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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 25.11.2002
Aktenzeichen: 7 U 52/02
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, BGB, StVO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 2
ZPO § 313 a Abs. 1
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 17
BGB § 254
StVO § 1
StVO § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: 7 U 52/02

Verkündet am 25. November 2002

Urteil Im Namen des Volkes!

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Richter am Oberlandesgericht T. als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7. März 2002 - 2 O 216/01 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.676,85 EUR festgesetzt.

Gründe:

Von der Darstellung des Sachverhalts wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Dem Kläger steht kein über die bereits erfolgte hälftige Schadensregulierung des Unfallereignisses vom 29. November 2000 hinausgehender Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.

Der Kläger hat den ihm im Rahmen des § 17 StVG obliegenden Unabwendbarkeitsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt. Ihm ist darüber hinaus gem. §§ 1 StVO, 254 BGB ein Mitverschulden anzulasten. Dies führt insgesamt zu einer hälftigen Mithaftung.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Müllwagenfahrer gegenüber dem Kläger nicht dem verschärften Sorgfaltsmaßstab eines sich in den fließenden Verkehr einfädelnden Kraftfahrers gem. § 10 StVO unterlag. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug noch nicht Bestandteil des fließenden Verkehrs, als es zu dem streitgegenständlichen Unfall kam. Die gesteigerten Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO bestehen jedoch nur gegenüber dem fließenden Verkehr (vgl. KG Berlin Urteil vom 21. Oktober 1993 - 12 U 1069/92 - Juris-Nr. KORE446929300). Die Sorgfaltspflichten des wieder anfahrenden Müllwagenfahrers nach dem Anhalten zur Müllentsorgung richteten sich daher hier nach § 1 StVO und nicht nach § 10 StVO gegenüber dem in gleicher Richtung vom Parkplatz wegfahrenden Kläger (vgl. KG Berlin VerkMitt 1996 Nr. 27; OLG Braunschweig Urteil vom 17. September 2001 - 6 U 38/00 - Bl. 84 d. A.).

Zwar ist dem Kläger kein verbotswidriges Rechtsüberholen vorzuwerfen; er ist an dem Müllwagen lediglich rechts vorbeigefahren, weil dieser nicht verkehrsbedingt, sondern zweckbestimmt durch die Müllentsorgung angehalten hatte (vgl. OLG Schleswig RuS 1995, 454 f.).

Entscheidend für die Mithaftung des Klägers ist, dass Kraftfahrer regelmäßig auf erkennbare bzw. erkennbar bevorstehende Fahrmanöver von Müllfahrzeugen Rücksicht zu nehmen haben (vgl. KG Berlin Urteil vom 15. Januar 1996 - 12 U 5297/94 - Juris-Nr.: KORE422239600). Gegen diesen Grundsatz hat der Kläger unter gleichzeitiger vorwerfbarer Zuwiderhandlung gegen die Gebote des eigenen Interesses verstoßen (vgl. RGZ 100, 44; BGHZ 3, 49; 9, 318).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist zur Prüfung der Frage der Unvermeidbarkeit des Unfalls nicht lediglich auf den Zeitpunkt der Kollision abzustellen. Es kommt also nicht darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt der Kläger nur noch "die Flucht nach vorn" hätte antreten können. Nach dem Sorgfaltsmaßstab des § 7 Abs. 2 StVG (in der hier maßgeblichen, bis zum 1. August 2002 gültigen Fassung) ist unabwendbar ein Ereignis, welches durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über dem gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus (BGH DAR 1987, 19; BGHZ 113, 164; BGHZ 117, 337). Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (OLG Stuttgart VR 1983, 252; OLG Frankfurt VR 1999, 771). Der Fahrer muss auch erhebliche fremde Fehler berücksichtigen (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 7 Rnr. 30).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hätte der Kläger vor dem Vorbeifahren entweder durch deutliches Betätigen der Hupe auf sich aufmerksam machen oder aber von einer Vorbeifahrt gänzlich Abstand nehmen müssen. Für den Kläger war unstreitig erkennbar, dass das Müllfahrzeug im linken Bereich des Parkplatzes nur gerade so lange stehen würde, wie der bereits andauernde Müllentsorgungsvorgang noch andauern würde. Die Warnblinkanlage und die gelbe Rundumleuchte waren unstreitig angeschaltet. Diese Warnleuchten haben den Zweck, andere Verkehrsteilnehmer vor den typischen Gefahren des Müllentsorgungsvorganges und seiner Begleitumstände zu warnen. Zu diesen Gefahren gehört nicht nur das plötzliche Auftauchen der den Müllwagen beladenden Müllmänner im Straßenraum, sondern auch das Wiederanfahren des Müllwagens nach Beendigung des jeweiligen Entsorgungsvorganges. Diesen Warnungen hat sich der Kläger in Form eines Verstoßes gegen eigene Obliegenheiten verschlossen, indem er ohne eigene Warnung rechts an dem Müllfahrzeug in den erkennbar gefährdeten Bereich des toten Winkels ohne Not hereingefahren ist, und überdies noch bei einer hierfür zur Verfügung stehenden geringen Breite eines PKW. Dem Kläger wäre es zuzumuten gewesen, den Entsorgungsvorgang und die erkennbar unmittelbar bevorstehende Anfahrt des Müllfahrzeuges abzuwarten. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn ein Müllfahrzeug durch Müllentsorgungstätigkeit die Fahrbahn einer Straße benutzt und im gesamten Straßenverlauf in zahlreichen und kurzen Abständen durch sich wiederholende Anhalte- und Anfahrvorgänge der Verkehrsfluss gestört wird (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2000, 477 f.). Hier lag der Sachverhalt jedoch gänzlich anders. Der Kläger brauchte eine längere Wartedauer nicht zu gegenwärtigen. Es war lediglich ein Müllentsorgungsvorgang abzuwarten. Auch die Betätigung der Hupe wäre dem Kläger möglich und zuzumuten gewesen.

Da auf der einen Seite der dem Müllwagenfahrer der Beklagten vorzuwerfende Sorgfaltsverstoß erheblich geringer ist, als vom Landgericht angenommen, auf der anderen Seite der Kläger sich in besonders unnötiger Weise in eine erkennbar gefährliche Situation begeben hat, indem er mit seinem Fahrzeug - egal, wie langsam auch immer - sich rechts an dem Müllfahrzeug trotz des unmittelbar bevorstehenden Ende des Entsorgungsvorganges "vorbeigequetscht" hat, ist der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil insgesamt mit 50 % zu bewerten.

Da die Beklagte den geltend gemachten Unfallschaden des Klägers bereits auf dieser Basis reguliert hat, steht dem Kläger ein weitergehender Schadensersatzanspruch nicht zu.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 14 Abs. 1 GKG und entspricht dem geltend gemachten Interesse an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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