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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 14.12.2001
Aktenzeichen: 2 Ss (S) 32/01
Rechtsgebiete: StPO, JGG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 473 Abs. 1
JGG § 17 Abs. 2
Auch in Fällen nicht alkoholbedinger fahrlässiger Tötung kann die Verhängung von Jugendstrafe aus erzieherischen Gründen in Betracht kommen, wenn aufgrund bewusst leichtfertiger Fahrweise ein hohes Verkehrsrisiko eingegangen worden ist.
Tatbestand:

I. Durch das angefochtene Urteil hat das Jugendschöffengericht Göttingen gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung eine Jugendstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Das Jugendschöffengericht hat festgestellt, dass der Angeklagte als Heranwachsender in Göttingen auf der kurvenreichen, bergaufführenden und durch Waldgebiet fahrenden B straße, auf der eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h gilt, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 60 km/h wegen dieser überhöhten Geschwindigkeit in einer Linkskurve von der Fahrbahn abkam, mit seinem Pkw gegen einen Baum prallte, wobei ein Mitfahrender seinen schweren Verletzungen erlag und eine weitere Mitfahrerin eine Fraktur des linken Lendenwirbels, einen Leberriss sowie den Verlust der Milz erlitt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte unter Erhebung der Sachrüge Revision eingelegt, welche er auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat; eine Jugendstrafe hätte wegen Schwere der Schuld nicht verhängt werden dürfen, da es sich um ein einmaliges Versagen gehandelt und der Angeklagte auch selbst schwerste Verletzungen davongetragen habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs.2 StPO zu verwerfen.

II. Die Revision ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden; in der Sache selbst bleibt sie jedoch ohne Erfolg. Die Sachrüge greift nicht durch, weil das Jugendschöffengericht im vorliegenden Fall zu Recht gemäß § 17 Abs.2 JGG wegen Schwere der Schuld auf Jugendstrafe erkannt hat. Die Verhängung von Jugendstrafe ist im Hinblick auf die nachfolgend dargestellte Rechsprechung rechtsfehlerfrei erfolgt.

Der Bundesgerichtshof hat (im Zusammenhang mit Vorsatztaten) ausgesprochen, dass auf Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs.2 JGG nur dann erkannt werden darf, wenn diese aus erzieherischen Gründen erforderlich ist. In erster Linie sei das Wohl des Jugendlichen maßgebend. Von ausschlaggebender Bedeutung sei dabei seine charakterliche Haltung und sein Persönlichkeitsbild. Demgegenüber komme dem äußeren Unrechtsgehalt seiner Tat nur insofern Bedeutung zu, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schuldhöhe gezogen werden könnten. Gesichtspunkte des Schutzes der Allgemeinheit müssten dagegen zurücktreten (BGHSt 16, 261, 263; 15, 224).

Das Oberlandesgericht Hamm (NJW 1968, 462) hat in Kenntnis der genannten BGH-Rechtsprechung im Falle einer fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit am Steuer es als beanstandungsfrei bezeichnet, dass der Tatrichter im Hinblick auf die "sehr leichtfertige Fahrweise" und "die schwerwiegenden Folgen der Tat" wegen Schwere der Schuld eine Jugendstrafe verhängt hat. Dabei ging es davon aus, dass die Jugendstrafe auch zur Erziehung des (auch dortigen) Heranwachsenden "zu einem rechtschaffenen Lebenswandel" dienen kann, auch wenn nur eine Fahrlässigkeitstat vorlag. Denn nach Zurückverweisung der Sache (aus einem anderen Grund) hat es den Jugendrichter angewiesen zu prüfen, "ob die Erziehung des Jugendlichen zu einem rechtschaffenen Lebenswandel besser durch die Vollstreckung der Strafe oder durch deren Aussetzung erreicht wird". Die von einigen Kommentatoren vertretene Auffassung, dass bei Fahrlässigkeitstaten Jugendstrafe in der Regel nicht in Betracht komme (heute noch: Ostendorp, JGG, 4. Aufl., § 17 Rdn.6), hat es abgelehnt. Dies könne jedenfalls nicht für fahrlässige Tötungen oder Körperverletzungen irrt Straßenverkehr gelten, die auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen seien; denn bei Vergehen dieser Art handele es sich, da Trinken und Fahren vorsätzlich geschehen würden, hinsichtlich der möglichen Folgen in der Regel um bewusste Fahrlässigkeit.

Das Oberlandesgericht Celle (VRS 36, 415, 416) hat es sogar für möglich gehalten, dass auch in Fällen unbewusster Fahrlässigkeit eine Jugendstrafe wegen besonders schwerer Schuld in Betracht komme, "wenn hinsichtlich des Erfolgs des verkehrswidrigen Verhaltens ein hoher Grad der Vorhersehbarkeit bestand" (ähnlich Böhm StV 1985, 156 mit Hinweis darauf, dass zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit kein Stufenverhältnis bestehe).

Jedenfalls bei bewusst fahrlässig begangenen Tötungen und Körperverletzungen im Straßenverkehr (sowie bei fahrlässigen Wiederholungstaten, welche Schlüsse auf den Charakter des Täters zulassen) kann auch nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgericht (StV 1985,155, 156, es handelte sich auch dort um eine Fahrt in alkolisiertem Zustand) wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich sein. Sie könne dem Wohl des Jugendlichen auch in der Weise dienen, dass sie ihm das begangene Unrecht vor Augen führe, um seine Sühnebereitschaft zu wecken. In dieser Entscheidung wird jedoch die bereits zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hervorgehoben, dass der äußere Tathergang (die schweren Folgen) nur insoweit Bedeutung für die Schwere der Schuld erlangen könne, als sich aus der Beziehung des Jugendlichen oder Heranwachsenden zu der Tat Rückschlüsse auf das Maß seiner Schuld und seine charakterliche Haltung ziehen liessen.

Eisenberg (JGG, 8. Aufl., § 17 Rdnr.32 m.w.N.) ist allerdings der Auffassung, dass nur in engen Grenzen - bei nachweisbarer Geringschätzung fremden Lebens oder Gleichgültigkeit gegenüber der Gefährdung fremder Rechtsgüter bzw. grober Leichtfertigkeit - die Bejahung von "Schwere der Schuld" in Betracht kommen könne.

Aufgrund der oben genannten Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist im vorliegenden Fall die Verhängung von Jugendstrafe nicht zu beanstanden, auch wenn es sich in diesem Fall nicht um eine Trunkenheitsfahrt handelt. Insbesondere ist die Jugendstrafe auch aus erzieherischen Gründen geboten. Der Angeklagte fuhr auf einem kurvenreichen, bergaufführenden Waldweg mit "schlechter und gewölbter Oberfläche" über mehrere Kilometer, wo die Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt war, mit stark überhöhter Geschwindigkeit, und zwar in einer Linkskurve, in welcher er vom Weg abkam und gegen einen Baum prallte, mit mindestens 60 km/h, zuvor zeitweise aber auch bis zu 120 km/h, wie die Zeugin D "zur Überzeugung des Gerichts" aussagte. Immerhin hat sich der Angeklagte mit seinem Pkw von dem Pkw des Zeugen L "sehr schnell" entfernt, der hinter ihm ca. 40 bis 60 km/h fuhr. Der Angeklagte ist auch mit der überhöhten Geschwindigkeit weitergefahren, als die Zeugin und Beifahrerin, die sich offensichtlich durch seine Fahrweise gefährdet fühlte, ihn ermahnte, er solle langsamer fahren. Zur Persönlichkeit des Angeklagten ist festgestellt worden, dass er aufgrund seines Entwicklungsstandes als Kfz-Mechaniker und als Fahrer mit längerer Fahrpraxis durchaus in der Lage gewesen sei, die Gefährlichkeit seines Handelns zu erkennen, Angesichts dieses Verhaltens ist - auch wenn im vorliegenden Fall der Angeklagte nicht alkoholisiert war - von einer zumindest sehr leichtfertigen Fahrweise und in jedem Falle von bewusster Fahrlässigkeit angesichts des hohen eingegangenen Risikos auszugehen, welches sich ja auch genauso - durch Abkommen in einer Kurve - verwirklicht hat, wie es eingegangen worden ist. Damit können aus der Tat mit hohem äußerem Unrechtsgehalt (Tod des einen Mitfahrers und schwere Körperverletzung mit Dauerfolgen der anderen Mitfahrerin) Schlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten und die Schuldhöhe gezogen werden, gerade was die charakterliche Haltung des Angeklagten anbetrifft. Auch wenn ein gewisses Imponiergehabe des Heranwachsenden mitgespielt haben mag, so ist die oben dargestellte riskante Fahrweise durch grobe Leichtfertigkeit gegenüber der Verantwortung für fremdes Leben gekennzeichnet. Dies wird auch gerade dadurch deutlich, dass der Angeklagte sein riskantes Fahrverhalten fortgesetzt hat, obwohl ihn seine Beifahrerin zu einem langsameren Fahren aufgefordert hatte. Vor diesem Gesamthintergrund ist daher beanstandungsfrei, wenn das Amtsgericht auch aus erzieherischen Gründen (was indirekt durch die Worte "ein hohes Risiko eingegangen", "erhöhte Fahrlässigkeit", "eine länger andauernde Gefährdung und Fahrlässigkeit" zum Ausdruck gekommen ist) auf Jugendstrafe erkannt hat. Dem stehen die eigenen Unfallverletzungen, welche zwei Monate Behandlung im Krankenhaus und Rehabilitation und eine noch andauernde psychotherapeutische Behandlung erforderlich machten, nicht entgegen. Denn gerade die außerordentlich starke und bewusste Gefährdung fremden Lebens machte die Jugendstrafe erzieherisch erforderlich.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 StPO.

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