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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 20.11.2002
Aktenzeichen: 3 U 47/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, GKG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 839
BGB § 847
ZPO § 3
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 543 Abs. 2 n. F.
GKG § 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: 3 U 47/02

Verkündet am: 20.11.2002

Im Namen des Volkes

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Februar 2002 (Az.: 7 O 2244/01 (131) ) teilweise wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 1.320,26 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte als Trägerin der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch auf Grund eines Unfalls, der sich am 31. März 2001 ereignete.

Der Kläger befuhr mit einem Rennrad am Ortseingang von Bad Gandersheim die Holzmindener Straße in Richtung stadteinwärts. Im Bereich der Einmündung des untergeordneten Schwarzen Weges geriet er mit dem Vorderrad in eine Vertiefung. Das Vorderrad verschlug, der Kläger stürzte. Die Vertiefung war ca. 30 x 40 cm groß und 1 bis maximal 3 cm tief. In diesem Bereich war der Asphaltbelag herausgefräst worden. Das Loch wurde mit Bitumen aufgefüllt, welcher im Laufe der Zeit absackte und eine leichte Vertiefung bildet.

Bei dem Sturz wurden das Rennrad des Klägers und Teile seiner Bekleidung beschädigt. Der Kläger erlitt Abschürfungen und eine Knieprellung.

Der Kläger hat die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 2.093,25 DM sowie ein angemessenes Schmerzensgeld begehrt, wobei er 1.250,00 DM für angemessen gehalten hat.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.093,25 DM sowie ein angemessenes Schmerzensgeld, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinsatz seit dem 12.5.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, es liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor.

Das Landgericht Braunschweig hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme von Lichtbildern, welche durch die Parteien vorgelegt worden waren.

Mit Urteil vom 12.2.2002 hat das Landgericht Braunschweig der Klage teilweise stattgegeben. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Beklagte eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt habe, den Kläger jedoch ein Mitverschulden von 50 % treffe. Es hat die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 535,13 Euro und Schmerzensgeld in Höhe von 250,00 Euro verurteilt.

Gegen dieses dem Beklagten am 13.02.2002 zugestellte Urteil hat er am 08.03.2002 Berufung eingelegt und diese am 15.04.2002 (Montag) begründet. Die Berufungsbegründung ist dem Kläger am 26.04.2002 zugestellt worden, er hat mit einem am 27.05.2002 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte meint, sie habe keine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Eine völlige Gefahrenfreiheit einer Verkehrsfläche könne und müsse nicht erreicht werden.

Die Beklagte behauptet, die Absenkung habe nicht 2 bis 3 cm betragen, wie das Landgericht angenommen habe, sondern weniger als 1 cm, wie sich aus den Fotos ergebe. Sie sei der Auffassung, auch bei einer Absenkung von 2 bis 3 cm liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor. Der Kläger habe als Rennradfahrer besonders aufmerksam fahren müssen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12.2.2002 - 7 O 2244/01 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger meint, ein Mitverschulden sei nicht schon deshalb gegeben, weil er mit einem Rennrad unterwegs gewesen sei. Er behauptet, er sei mit einer angepassten Geschwindigkeit von 20 km/h unterwegs gewesen.

Der Kläger behauptet, die Vertiefung sei nicht muldenförmig gewesen, die vier Ränder seien sehr abrupt kantenartig mit Absätzen ausgebildet. Diese kantenartigen Absätze stellten für schmale Reifen einen Gefahrenpunkt dar, der sich auch vorliegend verwirklicht habe.

Der Kläger beantragt im Wege der Anschlussberufung,

das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12.2.2002 abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde und die Beklagte zu verurteilen, an ihn über den ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 535,13 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.2.2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen bezug genommen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig. In der Sache hatte jedoch nur die Berufung Erfolg, die Anschlussberufung blieb ohne Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus den §§ 823, 839, 847 BGB * in Verbindung mit Artikel 34 GG auf Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld.

Die Beklagte hat keine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Der Beklagten obliegt als Trägerin der Straßenbaulast die Verkehrssicherungspflicht, §§ 10, 2 Abs. 2 Nr. 1 Nds StrG. Sie hat die Straßen zu überwachen und für einen hinreichend sicheren Straßenzustand zu sorgen. Die Straße ist so herzustellen und zu erhalten, dass sie keine unvorhergesehenen Gefahren birgt. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nach der Bedeutung des Verkehrsweges und nach Art und Häufigkeit seiner Benutzung unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse. Die Sicherungspflicht konzentriert sich im wesentlichen darauf, solche Gefahren abzuwenden, mit denen ein Verkehrsteilnehmer nicht zu rechnen braucht. Ein Straßenbenutzer muss sich regelmäßig den Straßenverhältnissen anpassen und eine Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige ist grundsätzlich nur gehalten, die Verkehrsteilnehmer vor solchen Gefahren zu warnen oder sie zu beseitigen, auf die diese bei der jeweils gebotenen Sorgfalt sich selbst nicht hinreichend einstellen und vor denen sie sich selbst nicht schützen können (vgl. BGH VersR 1979, 1055; OLG Celle NVwZ-RR 1996, Seite 120; OLG Rostock MDR 2000, Seite 408 f.; Münchener Kommentar/Mertens, § 823, BGB Randnummer 258). Flache Mulden in der Fahrbahndecke stellen grundsätzlich keine für die Verkehrssicherungspflicht relevante Gefährdung dar (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1984, Seite 394). Schlaglöcher von geringer Tiefe ebenfalls sind regelmäßig hinzunehmen.

Dies gilt auch für Radfahrer. Die Vertiefung am Ortseingang von Bad Gandersheim auf der Holzmindener Straße im Einmündungsbereich schwarzer Weg war ca. 30 x 40 cm groß und nach den Fotos in der Akte maximal 2 Zentimeter tief, wie sich auch aus dem Vergleich mit dem Kugelschreiber in der Vertiefung auf einem der Fotos ergibt. Zudem war die Vertiefung quasi "eingerahmt", alle vier Kanten weisen eine deutlich dunklere Farbe auf, als der übrige Straßenbelag. Die Vertiefung war damit sogar noch besser zu erkennen, als ohne den "Rahmen". Für den Kläger als Rennradfahrer galt nichts anderes als für jeden anderen Verkehrsteilnehmer, welcher, sei es als Autofahrer, sei es als Fußgänger, sei es als Führer eines "normalen" Fahrrades eine Verkehrsfläche benutzt. Auch diese sind verpflichtet, auf die Straßenoberfläche zu achten und sich ggf. auf die von dort ausgehenden Gefahren einzustellen und diesen selbst zu begegnen. Der Kläger fuhr mit einem Rennrad. Er war deshalb im besonderen Maß zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet. Durch die Art seines Sportgerätes - ggf. höhere Geschwindigkeit und schmale Reifen - ergaben sich für ihn erhöhte Gefahren. Schafft ein Benutzer einer Straße selbst eine besondere Gefahr, so hat er dieser auch allein zu begegnen. Eine Gemeinde ist grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre Straßen so zu unterhalten und auszubauen sowie zu sichern und zu überwachen, dass auf diesen gefahrlos mit einem Rennrad gefahren werden kann. Die gefahrlose Ermöglichung solcher sportlichen Betätigung ist grundsätzlich weder Aufgabe noch Zweck der Anlage öffentlicher Straßen, derartige Sicherungsmaßnahmen sind den Gebietskörperschaften nicht zumutbar. Wer eine Straße in Gefahr erhöhender Weise mit einem Sportgerät benutzt, muss selbst durch erhöhte Aufmerksamkeit Sorge dafür tragen, dass er nicht durch deren Zustand zu Schaden kommt (vgl. auch OLG Düsseldorf, VersR 1993, Seite 1125).

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt hat. Der Kläger kann mithin weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld von der Beklagten beanspruchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO n. F. .

Die Festsetzung des Streitwertes für die Berufungsinstanz ist nach Maßgabe der §§ 3 ZPO, 14 GKG erfolgt.

* Alle Gesetzesangaben beziehen sich auf die bis zum 31.12.2001 gültigen Fassungen der ZPO und des BGB (§ 26 Nr. 5 EGZPO, Artikel 229, § 5 EGBGB), soweit nicht besonders gekennzeichnet.

Ende der Entscheidung

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