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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: 2 U 9/08
Rechtsgebiete: UWG, SGB V
Vorschriften:
UWG § 7 Abs. 2 Nr. 2 | |
SGB V § 194 Abs. 1 a | |
SGB V § 69 |
2. Wenn eine gesetzliche Krankenkasse einen ihrer Versicherten ohne dessen ausdrückliche Zustimmung anruft und ihm die Vermittlung einer privaten Zusatzversicherung bei einer privaten Krankenversicherung anbietet, verstößt sie gegen § 7 II Nr. 2 UWG.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 8.1.2008 - 21 O 2945/07 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers hinsichtlich der Verurteilung zur Unterlassung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000 € und im übrigen, einschließlich der Kosten, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung der Verurteilung zur Unterlassung Sicherheit in Höhe von 15.000 € und vor der Vollstreckung im übrigen Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger macht als Verbraucherverband gegen die beklagte Betriebskrankenkasse einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen Telefonanrufen von Mitarbeitern der Beklagten bei deren Mitgliedern zur Vermittlung von Zusatzversicherungen bei einem privaten Versicherungsunternehmen, dem sie Verträge mit ihren Mitgliedern vermittelt, sowie Abmahnkosten geltend.
Am 29.5.2007 rief eine Mitarbeiterin der Beklagten bei deren Mitglied L an dessen privatem Telefonanschluss an. Herr L hatte zuvor kein ausdrückliches Einverständnis zu einem solchen Anruf erteilt. Die Mitarbeiterin der Beklagten klärte ihn über im Zuge der Gesundheitsreform bestehende Versorgungslücken auf und bot ihm eine private Zusatzversicherung bei der X Versicherung an. Herr L nannte seine Kontoverbindung. Nach einiger Zeit erhielt er eine Bestätigung über einen Versicherungsabschluss bei der X Versicherung unter Übersendung des Versicherungsscheins. Daraufhin wandte sich Herr L an den Kläger, der die Beklagte mit Schreiben vom 8.10.2007 erfolglos abmahnte.
Der Kläger sieht in dem Anruf einen Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 UWG und macht gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch sowie 200 € Abmahnkosten geltend. Er hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher unaufgefordert anzurufen bzw. anrufen zu lassen und
2. an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.11.2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihre Tätigkeit gemäß § 69 SGB V nicht in den Anwendungsbereich des UWG falle und sie im übrigen zur Beratung und Information ihrer Mitglieder berechtigt und verpflichtet sei.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung und im übrigen unter Abweisung des weitergehenden Unterlassungsantrages unter Ordnungsmittelandrohung verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs ihre Mitglieder unaufgefordert und ohne ihr vorheriges Einverständnis anzurufen oder anrufen zu lassen, soweit dabei auch für den Abschluss privater Zusatzversorgungen geworben wird, insbesondere wie am 29.5.2007 gegenüber ihrem Mitglied L geschehen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Rechtsstandpunkt weiterverfolgt. Ihre Tätigkeit falle auf Grund von § 69 SGB V nicht unter den Anwendungsbereich des UWG. Im übrigen gehöre die Beratung über Versorgungslücken zum öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag. Dazu dürfe die Beklagte ihre Versicherten auch anrufen. Wenn die Beklagte dann die Vermittlung einer konkreten Zusatzversicherung anbiete, werde die Schwelle zur unzumutbaren Belästigung nicht überschritten. Im übrigen erfasse der Urteilstenor auch die Fälle, in denen die Beklagte am Telefon nur allgemein informiere und der Versicherte dann von sich aus nach dem Abschluss einer Zusatzversicherung bei der Beklagten frage. Die telefonische Information sei erheblich kostengünstiger, was im Ergebnis den Versicherten wegen der Auswirkung auf die Beitragshöhe zugute komme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 8.1.2008 21 O 2945/07 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. § 69 SGB V erfasse nicht die Rechtsbeziehungen zwischen der Krankenkasse und ihren Mitgliedern. Auch private Versicherungsunternehmen seien im Rahmen des § 6 VVG zur Beratung verpflichtet. Im übrigen dürften Krankenkassen auch im Rahmen ihrer allgemeinen Pflicht zur Information die Mitglieder nicht ohne weiteres anrufen. Dem stünden die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitglieder entgegen. Entgegen der Ansicht der Beklagten werde der Fall, dass der Versicherte von sich aus nach einer Zusatzversicherung frage, nicht vom Urteilstenor erfasst.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass der gemäß § 8 III Nr. 3 UWG klagebefugte Kläger gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG sowie einen Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG hat, dessen Höhe nicht im Streit ist.
Unstreitig hat eine Mitarbeiterin der Beklagten am 29.5.2007 den Versicherten der Beklagten L ohne dessen ausdrückliche Zustimmung angerufen und ihm die Vermittlung einer privaten Zusatzversicherung bei der X Versicherung angeboten. Damit liegt ein Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 UWG vor. In der Angabe der Telefonnummer bei Vertragsschluss ohne nähere Erläuterung liegt keine konkludente Einwilligung, wenn der Anruf ein Ergänzungsangebot betrifft (zum Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 UWG in derartigen Fällen bei privaten Versicherungsunternehmen vgl. OLG Frankfurt NJWRR 2005, 1400 = GRUR 2005, 964f). Im übrigen hat die Beklagte hier nichts dazu vorgetragen, unter welchen Umständen sie die Telefonnummer ihres Mitglieds L erhalten hatte.
Entgegen der Ansicht der Beklagten findet das UWG für diesen Tätigkeitsbereich der beklagten Betriebskrankenkasse Anwendung. § 69 SGB V, wonach bestimmte Rechtsbeziehungen der Krankenkassen unter Ausschluss des UWG abschließend im 4. Kapitel des SGB V geregelt sind, greift hier nicht ein. Diese Vorschrift betrifft nach ihrem Wortlaut und der Gesetzessystematik des SGB V nur die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den dort genannten Leistungserbringern. Dies gilt zwar gemäß § 69 Satz 5 SGB V auch, soweit davon Dritte betroffen sind. Entscheidend für die Anwendung von § 69 SGB V ist jedoch, dass es um Handlungen der Krankenkassen geht, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrages gegenüber den Versicherten dienen sollen (vgl. BGH GRUR 2006, 517ff = NJWRR 2006, 1046).
Hier geht es jedoch um die Vermittlung von privaten Zusatzversicherungsverträgen zwischen einem Versicherten der beklagten Krankenkasse und einem privaten Krankenversicherungsunternehmen. Dies ist der Beklagten gemäß § 194 Abs. 1a SGB V zwar erlaubt, wenn dies in ihrer Satzung vorgesehen ist. Dabei handelt die Krankenkasse jedoch nicht in Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrages, sondern im Rahmen einer erlaubten Nebentätigkeit. Dies ergibt sich aus der Systematik des SGB V und insbesondere auch aus der Begründung des Gesetzgebers zu Art. 1 Nr. 136 des Gesetzes vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190), mit dem § 194 Abs. 1a SGB V eingeführt wurde (vgl. BT-Drucksache 15/1525 S. 138):
"Nach bisherigem Recht handeln Krankenkassen wettbewerbswidrig, wenn sie ihren Versicherten in Kooperation mit privaten Krankenversicherungsunternehmen Zusatzversicherungen anbieten (vgl. Urteil des BGH vom 19. Januar 1995 zu Zusatzsterbegeldversicherungen). Mit der Regelung wird den Krankenkassen nun die Möglichkeit eingeräumt, mit privaten Krankenversicherungsunternehmen zu kooperieren. Da die Krankenkassen hierbei nicht wie bei den im Vierten Kapitel geregelten Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag erfüllen, finden die Vorschriften des Wettbewerbs und Kartellrechts im Übrigen Anwendung."
Nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers sollen in diesem Bereich also gerade die Regeln über das Wettbewerbs und Kartellrecht Anwendung finden. Es sollen insofern also für die Tätigkeit der Krankenkassen in diesem Bereich keine Besonderheiten gelten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ihr Vorgehen auch nicht durch ihre allgemeine Pflicht zur Information und Aufklärung gemäß §§ 13, 14 SGB I gedeckt. Zum einen handelt es sich bei der Vermittlung von privaten Zusatzversicherungen nur um eine freiwillige Zusatzaufgabe und nicht um eine Pflichtaufgabe der Beklagten. Zum anderen ist in §§ 13, 14 SGB I die Art und Weise der Vermittlung der Informationen nicht geregelt. Allgemeine, für alle Versicherten nützliche Informationen über den Umfang der gesetzlichen Krankenversicherung und die Möglichkeit, sich privat ergänzend abzusichern, können ebenso wie die Werbung für zu vermittelnde Zusatzversicherungen wesentlich schonender ohne die mit unaufgeforderten Telefonanrufen verbundene Belästigung per Post, in Kundenzeitschriften oder im Internet vermittelt werden. Insofern ist die Situation nicht anders als bei Kunden privater Versicherungsunternehmen, die im Rahmen des § 6 VVG ebenfalls zur Beratung ihrer Versicherungsnehmer verpflichtet sind und bei denen in der Angabe der Telefonnummer ohne weitere Erläuterungen auch keine konkludente Einwilligung in Anrufe zu Änderungs- oder Ergänzungsangeboten liegt (vgl. OLG Frankfurt NJWRR 2005, 1400 = GRUR 2005, 964f). Das gilt auch für das von der Beklagten herangezogene Kostenargument, denn auch bei privaten Versicherungen kann sich ein erhöhter Verwaltungsaufwand auf die Höhe der Prämien auswirken.
An der Unzumutbarkeit der Belästigung ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte u.U. befugt ist, ihre Kunden überhaupt anzurufen und zu informieren. Wenn sie allerdings sodann während des Telefonats dazu über geht, für eine private Zusatzversicherung zu werben, wird jedenfalls dadurch die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschritten. Denn § 7 Abs. II Nr. 2 UWG verfolgt nicht nur den Zweck, das Eindringen mittels Telefonanrufen in die Privatsphäre zu verhindern. vielmehr geht es auch darum, dass die Entscheidungsfreiheit der Angerufenen geschützt werden soll, weil die Gefahr unüberlegter Geschäftsabschlüsse am Telefon dadurch erhöht ist, dass der Angerufene hierauf nicht vorbereitet ist (Pieper/ Ohly, UWG § 7 Rn. 37. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG § 7 Rn. 49). Letztgenannter Schutzzweck wird auch dann tangiert, wenn erst während des Telefonats Werbeinhalte transportiert werden.
Es kann hier allerdings dahinstehen, ob und ggf. wann im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung ausnahmsweise etwas anderes gilt und die Beklagte ihre Versicherten zu anderen Zwecken als zur Werbung für die Vermittlung von konkreten privaten Zusatzversorgungen ohne ihr vorheriges (ggf. konkludent erteiltes) Einverständnis anrufen darf, wobei hier für eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln wenig spricht. In dem angefochtenen Urteil wird der Beklagten jedenfalls nur untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs ihre Mitglieder unaufgefordert und ohne ihr vorheriges Einverständnis anzurufen oder anrufen zu lassen, soweit dabei auch für den Abschluss privater Zusatzversorgungen geworben wird, insbesondere wie am 29.5.2007 gegenüber ihrem Mitglied Herrn L geschehen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist davon nicht der Fall erfasst, dass der Versicherte von sich aus nach einer Zusatzversicherung fragt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird gemäß § 543 II ZPO zugelassen, weil die Anwendbarkeit des UWG auf das Handeln der gesetzlichen Krankenkassen bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist.
Ende der Entscheidung
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