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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 28.06.2004
Aktenzeichen: 1 Ss (S) 1/04
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 352 |
Gründe:
Durch Strafbefehl vom 11.08.2003 hat das Amtsgericht gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 180,00 € wegen des Vorwurfs der versuchten Gebührenüberhebung nach den §§ 352, 22, 23 StGB verhängt. Dabei ist es von folgendem Sachverhalt ausgegangen: Der Angeklagte, der als Rechtsanwalt überwiegend in Strafsachen tätig ist, sei im Jahre 2000 von den Mandanten R. und M. B. beauftragt worden, im Rahmen der Abwicklung einer GmbH gegen deren ehemaligen Geschäftsführer S. eine Strafanzeige wegen Unterschlagung zu erstatten und den Mandanten M. B. in einer diesen persönlich betreffenden Strafsache zu verteidigen. Der Angeklagte habe vor Annahme des Auftrags erklärt, dass er nicht zu den gesetzlichen Gebühren, sondern nur gegen ein Zeithonorar von 500,00 DM pro Stunde tätig werde. Die Mandanten seien damit auch einverstanden gewesen und hätten daraufhin die vorstehend umrissenen Aufträge erteilt. Anschließend habe der Angeklagte dem Mandanten M. B. eine schriftliche Honorarerklärung i.S.d. § 3 Abs.1 BRAGO zugesandt, habe diese aber nicht zurückgesandt erhalten. Unter dem 30.05.2000 habe er schließlich dem Mandanten M. B. eine Rechnung über 891,62 € (für zwei Stunden und 55 Minuten anwaltlicher Tätigkeit) zzgl. Nebengebühren übersandt. Nachdem der Mandant sich nicht gerührt habe, habe der Angeklagte diese Forderung im Mahnverfahren gerichtlich geltend gemacht. Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid und nach mündlicher Verhandlung vor dem Amtsgericht sei der Angeklagte ausdrücklich auf § 3 BRAGO hingewiesen worden und habe daraufhin seinen Klageanspruch auf die gesetzliche Anwaltsgebühr von 136,04 € vermindert. In Höhe dieses Betrages sei am 30.11.2002 ein verurteilendes Erkenntnis gegen M. B. ergangen.
Nach Zustellung des vorgenannten Strafbefehls am 15.08.2003 und nach Einspruch des Angeklagten am 19.08.2003 hat das Amtsgericht Braunschweig Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.10.2003 bestimmt. In dieser Verhandlung hat es den Angeklagten unter ausdrücklicher Abänderung der noch bei Strafbefehlserlass vertretenen Rechtsauffassung aus Rechtsgründen freigesprochen. Dabei ist es in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft und der herrschenden Rechtsprechung zwar davon ausgegangen, dass die Erhebung einer Vergütung aus einer Honorarvereinbarung den Tatbestand des § 352 StGB erfüllen könne. Es ist jedoch weiter davon ausgegangen, dass das nur im Falle einer unzulässigen Honorarvereinbarung der Fall sei, während die vorliegend vom Angeklagten getroffene Honorarvereinbarung wohl formwidrig, im Ergebnis aber nicht unzulässig gewesen sei.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge und unter Verweisung auf Stimmen in Rechtsprechung und Literatur. Außerdem ist sie der Auffassung, dass der Angeklagte gleichzeitig den Tatbestand des versuchten Betruges erfüllt habe. Die Staatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Braunschweig zurückzuverweisen.
Der Angeklagte beantragt,
die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist nach § 335 Abs.1 StPO ohne weiteres statthaft, da die Sprungrevision gegen ein Urteil des Amtsgerichts nicht dem (hier einschlägigen) Annahmevorbehalt unterliegt, dem Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts nach § 313 StPO unterliegen (herrschende Rechtsprechung; vgl. die zahlreichen Nachweise bei Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 335 Rdnr.16). Die Revision ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt und begründet, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte sich nicht einer versuchten Straftat schuldig gemacht hat, weil sein Handeln weder auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Gebührenüberhebung, noch auf denjenigen des Betruges gerichtet war.
1. Nach § 352 Abs.1 StGB liegt eine Gebührenüberhebung u.a. dann vor, wenn ein Rechtsanwalt Gebühren oder Vergütungen geltend macht, von denen er weiß, dass der Zahlende sie zumindest nicht in der verlangten Höhe schuldet. Ob der Mandant des Anwalts die verlangten Gebühren "schuldet", bestimmt sich im Falle einer - hier vorliegenden - Honorarvereinbarung nach § 3 Abs.1 S.1 u. 2 BRAGO. Danach kann der Anwalt eine höhere als die gesetzliche Vergütung nur fordern, wenn der Mandant sein Einverständnis mit einer entsprechenden Vereinbarung in schriftlicher Form erklärt hat; wird die Schriftform nicht eingehalten, zahlt der Auftraggeber aber dennoch freiwillig und ohne Vorbehalt, so kann er seine Leistung nicht unter Berufung auf den Mangel der Schriftform zurückfordern. Vorliegend ist schon aus tatsächlichen Gründen unklar, ob der Mandant M. B. ein Honorar von 891,62 € "geschuldet" hat; hatte er eine Vereinbarung unterzeichnet, was nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. unten 2.), so lag eine schon den objektiven Tatbestand der Gebührenüberhebung ausschließende Schuld vor; die Frage ist letztlich aber auch aus Rechtsgründen zu bejahen, sodass der Angeklagte nicht durch die klageweise Geltendmachung des genannten Betrages mit einem Verstoß gegen § 352 StGB begonnen hat.
a. Der Tatbestand der Gebührenüberhebung kann nicht nur dann als erfüllt angesehen werden, wenn ein Anwalt den Rahmen eines nur auf Gesetz beruhenden Anspruchs überschreitet (so noch RGSt 14, 364, 372 f), sondern nach neuerer Auffassung auch dann, wenn der Anwalt eine ihm nicht zustehende Zahlungsaufforderung auf eine Honorarvereinbarung stützt (BayObLG NJW 1989, 2901, 2902 m.ausfl.Begr.). Für die von der Revisionsführerin vertretene Auffassung, dass der Auftraggeber M. B. die geltend gemachte Vergütung nicht "geschuldet" habe, scheint zunächst auch § 3 Abs.1 S.1 BRAGO zu sprechen, wonach der Rechtsanwalt die höhere Vergütung nur bei Einhaltung der dort genannten Formvorschrift fordern kann. Aus dem Regelungszusammenhang der Sätze 1 und 2 a.a.O. ergibt sich, dass die formwidrige erhöhte Vergütung eine sog. Naturalobligation oder "unvollkommene Verbindlichkeit" darstellt (vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, BRAGO, 8. Aufl., § 3 Rdnr.10; Gebauer/Schneider, BRAGO, § 3 Rdnr.68, 72). Sie kann zwar einerseits - was die Revisionsführerin besonders betont - nicht eingeklagt werden. Sie stellt aber andererseits einen Erwerbstatbestand i.S.d. Vorschriften des § 812 BGB dar, weil der Rechtsanwalt als Empfänger der Leistung diese unter den Voraussetzungen des S.2 a.a.O. behalten darf (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., Einltg. vor § 241, Rdnr.12 und die Vorgenannten).
§ 3 Abs.1 S.1, 2 BRAGO bezweckt einen doppelten, aber abgestuften Schutz des Mandanten. In erster Linie soll er durch die Warnfunktion der Schriftform auf die wirtschaftliche Belastung hingewiesen werden, die in der Honorarvereinbarung liegt. Wenn er aber die nur mündlich vereinbarte Leistung schließlich erbringt, wird seinem Schutzbedürfnis nach dem Willen des Gesetzgebers dadurch genügt, dass die Tatbestandsmerkmale der Freiwilligkeit und Vorbehaltslosigkeit in § 3 Abs.1 S.2 BRAGO eingefügt worden sind. Das zeigt, dass nach der Wertung des Gesetzgebers die Forderung letztlich nicht materiell-rechtlich, d.h. in ihrem Kern missbilligt wird.
Bei völliger Missbilligung einer in der geschilderten Weise entstandenen Forderung hätte der Gesetzgeber dieselbe nicht als Naturalobligation, also als Erwerbstatbestand i.S.d. § 812 BGB ausgestaltet, sondern für nichtig erklärt. Ein Fall der unmissverständlichen Missbilligung der Forderung des Anwalts ist in § 3 Abs.4 BRAGO geregelt, der sich mit dem Fall befasst, dass ein im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt noch nebenher eine Vergütung verlangt. Die besonders starke Missbilligung dieses Verhaltens liegt darin begründet, dass der Anwalt hier nicht nur eine Formvorschrift verletzt, sondern die wirtschaftliche Schwäche einer Person ausbeutet, welcher ihre Mittellosigkeit "amtlich bestätigt" worden ist. Die Verurteilung einer solchen Handlungsweise bringt das Gesetz durch die Anordnung zum Ausdruck, dass durch eine solche Honorarvereinbarung "eine Verbindlichkeit nicht begründet (wird)". Das Fehlen einer entsprechend scharfen Formulierung in § 3 Abs.1 BRAGO spricht dagegen, dass in letztgenannter Vorschrift eine gleichscharfe Missbilligung der Honorarvereinbarung kodifiziert werden sollte.
Die von der Staatsanwaltschaft vertretene Auffassung würde zu einem schweren Wertungswiderspruch führen. Wenn ein Mandant nämlich ohne schriftliche Erklärung i.S.d. § 3 Abs.1 S.1 BRAGO den vereinbarten, über den gesetzlichen Gebühren liegenden Betrag freiwillig und ohne Vorbehalt zahlte, läge nach genannter Auffassung eine vollendete, mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedrohte Gebührenüberhebung vor, obwohl der Rechtsanwalt die Zuvielforderung behalten dürfte. Bei dieser Betrachtungsweise würde das Gesetz durch § 3 Abs.1 S.2 BRAGO die durch eine Straftat gewonnenen Früchte schützen.
b. Die Staatsanwaltschaft kann sich zur Stützung ihrer Auffassung nicht auf Stimmen in Rechtsprechung und Literatur berufen. Ihr ist zwar zuzugeben, dass der Angeklagte sich seinerseits zu Unrecht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2002 (MMR 2003, 261 ff) beruft, denn der dort vorliegende Sachverhalt ist dem hier vorliegenden nicht vergleichbar. Der Bundesgerichtshof geht nämlich davon aus, dass bei der dort abgehandelten telefonischen Rechtsberatung das Honorar durch die Benutzung einer sog. 0190-Nummer während des Gesprächs "freiwillig und ohne Vorbehalt" i.S.d. § 3 Abs.1 S.2 BRAGO geleistet wird, während im vorliegenden Falle die Leistung und damit die Heilung des Formmangels nach der genannten Vorschrift gerade aussteht. Die Staatsanwaltschaft kann sich aber entgegen der von ihr vertretenen Meinung schon deshalb nicht auf Beispiele aus der Rechtsprechung stützen, weil ein dem vorliegenden Fall vergleichbarer Fall dort ersichtlich noch nicht entschieden worden ist. So liegt den zitierten Entscheidungen des BayObLG (NJW 1989, 2901 ff) und des OLG Karlsruhe (NStZ 1991, 239 f) jeweils ein Fall zugrunde, in dem zwischen Anwalt und Mandant ein sog. Erfolgshonorar vereinbart worden war; Letzteres wird nach einhelliger Meinung als Sittenverstoß i.S.d. § 138 BGB angesehen und ist deshalb nichtig (BGHZ 39, 142-151). Das unterscheidet die Fälle von dem hier vorliegenden Fall der sog. Naturalobligation. Die letztgenannte Entscheidung erwähnt auch, dass die dort behandelte Honorarvereinbarung zusätzlich formunwirksam i.S.d. § 3 Abs.1 S.1 BRAGO gewesen sei und der dortige Angeschuldigte deshalb nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen hätte verlangen und einbehalten dürfen. Dieser Satz in der Beschwerdeentscheidung des OLG Karlsruhe ist jedoch nicht tragend, da dem Anspruch des Anwalts der viel gewichtigere Hinderungsgrund der Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit der Forderung entgegenstand.
Auch die Kommentare von Tröndle/Fischer (StGB, 51. Aufl., § 352 Rdnr.6) und Schönke/Schröder/Cramer (StGB, 26. Aufl., § 352 Rdnr.7) sprechen das hier vorliegende Problem nicht an, sondern erwähnen als Tatbestandsmerkmal der Gebührenüberhebung pauschal jede "unzulässige Honorarvereinbarung", wobei als Beispiel jeweils das unstreitig unzulässige Erfolgshonorar (s. oben) angeführt wird. Träger (in: Leipziger Kommentar, StGB, 10. Aufl., § 352 Rdnr.12) verweist ebenfalls zunächst ganz allgemein darauf, dass der Tatbestand der Gebührenüberhebung bei Einforderung einer auf unzulässiger Vereinbarung beruhender Gebühr erfüllt wird, führt als Beispiele für unzulässige Honorarvereinbarungen aber nicht die Fälle des § 3 Abs.1 BRAGO, sondern nur folgende Fälle an: Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 138 BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sitten, weil die Forderung wucherisch überhöht ist, weil ein Erfolgshonorar vereinbart oder eine Zwangslage des Mandanten ausgenutzt worden ist; weiter führt er den schon oben angesprochenen Fall des § 3 Abs.4 BRAGO (Honorarvereinbarung mit der "armen" Partei) an.
2. Ein versuchter Betrug durch Täuschung des M. B. kommt nicht in Betracht, weil hier § 352 BGB dem § 263 BGB als Spezialnorm vorgeht; Letzteres gilt immer dann, wenn neben die Gebührenüberhebung keine sonstige Täuschung tritt (BGHSt 4, 233, 236; LK-Träger, a.a.O., § 352 Rdnr.24).
Auch ein versuchter Betrug durch gerichtliche Geltendmachung des erhöhten Honorars liegt nicht vor, denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte beabsichtigt hätte, das Gericht durch Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen zu täuschen. Soweit die Feststellungen des Amtsgerichts in diesem (subjektiven) Zusammenhang lückenhaft sein mögen, beruht das Urteil auf diesem Mangel jedenfalls nicht. Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ergibt sich, dass der Angeklagte im Rahmen der Begründung seines Honoraranspruchs gegenüber dem Zivilgericht vorgetragen hat, dass ein Honorarvereinbarung getroffen worden sei und dass er nicht von sich aus vorgetragen hat, dass er die Schriftlichkeit der entsprechenden Erklärung des Mandanten nicht nachweisen kann. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bleibt aber die Möglichkeit offen, dass der Mandant M. B. seine Erklärung in einer den Anforderungen des § 3 Abs.1 S.1 BRAGO genügenden Form abgegeben hat und diese dem Angeklagten lediglich nicht zugegangen oder bei ihm verloren gegangen ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte von dieser Konstellation ausgegangen ist, da sein Mandant ihn mit einem Kurzschreiben an die Erledigung des Mandatsauftrags erinnerte, nachdem der Angeklagte dem Mandanten die schriftlich vorformulierte Erklärung i.S.d. § 3 BRAGO übersandt hatte. In diesem Falle hätte der Angeklagte gegenüber dem Zivilgericht subjektiv wahrheitsgemäß vorgetragen und hätte sich lediglich faktisch mit der Schwierigkeit konfrontiert gesehen, die Schriftlichkeit der Erklärung des Mandanten nach § 3 BRAGO nicht beweisen zu können. Die hiernach offengebliebenen Fragen stellen aber keine Lücke dar, die den Bestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts gefährdet. Diese Lücke stellt nämlich keinen Mangel des Urteils dar, weil der Zeuge M. B. unbekannten Aufenthalts ist, weshalb er nicht vernommen und die Lücke mithin gar nicht geschlossen werden kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1, 2 StPO.
Ende der Entscheidung
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