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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: 6 W 32/03
Rechtsgebiete: FEVG, FGG, NGefAG


Vorschriften:

FEVG § 3
FEVG § 7
FEVG § 11
FEVG § 13 Abs. 2
FEVG § 15 Abs. 2
FEVG § 16 S. 1
FGG § 27
FGG § 29
NGefAG § 13
NGefAG § 18
NGefAG § 18 Abs. 1 Nr. 2
NGefAG § 19 Abs. 2 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: 6 W 32/03

Beschluss

In der Abschiebehaftsache

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 04. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 08. April 2003 und der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 31. Juli 2003 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit von seiner Festnahme am 11.11.2002 bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses des Amtsgerichts Braunschweig am 12.11.2002 rechtswidrig war.

3. Die Landeskasse hat Kosten des Feststellungsverfahrens aller Instanzen zu tragen.

4. Dem Betroffenen wird für das Feststellungsverfahren in allen Instanzen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hatte gegen den Betroffenen durch Beschluss vom 12. November 2002 auf Antrag der Bezirksregierung Braunschweig Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von bis zu drei Monaten angeordnet. Zuvor war der Betroffene am 11. November 2002 um 15.45 Uhr aufgrund des Ersuchens der Bezirksregierung durch die Polizei festgenommen worden, um ihn am nächsten Tag dem zuständigen Richter beim Amtsgericht Braunschweig vorzuführen. Die entsprechenden Rechtsmittel des Betroffenen gegen den genannten Beschluss des Amtsgerichts sind vom Landgericht und vom Oberlandesgericht Braunschweig zurückgewiesen worden; auch das vom Betroffenen betriebene Verfahren auf Aufhebung der Sicherungshaft blieb erfolglos. Am 11. März 2003 ist der Betroffene abgeschoben worden. Nunmehr hat der Betroffene über seinen Bevollmächtigten die Feststellung beantragt, dass seine Freiheitsentziehung in der Zeit von seiner Festnahme bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses des Amtsgerichts vom 12.11.2002 rechtswidrig gewesen sei, sowie dem Betroffenen hierfür unter Beiordnung des Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht Braunschweig durch Beschluss vom 08. April 2003 abgelehnt. Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde ist durch den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Braunschweig zurückgewiesen sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt worden. Hiergegen hat der Betroffene die weitere sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig, §§ 13 Abs.2, 7, 3 FEVG, 27, 29 FGG.

Dabei kann dahin stehen, ob die Festnahme des Betroffenen am 11. Nov. 02 durch § 18 Abs.1 Nr.2 NGefAG gedeckt wäre. Denn der polizeilichen Festnahmeanzeige kann insoweit eindeutig entnommen werden, dass die Festnahme für die Antragstellerin erfolgt war, also auf Bundes- und nicht auf Landesrecht beruhte (vgl. ergänzend BVerwG NJW 1982, 536; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 13 FEVG, Rdnr.4). Daran ändert auch die Nennung der Bestimmungen der §§ 13, 18 NGefAG nichts; diese Vorschriften sind im Übrigen, wie die Art ihrer Zitierung (in Klammern) ergibt, von der Polizei lediglich ergänzend angeführt worden. Dementsprechend sind auch beide Vorinstanzen stillschweigend und zutreffend von einer bundesrechtlichen Maßnahme ausgegangen; der fehlenden Zulassung der weiteren sofortigen Beschwerde gemäß § 19 Abs. 2 S. 4 NGefAG kommt daher vorliegend keine verfahrenserhebliche Bedeutung zu.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Ingewahrsamsnahme des Betroffenen durch die Verwaltungs- bzw. Polizeibehörde zur Vorführung beim Amtsgericht, welches über die Anordnung der Abschiebehaft zu entscheiden hatte, war rechtswidrig. Das geltende Recht der Abschiebehaft ermächtigt die Ausländerbehörde nicht, den Ausländer über die Polizeibehörden aus eigener Machtvollkommenheit zur vorläufigen Sicherung der Abschiebung selbst in Gewahrsam zu nehmen oder dem Haftrichter vorzuführen. In Eilfällen ist vielmehr immer eine vorherige richterliche Entscheidung ggf. im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 11 FEVG auf Antrag der zuständigen Behörde erforderlich. Es gibt keinen der Abschiebehaft vorgelagerten Freiheitsentzug durch die Verwaltungsbehörde (BVerwG NJW 1982, 536; BGH NJW 1993, 3069; OLG Frankfurt InfAuslR 1995, 361; OLG Zweibrücken NStZ 2002, 256; Marschner/Volckart, a.a.O., F § 13 Rdnr.2). Die Antragstellerin kann demgegenüber die Ingewahrsamsnahme nicht auf § 18 Abs.1 Nr.2 NGefAG, also auf Landesrecht, stützen. Soweit sie hierzu vorträgt, die Ingewahrsamsnahme sei unerlässlich gewesen, um die unmittelbar bevorstehende Begehung und Fortsetzung einer Straftat i.S.d. genannten Vorschrift zu verhindern, ist diese Zweckbestimmung tatsächlich unzutreffend. Zwar mag der Betroffene nach erfolgter Abschiebung wieder illegal eingereist sein und sich deshalb weiterhin illegal im Bundesgebiet aufgehalten haben, was im vorliegenden Zusammenhang indes nicht der näheren Prüfung bedarf. Denn seine Festnahme erfolgte gerade nicht im Hinblick auf die von der Antragstellerin genannten Straftaten - beispielsweise zur Herbeiführung eines entsprechenden Haftbefehls -, sondern auf Veranlassung der Antragstellerin als Ausländerbehörde "aufgrund: Ausweisungsverfügung - Abschiebungsverfügung -Versagung der Aufenthaltsgenehmigung - rechtskr. Ausreiseaufforderung u. Absch. Androhung", wie sich aus der Mitteilung über die vorläufige Festnahme eines Ausländers vom 12.11.2002 der Polizeidirektion Braunschweig ergibt. Diese Feststellung konnte der Senat seiner Entscheidung ohne das Erfordernis der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zugrundelegen, obwohl diese Feststellung im angefochtenen Beschluss des Landgerichts nicht enthalten ist und der Beurteilung des Rechtsbeschwerdegerichts grundsätzlich nur der aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung ersichtliche Sachverhalt unterliegt. Indes sind von diesem Grundsatz im Wesentlichen aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit Ausnahmen zugelassen. Danach können nicht festgestellte Tatsachen dann berücksichtigt werden, wenn sie sich unzweideutig aus den Akten ergeben und deshalb keiner dem Revisionsgericht verwehrten Tatsachenfeststellung bedürfen (KG OLGZ 1983, 428, 431).

Damit steht fest, dass die Ingewahrsamsnahme des Betroffene vor Anordnung der Abschiebehaft durch das Amtsgericht nicht auf das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz gestützt wurde, sondern zur Vorbereitung der von der Antragstellerin beantragten Abschiebungshaft diente. Da hierzu, wie oben ausgeführt worden ist, immer eine vorherige richterliche Entscheidung erforderlich ist, war die durch die Verwaltungsbehörde angeordnete Freiheitsentziehung rechtswidrig.

III.

Die Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 16 S.1 FEVG. Einer Entscheidung über die Gerichtskosten bedurfte es nicht, da die Verwaltungsbehörden gemäß § 15 Abs.2 FEVG zur Zahlung von Gerichtsgebühren und zur Erstattung eventueller Auslagen des gerichtlichen Verfahrens nicht verpflichtet sind.

Ende der Entscheidung

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