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Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 2 W 34/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 3
1. Weist der vorläufige Insolvenzverwalter diejenigen Personen, denen gegenüber der Schuldner offene Forderungen besitzt, schriftlich darauf hin, dass Zahlungen nur noch "auf sein Insolvenz-Treuhand-Konto" bei einem bestimmten Kreditinstitut zu leisten seien, so wird eine zugunsten dieses Kontos vorgenommene Überweisung nicht mit der Gutschrift selbsttätig Bestandteil der Insolvenzmasse.

2. Irrt sich ein Schuldner infolge einer Namensverwechslung über die Höhe der Forderung, die seinem von dem Insolvenzverfahren betroffenen Gläubiger zusteht, und überweist er einen höheren als den geschuldeten Betrag, so richtet sich der Rückforderungsanspruch nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen den (vorläufigen) Insolvenzverwalter und ist daher nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu behandeln.

3. Dem Schuldner, der einen zu hohen Betrag an den (vorläufigen) Insolvenzverwalter überwiesen hat, steht ein gegen letzteren gerichteter, im Wege einer einstweiligen Verfügung sicherbarer Anspruch zu, den überschießenden Teil nicht der Insolvenzmasse zuzuführen.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen BESCHLUSS

Geschäftszeichen: 2 W 34/04

Bremen, den 8. Juli 2004

in Sachen

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Bremen - 7. Zivilkammer - vom 17. März 2004 abgeändert und dem Antragsgegner bei Meidung eines Ordnungsgeldes von € 20.000,-- für den Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

1.

über einen Betrag von € 13.663,98 von dem Treuhandkonto des Antragsgegners bei dem Bankhaus Neelmeyer AG, Bremen, BLZ 290 200 00, Kontonummer 1000 320 794 ("RA . . wegen H.M.Spedition, Hamburg") zu verfügen, insbesondere diesen Betrag der vorläufigen oder nach Verfahrenseröffnung endgültigen Insolvenzmasse des Insolvenzantragsverfahrens der Harry Müller KG (GmbH & Co. KG) und deren persönlich haftender Gesellschafterin H. Müller Transport- und Beteiligungs-GmbH, Windhukstraße 1, 28237 Bremen - Geschäfts-Nr. des Amtsgerichts Bremen - Insolvenzgericht - 40 IN 69/04 und 40 IN 70/04 - zuzuführen;

2.

die von dem Antragsgegner anerkannte Rückzahlungsverpflichtung aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber dem Antragsteller in Höhe von € 13.663,98 wie eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit dem Range nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO (übrige Masseverbindlichkeiten) zu behandeln;

3.

insbesondere den Betrag gemäß Antrag zu 1. und Antrag zu 2. für die Deckung von Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zu verwenden.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen der sofortigen Beschwerde.

Gründe:

I.

Mit Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - Bremen vom 2. Februar 2004 - 40 IN 69/04 und 40 IN 70/04 - wurde in dem Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der Harry Müller KG (GmbH & Co. KG) sowie deren persönlich haftender Gesellschafterin die vorläufige Verwaltung des Vermögens angeordnet. Der Antragsgegner wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (Anlage Ast 1 = Bl. 8 d.A.). Mit Schreiben vom selben Tage (Anlage Ast 6 = Bl. 33 d.A.) wandte sich der Antragsgegner an die Antragstellerin, teilte mit, er habe den Büchern der Gesellschaft entnommen, dass offene Forderungen der Gesellschaft gegenüber der Antragstellerin bestünden, wies darauf hin, dass aus Gründen der Insolvenz Zahlungen mit schuldbefreiender Wirkung nicht mehr auf Konten der Insolvenzschuldnerin oder an Dritte geleistet werden könnten und bat darum, Zahlungen nur noch "auf mein nachstehendes Insol-venz-Treuhand-Konto zu leisten: Bankhaus Neelmeyer AG, Bremen, Bankleitzahl: 290 200 00, Konto-Nr.: 1000 320 794)".

Die Antragstellerin, die an die Schuldnerin noch € 1.159,02 zu bezahlen hatte (Anlage Ast 2 = Bl. 11 d.A.), überwies infolge einer Namensverwechslung € 14.823,-- auf das genannte Konto (Anlage Ast 3 = Bl. 14 d.A.). Diesen Betrag schuldete sie in Wahrheit der Firma Wm H. Müller, die ebenfalls Speditionsgeschäfte betreibt. Nachdem die Antragstellerin ihren Irrtum bemerkt hatte, verlangte sie mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 2. März 2004 (Anlage Ast 4 = Bl. 15-17 d.A.) von dem Antragsgegner die Rücküberweisung des Differenzbetrages von € 13.663,98. Dies lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 5. März 2004 (Anlage Ast 5 = Bl. 18 d.A.) ab, wobei er darauf hinwies, dass der von der Antragstellerin geltend gemachte Rückzahlungsanspruch ein solcher aus ungerechtfertigter Bereicherung und daher nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu behandeln sei.

Mit dem am 15. März 2004 bei Gericht eingegangenen Antrag hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt begehrt. Diesen Antrag hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss, auf dessen Gründe Bezug genommen wird (Bl. 19/20 d.A.), der der Antragstellerin am 19. März 2004 zugestellt worden ist, abgelehnt. Dagegen richtet sich die am 30. März 2004 eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren ursprünglichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiterverfolgt. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes vom 29. März 2004 (Bl. 23-25 = 26-28 d.A) sowie den weiteren Schriftsatz vom 30. März 2004 (Bl. 29/30 = Bl. 31/32 d.A.) nebst Anlage (Bl. 33 d.A.) Bezug genommen. Der Antragsgegner ist dem Vorbringen der Antragstellerin mit Rechtsausführungen entgegengetreten (Schriftsatz vom 11. Mai 2004 = Bl. 41/42 d.A.).

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, form- und fristgerecht erhoben worden und daher zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist auch begründet und führt zum Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Verfügung.

Auszugehen ist von § 35 InsO. Nach dieser Vorschrift erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Hier kommt, wie ohne weiteres ersichtlich ist, in Bezug auf die von der Antragstellerin geleistete Zahlung allenfalls § 35 Halbsatz 2 InsO zum Zuge, denn die Antragstellerin hat den Überweisungsauftrag über € 14.823,-- unstreitig erst nach dem 2. Februar 2004 erteilt. Aber auch die Voraussetzung dieses Halbsatzes ist hier nicht erfüllt, denn es handelt sich bei der Gutschrift des genannten Betrages nicht um einen Vermögens-bestandteil, den der Schuldner während des Verfahrens erlangt hat. Das ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:

Dem oben insoweit wörtlich wiedergegebenem Schreiben des Antragsgegners ist zu entnehmen, dass er u.a. die Antragstellerin aufgefordert hat, die noch ausstehende Zahlung auf das für ihn geführte Insolvenz-Treuhand-Konto zu leisten. Dies bedeutet, dass die Schuldner die von ihnen noch zu begleichenden Beträge gerade nicht an den von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens betroffenen Schuldner zahlen sollten und zahlten, sondern an den Antragsgegner als vorläufigen Insolvenzverwalter. Dies entspricht dessen rechtlicher Stellung und auch derjenigen des Schuldners, dem mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über das ihm in diesem Zeitpunkt zustehende Vermögen genommen wird (§ 80 Abs. 1 InsO). Das bedeutet zugleich, dass nicht der Schuldner "etwas" erlangt im Sinne des § 35 Halbsatz 2 InsO, wenn in der hier geschehenen Weise nach Eröffnung der Insolvenz gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Wege der Überweisung auf das für ihn geführte Girokonto noch offenstehende Forderungen beglichen werden sollen. Das von dem Bankhaus Neelmeyer AG für den Antragsgegner geführte, vom ihm selbst als "Treuhandkonto" bezeichnete Konto mit der Nummer 1000 320 794 stellt das Sonderkonto eines gesetzlichen Treuhänders dar [Baumbach/Hopt, HGB, 31. Auflage 2003, (9) AGB-Anderk Rand-Nr. 2]. Die Verfügungsbefugnis über dieses Konto steht dem Antragsgegner als Ermächtigungstreuhänder zu (dazu BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - IX ZR 252/93 - WM 1995, 352, 353 [unter II. 2.]). Deshalb ist der infolge der Überweisung der Antragstellerin herbeigeführte Vermögenszuwachs zunächst in seiner Person entstanden, da jedenfalls gegenwärtig allein er als vorläufiger Insolvenzverwalter in der Lage ist, einen aufgrund der vom Kreditinstitut erteilten Gutschrift bestehenden Zahlungs-anspruch geltend zu machen. Zwar hat der Antragsgegner grundsätzlich mit diesem Anspruch nach den Vorschriften zu verfahren, die die Feststellung und Verteilung des Vermögens des Schuldners unter die als berechtigt anerkannten Gläubiger regeln (§ § 174 ff., §§ 187 ff. InsO). Solange aber die auf dem Insolvenz-Treuhand-Konto des Antragsgegners vorgenommene Gutschrift nicht in die Reihe derjenigen Posten aufgenommen ist, die der Antragsgegner dem Zugriff der Gläubiger zur Verfügung stellen will, unterliegt sie seiner uneingeschränkten Verfügungsbefugnis. Sie kann und muss deshalb, wenn - wie hier - feststeht, dass sie in bestimmter Höhe nicht einer dem Schuldner zustehenden Forderung entsprach, von dem Antragsgegner als vorläufigem Insolvenzverwalter ohne Wahrung der Einschränkungen des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht werden, indem der überschießende Anteil der Antragstellerin zurücküberwiesen wird. In diesem Umfang besteht also ein zu sichernder Verfügungsanspruch der Antragstellerin.

Da sich der Antragsgegner geweigert hat, eine Rückzahlung desjenigen Anteils vorzunehmen, der die Forderung des Schuldners übersteigt, ist auch ein Verfügungsgrund gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO

Ende der Entscheidung

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