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Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 27.05.2005
Aktenzeichen: 1 W 19/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 830 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen BESCHLUSS

Geschäftszeichen: 1 W 18/05 1 W 19/05

Bremen, den 27.05.2005

In Sachen

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Bremen - 4. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 06.04.2005 wie folgt abgeändert:

Den Beklagten wird für ihre Rechtsverteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Jung, Bremen, gewährt.

Gründe:

Die zulässige (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen - 4. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 06.04.05 (Bl. 64 f.) ist begründet. Entgegen der von dem Landgericht in dem angefochtenen Beschluss vertretenen Ansicht ist die Rechtsverteidigung der Beklagten gegen die erhobene Klage hinreichend erfolgversprechend; die Beklagten sind auch prozessarm (§ 114 ZPO).

1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es in der Nacht vom 10. auf den 11.01.03 gegen 3.00 Uhr in der Straße Robbenplate in Bremen zu einer Schlägerei zwischen zwei Gruppen Jugendlicher kam, dass die Beklagten zu einer dieser Gruppen gehörten und dass die Schlägerei erst durch das Einschreiten mehrerer Polizeibeamten, zu denen auch PHM S. gehörte, beendet werden konnte, wobei PHM S. eine Handverletzung davon trug, deretwegen die Klägerin aus übergegangenem Recht Schadensersatz von den Beklagten verlangt.

Da auch unter Zugrundelegung des eigenen Vortrags der Beklagten diese an der Schlägerei teilgenommen haben, kommt eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten wegen der Verletzung des Polizeibeamten S. auf der Grundlage des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht, worauf das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss zu Recht hingewiesen hat. Diese Vorschrift will es dem Geschädigten ermöglichen, die Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen seinem Schaden und den verletzungstauglichen rechtswidrigen Gefährdungshandlungen mehrerer Täter zu überwinden, die entstehen, wenn nicht zu ermitteln ist, wer von ihnen der Urheber des Schadens war (alternative Kausalität; siehe OLG Nürnberg VersR 72, 447; Palandt-Thomas, Komm. zum BGB, 64. Aufl. 2005, § 830 Rn. 8 m.w.N.). Diese Verursachungsvermutung greift bei dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt zu Gunsten der Klägerin ein. Die Verursachungsvermutung ist jedoch widerlegbar; sie kann nämlich durch den Nachweis des in Anspruch Genommenen entkräftet werden, dass sein Verhalten nicht für den Schaden ursächlich gewesen ist (BGH VersR 62, 430, 431; OLG Nürnberg, a.a.O.; Müko-Wagner, 4. Aufl. 2004, § 830 Rn. 30, 47; Bamberger-Roth-Spindler, Komm. zum BGB, 2003, § 830 Rn. 25).

Die Beklagten haben erstinstanzlich insoweit vorgetragen, sie hätten den Polizeibeamten S. weder geschlagen noch verletzt und zu dieser Behauptung Zeugenbeweis angeboten (Schriftsatz der Beklagten v. 24.02.05 S. 2 = Bl. 54). Dieser Vortrag der Beklagten ist ausreichend substantiiert; er wird auch durch den polizeilichen Hergangsbericht (Bl. 31 ff.) nicht widerlegt. Zwar heißt es in diesem Bericht, dass die Beklagten im Rahmen der Schlägerei "aktiv handelten" und auch "vor Polizeibeamten nicht halt machten" (31 unten). Der Polizeibericht enthält jedoch keine Aussage darüber, dass die Beklagten dem Polizeibeamten S. irgendwelche Verletzungen zugefügt haben.

Bei dieser Sachlage kommt eine vorweggenommene Beweiswürdigung zu Gunsten der Klägerin auf der Grundlage des genannten Polizeiberichtes nicht in Betracht. Vielmehr ist über die streitige Behauptung, die Beklagten hätten den Polizeibeamten S. nicht verletzt, Beweis zu erheben. Im Prozesskostenhilfeverfahren ist eine Beweisantizipation nur ausnahmsweise dann erlaubt, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zu Gunsten des Hilfsbedürftigen als ausgeschlossen erscheinen lässt (BVerfG NJW RR 2002, 1069; NJW 2003, 2976) und wenn eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde (BGH NJW 94, 1160). Bestehen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme sehr wahrscheinlich zum Nachteil der bedürftigen Partei ausgehen wird, dann widerspricht es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit, die Rechtsverfolgung für aussichtslos zu erklären (BVerfG NJW 2003, 2976). Der Inhalt einer Zeugenaussage darf grundsätzlich nicht vorweggenommen werden (BGH NJW 88, 266 f.), es sei denn, der Zeuge hat bereits ausgesagt, ohne dass dargetan wird, weshalb er bei nochmaliger Vernehmung anders aussagen wird (OLG Köln FamRZ 93, 219; sieh zum Ganzen: Zöller-Philippi, Komm. zur ZPO, 25. Aufl., 2005, § 114 Rn. 26 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Verbot der Beweisantizipation nicht erfüllt; vielmehr stehen sich zwei miteinander nicht vereinbare Sachdarstellungen gegenüber, ohne dass es bereits zu einer Beweisaufnahme gekommen ist. Bei einer Gesamtwürdigung der unstreitigen Umstände und Indizien ist eine positive Beweiswürdigung zu Gunsten der Beklagten nicht von vornherein ausgeschlossen, so dass das Landgericht zu der streitigen Behauptung der Beklagten, sie hätten den Polizeibeamten Siegert nicht verletzt, Beweis zu erheben hat.

2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss ist der Beklagte zu 2. auch prozessarm auch i.S.d. § 114 ZPO, da er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Der Beklagte zu 2. hat eine Einnahme-Überschussrechnung für die von ihm betriebene Gastwirtschaft für das Jahr 2004 vorgelegt, wonach er in dem gesamten Jahr € 1.718,11 erwirtschaftet hat. Dass dieser Betrag nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken, ist offenkundig. Gleichwohl ist die Vermutung des Landgerichts (vgl. den angefochtenen Beschluss S. 2 = Bl. 65), der Beklagte zu 2. verschweige erhebliche weitere Einkünfte, nicht begründet. Vielmehr hat der Beklagte zu 2. im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens eine schriftliche Erklärung seiner Mutter Bianca Liane Saleh vom 24.02.05 vorgelegt, wonach sie und die Großeltern des Beklagten zu 2. diesen mit monatlichen Beträgen zwischen 200,- und 300,- € unterstützen. Anhaltspunkte dafür, dass diese schriftliche Erklärung unzutreffend ist, sind vom Landgericht nicht dargetan oder sonst ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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