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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 31.01.2006
Aktenzeichen: 3 U 50/05
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 3 U 50/05

Verkündet am: 31. Januar 2006

In Sachen

hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.01.06 unter Mitwirkung der Richter Arenhövel, Dr. Schnelle und Kelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen - 6. Zivilkammer - vom 25. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I. Der Kläger klagt gegen die Beklagte auf Feststellung des Fortbestandes einer bei ihr im April 2001 abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der Kläger beantragte am 17.04.01 bei der Beklagten den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Versicherungsagent füllte zusammen mit dem Kläger den Antrag aus, indem er die Angaben des Klägers in einen Rechner eingab und das Antragsformular mit den eingefügten Antworten anschließend ausdruckte.

Die auf dem "Formularbild Gesundheitsfragen" des Rechners vorgegebenen Fragen bezogen sich zum größten Teil auf den gegenwärtigen körperlichen und gesundheitlichen Zustand des Antragstellers. Darüber hinaus lautete eine Frage:

"Sind Sie in den letzten 5 Jahren ärztlich behandelt oder untersucht worden?"

Hierauf antwortete der Kläger mit "ja". Nach Anklicken der entsprechenden Rubrik "ja" auf dem Bildschirm öffnete sich ein Unterfenster, welches als Hinweise für eine weitere Befragung durch den Agenten vorgab:

"Erkrankungen/Untersuchungen/Unfallfolgen/chronische Leiden"

Auf die - insoweit wahrheitsgemäße - Auskunft des Klägers nahm der Agent auf:

"Februar 2001, Routine-U. Ohne Befund"

Der Kläger hatte zeitweise u.a. unter einer Depression und unter Asthma gelitten. Diese Erkrankungen bestanden im Februar 2001 nicht mehr. Streitig ist, ob diese Vorerkrankungen bei der Antragstellung zur Sprache kamen. Die Beklagte bestreitet dies. Sie hat den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und den Rücktritt erklärt. Sie behauptet, der Kläger habe auf die Befragung des Agenten grob unvollständig und falsch geantwortet.

Das Landgericht - 6. Zivilkammer - hat durch Urteil vom 25. August 2005 ein zuvor dem klägerischen Begehren stattgebendes Versäumnisurteil aufrechterhalten, indem es die Voraussetzungen für einen Rücktritt oder für eine Anfechtung nicht für gegeben angesehen hat. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die eine Abänderung des Urteils, Aufhebung des Versäumnisurteils sowie Abweisung der Klage begehrt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszuge wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Berufung des Klägers ist zwar statthaft (§ 511 ZPO) und auch im übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Versicherungsvertrag wurde zwischen den Parteien wirksam abgeschlossen. Der Beklagten stehen weder Rücktritts- noch Anfechtungsgründe (§§ 16, 18, 22 VVG) zur Seite.

Der Kläger hat im Zuge der Antragstellung am 17. April 2001 gegenüber dem Versicherungsagenten ... von diesem ausdrücklich gestellte Fragen nicht unzutreffend beantwortet. Das galt ersichtlich für die computergenerierten Fragen im "Formularbild Gesundheitsfragen" (Anlage B 6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.04.2005). Sämtliche Fragen mit Ausnahme der fünften ("sind Sie in den letzten 5 Jahren ärztlich behandelt oder untersucht worden?"), insbesondere auch die Fragen nach derzeit chronischen Erkrankungen, körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen sowie nach bestehenden Unfallfolgen, bezogen sich in ihrer eindeutigen Formulierung nur auf den gegenwärtigen körperlichen und gesundheitlichen Zustand des Antragstellers.

Sie wurden ebenso zutreffend beantwortet wie die Frage Nr. 5 nach ärztlichen Behandlungen oder Untersuchungen "in den letzten 5 Jahren". Diese geschlossen formulierte Frage nämlich hat der Kläger durch den Agenten ... richtig mit der vorgegebenen Alternative "Ja" anklicken lassen.

Eine Falschbeantwortung ist aber auch insoweit nicht ersichtlich, als sich nach dem Anklicken mit "Ja" ein Ergänzungsfenster (Anlage B 7 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.04.2005) öffnete. Dieses Fenster zeigte keine hinreichend konkret formulierten weiteren Fragen auf, sondern gab nur stichwortartige Angaben für eine weitere Befragung vor. Es enthielt, soweit hier von Belang, lediglich ein auszufüllendes Leerfeld unter der Überschrift "Erkrankungen / Untersuchungen / chronische Leiden". Allenfalls für denjenigen, der die rechnergestützte Abfrage vornahm, hier also für den Agenten ... erschloss sich ein unmittelbarer Zusammenhang mit der im vorherigen Formularfenster mit "Ja" beantworteten Frage, weil nur ihm die Fragen im Ergänzungsfenster in ihrer Eigenart als durch das Anklicken generierte Unterfragen ohne weiteres deutlich werden konnten. Hingegen war der Kläger (Antragsteller), der in den Verlauf der Rechnerabfrage keinen Einblick hatte und diese auch nicht mitverfolgte, darauf angewiesen, dass der abfragende Agent ihm den genannten Zusammenhang "in den letzten 5 Jahren" erst erläuterte und ihn mit konkret gestellten Fragen nach Erkrankungen, Untersuchungen etc. bezogen auf den genannten Zeitraum unmissverständlich darauf hinwies. Es lag also allein an der Befragungstechnik des Agenten, dem Kläger hinreichend deutlich vor Augen zu führen, dass sich diese Frage im Gegensatz zu allen anderen sich aus dem "Formularbild Gesundheitsfragen" ergebenden eben nicht (nur) auf die Gegenwart, sondern auf den gesamten zurückliegenden Zeitraum beziehen sollte. Nur dann, wenn dieser Kontext im Verlaufe der Befragung nicht nur dem Agenten selbst, sondern auch dem Antragsteller erkennbar wurde, handelte es sich bei den verlangten Angaben um ausdrücklich erfragte Umstände i.S.d. § 16 VVG.

Dies folgt auch aus dem Grundsatz, dass unklare Antragsfragen zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen sind (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Rdnr. 21 zu § 16, 17). Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die einem rechnergestützten Verfahren immanenten Fehlerquellen (hier insbesondere Gefahr von Missverständnissen) im Zweifel zu Lasten desjenigen zu gehen haben, der sich eines solchen Verfahrens bedient.

Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat aber an keiner Stelle vorgetragen, dass und gegebenenfalls in welcher Art und Weise der Agent den Kläger auf den Zusammenhang in hinreichender Deutlichkeit hingewiesen habe. Welche Fragen nach Öffnung des "Ergänzungsfensters" konkret an den Kläger gestellt wurden, ist an keiner Stelle dargelegt. Wurde aber, nachdem sich - nur für den Agenten ... sichtbar - das Ergänzungsfenster B 7 geöffnet hatte, der Kläger nur allgemein aufgrund der vorgegebenen Stichwörter "Erkrankungen, Untersuchungen, Unfallfolgen, chronischen Leiden" befragt, so war seine sich lediglich auf die letzte, ohne Befund verlaufende Routineuntersuchung beziehende Antwort für sich genommen weder falsch noch unvollständig.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem schriftlichen, vom Kläger unterzeichneten Antragsformular. Dieses wurde als Ergebnis der vorangegangenen rechnergestützten Befragung ausgedruckt. Irgend ein Zusammenhang zwischen der Frage nach "Erkrankungen, Untersuchungen, Unfallfolgen, chronischen Leiden", die hier im Ausdruck sogar erst an dreizehnter Stelle auftaucht, und der Frage nach ärztlichen Behandlungen oder Untersuchungen in den letzten 5 Jahren (fünfte Frage in der Reihenfolge) lässt sich hier noch weniger entnehmen.

Schließlich sieht der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht auch keine Anhaltspunkte für eine Arglist des Klägers. Den Kläger traf nicht ohne ausdrückliche Fragen eine Auskunftspflicht. Es ist Sache jeder Vertragspartei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen und dem potentiellen Vertragspartner offenzulegen, welche Angaben sie für ihre Risikoprüfung vor der Vertragsannahme benötigt. Ein Versicherer gibt demgemäß mit den Fragen zu erkennen, was er für seine Entscheidung als wesentlich ansieht und was er deshalb wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet sehen will. Der Antragsteller kann daher grundsätzlich davon ausgehen, dass der Versicherer ihm einen an dessen Interessen ausgerichteten vollständigen Fragebogen vorlegt (OLG Hamm VersR 94, 293). Der Versicherer kann regelmäßig nicht erwarten, dass der künftige Versichtungsnehmer ihm weitere Umstände ungefragt mitteilt, es sei denn dass sich eine Frage konkludent auf sie bezieht oder ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (BGH VersR 86, 1089).

Ein solcher Fall ist hier aber schon deswegen nicht gegeben, weil die Beklagte ihre Fragen ganz überwiegend auf den gegenwärtigen Status bezog und dem Kläger nicht darüber hinaus in hinreichender Deutlichkeit aufgab, Vorerkrankungen und frühere Untersuchungen konkret zu benennen und darzustellen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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