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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 14.04.2004
Aktenzeichen: 4 WF 23/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 623 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 623 Abs. 2 Satz 3
1. Einem auf § 623 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO gestützten Abtrennungsantrag ist grundsätzlich voraussetzungslos stattzugeben.

2. Ein Abtrennungsantrag betreffend die Folgesache 1 ist nicht missbräuchlich gestellt, wenn diese Folgesache entscheidungsreif ist, weil der Ehemann, der die Abtrennung beantragt, dem Sorgerechtsantrag zustimmt.

3. Eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Abtrennungsantrag zur Folgesache 1 mit einem Antrag auf Abtrennung der nicht entscheidungsreifen Folgesache 5 verbunden wird.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IN BREMEN BESCHLUSS

4 WF 23/04

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen als Senat für Familiensachen durch die Richter Wever, Schumann und Behrens auf Grund der Beratung vom 14.4.2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 11.2.2004 dahingehend abgeändert, dass die Folgesachen 1 (elterliche Sorge) und 5 (nachehelicher Unterhalt) aus dem Scheidungsverbund abgetrennt werden.

Der Gegenstandswert wird auf € 500 festgesetzt.

Gründe:

Im vorliegenden Verfahren sind im Verbund anhängig die Folgesachen 1, 5 und 6. Mit der Folgesache elterliche Sorge beantragt die Antragsgegnerin, ihr das Sorgerecht für die Tochter L. allein zu übertragen. Der Antragsteller stimmt zu. Die Auskünfte der beteiligten Versorgungsträger in der Folgesache 6 liegen vor. Mit der Folgesache 5 begehrt die Antragsgegnerin im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über die Einkünfte des Antragstellers. Die Auskunft ist bisher nicht erteilt. Mit Schriftsatz vom 19.1.2004 hat der Antragsteller nunmehr unter Hinweis auf § 623 II S. 2 und S. 3 ZPO beantragt, die Folgesachen 1 und 5 abzutrennen. Das Familiengericht hat die Abtrennung mit Beschluss vom 11.2.2004 abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 16.2.2004. Er rügt, einem Abtrennungsantrag nach § 623 II S. 2 und S. 3 ZPO sei zwingend zu entsprechen.

Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 567 I Nr. 2 ZPO zulässig (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2000, 840; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 623 Rn. 32 i; Sarres, FuR 2003, 159, 161), sie ist auch in der Sache begründet.

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein auf § 623 II ZPO gestützter Abtrennungsantrag abgelehnt werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. zum Meinungsstand OLG Köln, FamRZ 2002, 1570, 1571; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 623 Rn. 32 f, g).

Die Familiensenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen haben in zwei nicht veröffentlichten Entscheidungen (vgl. Beschluss des 4. Zivilsenats vom 30.10.2003 - 4 WF 88/03; Beschluss des 5. Zivilsenats vom 29.1.2004 - 5 UF 64/03) die Ansicht vertreten, dem Antrag sei grundsätzlich zu entsprechen. Ob der Antrag in Ausnahmefällen, etwa dann, wenn die Abtrennung zu einem offensichtlich unangemessenen Ergebnis führe (4. Zivilsenat) oder die antragstellende Partei sich damit zu missbilligende Vorteile verschaffe (5. Zivilsenat), abgelehnt werden könne, haben die Senate offengelassen. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Nach in Rechtsprechung und Literatur überwiegender Meinung ist einem Abtrennungsantrag nach § 623 II ZPO grundsätzlich stattzugeben (vgl. AmtsG Rastatt, FamRZ 1999, 519; OLG Düsseldorf, FamRZ 2000, 840, 841; OLG Frankfurt/M., FamRZ 2001, 1227; OLG Hamm FamRZ 2001, 554 und 1229; OLG Stuttgart NJW-RR 2003, 795; Zöller/Philippi a.a.O.; Niepmann, MDR 2000, 613, 619). Es wird jedoch diskutiert, ob zumindest rechtsmissbräuchlich gestellte Anträge gegen den Wortlaut des § 623 II S. 2 ZPO abgelehnt werden können (so Musielak/Borth, ZPO, 3. Aufl., § 623 Rn. 11; MK/Finger, ZPO, § 623 Rn. 8, 47; Büttner, FamRZ 1998, 592; NJW 1999, 2315, 2326). Ein solcher Missbrauchsfall wird angenommen, wenn die Abtrennung eine schnelle Ehescheidung ermöglicht, die Entscheidung über das Sorgerecht aber auf nicht absehbare Zeit hinausgeschoben wird (vgl. OLG Frankfurt, FF 2001, 66; OLG Köln, FamRZ 2002, 1570, 1571; SchlHOLG OLGReport 2000, 111). Es sei nicht gesetzgeberische Intention der Neuregelung des § 623 ZPO gewesen, eine Ehescheidung vor Regelung der anhängigen Folgesachen, insbesondere vor der Regelung zur elterlichen Sorge, zu ermöglichen. Der Gesetzgeber habe vielmehr wegen der Streichung des § 1672 BGB eine Vorabentscheidung über das Sorgerecht ermöglichen wollen. Da die Regelung des § 628 S.1 Nr. 3 ZPO aber unverändert geblieben sei, sei eine Auflösung des Verbundes nach wie vor nur unter engen Voraussetzungen möglich. Anderenfalls werde die Warn- und Schutzfunktion des Verbundes ausgehöhlt (Büttner, NJW 1999, 2315, 2326). Ein Fall missbräuchlicher Antragstellung soll auch vorliegen, wenn ein von vornherein aussichtsloser Antrag zur elterlichen Sorge ersichtlich nur zu dem Zweck gestellt wird, in den Genuss der Abtrennungsmöglichgkeit des § 623 II ZPO zu kommen (so OLG München FuR 2000, 387).

Ob dem uneingeschränkt zu folgen ist, kann dahin stehen. Die Gefahr der Beschleunigung der Scheidung ohne Regelung der elterlichen Sorge verwirklicht sich im vorliegenden Fall nicht. Da die Folgesache 1 wegen der Zustimmung des Ehemannes entscheidungsreif ist (§ 1671 II Nr. 2 BGB), kann das Familiengericht das Sorgerecht auch im Falle der Abtrennung vor oder zumindest zeitgleich mit der Scheidung - nur nicht mehr im Verbund - regeln. Der Abtrennungsantrag ist auch nicht deswegen missbräuchlich, weil der Antragsteller das Sorgerecht für sich nicht in Anspruch nimmt. Denn auch dem Elternteil, der der Übertragung auf den anderen zustimmt, kann nicht von vornherein ein berechtigtes Interesse daran abgesprochen werden, dass die Sorgerechtsfrage vor der Scheidung gerichtlich geregelt wird. Das gilt auch dann, wenn die Eltern sich verständigt haben oder er davon ausgehen kann, dass das Gericht wegen seiner Zustimmung antragsgemäß entscheiden wird, solange nur eine gerichtliche Regelung nicht vorliegt (OLG Düsseldorf, FamRZ 2000, 840).

Wenn aber, wie hier, der Antrag in der Folgesache 1 selbst nicht missbräuchlich gestellt ist, kann die Frage nur noch lauten, ob ein Fall der missbräuchlichen Antragstellung darin besteht, dass gleichzeitig die Abtrennung einer der in § 623 II S. 3 ZPO genannten Folgesachen, hier der Folgesache 5, begehrt wird, diese aber nicht entscheidungsreif ist (vgl. dazu Miesen, FamRZ 2000, 167; FF 2001, 66; Hagelstein, FamRZ 2001, 533; Sarres, FuR 2003, 159). Diese Frage ist im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 623 II S. 3 ZPO zu verneinen. Man kann sich zwar fragen, warum der Gesetzgeber die Notwendigkeit gesehen hat, den Antrag auf Abtrennung der Folgesache 5 zusammen mit dem Abtrennungsantrag zur Folgesache 1 zuzulassen, denn zwischen beiden Folgesachen besteht keine so enge Verbindung, dass eine gemeinsame Vorabentscheidung erforderlich wäre, zumal maßgeblicher (Einsatz)Zeitpunkt für das Bestehen eines Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt (§§ 1570 ff. BGB) der Zeitpunkt der Scheidung, nicht der Zeitpunkt der Abtrennung ist (vgl. im Einzelnen Klinkhammer, FamRZ 2003, 583, 584). Es mag auch de lege ferenda die Forderung berechtigt sein, der Gesetzgeber müsse § 623 II S. 3 ZPO wieder streichen (so Klinkhammer a.a.O.). De lege lata kann das Ergebnis, dass eine Abtrennung nur zu erfolgen hat, wenn alle abgetrennten Folgesachen entscheidungsreif sind, auch im Wege der teleologischen Reduktion jedoch nicht erreicht werden (so auch OLG Hamm, FamRZ 2001, 554; 1229; OLG Frankfurt FamRZ 2001, 1227; OLG Stuttgart, NJW-RR 2003, 795; Niepmann, MDR 2000, 613, 619).

Im übrigen führt die Auflösung des Verbundes im vorliegenden Fall auch nicht zu einem für die Antragsgegnerin unangemessenen Ergebnis. Soweit mit Rechtskraft der Scheidung der bestehende Trennungsunterhaltstitel entfällt, kann dem sich daraus für sie ergebenden regelungslosen Zustand mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 620 bzw. § 644 ZPO wirksam begegnet werden.

Ende der Entscheidung

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