Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 04.03.2003
Aktenzeichen: 3 U 65/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
positive Forderungsverletzung

Bei einer medizinisch nicht indizierten photorefraktiven Keratektomie (PRK) sind hohe Anforderungen an die Aufklärung zu stellen. Der Patient muss auf die Risiken deutlich und schonungslos hingewiesen werden.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

3 U 65/02

Verkündet am: 04.03.2003

Als Vorsitzende ohne Hinzuziehung einer Protokollführerin

In Sachen

hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2003 unter Mitwirkung von

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Bremen - 4. Zivilkammer - vom 29. Mai 2002 wird zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 9%, der Beklagte 91%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in der selben Höhe leistet.

Gründe:

Die Klägerin fordert vom Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen der Folgen einer photorefraktiven Keratektomie (PRK) mittels Excimer-Lasers. Die Klägerin unterzog sich wegen einer angeborenen extremen Kurzsichtigkeit im April, Juni, Oktober und Dezember 1994 der Behandlung beim Beklagten. Wegen einer Dezentrierung der Ablationszonen ließ die Klägerin ab 1995 mehrere Korrekturbehandlungen durchführen. Im Jahre 2001 erfolgte eine Hornhauttransplantation auf dem linken Auge, die ohne Erfolg blieb. Die Klägerin klagt seit der Behandlung durch den Beklagten über eine erhöhte Blendempfindlichkeit sowie eine Minderung des Dämmerungs- und Kontrastsehens.

Nach Zurückverweisung durch Urteil des Senats vom 21. November 2000 hat das Landgericht Beweis erhoben durch Einholung eines augenfachärztlichen Gutachtens des Prof. Dr. N. /Dr. A. vom 23. Oktober 2001 und durch Vernehmung des Ehemanns der Klägerin als Zeugen. In dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 12.830 € nebst Zinsen zu zahlen. Wegen eines Teilbetrages in Höhe von 13.677 € nebst Zinsen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die weiteren Zahlungsanträge wegen Verdienstausfalls der Klägerin und wegen eines angemessenen Schmerzengeldes hat das Landgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und des weiteren festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus den im Jahre 1994 vom Beklagten an ihren Augen durchgeführten Operationen mit dem Excimer-Laser entstanden ist und künftig noch entsteht. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine ausreichende Aufklärung für die Behandlung nicht erfolgt und eine Haftung des Beklagten wegen fehlender wirksamer Einwilligung der Klägerin aus positiver Forderungsverletzung sowie unerlaubter Handlung begründet sei. Die der Klägerin aus der Nachbehandlung durch einen auswärtigen Spezialisten entstandenen Unkosten hat das Landgericht mit rd. 12.830 € berechnet und die weitergehende Schadensersatzforderung insoweit abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung sowie wegen des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die gegen das Urteil gerichteten Berufungen der Parteien sind zulässig. Die Klägerin hat ihre Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen. Die Berufung des Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Haftung des Beklagten für Schäden der Klägerin aus der PRK ist aus positiver Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung wegen eines Aufklärungsversagens des Beklagten begründet.

Die Aufklärung vor der PRK-Behandlung war nicht ausreichend. Sie konnte nicht Grundlage einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die nachfolgende Behandlung sein.

Das Landgericht hat insoweit das schriftliche Gutachten zutreffend ausgewertet. Die Anhörung der Sachverständigen Dr. A. vor dem Senat hat die vom Landgericht vorgenommene Beurteilung bestätigt.

An die Aufklärung sind vorliegend hohe Anforderungen zu stellen. Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, um so ausführlicher und eindrücklicher muß der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird und den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen informiert werden (vgl. BGH VersR 1991, 227; OLG Celle NJW 1987, 2304; OLG Düsseldorf NJW - RR 2003, 89). Der Patient muß auf etwaige Risiken deutlich und schonungslos hingewiesen werden. Diesen Anforderungen ist der Beklagte auch nach der eigenen Darstellung des Aufklärungsgesprächs nicht gerecht geworden.

Das ergibt sich einmal daraus, dass eine medizinische Indikation für die PRK-Behandlung nicht vorgelegen hat. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die Behandlung bei der hohen Kurzsichtigkeit der Klägerin von ca. minus 20 Dioptrien auf beiden Augen keine notwendige medizinische Maßnahme darstellte. Sie hat die Behandlung überzeugend als Korrekturtechnik bezeichnet, die in besonderen Zentren zu Studienzwecken durchgeführt worden sei. So sei die PRK-Behandlung in der Augenklinik, in der sie tätig sei, seit 1993 angewandt worden bei hohen Fehlsichtigkeiten bis zu minus 18 Dioptrien. Das Ergebnis der Studien sei in die Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft eingegangen, wonach das Excimer-Laser-Verfahren als anerkanntes Verfahren bei Fehlsichtigkeiten bis zu minus 6 Dioptrien ab 1994 gilt. Das vom Beklagten angewandte Verfahren im Fall der Klägerin entsprach, wie die Sachverständige eindeutig darlegte, weder dem medizinischen Standard des Jahres 1994 noch dem heutigen.

Auf die mit diesen Behandlungen verbundenen besonderen Risiken hat der Beklagte nicht hingewiesen.

Folgt man den Erklärungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung 1. Instanz vom 24. April 2002, hat er die Klägerin über Möglichkeiten der Narbenbildung, über eine Blendempfindlichkeit, d.h. mit schlechterem Sehen auch im Dunkeln, ggf. dauernd, und die Rückbildung in der Sehschärfe hingewiesen. Mit einer solchen Aufklärung sind die Risiken im Fall der Klägerin nicht erfasst. Der Beklagte hat gerade auf die durch die extreme Fehlsichtigkeit der Klägerin bedingten nochmals erhöhten Risiken nicht hingewiesen. Wie die Sachverständige überzeugend dargelegt hat, liegen diese insbesondere im Bereich der Sehqualität, die durch Narbenbildung und durch die Dezentrierung der Ablationszonen beeinträchtigt wird. Korrekturen durch einen Revisionseingriff erhöhten diese Risiken dann nochmals in nicht mehr kalkulierbarer Weise. Den Erfolg solcher Folgeeingriffe hat die Sachverständige als unwägbar bezeichnet. Wenn der Beklagte etwaige Beschwerden nach den Eingriffen nach seiner Darstellung medikamentös auffangen wollte und der Klägerin diese Vorgehensweise auch so geschildert hat, wird er mit einer solchen Darstellung den mit der PRK-Behandlung verbundenen Risiken nicht annähernd gerecht.

So wie der Beklagte aufgeklärt haben will, trafen diese Risikobeschreibungen auf eine nach dem medizinischen Kenntnisstand von damals und heute nicht gerechtfertigte Erwartungshaltung der Klägerin. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, der Meinung gewesen sei, dass etwaige Narben hätten "wegpoliert" werden können.

Die Aufklärung des Beklagten entsprach nicht dem damaligen medizinischen Erkenntnisstand. Die Risiken der PRK-Behandlung bei hoher Fehlsichtigkeit waren, wie die Sachverständige durch Literaturnachweise im schriftlichen Gutachten belegt hat, ab 1991/1992, also auch zum Behandlungszeitpunkt, bekannt. Der Beklagte kann nicht einwenden, dass sich der medizinische Standard mit Anerkennung der PRK bei bestimmten niedrigeren Fehlsichtigkeiten geändert habe und vorher keine Erkenntnisse vorgelegen hätten, die ihn hätten veranlassen müssen, von der Behandlung Abstand zu nehmen. Wenn der Beklagte keine ausreichenden Erkenntnisse für das von ihm praktizierte Verfahren hatte, hätte er von dessen Anwendung abraten müssen und es nicht durchführen dürfen. Dass die Krankenkasse der Klägerin die Kosten der Behandlung übernommen hat, ist für die Beurteilung des medizinischen Standards zum Zeitpunkt der Behandlung ohne Bedeutung.

Der Beklagte kann sich ferner nicht darauf berufen, dass die Klägerin sich auch bei umfassender Kenntnis der Risiken in ihrem Fall zu einer PRK-Behandlung entschlossen hätte. Mit dem auf der Klägerin lastenden Leidensdruck durch die schwere Sehbehinderung kann eine hypothetische Einwilligung nicht begründet werden. Auch zunehmende Probleme mit Kontaktlinsen, wie der Beklagte sie geschildert hat, vermögen eine aktuelle Indikation nicht zu begründen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, bestand für die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt wegen der gravierenden Risiken keine Veranlassung zur Behandlung. Sie wollte, für den Beklagten erkennbar, eine Verbesserung ihrer Situation erreichen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie zur Erreichung dieses Zweckes nicht mehr kalkulierbare Risiken eines Eingriffs akzeptieren wollte. Der Beklagte hat hierfür keine Umstände aufgezeigt, zumal er nicht vorzutragen vermag, dass er sich selbst die mehrfach erhöhten Risiken bei Behandlung der Klägerin vergegenwärtigt hat. Bei der Fülle der Komplikationen bei geringerer Fehlsichtigkeit und deren Potenzierung im Falle der Klägerin kann der Beklagte eine hypothetische Einwilligung allein aus der Lebenssituation der Klägerin nicht darlegen. Bei umfassender Aufklärung, wie die Sachverständige sie für geboten hält, konnte ein Entscheidungskonflikt nicht entstehen. Im übrigen hat die Klägerin insoweit in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nach dem Kenntnisstand nach Gutachtenerstattung eine solche Maßnahme nicht habe durchführen lassen.

Die Haftung des Beklagten ist dem Grunde nach begründet.

Damit besteht ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der von ihr verauslagten Kosten für eine auswärtige Behandlung. Sie sind in der vom Landgericht ermittelten Höhe zu ersetzen. Hiergegen führt der Beklagte keinen Berufungsangriff.

Die Nebenentscheidungen folgen den §§ 97, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück