behandelnden Ärzte ist, nicht aber die spätere Beweissituation im Rechtsstreit. Daß diesem Ziel die Wirkstoffangabe in der üblichen, in vielen Kliniken gebräuchlichen Abkürzung genügt, haben die Sachverständigen übereinstimmend bekundet. Deshalb war es auch nicht notwendig, den Sachverständigen des schriftlichen Gutachtens, Prof. Dr. nochmals persönlich anzuhören, weil Widersprüche zwischen seinen Gutachten und den Ausführungen seines Mitarbeiters Dr. ebenso wenig bestehen wie zu den Angaben der auch zu diesem Punkt befragten Sachverständigen Dr..

Unrichtig ist auch der gedankliche Ansatz der Kläger in der Berufungsbegründung, das Gutachten des Prof. Dr. sei deshalb im Zivilprozeß nicht verwertbar, weil es im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unter dem Gesichtspunkt des "in dubio pro reo" erstellt worden sei. Der Gutachter im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wendet den Zweifelssatz nicht an, sondern erstattet sein Gutachten mit gleicher Sorgfalt und unter Beantwortung der gestellten Beweisfragen objektiv und neutral wie im Zivilprozeß. Erst der Staatsanwalt bei der Abschlußverfügung oder der Richter bei der Urteilsentscheidung wendet den Zweifelssatz an, wenn hierzu begründeter Anlaß besteht. Damit ist das Gutachten Prof. Dr. uneingeschränkt verwertbar.

Somit steht zur Überzeugung des Senats mit dem Erstgericht fest, daß die Eintragung im Krankenblatt keinen tauglichen Beweis für die Gabe des im Dezember 1985 bereits verfallenen und ausgetauschten Altpräparates "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" bietet, zumal die weiteren Umstände (vgl. Seite 14 - 16 des Ersturteils) eher dagegen sprechen. Damit können die Kläger hierdurch ihrer ihnen obliegenden Beweislast nicht genügen.

4. Den Kläger kommen - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch keine Beweiserleichterungen zugute.

a) Der Beweis des ersten Anscheins spricht vorliegend nicht für eine HIV-Infektion durch die "PPSB 400"-Medikamentation. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1991, 1948} spricht ein prima-facie-Beweis nur dann für eine HIV-Infektion durch Blutpräparate, wenn

- es sich um einen keiner Risikogruppe angehörigen Patienten handelt

- der Spender nachweislich HIV-positiv ist und

- auch andere Empfänger von Blutkonserven dieses Spenders HIV-infiziert sind.

Da diese Voraussetzungen vorliegend ersichtlich nicht gegeben sind, kommt den Klägern keine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis zugute.

b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt auch kein Dokumentationsversehen auf Seiten der Beklagten vor, das zu einer Beweiserleichterung zugunsten der Kläger führen könnte.

Die Sachverständigen Prof. Dr. (im schriftlichen Gutachten) und Dr. sowie Dr. haben die Dokumentation der Medikamentation mit "PPSB 400" für ausreichend und aus medizinischer Sicht korrekt bezeichnet. Lediglich Dr. hat anläßlich seiner Befragung vom 17.3.1999 vor dem Landgericht Aschaffenburg (Bl. 204 ff. d.A.) weiterhin folgendes bekundet:

"... Es gab damals und gibt heute keine ausdrückliche Vorschrift, die den Arzt verpflichtet, das Medikament mit seinem Handelsnamen zu dokumentieren und nicht nur mit seinem Wirkstoffgehalt .... Im Krankenblatt der ist z.B. vermerkt "Humanalbumin" und "Glukose", jeweils mit der Abkürzung "G" bzw. "HA". Darin wird deutlich, daß es üblich ist und war, solche Präparate nur mit der Wirkstoffbezeichnung zu dokumentieren. Genauso handelt es sich bei der Bezeichnung "PPSB" um eine Abkürzung eines Wirkstoffes .... Wenn das alte Präparat mit der Bezeichnung "PPSB" gegeben wurde, dann liegt kein Dokumentationsfehler vor, sondern ein Behandlungsfehler. Das resultiert daraus, daß im Dezember 1985 die Mindesthaltbarkeit dieses Präparates abgelaufen war. Damit hätte die Möglichkeit einer verminderten Wirksamkeit bestanden. Auf die HIV-Infektion hat das keine Auswirkungen. Wurde das Präparat "Beriplex" verabreicht, dann stellt die tatsächlich vorgenommene Dokumentation unter den damaligen Voraussetzungen einen Dokumentationsfehler dar. Aus rechtsmedizinischer Sicht hätte der behandelnde Arzt bei der Kenntnis des Gefährdungsrisikos den Herstellernamen eintragen müssen. Ein Fehler wäre es nicht aus therapeutischer Sicht gewesen, sondern unter Berücksichtigung möglicher juristischer Konsequenzen .... Mein heutiges Gutachten weicht von dem früheren Gutachten vom 31.7.1995 ab. Das liegt aber an der anderen Fragestellung ...".

Damit setzt sich dieser Sachverständige aber nur scheinbar zu den früheren Ergebnissen, insbesondere im schriftlichen Gutachten vom 31.7.1995 (Akte 104 UJs 4196/93 Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aschaffenburg, dort Bl. 219 ff.) des Prof. Dr. und seinen eigenen Angaben wie auch zu den Äußerungen der Sachverständigen Dr. in Widerspruch. Denn Dr. betont ausdrücklich, daß er die Dokumentation aus therapeutischer Sicht nicht für fehlerhaft erachtet, sondern daß er auf die rechtsmedizinische und juristische Sichtweise, also auf die Beweislage im Ermittlungs- und Zivilverfahren, abstellt. Diese Aussage bedarf keiner weiteren Klarstellung; den Dokumentationsmangel aus therapeutischer Sicht hat der Sachverständige Dr. - im Einklang mit den anderen Sachverständigen - eindeutig verneint. Nur hierauf allein kommt es für das Dokumentationsdefizit im Arzthaftungsprozeß, das zur Beweiserleichterung führen kann, an. Aufzuzeichnen sind nur die für die ärztliche Diagnose und die Therapie wesentlichen medizinischen Fakten in einer für den Fachmann hinreichend klaren Form (BGH AHRS 6450/20). Die ärztliche Dokumentation dient vor allem therapeutischen Belangen. Ihr Inhalt und Umfang richtet sich indessen nicht danach, wie am Besten Beweise für einen späteren Arzthaftungsprozeß zu sichern sind (BGH AHRS 6450/49).

Dies erscheint dem Senat nach eigener Überprüfung richtig. Die therapeutische Dokumentation des Wirkstoffes PPSB 400 war für die behandelnden Ärzte eindeutig, klar und unmißverständlich, wie alle Sachverständigen bekundet haben. Aus therapeutischer Sicht war die Angabe "PPSB 400" daher nicht zu beanstanden, ein Dokumentationsmangel liegt somit nicht vor. Der Erholung eines sog. "Obergutachtens" bedurfte es nicht, da keine voneinander abweichenden oder widersprüchlichen Sachverständigenäußerungen vorliegen und die Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht gegeben sind.

5. Ein Organisationsverschulden der Beklagten gegenüber der Patientin durch eine "ungeordnete Rückholaktion" vermag der Senat nicht zu erkennen. Zum einen ist schon fraglich, ob diesbezüglich überhaupt konkrete Pflichten dem Patienten gegenüber bestehen. Jedenfalls ist eine ungeordnete, d.h. schuldhaft vorwerfbare Schlechtorganisation im Zusammenhang mit dem Austausch der PPSB-Präparate in Zusammenarbeit mit der Firma nicht erkennbar. Die Tatsache, daß jeweils zwei Ampullen "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" am 26.8. und 9.10.1985 zurückgegeben wurden, reicht dafür jedenfalls nicht aus, zumal nach den Angaben der vom Landgericht für glaubwürdig erachteten Zeugen und Dr. (Bl. 246 ff. und 356 ff. d.A.) kein Grund für die Auswechslung der Präparate angegeben wurde und eine konzertierte Rückrufaktion vom Bundesgesundheitsamt wegen der befürchteten Unterversorgung der Bevölkerung (insbesondere der Hämophilen) nicht stattfand.

Zudem können die Kläger, da die Gabe des Altpräparates "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" nicht nachgewiesen ist (vgl. oben), auch hinsichtlich eines etwaigen Organisationsverschuldens bei der Auswechslung die Kausalität zwischen etwaigem Organisationsverschulden und der HIV-Infektion nicht nachweisen.

6. Lediglich hilfsweise und vorsorglich weist der Senat auf folgende, daneben weiter bestehenden Bedenken gegen die klägerischen Ansprüche hin:

Selbst bei Unterstellung eines Behandlungsfehlers durch die Gabe des Altpräparates "Prothrombin-Konzentrat PPSB 400" oder einer Verletzung der Dokumentationspflicht durch den Eintrag "PPSB 400" vermag die Klage nicht durchzudringen. Bei beiden Verstößen ist schon fraglich, ob es sich überhaupt um schuldhafte, also fahrlässig begangene Pflichtverstöße handelt, da sich die HIV-Problematik 1985 in Europa gerade erst entwickelt hatte. Nach Aussage des Sachverständigen Dr. wäre etwa die Gabe eines abgelaufenen Gerinnungspräparates zwar fehlerhaft, wirke sich aber lediglich auf die Wirkungsweise der Gerinnung negativ aus. Im Falle einer vitalen Indikation aufgrund atonischer Uterus-Nachblutung erscheint die Frage nach dem Schuldvorwurf problematisch.

Jedenfalls dürfte nach den Umständen und Kenntnissen im Jahr 1985 ein Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers aus juristischer Sicht nicht gegeben sein. Damit bliebe die Klägerseite mangels Beweiserleichterung für die Kausalität des Behandlungsfehlers für die HIV-Infektion vollumfänglich beweispflichtig.

Den Nachweis der Kausalität können die Kläger aber nicht erbringen, weil sie nicht sämtliche anderen für die Infizierung mit dem HI-Virus denkbaren Alternativen ausschließen können. Epidemiologisch gesichert ist bisher die Übertragung durch parenterale Inokulation von erregerhaltigen Körperflüssigkeiten, Blut bzw. Blutbestandteilen, d.h. insbesondere beim Geschlechtsverkehr, durch Injektionen und durch Transfusionen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage, 1998 unter "HIV"). Selbst bei "tadellosem Lebenswandel" vor und während der Ehezeit und Ausschluß weiterer Bluttransfusionen außer denen im Dezember 1985 im Klinikum der Beklagten können die Kläger als Ursachen Injektionen (z.B. auch beim Zahnarzt) einerseits und vor allem die Gabe von Lyoplasma im Dezember 1985 andererseits nicht ausschließen. Daß Lyoplasma als Erreger in Betracht kommt, hat der Sachverständige Prof. Dr. im Gutachten vom 31.7.1995 (Bl. 224 ff. der Ermittlungsakte 104 UJs 4196/93 StA beim LG Aschaffenburg) anschaulich belegt; dies wird von den Klägern auch gar nicht in Abrede gestellt. Dieses Blutpräparat ist aus einer Vielzahl von Einzelspenden hergestellt, die nicht zurückverfolgbar sind. Lyoplasma galt bis Mitte der 80er Jahre als unbedenklich, bis man erkannte, daß auch ein kurz vor der Blutentnahme infizierter Spender mangels in der Zwischenzeit gebildeter Antikörper negativ getestet werden konnte, gleichwohl die Spende jedoch infiziert sein konnte (sog. "stille" Infektion). Damit kann, worauf auch die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Aschaffenburg schon in ihrer Einstellungsverfügung und das Landgericht Aschaffenburg im angefochtenen Urteil (vgl. Seite 15 f.) hingewiesen haben, der Kausalitätsnachweis durch die Kläger ohne dahingehende Beweiserleichterungen nicht geführt werden.

Der Berufung der Kläger ist daher insgesamt der Erfolg zu versagen, wenn auch das Ergebnis angesichts der schweren menschlichen Schicksalsschläge für die Familie des Klägers zu 1) auf den ersten Blick unbefriedigend erscheinen mag.

II.

Die Kostentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, Abs. 4 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer wird nach §§ 546 Abs. 2 S. 1, 3 ff. ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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