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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 251/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 66 Abs. 3 Satz 2
Die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB setzt nicht voraus, dass die maßgeblichen Strafen nur einer Verurteilung entstammen. Vielmehr können auch Strafen aus früheren Verurteilungen hierfür Berücksichtigung finden.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 251/07

In dem Verfahren auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der Jugendkammer II des Landgerichts Hannover vom 11. Juni 2007 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 19. Juni 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie hierdurch veranlasste notwendige Auslagen des Verurteilten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Unterbringungsbefehls nach Maßgabe von § 275 a Abs. 5 StPO.

Der Verurteilte ist strafrechtlich u.a. wie folgt in Erscheinung getreten:

- Am 30. Mai 1985 verurteilte ihn das Kreisgericht in Hoyerswerda wegen einer Nötigung zu sexuellen Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten. Die Vollstreckung war am 11. Februar 1987 erledigt.

- Wegen versuchter Vergewaltigung im schweren Fall in Tateinheit mit Nötigung zu sexuellen Handlungen verurteilte ihn das Amtsgericht Kamenz am 6. Mai 1988 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung am 29. März 1990 erledigt war. Diese sowie die vorbenannte Verurteilung unterliegen nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB der Rückfallverjährung und bleiben für die Frage der Sicherungsverwahrung in formeller Hinsicht daher außer Betracht.

- Am 6. Juni 2000 wurde der Verurteilte vom Amtsgericht Aschaffenburg (Az.: 4 Ls 102 Js 4427/00) wegen sexueller Nötigung (Tatzeit 7. April 2000) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung wurde indessen wegen der nachfolgenden Verurteilung widerrufen. Diese Strafe wird derzeit verbüßt. Das Strafzeitende ist auf den 8. Juli 2007 notiert, wobei infolge von Anrechnungstagen eine Entlassung am 25. oder bereits am 21. Juni 2007 erfolgen soll.

- Am 6. Dezember 2002 erfolgte durch das Landgericht Hannover (Az.: 34 a 43/02) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Tatzeit 19. August 2001) eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

In den Gründen des Urteils des Landgerichts Hannover vom 6. Dezember 2002 ist ausgeführt, der Verurteilte habe ein Bedürfnis entwickelt, Macht auszuüben, welches sich bei alkoholischer Enthemmung in Konfliktsituationen in Form von sexueller Aggressivität Bahn breche. Den Angaben des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. W. zufolge liege bei dem Verurteilten außer einer unreifen Persönlichkeit mit narzisstischen und schizoiden Zügen eine psychische Alkoholabhängigkeit vor, die für die Zukunft fortbestehe und die Gefahr begründe, dass der Verurteilte unter Alkoholeinfluss weitere Straftaten, vor allem gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet, begehen werde. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige sich für eine Unterbringung nach Maßgabe von § 63 StGB ausgesprochen.

Die demgegenüber vom Landgericht angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wurde am 21. Dezember 2004 für erledigt erklärt. Im Anschluss erfolgte die Reststrafenverbüßung bis zum Strafantritt in der vorbenannten Sache.

Am 21. Juli 2005 stellte die Staatsanwaltschaft Hannover einen Antrag auf Erlass eines Sicherungshaftbefehls sowie auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung und führte hierzu aus, es habe sich während des Vollzugs der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt herausgestellt, dass diese aus in der Person des Verurteilten liegenden Gründen aussichtslos sei. Wegen der fortbestehenden Alkoholproblematik sei zu befürchten, dass der Verurteilte nach seiner Entlassung unter Alkoholeinfluss weitere Sexualstraftaten begehen werde. Der Antrag wurde zurückgenommen, nachdem der Widerruf der Strafaussetzung in dem Verfahren der StA Aschaffenburg rechtskräftig geworden war.

Unter dem 3. Mai 2007 stellte die Staatsanwaltschaft erneut einen Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66 b StGB sowie einen Antrag auf Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO. Zur Begründung des Antrags nach § 66 b StGB wurde ausgeführt, das bisherige vollzugliche Verhalten des Verurteilten habe ergeben, dass dieser einen Hang zu erheblichen, insbesondere zu Sexualstraftaten habe und mithin zu befürchten sei, dass er nach seiner Entlassung weitere Sexualstraftaten begehen werde. Der Verurteilte weise psychiatrischen Stellungnahmen zufolge langjährig ein hohes Wiederholungsrisiko auf und sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich.

Mit Beschluss vom 11. Juni 2006 hat das Landgericht Hannover den Antrag auf Erlass eines Unterbringungsbefehls abgelehnt und hierzu ausgeführt, dass bereits die formellen Vorraussetzungen nach § 66 Abs. 3 Satz 1 oder 2 StGB nicht vorlägen. Die Kammer hat ihre Entscheidung namentlich auf die Erwägung gestützt, dass ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 13/8596, S. 8) nach der Vorschrift des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB eine Verurteilung zu insgesamt 3 Jahren Freiheitsstrafe erforderlich sei, woraus folge, dass frühere Verurteilungen [vorliegend die des Amtsgerichts Aschaffenburg] für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht herangezogen werden könnten, vielmehr eine Verurteilung wegen zweier Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe erforderlich sei. Auf die Prüfung, ob dringende Gründe für die Annahme des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen vorhanden sind, käme es mithin nicht an.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei getrennter Verurteilung wegen zwei Straftaten eine Sicherungsverwahrung nicht möglich sein, bei nur einer Verurteilung wegen zwei Straftaten eine Sicherungsverwahrung indessen in Betracht kommen solle.

2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig, hat im Ergebnis aber keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts, den Antrag auf Erlass eines Unterbringungsbefehls abzulehnen, ist zumindest im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn die Voraussetzungen des § 275 a Abs. 5 StPO liegen nicht vor.

a) Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel zunächst zutreffend auf die Erwägung gestützt, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts im Rahmen von § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch frühere Verurteilungen bei Prüfung der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung herangezogen werden können. Dies entspricht der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH vom 10.10.2006, 1 StR 284/06; auch BGH vom 14.7.1999, 3 StR 209/99 und Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 66 StGB Rn. 13). Der Bundesgerichtshof legt dem seine Rechtsprechung zu dem auch im Rahmen von § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB maßgeblichen Begriff des 'Verwirkens' zugrunde, wonach eine Strafe verwirkt ist, wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren, in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird.

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hat zutreffend darauf hingewiesen, dass auch bei dieser am Wortlaut orientierten Auslegung die Anwendungsbereiche von § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB nicht völlig deckungsgleich sind und anderenfalls das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch von Zufälligkeiten abhängen könne, nämlich, ob - etwa je nach Arbeitsweise bei verschiedenen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften oder nach deren Abgabepraxis - eine frühere Tat bereits abgeurteilt ist oder erst mit der weiteren Tat angeklagt wird. Dies ist mit der Regelung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB ersichtlich nicht gewollt. Insofern konnte die angefochtene Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.

b) Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt gleichwohl nicht zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Denn die materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO liegen nicht vor. Zwar hat das Landgericht sich jeder Äußerung hierzu enthalten. Der Senat war als Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO aber gehalten, auch insoweit eine Sachentscheidung zu treffen.

Das Anordnen eines Unterbringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO setzt voraus, dass dringende Gründe für die Annahme vorliegen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden wird. Dringende Gründe für diese Annahme liegen zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand indessen nicht vor. Denn eine nachträgliche Sicherungsverwahrung kann nach § 66 b Abs. 1 StGB nur angeordnet werden, wenn vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe - neue - Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisen.

Derart neue Tatsachen hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift nicht benannt. Allein der Umstand, dass bei dem Verurteilten im Hinblick auf die Begehung von Sexualstraftaten ein ganz erhebliches Risiko besteht, dass er als Rückfalltäter im Falle der Entlassung weitere erhebliche Sexualstraftaten begeht, ist für sich genommen nicht neu. Denn eine Wahrscheinlichkeit des Begehens von weiteren Sexualstraftaten war auch zum Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts Hannover vom 19. Dezember 2007, mit welchem eine - die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten notwendig voraussetzende - Maßregel nach § 64 StGB angeordnet wurde, grundsätzlich schon erkennbar. Auch war grundsätzlich erkennbar, dass bei dem Angeklagten neben einer psychischen Alkoholabhängigkeit eine unreife Persönlichkeit mit narzisstischen und schizoiden Zügen vorlag und er deshalb unter Alkoholeinfluss und um Macht auszuüben zu sexuellen Gewaltstraftaten neigt. Aber auch soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres früheren, indes zurückgenommenen Antrags vom 21. Juli 2005 darauf abgestellt hatte, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist, kann dies zwar als Indiztatsache Berücksichtigung finden (BGHSt 50, 275, 280); allein hierauf können dringende Gründe für die Annahme einer nachträglichen Sicherungsverwahrung aber nicht gestützt werden. Hinzu kommt, dass nach der nunmehr vorliegenden ergänzenden Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen Dr. v. d. H. vom 17. Juni 2007 zumindest aus forensisch-psychiatrischer Sicht die Kriterien für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht vorliegen. Hiernach können jedenfalls dringende Gründe für die Annahme einer nachträglichen Sicherungsverwahrung jedenfalls derzeit nicht angenommen werden.

Ob die Vorsaussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung letztlich selbst vorliegen, hat der Senat im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu beurteilen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

4. Ein Rechtsmittel gegen die vorliegende Entscheidung ist nach § 304 Abs. 4 StPO nicht eröffnet.

Ende der Entscheidung

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