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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 4 W 30/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1
FGG § 70 h
1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 70 h FGG setzt eine durch konkrete Tatsachen begründete Gefahr für den Betroffenen selbst voraus, deren Abwendung keinen Aufschub duldet.

2. Die Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist nur dann durch die Gerichte zu genehmigen, wenn der dem Betroffenen drohende Gesundheitsschaden so gewichtig ist, dass er den mit der beabsichtigten Unterbringungsmaßnahme verbundenen Freiheitseingriff zu rechtfertigen vermag.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen BESCHLUSS

Geschäftszeichen: 4 W 30/06

In der Betreuungssache

betreffend Dr. vet. E. F. , geb. am 26.05.1937, wohnhaft c/o Sch. , Weg 11, 28279 Bremen, z. Zt. Klinikum Bremen-Ost, Station 82,

hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch die Richter Wever, Schumann und Schilling auf die Beratung vom 8. November 2006 beschlossen:

Tenor:

I. Es wird festgestellt, dass die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen für die Zeit ab dem Beschluss des Landgerichts Bremen vom 15. August 2006 rechtswidrig war.

II. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

III. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

Der Betroffene wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die (erste) gerichtliche Genehmigung seiner Unterbringung.

I.

Mit Beschluss vom 27. Juli 2006 bestellte das Vormundschaftsgericht dem Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung einen vorläufigen Betreuer unter anderem für die Aufgabenkreise "Sorge für die Gesundheit" und Aufenthaltsbestimmung. Zur Begründung führte es aus, der Betroffene leide ausweislich des ärztlichen Zeugnisses der Mitarbeiter des Klinikums Bremen-Ost vom 18. Juli 2006 (Bl. 1 ff. d. A.) an einer akuten Psychose unklarer Genese. Es bestehe auch Gefahr für den Betroffenen, weil abgeklärt werden müsse, ob eine "organisch begründete Psychose (Gehirntumor o. ä.)" vorliege.

Mit Beschluss vom 31. Juli 2006 hat das Vormundschaftsgericht die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung (Klinikum Bremen-Ost) bis längstens 25. August 2006 auf Antrag des vorläufigen Betreuers nach Anhörung des Betroffenen (Bl. 3 Beiheft <Bh>) genehmigt. Zugleich hat es dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellt. Ergänzend zu dem bereits vorhandenen ärztlichen Zeugnis hat das Gericht eine weitere ärztliche Stellungnahme der Mitarbeiter des Klinikums Bremen-Ost vom 28. Juli 2006 herangezogen (Bl. 2 Bh). Zur Begründung des Unterbringungsbeschlusses hat das Vormundschaftsgericht unter Bezugnahme auf die vorgenannten ärztlichen Stellungnahmen ausgeführt, es bestehe die Gefahr, dass der Betroffene sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Zu seinem Wohl sei es notwendig, eine gründliche Diagnostik durchzuführen, um ihn dann adäquat behandeln zu können. Diese Maßnahme könne ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden. Der Betroffene könne die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen beziehungsweise nicht einsichtsgemäß handeln.

Auf die hiergegen durch den Verfahrenspfleger des Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht eine weitere ärztliche Stellungnahme vom 14. August 2006 eingeholt. In ihr haben die Mitarbeiter des Klinikums Bremen-Ost unter anderem ausgeführt, der Betroffene leide an einer paranoiden Symptomatik im Rahmen einer vermutlich chronifizierten Psychoseerkrankung (vgl. Bl. 23 f. Bh). Im Vordergrund der Symptomatik stünden paranoide Befürchtungen, vergiftet worden zu sein. Der Betroffene sei unkooperativ hinsichtlich einer neuroleptischen oder sonstigen Medikation, offenbar auch aufgrund der Vergiftungsängste. Ohne Unterbringung würde der Betroffene die Station wieder verlassen, weil er keinerlei Krankheitseinsicht habe. Zumindest ein Therapieversuch mit einem Neuroleptikum solle aufgrund der Erkrankung notfalls gegen den Willen des Betroffenen erfolgen. Inwieweit eine neuroleptische Medikation zu einer Besserung der Symptomatik führen werde, könne nicht beurteilt werden, da es Hinweise für eine seit vielen Jahren (mindestens 5) chronifizierte Psychose gebe. Inwieweit bei dem Betroffenen mit einer Fremdgefährdung zu rechnen sei, "können wir mangels weiterer Informationen auch noch nicht abschließend beurteilen" (Bl. 24 Bh). Anhand der vorliegenden Informationen müsse zumindest von einer möglichen Eigen- und Fremdgefährdung ausgegangen werden.

Das Landgericht hat die Beschwerde ohne erneute Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 15. August 2006 zurückgewiesen (Bl. 25 ff. Bh). Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die vorgenannte ärztliche Stellungnahme verwiesen. Danach lägen die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB vor.

Hiergegen hat der Betroffene, nunmehr durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt, weitere Beschwerde einlegen lassen (Bl. 55 Bh). In ihrer Begründung heißt es, eine Exploration habe bisher nicht stattgefunden; eine Diagnose sei nicht gestellt worden. Bei dem 70-jährigen, an Herzproblemen leidenden Betroffenen handele es sich um einen Risikopatienten. Durch die Verabreichung der Zwangsmedikation habe er bereits eine toxische Schädigung erlitten. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat zudem beantragt, die Rechtswidrigkeit der mit dem Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 31. Juli 2006 "angeordneten" Unterbringung festzustellen.

II.

Das als sofortige weitere Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Betroffenen ist zulässig und in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist gemäß §§ 70 m Abs. 1, 70 g Abs. 3 Satz 1, 22 Abs. 1, 27, 29 FGG zulässig.

a) Unbeachtlich für die Frage der Zulässigkeit ist der Umstand, dass nicht der Betroffene selbst, sondern sein Verfahrenspfleger gegen die vorangegangene amtsgerichtliche Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt hat. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 13. März 2006 - 15 W 53/06 -, FamRZ 2006, 1301 LS; Volltext bei JURIS) war der Betroffene nicht verpflichtet, neben seinem Verfahrenspfleger auch noch selbst sofortige Beschwerde einzulegen, um sich die sofortige weitere Beschwerde offen zu halten. Denn - wie das Oberlandesgericht Hamm in der genannten Entscheidung selbst ausführt - hat der Verfahrenspfleger die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (OLG Hamm, Beschluss vom 13. März 2006 - 15 W 53/06, JURIS Rn. 8; vgl. auch Keidel/Kuntze/Kayser, FGG, 15. Aufl. § 70 b Rn. 9). Mithin handelt es sich bei dem Verfahrenspfleger - jedenfalls bezogen auf das Interesse des Betroffenen an der Einlegung eines Rechtsmittels - nicht um einen anderen Verfahrensbeteiligten. Die Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm steht zudem im Widerspruch zu der in § 70 b Abs. 3 FGG zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers. Danach soll die Bestellung (des Verfahrenspflegers) aufgehoben werden, wenn der Betroffene von einem Rechtsanwalt vertreten wird. Die Bestellung wirkt jedoch an sich bis zum Abschluss des Verfahrens, für das der Verfahrenspfleger bestellt worden ist, also bis zur letzten Instanz fort. Demnach hat das Gericht den Verfahrenspfleger auch dann zu entschlagen, wenn sich der Betroffene - wie hier - für die sofortige weitere Beschwerde eines Rechtsanwalts bedient. Dann kann es aber nicht richtig sein, dem Betroffenen vorzuhalten, dass er zuvor nicht selbst sofortige Beschwerde eingelegt hat. Würde man der Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm folgen, bedeutete dies im Übrigen, dass man dem Betroffenen immer zumuten müsste, vorsorglich (neben seinem Verfahrenspfleger) auch selbst noch eine sofortige Beschwerde einzulegen.

b) Der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass sich wegen Zeitablaufs der - hier gegenständlichen - Unterbringung die Hauptsache bereits erledigt hat. Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. OLG München, FamRZ 2006, 445). Einen entsprechenden Antrag hat der Betroffene nach gerichtlichem Hinweis inzwischen gestellt (vgl. Schriftsatz vom 17. Oktober 2006).

aa) Tritt die Erledigung - wie hier - erst nach Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts ein, sind allerdings die Grenzen zu beachten, die einer Überprüfung durch das Gericht der weiteren Beschwerde allgemein gezogen sind. Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde und damit auch der Nachprüfung ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts und damit nur das, worüber das Beschwerdegericht eine Entscheidung getroffen hat (BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2002 - 3 Z BR 149/02 - Rn. 8, zitiert nach JURIS). Nur wenn Gegenstand der Beschwerdeentscheidung auch die Überprüfung der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der Genehmigung beziehungsweise der Durchführung der Unterbringung bis zur landgerichtlichen Entscheidung war, ist dem Gericht der weiteren Beschwerde auch die Entscheidung über diese Verfahrensgegenstände eröffnet. (BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2002 - 3 Z BR 149/02 - Rn. 8, zitiert nach JURIS).

bb) Der Betroffene hat mit seiner sofortigen Beschwerde vor dem Landgericht unter anderem eingewandt, ihm hätte vor Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung rechtlicher Beistand gewährt werden müssen. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass er den amtsgerichtlichen Beschluss von Anfang an für rechtswidrig erachtet hat. Von daher hat der Senat über die Rechtmäßigkeit sowohl der landgerichtlichen Entscheidung als auch des Beschlusses des Vormundschaftsgerichts zu befinden, nachdem der Betroffene nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung begehrt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Zum einen hat das Landgericht mit der angegriffenen Entscheidung den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung getragen (a). Zudem hat es die materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 BGB verkannt (b). Demgegenüber hält sich die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts noch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (c).

a) Die angegriffene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob es bereits einen Verfahrensfehler darstellt, dass das Landgericht von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen hat (aa). Jedenfalls hat sich die Kammer nicht hinreichend damit auseinander gesetzt, dass - geht man von einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme nach § 70 h FGG aus - ein Anordnungsgrund gegeben sein muss (bb).

aa) Die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen ist in Unterbringungssachen im Hinblick auf die Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs in der Regel geboten (Keidel/Kuntze/Kayser, a. a. O., § 70m Rn. 17 m. w. N.). Zwar kann das Beschwerdegericht ausnahmsweise von einer erneuten Anhörung absehen. Ob hier ein möglicher Ausnahmefall vorlag (vgl. dazu Keidel/Kuntze/Kayser, a. a. O., § 70m Rn. 17 i. V. m. § 69g Rn. 29), namentlich weil aus dem vorangegangenen, gerade einmal gut zwei Wochen alten Anhörungsprotokoll der Schluss gezogen werden könnte, dass eine weitere Anhörung wenig ergiebig wäre, und der Betroffene im Übrigen vor dem Landgericht von seinem Verfahrenspfleger vertreten war, kann dahinstehen.

bb) Verfahrensfehlerhaft ist die Entscheidung des Landgerichts jedenfalls deshalb, weil die Kammer die Anforderungen des § 70h FGG nicht hinreichend beachtet hat.

(1) Zwar ist dem Ausgangsbeschluss nicht eindeutig zu entnehmen, ob das Vormundschaftsgericht eine vorläufige oder eine Entscheidung in der Hauptsache treffen wollte. Jedoch kann namentlich wegen der relativ kurzen Unterbringungsfrist (31. Juli 2006 bis längstens 25. August 2006) unterstellt werden, dass das Vormundschaftsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen wollte (vgl. § 70 h Abs. 2 Satz 1 FGG). Demgemäß waren vor allem die in § 70 h FGG enthaltenen Verfahrensanforderungen zu erfüllen.

Im Falle einer einstweiligen Anordnung nach § 70 h FGG muss durch konkrete Tatsachen eine Gefahr für den Betroffenen selbst begründet sein, deren Abwendung keinen Aufschub duldet (vgl. BVerfG, FamRZ 1998, 895, 896; OLG München, FamRZ 2006, 445; Keidel/Kuntze/Kayser, a. a. O., § 70h Rn. 5 m. w. N.). Während das Vormundschaftsgericht ausweislich der Begründung seines Beschlusses davon ausgegangen war, dass sich der Betroffene erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen werde, wenn er nicht einer adäquaten Heilbehandlung unterzogen werden würde, die wiederum eine - nur die Unterbringung ermöglichende - gründliche Diagnostik voraussetze, hat sich das Landgericht in der Begründung seiner Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, im Wesentlichen den Inhalt der von ihm eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 14. August 2006 (Bl. 23 f. Bh) wiederzugeben. Durfte das Vormundschaftsgericht aufgrund der von ihm eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 28. Juli 2006 noch von einer akuten Psychose unklarer Genese ausgehen (vgl. Bl. 2 Bh), stellte sich die Situation für das Beschwerdegericht anders dar. In der von der Kammer herangezogenen Stellungnahme war nunmehr von einer vermutlich chronifizierten Psychoseerkrankung die Rede. Weshalb bei dieser Sachlage ein Eilbedürfnis für die Genehmigung (der weiteren) Unterbringung vorgelegen haben soll, lässt sich anhand der Begründung der Beschwerdeentscheidung indes nicht erkennen. Vielmehr dürfte sich der Betroffene nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen, vor allem ausweislich der in Bezug genommenen ärztlichen Stellungnahme vom 14. August 2006, schon seit längerer Zeit in einer desolaten beziehungsweise problematischen Situation befunden haben. So heißt es dort, "inwieweit eine neuroleptische Medikation zu einer Besserung der Symptomatik führen wird, kann nicht beurteilt werden, da es Hinweise für eine seit vielen Jahren (mindestens 5) chronifizierte Psychose gibt"(Bl. 24 Bh). Gerade aber diese Bewertung hätte die Kammer dazu veranlassen müssen darzulegen, wieso ihrer Meinung nach der angekündigte "Therapieversuch" keinen Aufschub duldete (vgl. auch BVerfG FamRZ 1998, 895, 896). Die ungeklärte Wohnsituation des Betroffenen allein (vgl. Bl. 26 Bh) vermag eine sofortige Unterbringung nach § 1906 BGB jedenfalls nicht rechtfertigen.

cc) Nach dem oben Gesagtem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kammer bei Einhaltung der gebotenen Verfahrensvorschriften anders entschieden hätte. Damit wäre die sofortige weitere Beschwerde bereits wegen der festgestellten Verfahrensverstöße begründet (vgl. Keidel/Kuntze/Meyer-Holz, a. a. O. § 27 Rn. 17).

b) Die angegriffene Entscheidung beruht zudem auf einer Verletzung materiellen Rechts. Das Landgericht hat die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB nicht mit der (auch im vorläufigen Verfahren) erforderlichen Konkretisierung dargetan.

aa) Eine Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohle des Betroffenen unter anderem deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustandes beziehungsweise eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann; hinzu kommen muss in den zuletzt genannten Fällen, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Gerade weil die mit der Behandlungsnotwendigkeit der Anlasserkrankung begründete medizinische Unterbringung nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB - Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung - gebunden ist, kommt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als notwendigem Korrektiv für die Eingriffe in das Freiheitsrecht des Betroffenen besondere Bedeutung zu. Der drohende Gesundheitsschaden muss daher stets so gewichtig sein, dass er den mit der beabsichtigten Unterbringungsmaßnahme verbundenen Freiheitseingriff zu rechtfertigen vermag (BGH, FamRZ 2006, 615, 616 m. w. N.).

bb) Diesen Anforderungen ist das Landgericht mit seiner Beschwerdeentscheidung nicht gerecht geworden.

Die Begründung des Beschwerdegerichts beinhaltet im Wesentlichen eine Bezugnahme auf das eingeholte ärztliche Zeugnis vom 14. August 2006 sowie den hieraus gezogenen Schluss, dass angesichts dieser ärztlichen Stellungnahme die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB vorlägen und eine vorzeitige Aufhebung der Unterbringung des Betroffenen nicht in Betracht komme.

(1) Anders als die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts, die auf die Erforderlichkeit einer gründlichen Diagnostik gründet (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB), lässt sich dem landgerichtlichen Beschluss nicht entnehmen, von welchen Tatbestandsvoraussetzungen die Kammer ausgegangen ist. Der Senat kann auch nicht unterstellen, dass die Kammer sich der Begründung des Vormundschaftsgerichts anschließen wollte. Während das vom Vormundschaftsgericht in Bezug genommene ärztliche Zeugnis vom 28. Juli 2006 auf die dringende Notwendigkeit einer gründlichen Diagnostik hinweist (vgl. Bl. 2 Bh), heißt es in der Stellungnahme vom 14. August 2006, auf die sich das Landgericht bezogen hat, dass wegen der Schwere der Erkrankung und der bestehenden Behandlungsbedürftigkeit zumindest ein Therapieversuch mit einem Neuroleptikum erforderlich sei. Andererseits ist von einer möglichen Eigen- und Fremdgefährdung des Betroffenen die Rede (vgl. Bl. 26 Bh). Danach bleibt offen, ob das Landgericht § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, dessen Nr. 2 oder gar beide Tatbestände für erfüllt erachtet hat. Auch beim Erlass einer einstweiligen Anordnung sind jedoch entsprechende Feststellungen nicht entbehrlich. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfG, FamRZ 1998, 895, 896). Von daher kann eine einstweilige Anordnung nach § 70 h FGG nur erlassen werden, wenn konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen (OLG München, FamRZ 2006, 445; Keidel/Kuntze/Kayser, § 70 h Rn. 4, m. w. N.).

(2) Auch wenn man hier unterstellte, das Landgericht habe dem Vormundschaftsgericht folgen wollen, das in seinem Ausgangsbeschluss vom 31. Juli 2006 § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB für einschlägig erachtet hat (vgl. Bl. 4 Bh), genügen die Ausführungen der Kammer nicht, um eine entsprechende Unterbringung zu rechtfertigen.

Ausweislich des - von der Kammer zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogenen - ärztlichen Zeugnisses vom 14. August 2006 war unklar, woran der Betroffene genau leidet. Ebenso unsicher war danach, wie eine verlässliche Diagnose hätte getroffen werden und welche Therapie zur Heilung hätte führen können. Ausweislich der Stellungnahme sollte zumindest ein Therapieversuch mit einem Neuroleptikum aufgrund der Erkrankung notfalls gegen den Willen des Betroffenen erfolgen, auch wenn nicht beurteilt werden konnte, inwieweit eine neuroleptische Medikation zu einer Besserung der Symptomatik führen wird (vgl. Bl. 24 Bh).

Diese Feststellungen vermögen eine Unterbringung nach den oben dargestellten Anforderungen (s. oben aa) indes nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn sich die Kammer von der Erwägung hätte leiten lassen, dass hier die Medikation als Teil der Diagnose zu betrachten sei, hätte sie im Rahmen der Verhältnismäßigkeit den möglichen therapeutischen Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abwägen müssen, die ohne die Behandlung entstehen würden. Dabei sind auch die negativen psychischen Auswirkungen der Unterbringung auf den Betroffenen in die Abwägung einzubeziehen (BGH, FamRZ 2006, 615, 616 m. w. N.). Letzter Punkt gewinnt vorliegend auch deshalb an Gewicht, weil der Betroffene nach der ärztlichen Einschätzung an Vergiftungsängsten leidet. Auch wenn es galt, ihn von diesen Ängsten zu befreien, war doch zu berücksichtigen, dass die zwangsweise Verabreichung eines Medikaments für den Betroffenen - aus seiner Perspektive heraus betrachtet - eine erhebliche Bedrohung darstellte, zumal er ein bereits verabreichtes Medikament (Risperidon) nicht vertragen hatte, fast 70 Jahre alt ist und ausweislich der unwidersprochenen Angaben seines Verfahrensbevollmächtigen an Herzproblemen leidet (vgl. Bl. 55 Bh).

Die Beschwerdeentscheidung beruht auch auf der dargestellten Verletzung des materiellen Rechts. Denn es erscheint möglich, dass das Landgericht bei Berücksichtigung der oben stehenden Anforderungen seine Entscheidung so nicht getroffen hätte.

c) Demgegenüber hält sich die Ausgangsentscheidung des Vormundschaftsgerichts noch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Zwar lässt sich seiner Entscheidung nicht ausdrücklich entnehmen, dass es sich um eine einstweilige Anordnung handelt. Auch ist der Beschluss sehr knapp begründet. Trotzdem vermögen die in dem Beschluss getroffenen Feststellungen, die auch auf der unmittelbar vorausgegangenen persönlichen Anhörung des Betroffeneberuhten, die vorläufige Genehmigung der Unterbringung - wie oben bereits dargetan - noch zu rechtfertigen. Für die Entscheidung über die notwendigen Auslagen wurde § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG herangezogen.

Die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus §§ 131 Abs. 2 , 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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