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Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 1 U 52/06 a
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1 |
2. Ist der Vortrag einer Partei in sich teilweise widersprüchlich, darf das erkennende Gericht diesen Vortrag nicht als ebenso glaubhaft bewerten wie den gegenteiligen Vortrag des Beweisgegners, ohne die Parteien persönlich angehört zu haben.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL
Geschäftszeichen: 1 U 52/06 a
Verkündet am: 24. Januar 2007
In Sachen
hat der 1. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.01.07 unter Mitwirkung der Richter Dr. Wittkowski, Dr. Schnelle und Dr. Röfer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird der Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Bremen - 6. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 17.08.06 und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens zur weiteren Verhandlung an das Landgericht Bremen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Mit seiner Berufung begehrt der Kläger in erster Linie die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht; hilfsweise verfolgt er die erstinstanzlich gestellten Klaganträge weiter. Der Berufungsvortrag des Klägers ergibt sich aus seiner Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 11.12.06 (Bl. 82 ff. d.A.).
Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
Wegen des Vortrags des Beklagten wird auf das Vorbringen in seinem Schriftsatz vom 02.01.07 (Bl. 113-120 d.A.) Bezug genommen.
II. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 517, 519, 520 ZPO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Bremen - 6. ZK, ER - vom 17.08.06 führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens so wie der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind vorliegend erfüllt.
Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet nämlich an einem wesentlichen Verfahrensmangel (dazu unter 1.); aufgrund dieses Mangels ist auch eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig (dazu unter 2.). Schließlich ist die von einer Partei (dem Kläger) beantragte Zurückverweisung vorliegend auch sachgerecht und einer eigenen Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat vorzuziehen (dazu unter 3.).
1. Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn das LG ist der ihm obliegenden richterlichen Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Anerkanntermaßen stellen Verstöße gegen die richterliche Aufklärungspflicht einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (BGH NJW 01, 3480; NJW RR 88, 477; OLG Bamberg OLGR 04, 124; OLG Saarbrücken MDR 03, 1372) wie auch die nicht vollständige Beweiserhebung, soweit sie nach der Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts erforderlich war (BGH NJW 00, 142). Insbesondere ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 139 ZPO (OLG Koblenz NJW 66, 667; OLG München OLGR 00, 325) einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Wesentlich ist der Verfahrensmangel immer dann, wenn er so erheblich ist, dass er keine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung darstellt (BGH NJW RR 2003, 131 m.w.N.).
1.1. Bei dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt hat das LG die ihm obliegende richterliche Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es die Parteien entgegen §§ 139 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, 278 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 ZPO nicht persönlich und detailliert zu dem der Klage zugrunde liegenden Geschehensablauf angehört hat.
Eine solche detaillierte persönliche Anhörung war vorliegend unverzichtbar.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
a) Der Kläger hatte erstinstanzlich schlüssig vorgetragen, dass seine (ärztlich dokumentierten, vgl. Attest der Ärztin M. v. 27.12.02, Anlage K 1 = Bl. 10 f. d.A.) erheblichen Gesichtsverletzungen (Schädelprellung mit Prellung der linken Augenhöhle, stark blutende Nasenbeinprellung, multiple Blutergüsse) vom 18.12.02 durch einen Faustschlag des Beklagten verursacht worden seien. Der Darstellung des Klägers zufolge hatte der Beklagte ihm (Kläger) am 18.12.02 gegen 8:20 Uhr einen Faustschlag versetzt, als er (Kläger) verkehrsbedingt an der für ihn Rotlicht zeigenden Ampelanlage Wurster Straße/Grauwallring in Bremerhaven halten musste. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, der Beklagte habe mit dem von diesem gefahrenen Pkw hinter ihm (Kläger) angehalten, seinen Pkw verlassen, die Fahrertür seines (des Klägers) Fahrzeugs aufgerissen und ihm wortlos einen kräftigen Faustschlag direkt in das Gesicht versetzt.
Die vorstehend zusammengefasste Sachdarstellung des Klägers hat der Beklagte erstinstanzlich bestritten und behauptet, der Kläger habe sich am Vorfallstag nach einem Überholvorgang vor seinen (des Beklagten) Pkw gesetzt und so abrupt gebremst, dass er (Beklagter) eine Vollbremsung habe vornehmen müssen; möglicherweise habe sich der Kläger bei diesem Bremsvorgang selbst verletzt (Bl. 24 d.A.). Nach der Darstellung des Beklagten in der ersten Instanz ist der Kläger nach seinem abrupten Bremsmanöver vor der Kreuzung Wurster Straße/Grauwallring aus seinem Auto gestiegen und hat sodann gegen den Pkw des Beklagten getreten, wobei weder die Ehefrau des Beklagten noch dieser selbst Verletzungen des Klägers festgestellt haben wollen (Bl. 4, 46 d.A.).
Der Kläger hat erstinstanzlich auf den vorstehend referierten Beklagtenvortrag erwidert, es sei ausgeschlossen, dass seine Gesichtsverletzungen auf ein abruptes Bremsmanöver an der Kreuzung Wurster Straße/Grauwallring zurückzuführen seien: Er (Kläger) habe ein solches Bremsmanöver nicht durchgeführt; auch sei er mit einem Sicherheitsgurt in den Pkw angeschnallt gewesen; es sei aus technischen und medizinischen Gründen überdies ausgeschlossen, dass die hauptsächlich linksseitig am Kopf festgestellten Verletzungen durch einen frontalen Aufprall auf das Lenkrad entstanden seien; erklärbar seien die Verletzungen allein durch einen von links kommenden Faustschlag. Zum Beweis für diese Behauptungen hat sich der Kläger auf das Gutachten eines Kfz-Sachverständigen und das sachverständige Zeugnis von drei Ärzten berufen (Bl. 5 d.A.).
Vor dem Hintergrund des vorstehend zusammengefassten erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes war es für das LG zwingend geboten, die Parteien persönlich und detailliert zu dem Ablauf des kontrovers geschilderten Geschehens am Morgen des 18.12.02 anzuhören. Diese Pflicht zur Anhörung beruht auf §§ 139 Abs. 1 Satz 2, 278 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat das Gericht darauf hin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen.
Entsprechend sieht § 278 Abs. 3 Satz 2 ZPO für die - vom LG durchgeführte - Güteverhandlung vor, dass das Gericht den Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände erörtert und, soweit erforderlich, Fragen stellt, wobei - nach § 278 Abs. 3 Satz 3 ZPO - die erschienenen Parteien "hierzu persönlich gehört werden". Zu einer solchen persönlichen Anhörung bestand für das LG bei der vorliegenden Fallgestaltung schon deshalb Veranlassung, weil der - ohnehin sehr pauschale - Vortrag des Beklagten zu dem Geschehensablauf am Morgen des 18.12.02 in sich widersprüchlich war: Wenn sich nämlich der Kläger die Gesichtsverletzungen - wie von dem Beklagten vermutet - bei einem abrupten Bremsmanöver vor der Kreuzung Wurster Straße/Grauwallring zugezogen hat, hätten dem Beklagten und dessen Ehefrau diese Verletzungen auffallen müssen, nachdem der Kläger seinen Pkw nach dem Bremsmanöver verlassen und gegen das Fahrzeug des Beklagten getreten hatte, wie von dem Beklagten behauptet. Das LG durfte den Parteivortrag des Beklagten jedenfalls ohne Aufklärung dieses eklatanten Widerspruchs ohne eine persönliche Anhörung der Parteien nicht als gleichermaßen glaubhaft bewerten, wie es indes in dem landgerichtlichen Urteil geschehen ist.
b) Überdies war eine detaillierte Anhörung der Parteien zu dem Geschehensablauf am 18.12.02 auch unabhängig von der vorgenannten Widersprüchlichkeit des Beklagtenvortrags geboten. Dies ergibt sich aus § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach dieser Regelung hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Eine Entscheidung darüber, ob die Darstellung des Klägers oder die des Beklagten zu dem Geschehensablauf am 18.12.02 wahr ist oder nicht, hängt in dem vorliegenden Fall wesentlich von der Glaubhaftigkeit der Sachverhaltsschilderung durch die jeweilige Partei selbst sowie ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit ab. Beide für die Entscheidungsfindung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO wesentlichen Elemente (Glaubhaftigkeit der Darstellung und Glaubwürdigkeit der Person) konnte das LG ohne eine detaillierte Anhörung der Parteien nicht überzeugend beurteilen.
1.2. Ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler des LG liegt darin, dass es die angebotenen Beweise nicht erhoben hat. Das LG hat es nämlich als "nicht zu widerlegen" erachtet, dass sich der Kläger die Gesichtsverletzungen durch ein Bremsmanöver an der Kreuzung Wurster Straße/Grauwallring zugezogen hat. Diese Feststellung durfte das LG mangels eigener Sachkunde ohne Erhebung der von dem Kläger für seinen gegenteiligen Vortrag angebotenen Beweise nicht treffen. Wie ausgeführt, hatte der Kläger sich für seine Behauptung, es sei aus technischen und aus medizinischen Gründen ausgeschlossen, dass die Gesichtsverletzungen auf ein Bremsmanöver zurückzuführen seien, auf das Gutachten eines Kfz-Sachverständigen sowie auf das sachverständige Zeugnis dreier Ärzte berufen. Indem das LG die angebotenen Beweise zu diesem Punkt nicht erhob und - offenbar aufgrund beanspruchter eigener Sachkunde - die Darstellung des Beklagten als nicht zu widerlegen ansah, hat es mithin einen weiteren wesentlichen Verfahrensfehler begangen.
2. Aufgrund der vorgenannten wesentlichen Verfahrensmängel wäre voraussichtlich - bei eigener Sachentscheidung durch den Senat - eine umfangreiche Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht notwendig. Die Vernehmung der von dem Kläger benannten drei sachverständigen Zeugen sowie die Einholung des GA eines Kfz-SV ist umfangreich i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
3. Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat ist bei der vorliegend zu beurteilenden Fallgestaltung nicht sachgerecht. Die Zurückverweisung an das LG ist vorliegend deshalb sachdienlich, weil in dem vorliegenden Fall das mögliche Interesse der Parteien an einer schnelleren Erledigung gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht überwiegt (vgl. BGH NJW 2000, 2024).
Schließlich hat der Kläger die Zurückverweisung der Sache an das LG auch beantragt (§ 538 Abs. 2 ZPO).
Ende der Entscheidung
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