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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 08.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 40/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB a.F. § 459 Abs. 1

Entscheidung wurde am 22.02.2005 korrigiert: die Vorschriften wurden geändert und ein Leitsatz hinzugefügt
1. Ein Fehler eines gebrauchten Kraftfahrzeugs (§ 459 Abs. 1 BGB a. F.) liegt vor, wenn der Stand des Kilometerzählers mit der wirklichen Fahrleistung nicht übereinstimmt und der Käufer von der Richtigkeit des angezeigten Kilometerstandes im Sinne einer Gesamtfahrleistung ausgehen durfte. Es gehört nämlich zu den Normaleigenschaften eines gebrauchten Kraftfahrzeuges, nicht wesentlich mehr gefahren zu sein, als der Kilometerzähler anzeigt.

2. Offenbarungspflichtig ist ein gewerbsmäßiger Kraftfahrzeughändler hinsichtlich solcher Umstände, die zur Vereitelung des Vertragszwecks geeignet sind und die für die Entschließung des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung sein können, vorausgesetzt, dass der Käufer die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten darf.

3. Der kurzfristige Ankauf durch einen Zwischenhändler, dessen genaue Anschrift in dem Kaufvertrag nicht angegeben ist, und der anschließende, aus den Kraftfahrzeugpapieren nicht ersichtliche Weiterverkauf an den (beklagten) Verkäufer - einen gewerbsmäßigen Kraftfahrzeugverkäufer -, sind Umstände, hinsichtlich derer der Verkäufer gegenüber dem (klagenden) Käufer offenbarungspflichtig ist.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 1 U 40/03

Verkündet am : 08. Oktober 2003

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2003 unter Mitwirkung von

Richter am OLG Dr. Wittkowski Richterin am OLG Boehme Richter am OLG Lang

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bremen - 6. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 03.06.2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11.08.2003 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 7.051,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.06.2002 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte 92,84 % und der Kläger 7,16 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Kläger darf die Vollstreckung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

1. Mit schriftlichem Kaufvertrag vom 10.08.2001 (Anlage K 1 = Bl. 5 d.A.) kaufte der Kläger von dem Beklagten - einem gewerblichen Gebrauchtwagenhändler- einen Pkw BMW 525 TDS Touring zu einem Preis von 21.500,00 DM. Die Gewährleistung wurde formularmäßig ausgeschlossen. In dem Kaufvertrag heißt es: "abgelesener k.m.-Stand: 123.000". Unstreitig betrug die tatsächliche Laufleistung des verkauften Pkw jedoch 284.000 km. Der Wagen war im November 1995 erstmals zugelassen worden.

Kurz vor Abschluss des Kaufvertrages der Parteien vom 10.08.2001 war der Pkw von dem damaligen Eigentümer ... am 16.07.2001 an das Autohaus ... mit einem Kilometerstand von 284.000 zu einem Preis von (netto) 6.644,74 DM in Zahlung gegeben worden. Die entsprechende Rechnung des Autohauses ... weist den genannten Kilometerstand ausdrücklich aus (Anlage K 2 = Bl. 6.d.A.). Nach der Behauptung des Beklagten hat er - Beklagter - den an den Kläger verkauften Pkw BMW. jedoch nicht von dem Autohaus ... erworben, sondern von einem ..., und zwar behaupteter Maßen am 06.08.2001. In dem von dem Beklagten vorgelegten diesbezüglichen Kaufvertrag zwischen ihm und Herrn ... ist die Adresse des ... nicht vollständig angegeben; als abgelesener Kilometerstand ist in dem Kaufvertrag "123.000" notiert.

Die Tatsache des sehr kurzfristig erfolgten Zwischenerwerbs, die aus den Fahrzeugpapieren nicht ersichtlich ist, sowie die näheren Umstände des von dem Beklagten behaupteten Kaufs am 06.08.2001 teilte der Beklagte dem Kläger nicht mit.

Der Kläger verlangt unter Hinweis auf die tatsächliche Laufleistung des von ihm erworbenen Pkw (284.000 km) von dem Beklagten Schadensersatz, den er wie folgt berechnet: Bei der tatsächlichen Laufleistung von 284.000 km betrage der Wert des Pkw allenfalls 6.644,74 DM. Er habe mithin einen um (21.500,00 - 6.444,74 DM = 14.855,26 DM =) € 7.595,37 zu hohen Kaufpreis gezahlt. Da der Kläger im Ergebnis so zu stellen sei, als habe die Laufleistung des Pkw am 10.08.2001 tatsächlich nur 123.000 km betragen, müsse der Beklagte ihm € 7.595,37 als Schadensersatz zahlen.

Der Beklagte verweist insbesondere (vgl. Bl. 15, 20, 24 f.) darauf, dass er nicht eine tatsächliche Laufleistung des Pkw von 123.000 km zugesichert habe; vielmehr sei lediglich auf den abgelesenen Kilometerstand hingewiesen worden.

2. Mit Urteil vom 03.06.2003 hat das Landgericht Bremen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, eine Anspruchsgrundlage für die Forderung des Klägers sei nicht ersichtlich. Insbesondere habe der Beklagte dem Kläger eine Zusicherung hinsichtlich der Laufleistung des verkauften Pkw nicht gegeben; auch ein arglistiges Verhalten des Beklagten liege nicht vor.

3. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 517, 519, 520 ZPO) Berufung des Klägers ist überwiegend, nämlich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang, begründet.

Der Beklagte haftet dem Kläger unter Zugrundelegung seines eigenen Vortrags auf Schadensersatz nach § 463 Satz 2 BGB a.F., weil er dem Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages einen Fehler des Pkw arglistig verschwiegen hat.

Ein Fehler eines gebrauchten Kraftfahrzeugs (§ 459 Abs. 1 BGB a.F.) liegt vor, wenn der Stand des Kilometerzählers mit der wirklichen Fahrleistung nicht übereinstimmt und der Käufer von der Richtigkeit des angezeigten Kilometerstandes im Sinne einer Gesamtfahrleistung ausgehen durfte. Es gehört nämlich zu den Normaleigenschaften eines gebrauchten Kraftfahrzeuges, nicht wesentlich mehr gefahren zu sein, als der Kilometerzähler anzeigt (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. 2003, Rn. 1284 unter Hinweis auf OLG Nürnberg, Urteil vom 25.02.2002, Az. 5 U 4250/01).

Der Kläger hatte im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt, dass die in dem Kaufvertrag vom 10.08.2001 genannte Laufleistung von 123.000 km nicht der ungefähren tatsächlichen Laufleistung des erstmals im November 1995 zugelassenen Pkw entsprach.

Aufgrund des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses kommt eine Haftung des Beklagten jedoch nur dann in Betracht, wenn dieser den Fehler der Kaufsache arglistig verschwiegen hat.

Bei einer Täuschung durch arglistiges Verschweigen eines Offenbarungspflichtigen Mangels handelt arglistig, wer einen Fehler mindestens für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet oder billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst damit nicht nur ein Handeln des Veräußerers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines "für Möglichhaltens" und "in Kaufnehmens" reduziert sind (BGH NJW RR 97, 270 m.w.N.).

Offenbarungspflichtig ist ein gewerbsmäßiger Kraftfahrzeugverkäufer über solche Umstände, die zur Vereitelung des Vertragszweckes geeignet sind und daher insbesondere auch für die Entschließung des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung sein können, vorausgesetzt, dass der Käufer die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten darf (BGH NJW 74, 849 ff.).

Die Anwendung der vorgenannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass der Beklagte den Kläger mit zumindest bedingtem Vorsatz über Umstände getäuscht hat, die zur Vereitelung des Vertragszweckes geeignet waren und für den Kaufentschluss des Klägers wesentliche Bedeutung hatten.

Unter Zugrundelegung seines eigenen Vortrags hat der Beklagte dem Kläger nämlich verschwiegen, dass er den an den Kläger am 10.08.2001 verkauften Pkw BMW 4 Tage zuvor von einem ihm persönlich unbekannten "fliegenden Zwischenhändler" erworben hatte, dessen genaue Adresse dem Beklagten nicht einmal bekannt war. Dieser Zwischenhändler hatte das Fahrzeug seinerzeit allenfalls drei Wochen zuvor von dem Autohaus ... erworben. Der kurzfristige Ankauf des Pkw durch den Zwischenhändler und der anschließende, aus den Kraftfahrzeugpapieren nicht ersichtliche Weiterverkauf an den Beklagten waren Umstände, die für die Kaufentscheidung des Klägers von wesentlicher Bedeutung waren, zumal bei der vorliegenden Fallkonstellation eine Manipulation an dem Tacho des Pkw in Betracht kam und deshalb der auf dem Tachometer abgelesene Kilometerstand für die tatsächliche Gesamtfahrleistung des Pkw keine nennenswerte Bedeutung mehr haben konnte. Da der Kläger nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte, dass er darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass die Tachoanzeige aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles für die Gesamtfahrleistung des von ihm erworbenen Fahrzeugs möglicherweise keine Bedeutung hatte, hätte der Beklagte ihn vor Abschluss des Kaufvertrages mit dem Kläger ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass er - Beklagter - den Pkw wenige Tage zuvor von einem Zwischenhändler, dessen genaue Adresse im Kaufvertrag nicht angegeben war, erworben hatte. Dem Kläger wäre dann deutlich geworden, dass der Hinweis in dem Kaufvertrag mit dem Beklagten auf den abgelesenen Kilometerstand für die Gesamtfahrleistung des Pkw möglicherweise keine nennenswerte Aussagekraft hatte. Da der Beklagte die Tatsache und die näheren Umstände des Zwischenerwerbs kannte, handelte er arglistig, indem er den Kläger über die Einzelheiten des Zwischenerwerbs nicht informierte.

Der Beklagte ist dem Kläger mithin - wie eingangs ausgeführt - zum Schadensersatz nach § 463 Satz 2 BGB verpflichtet. Der Käufer, der die gekaufte Sache behält, kann verlangen, so gestellt zu werden, als ob gehörig erfüllt wäre, also Ersatz des Wertunterschiedes zwischen mangelfreier und mangelhafter Sache beanspruchen (BGHZ 108, 156).

Dass der gekaufte Pkw bei einer Laufleistung von 284.000 km einen Wert von allenfalls 6.644,74 DM netto gehabt hätte, hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten. Für seine Darstellung kann der Kläger die Rechnung des Autohauses ... vom 16.07.01 (Anlage K 2 = Bl. 6 d.A.) in Anspruch nehmen. Der Beklagte hat insoweit lediglich pauschal behauptet, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe nicht zu (Schriftsatz vom 14.04.2003, S. 2 = Bl. 25 d.A.). Angesichts der vorgelegten Rechnung des Autohauses ... reicht dieses pauschale Bestreiten nicht aus, zumal der Beklagte als gewerblicher Gebrauchtwagenhändler über ausreichende Fachkenntnisse hinsichtlich der Bewertung von gebrauchten Fahrzeugen verfügt.

Allerdings weist die Rechnung des Autohauses ... den Preis des Fahrzeugs in Höhe von 6.644,74 DM ausdrücklich als Nettopreis aus. Bei der Berechnung des Schadens des Klägers ist jedoch von einem Bruttopreis auszugehen, weil der Kläger bei dem Erwerb des Pkw durch einen Händler 16 % Mehrwertsteuer auf den Nettokaufpreis hätte zahlen müssen, also (6.644,74 + 16 % =) 7.707,90 DM.

Da der Kaufpreis des Pkw bei einer Laufleistung von 123.000 km 21.500,00 DM betragen hätte und bei einer Laufleistung von 284.000 km lediglich 7.707,90 DM betrug, ergibt sich ein Schaden des Klägers in Höhe von 13.792,10 DM = 7.051,76 €.

Diesen Betrag hat der Beklagte dem Kläger als Schadensersatz zu zahlen.

Die weitergehende Berufung des Klägers ist unbegründet.

Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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