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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 08.02.2005
Aktenzeichen: 8 W 4/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 124 Nr. 2
Bei absichtlich unrichtigen Angaben der Partei zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen ist der Beschluss über die Gewährung von PKH aufzuheben, eine Anpassung an die zutreffenden Verhältnisse scheidet aus (im Anschluss an OLG Köln JurBüro 1988,649; gegen OLG Brandenburg Rpfleger 2000,503). Ein neuer Antrag auf Gewährung von PKH wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den die Prozesskostenhilfe aufhebenden Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 3. Dezember 2004 - Az. 4 O 251/03 - wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat unter dem 16. Dezember 2003 einen Prozesskostenhilfeantrag über seinen Bevollmächtigten für eine beabsichtigte Klage auf Herausgabe eines Lkw gestellt. Dem Antrag lag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom 23. Juli 2003 sowie als Anlage ein Bescheid des Sozialamtes der Gemeinde B. vom 3. Juli 2003 bei. Mit Verfügung vom 19. Januar 2004 hat die Einzelrichterin des Landgerichts den Antragsteller aufgefordert, seine Angaben zu den Einnahmen aus unselbständiger Tätigkeit zu ergänzen, weil insofern keine vorlägen, und weiter seine Behauptung, keine Einnahmen zu erzielen, glaubhaft zu machen. Ferner ist darauf hingewiesen worden, dass der Bescheid des Sozialamtes vom 3. Juli 2003 nicht dem aktuellen Zeitpunkt entspräche. Unter dem 2. Februar 2004 hat der Bevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 26. Januar 2004 übersandt. In dieser heißt es u. a.:

"1. Ich beziehe keine Einnahmen aus unselbständiger Tätigkeit.

2. Ich erziele keine Einnahmen aus der darlehensweisen Sozialhilfe gemäß aktuellem Bescheid vom 26. Januar 2004."

Dieser Erklärung ist der Bescheid der Stadt B. vom 26. Januar 2004 über die Gewährung von Sozialhilfe beigefügt gewesen. Daraufhin hat das Landgericht mit Beschluss vom 6. Februar 2004 dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt. Unter dem 15. November 2004 hat die Stadt B. dem Landgericht unter Übersendung eines Aktenvermerkes vom 4. November 2004 und der Kopie eines Rentenbescheides vom 5. Dezember 2003 mitgeteilt, dass dem Kläger seit dem 1. Januar 2004 zu Unrecht Sozialleistungen gewährt worden sind.

Mit Verfügung vom 18. November 2004 hat der Einzelrichter des Landgerichts dem Kläger Gelegenheit gegeben, zur Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe vorzutragen. Der Kläger hat hierzu ausgeführt, dass er davon ausgegangen sei, dass es auf seine Einkommenssituation bei Einleitung des gerichtlichen Verfahrens und damit auf den Zeitpunkt des 16. Dezember 2003 angekommen sei. Im Weiteren übereicht er eine neue Erklärung über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse unter Hinweis auf seine nunmehrige Altersrente. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2004 hat das Landgericht den Beschluss vom 6. Februar 2004, durch den dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, gemäß § 124 Nr. 2 ZPO aufgehoben. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2004, eingegangen bei Gericht am 15. Dezember 2004, hat der Kläger Beschwerde hiergegen eingelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist gemäß §§ 127 Abs. 2, 567 ff ZPO zulässig.

Unbeachtlich ist, dass hier der Richter entgegen § 20 Nr. 4 c RpflG einen Beschluss nach § 124 Nr. 2 ZPO erlassen hat, denn die Wirksamkeit der Entscheidung wird nicht dadurch betroffen, dass ein Richter statt eines Rechtspflegers das Geschäft wahrgenommen hat, § 8 Abs. RpflG (vgl. OLG Köln FamRZ 1988, 740).

III.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1.

Nach § 124 Nr. 2 erste Alternative ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe dann aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a.

Der Kläger hat über die subjektiven Bewilligungsvoraussetzungen falsche Angaben gemacht. Denn der Kläger hat nach gerichtlicher Aufforderung durch Verfügung vom 19. Januar 2004 auf Glaubhaftmachung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Grundlage für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind, unter Eides Statt mit Schreiben vom 26. Januar 2004 versichert, keinerlei Einnahmen außer der darlehensweisen Gewährung von Sozialhilfe zu erzielen. Diese Angaben sind deshalb unzutreffend, weil dem Kläger seit dem 1. Januar 2004 Altersrente gezahlt worden ist.

b.

Weiter hat der Kläger diese unzutreffenden Angaben absichtlich unrichtig erteilt. Ausreichend ist hierfür, dass der Antragsteller im Prozesskostenverfahren in dem Bewusstsein handelt, seine falschen Angaben könnten zu einer fehlerhaften Bewilligung führen, und dass er mit diesem Erfolg einverstanden ist (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rn. 8).

Der Kläger hat zunächst seit dem Zugang des Rentenbescheides vom 5. Dezember 2003 gewusst, dass er über solche Einkünfte verfügt. Er hat hierüber nicht aufgeklärt, weil er zumindest die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gefährden wollte.

Der Kläger verteidigt sich damit, dass er die Angaben zu seiner Einkommenssituation auf den Zeitpunkt der Einreichung seines PKH-Antrages zurückbeziehen wollte. Dem kann nicht gefolgt werden. Denn der Kläger war durch das Gericht aufgefordert worden, seine vorherigen Angaben vom 23. Juli 2003 zu seinen Einnahmen zu ergänzen, wobei das Gericht zusätzlich und eindeutig darauf hingewiesen hat, dass der Bescheid des Sozialamtes vom 3. Juli 2003 nicht den aktuellen Zeitpunkt betrifft. Der Kläger hat daraufhin ohne jedwede Einschränkung und unter Bezugnahme auf den aktuellen Bescheid des Sozialamtes am gleichen Tage ausgeführt, über keinerlei Einkünfte mit Ausnahme von darlehensgewährter Sozialhilfe zu verfügen. Dabei hat er in seiner Wortwahl die Zeitform der Gegenwart (Präsens) gewählt, indem er die Worte ich "beziehe" bzw. ich "erziele" benutzt hat. Er hat hierdurch erkennbar gemacht, dass er seine Angaben nicht auf den zurückliegenden Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den gegenwärtigen, nämlich den des 26. Januar 2004, bezogen haben wollte.

Darüber hinaus hat sich der Kläger in seinem Antrag auch auf den aktuellen Bescheid des Sozialamtes unter Ziff. 2 seiner eidesstattlichen Versicherung bezogen. Wenn er sich aber zur Glaubhaftmachung seiner Bedürftigkeit auf einen Bescheid bezieht, der nach der Antragstellung liegt, kann er auch nicht in Verkennung der Rechtslage auf diesen vorherigen Zeitpunkt abgestellt haben.

2.

Der Verstoß des Klägers gegen die Verpflichtung zur vollständigen und richtigen Angabe seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hat das Landgericht im vorliegenden Fall auch zu Recht veranlasst, den von dem Kläger mit unrichtigen Angaben erwirkten Beschluss aufzuheben. Denn eine bloße Abänderung dieses Beschlusses dahingehend, dass dem Kläger nur diejenigen PKH-rechtlichen Vergünstigungen zukommen, auf die er bei sofortiger vollständiger und wahrheitsgemäßer Darstellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse Anspruch gehabt hätte, kommt hier angesichts der Bedeutsamkeit des Verstoßes des Klägers gegen die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Darstellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in Betracht.

Dem hiergegen in der Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 296 OLG Brandenburg Rechtspfleger 2001, 503) und der Literatur (vgl. Schoreit/Dehn, Prozesskostenhilfe, 8. Aufl., § 124 Rn. 8, Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe, 3. Aufl., Rn. 841; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rn. 5 a) erhobenen Einwand, die Aufhebung nach § 124 ZPO sei als eine kostenrechtliche Maßnahme, nicht aber als eine Bestrafung zu verstehen, folgt der Senat hier nicht. Denn diese Auffassung steht weder mit dem Wortlaut dieser Vorschrift noch mit der Entstehungsgeschichte oder der Systematik der Vorschriften im Einklang.

So ist in § 124 ZPO nur von Aufhebung, nicht aber von Abänderung oder Anpassung die Rede. Mit dem Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 16. März 1988 - 26 WF 32/87 - JurBüro 1988, 649, 650) spricht dies dafür, dass nicht in erster Linie darauf abzuheben ist, welches Ergebnis ein PKH-Antrag bei wahrheitsgemäßer und vollständiger Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse gehabt hätte, sondern das Gericht die Entscheidung gemäß § 124 ZPO vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen davon abhängig zu machen hat, ob ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht vorliegt und als wie bedeutsam dieser anzusehen ist. Für eine derartige Ermessensregelung spricht auch, dass nach dem Gesetzeswortlaut die Gewährung von Prozesskostenhilfe aufgehoben werden kann, "wenn" und nicht nur "soweit" die Tatbestände Nr. 1 bis 4 erfüllt sind (vgl. OLG Köln - Beschluss vom 2. Februar 1988 - 4 WF 8/88 - FamRZ 1988, 740). Bei leichteren Verstößen gegen die Wahrheitspflicht kann es billigem Ermessen entsprechen, die PKH-Bewilligung auf dasjenige Maß zurückzuführen, auf das der Antragsteller bei sofortiger wahrheitsgemäßer Darstellung Anspruch gehabt hätte. Bei schweren Verstößen gegen die Wahrheitspflicht ist dagegen eine völlige Aufhebung der PKH-Bewilligung sachgerecht (vgl. insofern auch Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a. a. O. Rn. 839).

Für diese Auslegung des § 124 ZPO spricht ferner auch dessen Entstehungsgeschichte. Hierzu verweist der Senat auf die Ausführungen in der Entscheidung des OLG Köln vom 16. März 1987 (JurBüro 1988, 649, 650). Dort wird hierzu ausgeführt: "In dem Regierungsentwurf zu dem Gesetz vom 13. Juni 1980 (Bundesgesetzblatt I Seite 677), durch den das Institut der Prozesskostenhilfe statt des früheren Armenrechts in die ZPO eingefügt worden ist, heißt es in der Begründung zu § 122, als der der heutige 124 ZPO in die Gesetzesberatung eingegangen ist: "Ob das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufhebt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Bei weniger gravierenden Verstößen gegen die Verpflichtung, zutreffende Angaben über die maßgebenden Verhältnisse zu machen ...., kann eine rückwirkende Änderung der Bestimmungen über die Zahlungsverpflichtungen der Parteien .... die angemessene Reaktion des Gerichts sein" (Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Drucksache 8/3068)".

Weiter spricht gegen die Sanktionslosigkeit von erheblichen Falschangaben die Systematik der gesetzlichen Vorschriften. Denn würden die Nummern 1 und 2 des § 124 ZPO nur eine objektiv-kostenrechtliche Korrektur ermöglichen, entfiele auch (bis auf die 4-Jahres-Frist) ein relevanter Unterschied zwischen § 124 Nr. 2 und § 124 Nr. 3 ZPO (vgl. OLG Köln FamRZ 1988, 740)

Soweit von der Gegenmeinung vorgebracht wird, dass die Ziffern 1 bis 3 des § 124 ZPO lediglich sicherstellen wollen, dass einer Partei, der mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung zu Unrecht Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, die ihr zugesprochene Vergünstigung wieder entzogen werden kann und weitere Sanktionen sich der Regelung nicht entnehmen lassen, kann dem zwar zugestimmt werden. Dies führt aber nicht dazu, die Prozesskostenhilfe rückwirkend auf den Antragszeitpunkt unter Zugrundelegung der nunmehr richtigen Angaben zu bewilligen. Die Verwirklichung des Rechtsschutzes zwingt nicht zu einer vollständigen Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten (vgl. BVerfG NJW 2003, 3190, 3191). Der Umstand, dass die Prozesspartei vorsätzlich falsche Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen macht, rechtfertigt es auch unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Prozesskostenhilfe aufzuheben.

Das Verhalten des Klägers ist auch ein bedeutsamer Verstoß gegen die Pflicht zutreffende Angaben über seine eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse für die Prozesskostenhilfebewilligung zu machen. Denn dem Kläger lag bei seiner eidesstattlichen Versicherung vom 26. Januar 2004 der Sozialhilfebescheid vom gleichen Tage vor, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass der Sozialhilfeempfänger alle Änderungen in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die für die Leistungen erheblich sind, dem Sozialamt unverzüglich mitzuteilen hat. Angesichts der seit 1. Januar 2004 gewährten Rentenzahlung hat dem Kläger dieser Bescheid des Sozialamtes erneut vor Augen geführt, dass ein solcher nicht Rechtsgrundlage für die weitere Gewährung von Sozialhilfe und damit auch nicht Grundlage für Prozesskostenhilfe sein kann. Dies alles rechtfertigt es hier, von einer bloßen Abänderung des Prozesskostenhilfe gewährenden Beschlusses vom 6. Februar 2004 abzusehen.

3.

Von dieser Entscheidung unabhängig ist, dass der Kläger im Rahmen seiner Beschwerde vom 13. Dezember 2004 einen erneuten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit nunmehr einer aktuellen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hat. Eine erneute Bewilligung für dieselbe Instanz - allerdings ohne Rückwirkung - kommt weiter in Betracht. Lediglich im Fall des § 124 Nr. 4 ZPO wird vertreten, dass eine Neubewilligung für dieselbe Instanz ausscheidet (vgl. dazu Musielak/Fischer, ZPO, 4. Aufl., § 124 Rn. 11; Zöller/Philippi a. a. O., § 124 Rn. 25 f). Über diesen Antrag hat das Landgericht noch zu entscheiden.

IV.

Der Senat lässt nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zu. Da hier die Prozesskostenhilfe allein die persönlichen Voraussetzungen des Antragstellers betrifft (vgl. dazu BGH NJW 2003, 1126 f.), war aufgrund der oben genannten unterschiedlichen Urteile zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zuzulassen. Die Rechtssache hat auch grundsätzliche Bedeutung, weil von einer Vielzahl von gleichartigen Fällen auszugehen ist.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO sowie Nr. 1811 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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