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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 2 U 31/03
Rechtsgebiete: HGB


Vorschriften:

HGB § 425 Abs. 1
HGB § 434 Abs. 1
1. Die (nahezu verschuldensunabhängige) Obhutshaftung des Frachtführers gegenüber dem Absender und dem Empfänger des Gutes beschränkt sich auf den durch Verlust oder Beschädigung herbeigeführten Schaden zuzüglich bestimmter in § 432 HGB genannter Kosten, erfasst also nicht "Folgeschäden". Das gilt auch, wenn diese Folgeschäden in der Person eines Dritten eintreten.

2. Wird eine beförderte Flüssigkeit bei der Ablieferung an den Empfänger infolge im Fahrzeug noch vorhandener Rückstände früher transportierter Ware verunreinigt und ist eine Aufbereitung des verunreinigten Stoffes allein deshalb ausgeschlossen, weil bereits ein weiterer Arbeitsgang beim Empfänger begonnen worden ist, so hat der Frachtführer lediglich die Kosten der grundsätzlich möglichen Aufbereitung zu erstatten.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 2 U 31/03

Verkündet am: 16. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2003 durch die Richter Dr. Schomburg, Friedrich und Dierks für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Nebenintervenientin zu 2. wird das Urteil des Landgerichts Bremen - 2. Kammer für Handelssachen - vom 26. März 2003 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 2.049,00 nebst 5 % Zinsen seit dem 16. Mai 2000 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientinnen zu 1. und 2. insgesamt sowie 81 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Im Übrigen tragen die Parteien und die Nebenintervenientinnen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin die durch die Verweisung des Landgerichts Koblenz entstandenen Kosten vorweg. Im Übrigen trägt sie 96 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie der Nebenintervenientinnen zu 1. und 2. Die Beklagte trägt 4 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie der Nebenintervenientinnen zu 3. und 4. Im Übrigen tragen die Klägerin, die Nebenintervenientinnen und die Beklagte ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin und der Nebenintervenientinnen zu 3. und 4. jedoch gegen eine Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin und die Nebenintervenientinnen zu 3. und 4. zuvor jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten und der Nebenintervenientinnen zu 1. und 2. gegen Sicherheitsleistung des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte und die Nebenintervenientinnen zu 1. und 2. zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

1. Die Klägerin nimmt als Versicherer der Spedition GmbH aus abgetretenem Recht die Beklagte aus einem Transportschaden und hieraus resultierenden Folgeschäden in Anspruch, und zwar in erster Instanz mit insgesamt € 51.017,84; in der Berufungsinstanz verlangt sie nur noch € 49.551,72. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte transportierte mit einem Tanklastzug, der von der Nebenintervenientin zu 3 stammte, 25.000 kg Apfelsaftkonzentrat zur Nebenintervenientin zu 4. Der Lastzug-Auflieger verfügte über drei Kammern, von denen nur die beiden äußeren betankt worden waren. Nachdem der Transport bei der Nebenintervenientin zu 4. eingetroffen war, nahm diese Proben, die einwandfrei waren. Dann begann die Nebenintervenientin zu 4. noch während des Entladevorgangs mit der Verarbeitung des Konzentrats zu Apfelschorle, die auf 0,7-Liter-Flaschen gefüllt wurde. Nachdem 17.300 kg des Apfelsaftkonzentrats entladen, verarbeitet und auf 218.404 Flaschen gefüllt worden waren, stellte die Nebenintervenientin zu 4. fest, dass die Ware mit Kokosfett verunreinigt war. Dieses war zuvor mit dem Tankauflieger transportiert und bei der Reinigung nicht vollständig entfernt worden. Die Verunreinigung hatte sich - wohl auf Grund von Bedienungsfehlern - im oben liegenden Druckluftsystem befunden, so dass sie beim Probenziehen nicht hatte bemerkt werden können. Die Nebenintervenientin zu 4. pumpte nach Feststellung des Mangels die in den Rohrleitungen verbliebene Restmenge in den Tank-Auflieger zurück, in dem sich noch 7.700 kg einwandfreies Apfelsaftkonzentrat befand. Danach wurde das nicht verarbeitete Konzentrat zur Herstellerin zurücktransportiert und dort zum Preise von € 0,28 pro kg aufgearbeitet und wieder verwendet.

Die Klägerin macht einen Warenschaden von € 22.392,03 abzüglich bereits geleisteter € 4.282,07 geltend, ferner die Kosten des Rücktransports der nicht verbrauchten Restmenge des Konzentrats von € 766,93 und die Kosten für dessen Aufarbeitung von € 0,28 pro kg = € 2.165,32. Darüber hinaus verlangt die Klägerin die Erstattung des weiteren der Nebenintervenientin zu 4. entstandenen Schadens für vergeblich eingesetzte Rohstoffe, Verpackungskosten, Maschinen- und Personalkosten etc. gemäß deren Schadensberechnung.

Das Landgericht hat der Klage nur hinsichtlich eines Betrages von € 16.643,83 zuzüglich Zinsen für Wertersatz und Schadensfeststellungskosten stattgegeben, wobei es für die Haftung von 8,33 Sonderziehungsrechten je Kilogramm ausgegangen ist. Im Übrigen hat das Landgericht die Ansicht vertreten, für den weiteren Schaden hafte der Frachtführer nicht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das Urteil des Landgerichts vom 26. März 2003 Bezug genommen.

Das Urteil des Landgerichts ist der Klägerin am 4. April, der Beklagten am 28. März und der Nebenintervenientin zu 2. am 31. März 2003 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 29. April, die Beklagte am 28. April und die Nebenintervenientin zu 2. am 14. April 2003 Berufung eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 4. Juli bereits am 18. Juni 2003 begründet worden. Die Beklagte hat ihre Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 25. Juni 2003 am 31. Juli 2003 zurückgenommen. Die Nebenintervenientin zu 2. hat ihre Berufung mit der Berufungsbegründung verbunden.

Die Parteien greifen mit der Berufung die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bremen nicht mehr an, wenden sich jedoch gegen dessen rechtliche Würdigung. Die Klägerin und die Nebenintervenientin zu 4. vertreten die Auffassung, dass nach § 434 HGB außervertragliche Schadensersatzansprüche Dritter gegen den Transportunternehmer nicht ausgeschlossen sind. Wegen der diesbezüglichen Ausführungen wird auf die Berufungsbegründung der Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2003 sowie auf ihre Schriftsätze vom 1., 24. und 30. September 2003 verwiesen, ferner auf den Schriftsatz der Nebenintervenientin zu 4. vom 26. Juni 2003.

Die Klägerin beantragt,

in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 26. März 2003 die Beklagte zu verurteilen, über den der Klägerin bereits zuerkannten Betrag von € 16.643,83 nebst 5 % Zinsen seit dem 16. Mai 2000 hinaus an die Klägerin weitere € 32.907,89 nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Mai 2000 zu zahlen.

Die Nebenintervenientin zu 4. schließt sich diesem Antrag an.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 4. zurückzuweisen.

Die Nebenintervenientin zu 1. beantragt gleichfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Nebenintervenientin zu 2. beantragt,

das Urteil des Landgerichts Bremen abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zur Zahlung eines € 2.049,00 nebst 5 % Zinsen seit dem 16. Mai 2000 übersteigenden Betrages verurteilt worden ist. Sie beantragt ferner, die Berufung der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 4. zurückzuweisen.

Die Nebenintervenientinnen zu 1. und zu 2. meinen gegenüber der Rechtsansicht der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 4., durch § 434 Abs. 2 HGB seien alle Folgeschäden, also auch solche nichtvertraglicher Art, gegenüber unbeteiligten Dritten der Höhe nach begrenzt. Darüber hinaus meinen die Nebenintervenientinnen zu 1. und 2., als Konsequenz aus der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht zum Geltungsbereich von § 434 HGB hätte das Landgericht den Sachschaden für die 17.300 kg verarbeiteten Apfelsaftkonzentrats anders bewerten müssen. Im Grundsatz hätte auch diese Ware zum Preise von € 0,28 pro Kilogramm wieder aufgearbeitet werden können. Erst durch die Verarbeitung sei diese Möglichkeit verschlossen worden. Damit liege ein Mangelfolgeschaden vor, soweit höhere Kosten als € 0,28 pro Kilogramm verarbeiteten Konzentrats entstanden seien. Zur Ergänzung des Vortrags der Nebenintervenientinnen zu 1. und zu 2. wird auf die Schriftsätze vom 11. April und 25. Juli 2003 Bezug genommen.

2. Die Berufungen sind statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig (§§ 511 Abs. 1 und 2, 517, 519, 520 ZPO). Die Berufung der Nebenintervenientin zu 2. ist auch begründet, während die Berufungen der Klägerin und der Nebenintervenientin zu 4. unbegründet sind.

Zu Recht vertritt das Landgericht Bremen die Ansicht, der Frachtführer hafte dem Absender und dem Empfänger des Gutes nur wegen des Verlustes oder der Beschädigung einer Sendung zuzüglich bestimmter in § 432 HGB aufgezählter weiterer Kosten. Einen darüber hinaus gehenden Schaden habe der Frachtführer nicht zu ersetzen. Nach § 434 Abs. 1 HGB gilt die Haftungsbeschränkung auch für einen außervertraglichen Anspruch des Absenders oder des Empfängers. Schließlich erstreckt § 434 Abs. 2 HGB die Haftungsbeschränkung sogar auf außervertragliche Ansprüche Dritter, sofern nicht bestimmte Verschuldensqualifikationen gem. Nr. 1 oder 2 dieses Absatzes vorliegen; sie sind im vorliegenden Falle nicht gegeben. Der von Heuer (TranspR 02, 334 f) unter Hinweis auf den Wortlaut von § 434 Abs. 1 HGB vertretenen Ansicht, wonach der Frachtführer durchaus für Folgeschäden Dritter hafte, weil § 434 HGB nur von Schäden wegen des Verlustes oder der Beschädigung des beförderten Gutes spreche, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Der Wortlaut des § 434 HGB beschränkt die Haftung nicht eindeutig auf den Verlust und die Beschädigung des transportierten Gutes selbst. Die Bestimmung lässt vielmehr in gleichem Maße die Auslegung zu, dass wegen des Verlustes oder der Beschädigung des transportierten Gutes weitere außervertragliche Schäden an Gütern Dritter von der Haftungsbegrenzung erfasst werden. Allein diese Auslegung ergibt sich nach Ansicht des Senats auch aus den Änderungen, die durch das Transportrechtsreformgesetz vom 29. Juni 1998 eingetreten sind (so Thume, "Die Rechte des Empfängers bei Vermischungsschäden in Tanks oder Silos als Folge verunreinigt abgelieferter Güter" in VersR 02, 267 ff). Ferner wären die §§ 435 und 436 HGB bei einer uneingeschränkten Haftung für Folgeschäden nicht recht verständlich, worauf bereits das landgerichtliche Urteil hinweist. Auch der § 432 S. 2 HGB wäre überflüssig, da der reine Sachschaden bereits in den §§ 429 und 431 HGB abschließend geregelt worden ist. Bei den §§ 425 ff HGB handelt es sich mithin um ein in sich geschlossenes System der Haftungsbeschränkung, sofern nicht ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers festgestellt werden kann. Mit diesem System soll sichergestellt werden, dass der Frachtführer, der im Grunde verschuldensunabhängig haftet, sowie die beteiligten Versicherer das Risiko transporttypischer Schäden wie Verlust und Beschädigung des transportierten Gutes von vornherein überblicken und abschätzen können. Hierzu wird im Übrigen auf das Urteil erster Instanz (dort S. 10 ff), dem der Senat insoweit uneingeschränkt folgt, Bezug genommen.

Wenn die Beklagte jedoch für Folgeschäden im vorliegenden Falle nicht einzustehen hat, hat das Landgericht der Klägerin nach Ansicht der erkennenden Senats einen zu hohen Schadensersatz zugesprochen. Die Beklagte haftet nur für die Sachschäden, die bis zur vollendeten Ablieferung des Gutes entstanden sind. Das war die Kontamination des Apfelsaftkonzentrats mit Kokosfett. Unstreitig konnte dieser Mangel für DM 0,55 (€ 0,28) je Kilogramm des Konzentrats vom Hersteller beseitigt werden. Dass 17.300 kg Apfelsaftkonzentrat vernichtet werden mussten, lag also nicht am Mangel der Ware, sondern daran, dass sie nach der Ablieferung bei der Nebenintervenientin zu 4. zu Apfelschorle weiter verarbeitet worden ist; danach war die Aufbereitung durch die Herstellerin nicht mehr möglich. Mithin liegt auch insoweit ein Mangelfolgeschaden vor. Der eigentliche Sachschaden der abgelieferten 17.300 kg Apfelsaftkonzentrat betrug nur DM 0,55 je Kilogramm und nicht - wie das Landgericht angenommen hat -, DM 2,20. D. h., das Landgericht hat den Schaden um DM 1,65 je Kilogramm verarbeiteten Apfelsaftkonzentrats = DM 28.545,00 (€ 14.594,83) für die gesamten 17.300 kg zu hoch berechnet. Um diesen Betrag war die Verurteilung der Beklagten zu ermäßigen.

Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 352 f HGB. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 und 516 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2 und 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, da die Entscheidung grundsätzlich Bedeutung hat und der Fortbildung des Rechts dient, weil es um das Ausmaß der Haftungsbeschränkung gem. § 434 Abs. 2 HGB geht.

Ende der Entscheidung

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